Freitag, März 31, 2006

Haumi blau

"Haumi ist vielleicht'ne Torfnase!"
"Wer ist denn Halumi?"
"Halumi ist Schafs- oder Ziegenkäse - Haumi ist der Tunesier, der bei Svensson früher gegenüber gewohnt hat."

Jumbo ruckelt an seiner Hornbrille und streicht sich die schwarz gefärbten Haarsträhnen aus der Stirn. Eigentlich heißt Jumbo Harald.

"Achso der."
"Weißt Du, wen ich meine?"
"Ja... ich meine... nein. Wer ist denn Svensson?"
"Svensson war der Nachb... wurscht."
"Und was war mit Svensson?"
"Nichts, der wohnte bei Haumi gegenüber. Und gestern beim Konzert in der Baracke haben wir Haumi getroffen, und der hatte noch eine Kiste Felskrone zu Hause."
"Ach. Und?"
"Die haben wir dann entleert."
"Spannend."
"Janee, aber dann... zack! Einfach abgesäbelt! Wie beim Schlachter. Volle Möhre mit Wumms durchgewemmst. Karamba, Karacho, das hat gespritzt wie Hulle, sag ich Dir. Und die Frettchenschnauze kichert sich nen Ast, dicht wie seine Rübe ist."
"Wer hat was abgesäbelt?"
"Der Haumi... mit der Riesenmachete seinen kleinen Zeh."
"Wieso das denn?" Jumbo fällt vor Verblüffung das Kaugummi auf die Schuhe.
"Naja, der hat sich letztens im Suff ne Machete bestellt."
"Super Idee. Macht der sowas öfter?"
"Das weiß keiner so genau. Hat aber im Liebeskummersuff wohl alleine zwei Pullen 'Landrat Melchers' pur wegen seiner Ex auf Ex die Kehle hinuntergeschüttet, war danach im Netz, hat kaum noch was geschnallt, aber eine Machete bestellt, wovon er selbst nichts mehr wusste, bis das Paket kam."
"Und dann?"
"Dann hat er's bezahlt, musste er ja wohl, war auch nicht billig, und wollte sie ausprobieren und hat als erstes den Türrahmen gespalten."
"Und was ist mit seinem Zeh?"
"Nachdem der abgehackt war, hat Haumi ihn als Golfball benutzen wollen und die Machete als Golfschläger. Hat das Ding quer durch den Raum geschossen, da ist es gegen das Oberlicht vom Fenster gematscht und rausgeflogen."
"Wie... aus dem Fenster?"
"Ja, und dann haben wir den Zeh nicht wiedergefunden. Aber der ganze Boden war blutverkrustet. Ein Geschmadder sondergleichen, sag ich Dir!"
"Und was habt Ihr dann gemacht?"
"Wir haben seine Machete unter seinen Kleiderschrank geschoben, wo er sie hoffentlich so schnell nicht wiederfindet, den Krankenwagen angerufen, und als die Sanis da waren, haben wir ihn abgeliefert und danach den Kisten Felskrone mit zu uns genommen und leergeschlürft. Der Haumi, der wird morgen schon gar nicht mehr wissen, das wir da waren oder dass er überhaupt noch Bier hatte, dicht wie der war."

Donnerstag, März 30, 2006

Gathering a Brathering

Im Darüberfliegen kackt eine Möwe auf den Verteilerkasten, vor dem Quintus auf Jana wartet. Wenige Minuten später schieben sich kaltgelbe Lichtkegel in sein Blickfeld und ihr Taxi hält. Sie zieht ein letztes Mal kräftig an ihrer Zigarette, drückt sie im Taxiaschenbecher aus und steigt hinaus in die Kälte. Weiche Rauchwolken folgen ihr, zerfasern, verlieren sich in der klammen Luft. „Hallo“, haucht sie Quintus entgegen, als sie sich zur Begrüßung umarmen. Er sagt nichts, drückt sie nur.
Der schneidende Wind lässt die kleinen Luftschlitze des Verteilerkastens wimmern wie Welpen. Darunter prangt ein Schild, bei dem die untere rechte Ecke abgebrochen ist: "Betreten V". "Was das wohl heißen soll? Betreten Verteilerkasten", ulkt Quintus. "Betreten Vormittags? Betreten Von hinten? Betreten Viele?" "Eher Betreten Verboten, oder... vielleicht heißt der Kerl, der heimlich drin wohnt auch so." Ein Sack mit Tausalz lehnt an der Seitenmauer. Die untere Naht ist aufgeplatzt. "Vielleicht auch Betreten Vorwärts. Aber wer würde schon rückwärts in einen Verteilerkasten gehen?" "Wer würde überhaupt in einen Verteilerkasten hineingehen wollen?" Stumme Schultern zucken parallel. Sie schlurfen weiter. Das Kopfsteinpflaster hat das letzte Glatteis verschluckt. Jana verrenkt sich plötzlich und knurrt.
"Ab sofort wird gespart. Weniger Tütenkonfekt, mehr Rückenkratzer... oder zumindest einen. Im Trödelladen vom Chinamann..."
"Chinamann ist nicht der politisch korrekte Terminus", unterbricht Quintus sie.
"Mir doch Kaffee. Da gibt es jedenfalls geschmeidige Rückenkratzer aus Balsaholz."
"Sind die denn teuer?"
"Nein, aber soooo viel Tütenkonfekt futtere ich ja auch nicht."
"Kann man da nicht auch ein herkömmliches Reibeisen nehmen?"
"Willst Du, dass ich mir die Rückenhaut aufratsche?“
„Okay, nein.“
„Gut.“
Im Dämmerlicht schlagen die Bäume lange, schwarze Schatten. Eine Schar Raben flattert über dem zerfurchten Acker, an dem der Weg entlangführt. Hinter ihnen geht in sattem Rot die Sonnenkugel unter wie eine versinkende Wassermelone - mit den schwarzen Punkten der Vögel davor. „Wenn Du jetzt irgendwo hinfliegen könntest – wohin würdest Du fliegen?“, fragt Quintus wie aus dem Nichts. Jana zündet sich eine neue Zigarette an, bläst eine Rauchwolke gen Horizont und sagt „Trondheim“. "Wieso?" "Dort gibt es sicher leckeren Brathering. Ganz frisch." Ihre Augen funkeln dunkel im Schimmer der letzten Sonnenstrahlen. Wie traumversunken sieht sie ihren tanzenden Rauchwolken hinterher.

