Montag, Juni 21, 2004

Schlangen auf dem Kopf von Jerusalem? Ich nehme die Wohnung unten rechts in Medusas Knie.

Was haben Medusa, Methusalem und Jerusalem gemeinsam? Vielleicht nicht viel mehr als Rosenkohl und Feuerwehrlöschfahrzeuge. Alle sind irgendwie schon länger im Geschäft (gewesen). Aber Jerusalem hatte meines Wissens noch keine Schlangen auf dem Kopf, und bei Methusalem ist auch nur zu vermuten, dass er vielleicht ab und zu im Zelt der Bauchtänzerinnen vorbeigeschaut hat, die gerade an einer abenteuerlichen Nummer probten. Einen langen, weißen Bart hatte und hat Jerusalem nicht, und ob und wie auswuchernd er bei Medusa gediehen war, überlasse ich der Einschätzung fachkundigerer Menschen, als ich einer bin. Ob bisher jemand in Medusa oder Methusalem gewohnt hat, kann ich auch nicht genau sagen. In der Hofe sind sie beide sicherlich gewesen, aber auch da weiß ich wenig Genaueres. Verwechseln kann man die drei trotzdem. Passiert. Vielleicht auch mit Hecuba oder Degussa? Auch Euripides und Denkmalkonservierung haben nur wenig miteinander zu tun. Oder irre ich?

Ein Rabbi bohrt nicht in der Nase! Zumindest nicht samstags!

Am Sabbat ist beim Rabbi nasebohrfreie Zeit. Popeln am Sabbat? Nix da. Denn beim Bohren in der Nase könnte man sich (ungewollt) Haare ausreißen. Sakrileg! Haare ausreißen am Sabbat ist verboten. Insofern bohrt der Rabbi frühestens wieder am Sonntag in der Nase. Wenn überhaupt.

Pfadfinderspurensuche im eigenen Ich

Es war eine angenehm suizidfreie Rückfahrt nach Leer. Eigentlich wenig überraschend, wobei: Ein wenig überraschend war es doch. Mir gegenüber setzte sich ab Rheine ein Pfadfinder, wie er im Buche steht. Fell-ummantelte Trinkflasche, kleine Nickelbrille, komplett in Uniform mit schickem Halstuch, Greenpeace-Aufneher auf dem Bundeswehr-Rucksack.... Wer jetzt ruft: "Und? Das klischeegerechte Aussehen eines Pfadfinders überrascht Dich? Dann wirst Du Dich vor Überraschungen ja gar nicht mehr retten können!", den kann ich beruhigen. Nicht das Aussehen war es, was mich und vor allem die Sinneszellen meiner Nase in verwunderte Aufregung versetzte. Es war der Geruch, der von ihm ausging. Ich hatte ganz vergessen, wie unglaublich man nach Lagerfeuer riechen kann.

Der unentwegt von meinem pfadfinderischen Gegenüber wortlos ausströmende holzig-würzige Geruch ergriff mich und stupste mich irgendwo zwischen "mémoire volontaire" und "involontaire" in einen lagerfeuerheißen autobiografischen Erinnerungsstrudel. Die Synapsen klingelten Sturm. Das Gehirn überwarf sich im Herauskramen vergessen geglaubter Details, Ereignisse und Gefühle aus der Zeit vor knapp 15 Jahren als kleiner, frecher Wölfling bei den Wildgänsen in Leer.

Es ist der Geruch von unter freiem Himmel mit urwüchsig-naturburschikoser Inbrunst gesungenen Liedern über Trolle auf schwedischen Fjällen (Bergen), Sitzplätze neben Schwagern hoch auf gelben Wagen, Bonnies über Ozean und See, durch die Nacht rauschende Wildgänse oder das Himmelstürklopfen von Robert Zimmermann, es ist der Geruch von wortlosem Schwelgen in Wohlgefühl beim Stummen, verklärten Blick hinauf in den von stillschweigenden Sternen erleuchteten Nachthimmel, während das Knistern der langsam verbrennenden Holzscheite den klangvollen und tonlosen Soundtrack dazu liefert (gesetzt den Fall, dass gerade niemand zur Wandergitarre "Immergrüns" schmettert).