Dies ist ein Zwillingstext mit dem jetzt zeitgleich erscheinenden Werk der großartigen Frau Ich bin erkältet. Beide sind zusammengesponnen aus den gleichen sechs, gemeinsam geheim abgesprochenen Stichwörtern.

Mittwoch, März 29, 2006

Shabba, Schaukeln, schlimmer Schweiß

Schabba.
Bierglasige Augen blicken in den leeren Plastikbecher. Die dazugehörigen Augen pfeffern ihn über die linke Schulter. Der Hintermann tritt drauf. Es knackt. Der Becher birst. Kaputt. Schnapsdrosselige Schalala-Chöre dröhnen vielstimmig. Der Duft gebrannter Mandeln wird zersägt von Autoscooterhupen und geerdet von Erbrochenem, das neben der Pizzabude liegt. Es nieselt. Feuchte Fröhlichkeit liegt über dem "Oktoberfest Ostfrieslands", dem Leeraner Gallimarkt. Losbudenbesitzer, die seit Jahrzehnten dieselben Sprüche in variierter Reihenfolge leiern. Zuckerwattefäden, die sich in langen Locken verheddern. Korn, Bier, Schnaps und (Glüh)Wein. Heulende Karrussells, klappernde Blechdosen, die von kleinen Lederbällen nur halb getroffen werden. Vor Rührung glänzen feuchte Augen, nachdem er ihr eine Plastikblume geschossen hat. Pink. Im dritten Schuss.



Schabba.
Es mag 1992 sein. Womöglich in der sechsten Klasse, Orientierungsstufe. Man weiß es nicht mehr genau. Jahrelang habe ich mir eine Menge Coolness-Punkte durch die Lappen sickern lassen, indem ich nicht das Taschengeld der vorigen zwei Monate in Karussells auf den Kopf gehauen habe. Immer wieder zwirbelten sich die Augenbrauen schräg und kräuselten sich die Stirne in Falten, wenn ich erklärte, es sei nicht aus Angst sondern einfach nur Schutz für mich und alle Anderen. Weder ich noch andere hätten doch was davon, wenn ich sie vollkotzte. Mein Magen hat abrupte Richtungswechsel bislang noch allzuoft mit galleblubbernder Unzufriedenheit quittiert. Kindergelächter.

Schabba.
Auch ich habe meinen Stolz. Vielleicht habe ich mir alle Richtungswechselübelkeit ja doch nur eingeredet. Ralf B. zumindest ist der festen Überzeugung. Seine Eltern züchten zwar Brieftauben und klagen gegen Privatbordelle, aber vielleicht hat er ja recht. Doch wo rein? "Lass uns in die Schiffschaukel gehen. Die ist am harmlosesten." "Ach..." "Ja. Da dreht sich auch nix." Das Argument hat Gewicht. Ralf auch, aber das tut wenig zur Sache. Von Pioniergeist beflügelt lasse ich mir einen Plastikjeton auf den Blechtresen schnippen, reiche ihn mit stolzer Brust dem Plastikjetoneinsammler wenige Meter später und nehme in einer der hintersten Bänke Platz.

Schabba.
Ralf quetscht sich neben mich. Die Schiffschaukel schiebt sich langsam vor und zurück. Und aus den Boxen schallt "Mister Loverman" von Shabba Ranks. Mit jedem Schwung wird das Schaukeln mächtiger. Umso mehr, als wir "far out", kurz vor dem Bug der Schaukel klemmen. "Mister Lovermäään", kräht die Trulla auf der Aufnahme. Shabba sagt: "Schabba." Wir erreichen immer neue Höhen. Eine ganze Schmetterlingsplage wütet in meinen Eingeweiden. Alles kribbelt, krabbelt, kitzelt und wuselt. Höher, höher, schneller, weiter, mehr. "Mister Lovermäääään." "Schabba." Mir steigt Schweiß vor die Stirn. Alle Gesichtsfarbe zerrinnt in Richtung Magen. Die stolze, glänzende Fassade zersplittert mit sämtlicher Selbstüberzeugung im kalten Leeraner Abendhimmel. "Mister Lovermäääään." "Schabba." Vorwärtsabwärtssausen. Rückwärtsaufwärtssausen. "Schabba." Der Magen beginnt zu brodeln. Die vorher wonnevoll verschlungene Nahrung sucht nach dem Notausgang und klettert aufwärts. Vorwärtsabwärtssausen. Rückwärtsaufwärtssausen. "Mitster Lovermääään." "Schabba." Fluchtgedanken klingeln nun auch in meinem Kopf Sturm. Bloß raus hier. Bitte. Schnell. Und schaltet das verfluchte Lied ab.

Schabba.
Endlich beruhigen sich die Luftschiffwogen. Mit letzer Kraft ringe ich um Kontrolle, um Fassung. Stürze aus der Schaukel, schubse Passanten zur Seite, renne schneller, immer schneller, bloß herunter vom Marktgelände. Dann, direkt vor dem holländischen Blumenladen am Marktrand ist alles verloren. Mit aller Kraft durchbricht die Galle den Staudamm, alles Entsetzen hilft nicht. Ich übergebe mich mit bitterm Schwall mitten auf Begonien, Glyzinien, Rosen, Tulpen, oder was sonst in Sträußen gebündelt dort gestanden haben mag. Wie vom Deichschaf gebissen, schreit der holländische Händler auf, sein Gesicht läuft dunkel an. Ich stammele "Tut mir Leid! Wollt ich nicht!" "Dasch wirscht Du bezahl, mien Jong!", schmettert mir sein Bass entgegen. Schiss übermannt mich. Und renne ich weg. Wendiger und flinker, schlage ich Haken zwischen schlendernden Pärchen hindurch, an der Losbude vorbei, an der Pizzabude, neben der auch immer noch die andere Stückchenpfütze schwabbert. Er rennt hinter mir her. Schreit wütend. "Aufhalten! Aufhalten!" Mit letzter Kraft gelingt es mir, außerhalb seiner Sichtweite zu sprinten. Der Puls rast, der Magen rebelliert immer noch. Leise Schuldgefühle und anhaltende Übelkeit ringen griechisch-römisch in meinem Inneren. Ich hyperventiliere. Er hat aufgegeben. Ich bin in Sicherheit. Dankenswerterweise hat Ralf geschwiegen. Noch heute klettern seltsame Erinnerungen aus meinem Gedächtniskeller hinauf, wenn ich an holländischen Blumenlastwagen vorbeigehe. Noch heute wird mir körperlich übel, wenn ich "Mister Loverman" höre. Schabba.

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Jelängerjelieber

Melodien, durch tadellose Zähne gepfiffen, in die Untiefen des Gedächtnisses geschlängelt, später vor dem heimischen Herd wiederholt. Vielleicht auch vor dem Spiegel neben der Tür. Man sagt, gepfiffene Melodien könnten das Wetter über der Stadt verändern. Flacher Schmerz kauert über dem Herzen wie eine Muschel. Gefühle wie aus dem Meer an den Strand getriebene Abfälle - merkwürdiger Tand, algenumschlungen, wuchtig, trübe, vergammelt und bis zur Unkenntlichkeit zerfressen. Ein einsamer Plastikstuhl auf umgittertem Balkon, von der Düsternis wortlos umhüllt. Schaum löst sich auf, Eiskugeln verlieren ihre Furchen, verwandeln sich in weiche, glänzende Bälle wie Seifenblasen, die in einer Spülschüssel voller Wasser liegen geblieben sind. Nach dem leichten Regen sind die Äste der Weiden wie nasse Finger, die in wolligem grünem Haar spielen. Automobile werden zu schwarzen, hinter dunstverhangenen Motorhaubenlichtern hergleitenden Düsenkisten. Auf Satin gewordenen Trottoirs bewegen sich Gestalten, Schulter voraus, den Scheitel geneigt, wie ein Schild gegen das leichte Schrot der Regentropfen. Die Gesichter von Kindern, an Fenstern erspäht, scheinen zu weinen, aber es ist nur die tropfnasse Glasscheibe, die sie so aussehen lässt. Blinde trommeln mit den Fingern in der weichen Luft, während sie sich Bordsteinritze für Bordsteinritze ihren Weg ertasten. Eine Schwarzhaarige mit papierkantenscharfem Scheitel schnippt ihre Kippe in den Gulli. Es heißt, Schlangen werden eine Weile blind, bevor sie sich zum letzten Mal häuten. Eine Frau hält sich flink die Hand vor den Mund, die Augen hat sich nicht rechtzeitig zuhalten können, so ist ihr Lachen da herausgeflogen gekommen. Irgendwessen Wut strömt in blauschwarzen Rinnsalen über den Wohnzimmertisch gegenüber, lässt den Kristallkerzenhalter beschlagen, weicht das Tischtuch auf. Das Tafelsilber ist glitschig geworden. Ein Eichhörnchen ist auf den Baum geflitzt, um dem Krankenwagen mit Blaulicht hinterherzuspähen. Scheinwerfer zucken wie Würmer. Alles Betörende kann an einem Neugeborenen Spuren hinterlassen: Melonen, Kaninchen, Glyzinien. Keine Blitzstrahlen, keine Donnerfluten. Alibi, Mieze oder Spielzeug? Sardinenbrotrinde.

Dienstag, März 28, 2006

Hundegestrüpp, Silbenzahlrätsel und fette Wellensittiche

"Wie viele Silben hat eigentlich Trakl? Eine, oder?" Sven schubbert mit dem linken Zeigefinger über die Schläfe, runzelt die Stirn und kneift dann die Augen zusammen. Die silbergrelle Frühlingssonne spiegelt sich in der Schaufensterscheibe des Blumenladens gegenüber.