Der die Geschmacksnerven verwirrende bis sanft beleidigende Geschmack von "Quentsch", diesem unsäglichen Fruchtgeschmadderaufgussgetränk, und von Hagebuttentee stieg wieder aus vergessenen Niederungen empor. Nicht im Ansatz habe ich das Zeug je gern getrunken, aber wer Pfadfinder ist, muss Opfer bringen, und eins der Opfer bestand darin, wortlos das unwohlschmeckende Instantfruchtfrühstückserfrischungsgetränk hinunterzuschlucken. Was einen nicht umbringt, macht einen nur härter. Quentsch machte mich sehr hart.
Auch fiel mir mein tolles finnisches Messer wieder ein, was ich stolz wie Oskar mit mir herumtrug, nachdem Mikko und Vikke, zwei finnische Austauschpfadfinder, es mir egschenkt hatten. Wie viele Stöcker ich damit "schickgeschält" und schöngeschnitzt habe, kann ich nicht mehr zählen.

Die Angst, vom selbstgebauten Baumstammdonnerbalken in die Scheißgrube dahinter und darunter zu fallen, war plötzlich wieder präsent und der Anblick von Heiko, einem der Meutenführer, der mit Sternhagel befülltem Bewusstsein rückwärts reingeplumpst war und danach komisch roch und aussah.

Einnerungsproduktion auf Hochtouren. Geheimbündlerisch-weltabgeschiedenes Zusammengehörigkeitspathos, Stöckerschnitzen, A-Zerlatschen, Logbuch, Wölflingsbeutel, Gruselgeschichten inmitten dürrer, fast völlig entlaubter Birken mit knisternd-krackenden Zweigen (wenn man drauftrat) bei finsterer Nacht, mein kleines rixe-Fahrrad, Sandwege ins Moor, mein Gelöbnis am Moorsee (was ich gelobt habe, weiß ich nicht mehr, aber durch mein Geloben wurde ich in den Status eines "pequeno lobo" gelobt), Fahnehissen, Wölflingsgruß (auch wie der ging, weiß ich nicht mehr), Holz- und Reisigsammeln, um das Lagerfeuer zu entfachen und dann so zu riechen, wie der Typ mir gegenüber im Zug, Versammlungen am Pfadiheim, sich beinahe mit dem Halstuch strangulieren, alle in gleicher Uniform und das in Sichtweite zur Bundeswehrkaserne, die Holzguillotine dahinter, mein Rauswurf.

Mein Rauswurf. Auch ein Kapitel für sich.

Irgendwann übernahm Mae-Li die Leitung unserer Wölflingsgruppe. Mae-Li kam aus Südkorea, war an sich Vollblutpfadfinderin und hatte ein Faible für Handarbeiten. Ich hingegen nicht. Ich war glücklich, wenn ich A's zerlatschen konnte, durchs Gestrüpp strumpeln, um bei Geländespielen unserer Mannschaft zum entscheidenden Vorteil zu verhelfen, geschickt oder ungeschickt versteckte Mitwölflinge aufzuspüren... um dann mit Hosen, die eher Golfplätzen nach einer Flutkatastrophe glichen (nass, matschig und voller Löcher), der Waschmaschine meiner Mutter den Weg aus der Arbeitslosigkeit zu ebnen.

Mae-Li jedenfalls wollte uns, die wilden Kerle, zähmen und unser eher urtriebiges Instinkt- Jagd- und Sammlerverhalten um ein paar weichere, weiblichere und filigranere Facetten erweitern. Sie ließ uns unsere Wölflingsbeutel besticken!!! Der Wölflingsbeutel, der so wertvolle Dinge, wie mein Logbuch (zum Spuren- und Fährteneinzeichnen, als Tagebuch für Lager, um komische Comicfiguren reinzukrickeln, um verschiedene Stockübereinanderlegzeichen zu kennen und legen zu können, so dass es "Hilfe" oder "bin grad am ertrinken" bedeutet und andere einem helfen können, wenn sie auch Pfadfinder sind und gerade ein Logbuch dabei haben, in dem sie nachsehen können, welche Bedeutung die über- uind aneinandergelegten Stöcker haben könnten, die da auf dem Fußboden liegen, auf die Gefahr hin, dass eine Stock- und damit eine Bedeutungsverschiebung nicht passiert ist - fatal!!!...), mein finnisches Messer, schickgeschnitzte Stöcker, die mit meinem schick schnitzenden finnischen Schickschnitzmesser schickgeschnitzt worden waren und anderen Kram beherbergte.