"Nee, zwei." Ada durchbohrt den Milchschaum ihres Caffé Latte mit dem Löffel.
"Echt? Das 'l' allein geht als Silbe durch?"
"Denke schon. Oder das 'kl'. Tra-kl."
"'L' und 'kl' wären die seltsamsten Silben, die mir in meinem Leben entgegengedackelt wären."
"Na guck, da haben wir's doch?"
"Wo haben wir was?"
"Dackel. Dak-kel. Zwei Silben. Ein Dackel ist da genau wie Trakl."
"Lass das nur nie einen der Germanistikdozenten hören", frotzelt Sven.

Ein struppiger Hund stromert zwischen Adas Beinen hin und her, schnuppert an ihrem Knöchel und beginnt, ihr über den Spann zu lecken. Ada quiekt kurz auf. "Der leckt an meinem Spann wie der grüne, fette Otti früher an meinem Zeigefinger."
"Immerhin kein Dackel."
"Naja, sollen wir ihn Trakl nennen?" Adas Augen funkeln vergnügt. "Unbekannter Hund, wir taufen Dich auf den Namen Trakl."
Sven grinst und schlürft an seinem Kaffee. Ein kleiner Milchbart umschwimmt seine Lippen.
"Wer war denn der grüne, fette Otti?"
"Mein alter schlappfedriger Wellensittich. Jahrelang habe ich ihn mit dem tollen Futter mit Sprechkörnern gefüttert. Damit er wenigstens mal 'Otti' oder 'Hansi' oder 'Weltfrieden' sagt. Aber nix. Nicht... ein... Wort! Nicht ein einziges!"
"Nun sind Wellensittiche aber doch auch keine Papageien. Das sind Singvögel, keine Sprechvögel."
"Otti konnte aber ja beides nicht. Sprechen nicht. Und singen erst recht nicht. Der war so musikalisch wie eine Muskatnuss. Gekrächzt hat er, rauer und kehliger als Hans Hartz. Und wozu gibt es Sprechkörner, wenn die Vögel hinterher nicht mehr sprechen als vorher? Ein Riesenkörnerschwindel war das. Sprechkörnerschwindel. " Ada seufzt und durchbuddelt ihre Handtasche. Der struppige Trakl trottet über die Straße, versucht an einem der Kübel vor dem Blumenladen sein Revier zu markieren und wird unter Geschrei mit einem Strohbesen fortgejagt.

Montag, März 27, 2006

Es ist nicht so, es ist ganz anders, nur ist es so, dass es so ist, wie es nicht hätte sein sollen, daher ist es so und nicht anders - meistens

Herrlich lakonisch und treffsicher fasst Herr Fellow Passenger mit Verweis auf Kafka die Kernaussagen des Interviews zusammen, die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries mit Frank Patalong von Spiegel Online zur aktuellen Debatte über die Urheberschutzgesetzesnovelle führte.

"Natürlich hat man das Recht, privat eine CD zu kopieren. Nur ein Recht auf eine private Kopie einer CD gibt es nicht. Für dieses Recht zahlt der Verbraucher ja schließlich auch Abgaben. Deswegen ist es auch verboten, verstehen Sie? Aus Kindern die die CDs kopieren macht die Novelle des Urheberrechts keine Kriminellen. Das sind sie ja schon. Darum werden sie ja auch nicht verurteilt, es sei denn sie werden angeklagt oder so. Außerdem war die Änderung des Gesetzes nötig, weil sich dadurch nichts ändert. Außer daß alles besser wird, irgendwie. Daß die für Fälle von Terrorismus und Kapitalverbrechen vorbehaltene Vorratsdatenspeicherung jetzt für die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen verwendet wird stimmt gar nicht. Für die Verfolgung von Verstößen gegen das Urheberrecht, werden nur die auf Vorrat gespeicherten Daten verwendet, die wir gegen Terrorismus und Kapitalverbrechen sammeln. Da verwechseln Sie was."

Sonntag, März 26, 2006

Solange der dicke Mann noch sitzt, ist der Gig noch nicht zu Ende

Fast wie Buddha thront er da, inmitten überdrehter Derwische auf einem zerkrümelnden Ytong-Block knapp über dem Boden. Stoisch, reglos, freundlich. Ein gemütliches Lächeln umspielt seine von stoppeligem Bart umwucherten Mundwinkel. Kurz wird der Blick auf den kleinen Spalt zwischen seinen Schneidezähnen frei. Um ihn herum zuckt es wild. Drahtige Körper toben in exaltierten Biegungen über die Bühne. Schweiß schäumt wie Gischt. „This man is a saint“, keucht Joe Haege außer Atem ins Mikrofon und wischt sich einige glitzernde Perlen mit dem Hemdsärmel von der Schläfe. Joe tätschelt dem Dicken dankbar den Kopf. Doch warum?

Schnitt zurück.
So wirklich auf der Pfanne hatte ich sie nicht. Neugierig auf sie war ich, aber nicht vornehmlich wegen ihnen da. Die 31 Knots waren mir namentlich und bislang nur von einem einzigen Song her ein Begriff. Was ich gelesen hatte, fand ich auch äußerst spannend, es war also ein halber Sprung ins Unbekannte. Ins großartige Gleis 22 gelockt hatten mich vielmehr die wunderschönen Art Of Fighting aus Australien, die hier das Vorprogramm bestreiten durfte. Fast möchte man „nur“ sagen.

Claire Bowditch

Als wir das Gleis betreten, zupft die allererste Künstlerin des Abends, Claire Bowditch, sich schon durch ihr erstes Lied. Ganz allein steht sie in einem orangefarbenen Kleid mit dezenter Kittelschürzenähnlichkeit auf der Bühne und singt zur Akustischen niedliche Lieder über Liebe, göttliche Männer und andere Dinge, über die man eben so singt. Die Musik ist hübsch, wie auch sie selbst, ihre Stimme gemahnt mal an Heather Nova, mal an die Cranberries-Sirene Dolores O’Riordan. Gefällt angenehm, hinterlässt aber bei allem keine tiefen Erinnerungsspuren im Gedächtnis.

Art Of Fighting

Der Vorhang zieht sich zu, kribbelnde Vorfreude bricht sich Bahn. Hinter schweren, dunklen Stoffbahnen wird gerödelt, geschraubt, justiert. Dann weichen sie schüchtern beiseite, und plötzlich sind sie da. Art Of Fighting, eine der vielleicht zärtlichsten Bands des Planeten. Und sie beginnen mit ihrem vielleicht schönsten Song überhaupt, „Akula“ von der flüsterleisen aber grandiosen Wires. Sanft glitzern die ersten Akkorde auf, einfühlsam streichelt Marty Brown mit den Besen die Trommelfelle und liebkost die Becken. Traumhaft weich und angenehm, herrlich zart wie Erdbeercreme haucht der leicht beschnurrbärtete Ollie Browne die schwebenden Gesangslinien ins Mikro, sein traumverlorener Bruder Miles kratzt sich an der Wange, stimmt stumm seine Gitarre und schickt funkelnde Obertöne auf die Reise. Die wunderschöne und erstaunlich schwangere Frau im Bunde, Peggy Frew, zupft mit ihren melodischen Bassfiguren das Fundament. Schon nach wenigen Takten ist das Publikum verzaubert.
Keine großen Gesten, die Augenlider geschlossen, keine Show, der Raum gehört der Musik. Der Moment erstarrt in Schönheit, die Zeit fließt in eins zusammen und bleibt eine kurze Weile stehen. Ein beinahe magischer Sog. Fast mag man gar nicht klatschen, um nicht aufzuwachen, die Begeisterung ist dann aber doch zu groß. Eine knappe Stunde wird feinsinniges Pianissimo zelebriert, dynamisch aufgelockert von zarten, dann aber mächtigen Ausbrüchen, krachenderen Grooves, Gitarrenzerren. Schließlich soll es auch nicht zu lieblich werden. Dann zerrieselt der Lärm wieder, wird aufgefangen von perlenden Gitarrensphären. Vielleicht sind sie zu wenig effekthascherisch, zu freundlich, zu leisetretend, um den Durchbruch in der Musikszene zu schaffen. So touren sie noch immer als Vorband durch die Lande, obgleich sie ganz Anderes verdient hätten. Bis auf Weiteres muss Ollie Brown insofern wohl noch auf seinen alten, zerschlissenen Gitarrengurt zurückgreifen, den er notdürftig mit Teppichklebeband an seiner Stratocaster festgeklebt hat, ehe er sich einen neuen leistet. Vielleicht möchte er aber auch gar keinen neuen. Unter tobendem Applaus verabschieden die Vier sich von der Bühne, kommen schüchtern noch zurück für einen letzten, herrlichen Song und räumen dann das Feld für die 31 Knots.


31 Knots


Neue Pause, neues Pils. Und dann die Überraschung. Ein letztes Mal quietschen die Rollen, als der Vorhang aufgezogen wird. Wirre Samples torkeln aus den Boxen, inbrünstig und kehlig packt Joe Haeges Stimme zu und dann bricht der Mördergroove los. Kunst voll verwobene, abgehackte Stakkato-Riffs zischen in exakt abgemessenen Kurven nach vorn. Vertrackte Rhythmen peitschen hinterher, der Bass brodelt punktgenau darunter. Jetzt kommt Leben in die Bude. Krachender Rock, monströse Klangwälle, dynamische Achterbahnfahrten zwischen brachial und hauchzart, packende Melodien, durchdachte Samplefetzen. Eine irrwitzige Mischung, vielleicht als ob Bright Eyes, Mclusky und At the drive-in gemeinsame Sache gemacht und sich zwischenzeitlich noch einen Schluck Reaggae und eine Schnitte Blood Brothers gegönnt hätten. Wild fegen Joe und der zweite Saitenmann, Jay Winebrenner über die kleine Bühne. Es beginnt von der flachen Saaldecke zu tropfen. Das hier ist heiß! Und der derbst groovende Drummer Pellicci wemmst derart feste in die Felle, dass sich Jay permanent auf vor die Bassdrum stellen muss, damit sie nicht rutscht. Dann fliegt erst der Schlegel vom Fußpedal durch die Gegend, kurz später bricht der Kettenbolzen der Fußmaschine. Rock’n’Roll! Leidenschaft! Ersatz muss her, und in der Pause wird nun auch der Dicke auf die Bühne geholt, setzt sich auf den Ytong-Quader vor der Bassdrum. Der massivste Teil des Publikums als Groove-Retter. Jetzt rutscht nichts mehr. In krummen wie geraden Metren jagen die Drei nun weiter, umtosen ihren stoisch dasitzenden Ruhepol, der sich selbst die im Takt schwabbernde Körpermasse nicht anmerken lässt. Joe springt derweil solierend von der Bühne, mischt sich mitsamt der Klampfe ins dicht gedrängte Publikum. Das ist begeistert, johlt, kreischt, tanzt, wird am Ende gar noch auf die Bühne geholt, als Joe sich abermals ins Publikum schwingt, um sich dort eine Krawatte zu knoten, während die anderen Zwei sich packenden Improvisationen hingeben. Alles birst, alle Dämme brechen, das Publikum zollt frenetischen Applaus. Vielleicht die Entdeckung des Jahres, eine fantastische Liveband! Wahnsinnig, mitreißend, Rock’n’Roll!