Mein Wölflingsbeutel war blau, aus Kunststoff und von adidas. Das adidas-Zeichen war schon draufgestickt. Sticken machte mir auch nicht den kleinsten Spaß. Sticken war doof. Sticken war was für Mädchen und stahl einem die Zeit, in der man Baumhäuser bauen oder Geheimverstecke bauen konnte.

Also bestickte ich meinen Wölflingsbeutel nicht. Auf der Weihnachtsfeier 1990 oder 1991 sollten dann die schönst bestickten Wölflingsbeutel prämiert werden. Und ähnlich wie in der Schule, wo vor Jahrzehnten die Kinder ihre Hände vorzeigen mussten, ob denn die Fingernägel sauber sind, sollten wir nun auf der Weihnachtsfeier unsere Wölflingsbeutel mit Kreuz- und Sonstwiestichbestickten Motiven vorzeigen. Als ich an der Reihe war, fragte Reinhard Kruckenberg, unser Sippenführer: "Wo hast Du denn da jetzt was draufgestickt?" Ich meinte nur: "Wieso? Da ist doch was draufgestickt. Und was anderes Draufgesticktes möchte ich darauf nicht haben." Reinhard, der zwar Lehrer, aber kein Pädagoge war, rastete komplett aus und brüllte was von "Authoritätsuntergrabung", "Frechheit", "unmöglich" etc.pp., und legte mir sofort nahe, dass ich hier komplett falsch wäre, wenn ich die Authorität der Leitenden nicht anerkennte, und dass ich mit diesem Ausmaß an Ungehorsam hier nicht glücklich würde, und wenn derlei nicht sofort aufhörte, dürfte ich mich als gegangen betrachten...

Daraufhin entschloss ich mich, von nun an meine Zeit eigenmächtig und ohne die Pfadfinder zum Höhlen- und Baumhäuserbauen, Klettern und A-Zerlatschen zu nutzen. Ohne Sticken. Ich betrachtete mich als gegangen und schickte mich an, woanders als hier glücklich zu werden.

Freitag, Juni 18, 2004

Onomatopöie dank Nachnamensilbentransfers

Wenn man Fußball guckt, können einem bei Bier und zähem Spielfluss die Gedanken abschweifen und zu unerwarteten Ergebnissen kommen. Interessantestes Ergebnis des Länderspiels Deutschland - Holland ist meines Erachtens der Vorschlag, nicht nur Spieler von Verein zu Verein zu transferieren, sondern auch Namensteile von Spieler zu Spieler. Als erste Namenstransfers tauschen Pierre van Hooijdonk und Giovanni van Bronckhorst Nachnamensilben und heißen von nun an van Bronkdonk und van Hooijhorst mit Nachnamen. Weitere Transfers sind in Arbeit. Man könnte auch einen Dreiertausch vornehmen, so dass aus Roy Makaay, Ruud van Nistelrooy und Pierre van Hooijdonk dann Roy van Hooijrooy, Ruud van Madonk und Pierre Nistelkaay werden. Wobei das die Inkaufnahme zweier schlechter Transfers für einen Superstar wäre.

La première fois

"My way is to begin with the beginning", sagte Lord Byron, und so werde ich es auch versuchen.

Ich weiß nicht, ob Werner Heisenberg gerne Würstchen mit Kartoffelsalat gegessen hat, oder ob Hertha Däubler-Gmelin sich jemals mit Chips, Fruchtgummi und Altbierbowle vor den Fernseher gefläzt hat, um sich von Siebenstein oder den Dreibeinigen Herrschern berieseln zu lassen. Relativ genau weiß ich aber, dass ich hier einen Ort gefunden habe, wo die Öffentlichkeit die Chance hat, meinen wirren Gedankengängen teilnahmslos zuzusehen. Die Zukunft wird zeigen, was passieren wird.