Samstag, März 25, 2006

Manche sagen: Feuerzeuge wurden von Streichhölzern erfunden.

Freitag, März 24, 2006

Die Poesie positiver Überraschungen am frühen Morgen

Faustdicke Eisenketten, festschraubt im Nichts, hängen aus dem pechschwarzen Loch des Himmels herab. Rostüberwuchert, knirschen ihre Gelenke beim leisen Schaukeln im Wind. Am unteren Ende krallen sie morsche, verschraubte Holzbretter, die einige Meter über zähklebrig dunkelbrauner Brühe baumeln. Darin blubbert und schäumt es. Es riecht verfault. Aus der Finsternis schält sich ein gigantischer vernarbter Kopf. Aus seinen Ohren seilen sich giftgrün glimmende Ammonshörner ab. Seine vertrockneten Haare sind hart und steif geworden wie brüchiges Dornengebüsch, an dem aschgraue Insekten wie Rosenblätter hängen. Sie schimmern gespenstisch im matten Licht. Austern kreischen mit ihren Gelenken. Moos und Seegras wuchern auf der zerfurchten Stirn. Merkwürdig leuchtende Farne verflechten sich, schrauben Spiralen, spitzen sich zu, fächern sich auf. Wasserkürbisse wölben sich wie Brüste, platzen auf, laufen aus. Die toten Hüllen von Eintagsfliegen bedecken den Boden wie Schnee.

Ausgedörrte Gliedmaßen schieben sich aus den Nasenlöchern, brechen ab, wachsen nach. Stecknadelkopfgroße, ringsbewimperte Augenkugeln fallen aus dem Nichts, ihre hauchfeinen Hüllen zerplatzen, als sie ins Dornengestrüpp stürzen. Aufgespießt, quillt und tropft ihr dickflüssiges Inneres durch die gerissenen Wundschlitze. Es knarzt, donnert, rumpelt, bebt und zittert. Oben auf dem Kopf erwächst aus der Stirn ein immenses finsteres Granitkreuz. Unter markzerbröselndem Quietschen klappt die Vorderseite auf wie eine heruntergelassene Ritterburgbrücke. Goldsamten schimmert diffuses Licht aus dem Tor, und heraus marschiert eine Armada knusprig gebackener Croissantbrötchen. In der linken Hand tragen sie einen Zahnstocher als Waffe. Ihre Helme sind verkokelt. Von irgendwoher dringt verhalltes Klingeln herüber. Die Croissant-Armee dreht sich in Richtung Geräuschquelle.

Es hellt sich auf. Bewusstseinsdämmerung. Plötzlich sehe ich. Mein Kopfkissen, mein Nachttisch, der Holzkatzenkopf mit der Sonnenbrille. Noch unscharf, aber zunehmend klarer. Es klingelt immer noch, von der Türe her. Panisch und endorphingeschoben springe ich, nur in Boxershorts und Yeti-T-Shirt zur Wohnungstür. Der Türspion verrät einen DHL-Frachtboten. Noch mit schlafverkrümelten Augen öffne ich die Tür. Er überreicht mir einen quadratischen Paketquader, der in wunderschöne Küchengewürzfotografien eingeschlagen ist. Oben im Adressfeld die elegant geschwungene Klaue meines Vaters, heimatlicher Absender. Noch traumumfangen bedanke ich mich beim Boten und schleiche zurück in mein Zimmer, suche gedankenverloren nach einer Schere.

Schnipp!
Die eng gezurrten Sisalschnüre zerreißen, behutsam öffne ich das wunderschöne Papier, ziehe den umwölbten Pappkarton heraus. Drinnen, in feines rotes und gelbes Papier liebevoll verhüllt: Fruchtgummi, Schokolade, Lakritz und eine Karte. „Hier kommt ein kleines Frühlingsüberraschungspaket. Ein kleines Zeichen dafür, wie unglaublich lieb wir Dich haben. Gönne Dir was Schönes mit dem Schein! Dein Papa I. & Deine Mama M.“ Schein? Oh! Ein kleines schmales Päckchen kauert zwischen den größeren und umhüllt einen Geldschein. Verwirrt, glücklich, völlig perplex, dankbar, übersprudelnd, werden meine glänzenden Augen vor Rührung feucht. Eine einzelne Freudenträne bricht sich durch kurzen Widerstand und kullert glänzend meine Wangen hinab. Gibt es Schöneres, als so liebevoll und überraschend aus einem Alptraum geholt zu werden? Vielleicht, aber nur wenig.

Donnerstag, März 23, 2006

Großartige Musik für neugierige Ohren - der Rundumschlag (I)

Verblüffen wird inzwischen kaum einen mehr: Dass Musik eine meiner ganz großen Leidenschaften ist, ist weder neu noch ein Geheimnis. Und nach kleineren Tipps in der Vergangenheit gibt es heute den Eckteckungs-Rundumschlag. Insofern Lauscher aufsperren, Verbindungen glühen lassen und vielleicht ein paar feine, neue Entdeckungen machen.

Alle Links, die hier angegeben sind, sind übrigens offizielle Links und die Songs legal von Labels und Bands zur Verfügung gestellt.

Da wären zum Beispiel die tollen Stereotypes, eine Band, die mir seit einem Jahr ans Herz gewachsen ist und die heute immer noch kaum wer kennt. Die besten Songs der Strokes und von Phantom Planet, die die Bands nie geschrieben haben. Reinlesen geht hier, reinhören geht unter Almost lost und The night before.

Tränen der Glückseligkeit mögen manchem bei den zauberhaft stillen Gitarrenballaden des skandinavischen Songwriters José Gonzalez die Wangen hinunterkullern. Zumindest ist ihm mit Crosses ein Stück pure Schönheit gelungen. Ähnlich skandinavisch und mindestens so schön und traurig ist auch die Musik von Kristofer Åstrøm. Rotweintrunken, schmerzversunken und in sich gekehrt schafft er wunderschön gebrochene Poesie, wie in Don't break this poor young man's heart.

"If there's any justice in the world, then The Holy Ghost will be the band on everyone's lips by the end of the year", schwärmt die britische Presse. Nicht zu unrecht. Wer sich selbst ein Urteil bilden möchte, kann das anhand von Commercial und Graciana Olé nachprüfen.

Wunderstill, brüchig und leise sind die feinen Songs von Shearwater, dem Vorgänger und Nebenprojekt der großartigen Okkervil River. Hier gibt es einen zarten, schimmernden Song von ihrer neuen Scheibe "Palo Santo": Seventy-four, Seventy-five - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Hit aus den Neunzigern von den Connells. Sanft perlenden, wehmütig wimmernden und wohlig weichen Country-Folk bringen Neko Case auf die Bühne. Wer mitschwelgen möchte: Star Witness als Hinhörer. Eigentlich auch eher ruhig, tragen My Morning Jacket, deren neues Album "Z" in meinen Augen völlig zurecht gefeiert wird, aber auch den Rock in der Hose. Hier geht's mit Off the record auf die Tanzfläche.

Da lassen Dich auch We Are Scientists schwitzen, die hier bereits vor Kurzem schon einmal im Rampenlicht standen. Hier gibt's die Rezi zur Platte, hier mit "Inaction" nochmals einen ihrer wuseligen Tanzflächenkracher.

Wieder wesentlich ruhiger geht es mit John Vanderslice zu. Dann haben Stars, eins der unzähligen Nebenprojekte von Broken Social Scene, mit Your Ex-Lover is dead einen der schönsten Songs des letzten Jahres geschrieben.

Ebenfalls toll, wenn auch etwas spröder im Aneignungsprozess ist das famose Trio LaSalle. Die Stimme ist erst gewöhnungsbedürftig, die Songs brauchen Zeit, ehe sie zünden, wachsen aber mit jedem Hören und werden bald zum lieb gewonnenen Langzeitfreund. Mit Kissinger habt Ihr eine Chance, Euch zu überzeugen.

Ebenfalls wunderschöne Songs schreiben Rogue Wave, eine der neuen Hoffnungen auf SubPop. Einfach ausprobieren und freuen mit 10:1 oder Publish my love.

Für die Nervenstarken unter Euch, die ohrwurmende Bratgitarren-Hymnen mit bretthartem Geballer, knackig hingerotzten, erstaunlichen Grooves und leichten Hysterie-Anflügen mögen - irgendwo zwischen den Killers, Blood Brothers und At The Drive-In krachen Fall Of Troy in die Bresche und liefern mit F.C.P.R.E.M.I.X. einen schmissigen Hit ab.

Wesentlich stiller geht es wieder mit den traumversunkenen Akustikgitarrenklängen von Denison Witmer mit Are you lonely weiter. Große Musik für die kleinen Momente in stillen Stunden.

Äußerst feinen Pop fabrizieren seit Jahren auch schon Belle And Sebastian, deren Another sunny day auch ein mehr als entdeckenswertes Stück Musik ist. Selbiges gilt für den tollen Indie-Pop von Maritime, die hier mit Calm vertreten sind. Noch brandneu und heiß sind die vier Jungs und Mädels, die ihr eigenes Haustier sind, von Be Your Own Pet. Reinhören? Geht unter Vacation.

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Mittwoch, März 22, 2006

Zum Teilen verurteilt

Halb bog er sich mitleidig, halb krümmte er sich vor Abscheu. Doch half es wenig. Noch bevor überhaupt die Chance erwuchs, sich aufzulehnen, konnte er schon die weiße Flagge hissen und sich in sein Schicksal ergeben: Er wurde seines freien Willens beraubt. Gern wäre er, Gero der Pfannenwender, auf der Metallanrichte liegen geblieben. Ihn durchwaberte heute sowieso ein leichter Anflug von Frühjahrsmüdigkeit. Indes traf ihn aus der fahlen Fratze der bekittelten Vettel ein tumber Blick. Alle Versuche, sich jetzt noch totzustellen, zu verstecken oder in Luft aufzulösen kamen zu spät. Kurz noch friemelte die schwammporige Küchenhilfe unter ihrer Dauerwelle nach dem Ohrsteckerstopper, der sich lösen wollte - doch dann schon grapschte nach erfolgreichem Stopperstoppen fraglos mit ihren fettigen Händen nach Geros Griff. Die Neonröhren surrten eisiges Licht von der Decke herab. Es half nichts, Auswege mochte es woanders geben, nicht hier. Die Pranken stießen ihn mit unnachgiebiger Wucht in das bemitleidenswerte Gebilde, das unter ihm in Stahl gezwängt ein kümmerliches Dasein fristete.

"Börp!" Eine zerkochte Kartoffelscheibe rülpste, weil sie zuviel von der mächtig klebrigen Soße eingesogen hatte, ihre Artgenossinnen labberten schlapp und lustlos im Schmaddergepampe herum. Dann wurde Gero hindurchgestoßen. Die Kartoffelscheiben zuckten kurz vor Schmerz zusammen und ergaben sich dann in ihre Verstümmelung. Ein als Waldpilz getarnter Dosenchampignon konnte gerade noch beiseite springen, steckte nun aber ebenfalls in diesem ideenlos zusammengeklatschten, zähklebrigen Soßengesuppe fest.

Schon vor Wochen verstorbene, zähgummiartige Gyrosfleischbrocken, die vergammelt aus dem Hals rochen, rangen unter der bröckeligen Billigkäsedecke nach Luft, einem einsamen Brokkoliröschen wurde übel, es musste sich übergeben. Dann wurde Gero nocheinmal im rechten Winkel zum Zustechen gezwungen. Tellergeklapper und Studentengemurmel übertönte die leisen Schmerzschreie. Dann wurde Gero auch noch gezwungen, sich mitten in die Pampe zu wühlen, um ein abgeteiltes Stück dieses fettglitzernden, mickrigen und verunstalteten Gebildes aus seinem Sumpf zu reißen und auf einen Porzellanteller zu pfeffern. "Macht's gut, und nehmt's nicht persönlich", rief Gero, noch völlig verklebt, dem Matschhaufen auf dem Teller hinterher.

Die kleine, im Unterleib verstümmelte Kartoffelscheibe rülpste noch einmal und krächzte dann zurück: "Wenn wir Glück haben, werden wir gar nicht alle verspeist und überleben. Zwar auch nur in irgendeinem miefenden Moloch voll verfaulender Dunkelheit, aber immerhin. Wir sind weit weniger genießbar als man den Kunden hier weismachen will." Dann verstummten beide. Ein Riese mit grünem Kapuzenpulli riss den Teller weg und bewegte sich fort in Richtung Kasse.

Dienstag, März 21, 2006

Nur für den Lappen?

















"Potz Strahl! Halt Dich fest, ich hab 'nen Plan!"
"Ach!"
Myrthes Augen schimmern bernsteinfarben im dämmrigen Gegenlicht. "Ich glaub', ich ziehe nach Ägypten. Doch ich fürchte, dass ich bei allem auch dort nicht um einen der Einbürgerungstests herumkommen werde - und ich kann doch nichtmal Tut-Ench Amun buchstabieren." Sie klettert auf den wachsledernen Lesesessel, greift beherzt ins Regal, wuchtet den großen Weltatlas heraus und beginnt, hektisch darin zu blättern, um die Cheops-Pyramide zu suchen. Die Blätter rascheln gehetzt. "Guck, sag ich doch. Gizeh. Da kommen doch auch die Zigarettenblättchen her."

Ada streicht ihr sanft über die Schulter und zupft dann ihren eigenen BH unter dem schwarzen Angorapulli zurecht, der heute seltsam schief sitzt. "So ein Unfug, Myrthe. Wenn Du denen das weismachen willst, hast Du schon verloren. Aber sag, was willst Du überhaupt in Ägypten? Du kannst nicht arabisch, hast eine Sonnenallergie, stehst auf nordische Typen und magst keinen Sand."
"Herrje, Du hast ja recht. Ich dachte nur..."
"Nur... was?"
"Du weißt doch, wie ich nach der dritten verbockten Führerscheinprüfung das Handtuch geschmissen und mich seitdem wieder liebevoll meinem Fahrrad gewidmet habe?!"
"Äh... und?" "Naja, in Ägypten bekommt man den Führerschein schon, wenn man beweisen kann, dass man sechs Meter vorwärts und sechs Meter rückwärts fahren kann."
"Das erklärt, warum meine Tante im Stadtverkehr von Kairo um ihr Leben gebangt hat. Und..."
Ada stockt und kräuselt die Lippen nachdenklich.
"... und wenn man ganz genau sechs Meter fahren muss? Kannst Du sechs Meter mit dem Auge abschätzen? Wenn ja, geh zu Wetten dass???."
"Ach, Du bist doof."
"Und was willst Du da beruflich werden?"
"Ich dachte, ich töpfere mir in der Wüste einen kleinen Turm mit einem großen Fenster im ersten Stock, und durch das Fenster hindurch kann ich dann unter örtlicher Betäubung Zahnbehandlungen bei Giraffen durchführen, oder Kamele beladen."
Myrthe klappt den Atlas zu, sucht nach ihren Pyramidenblättchen und beißt in ein Vanillekipferl.

Montag, März 20, 2006

Eyala freia fresena - Die Hohekunst der Einbürgerung im Flachland

Einbürgerungswillige stehen zurzeit im grellen Scheinwerferlicht der öffentlichen Diskussion. Krude Tests, die selbst die grauen Zellen Einheimischer in Bedrängnis bringen, sollen künftig an der Einwanderungswaage züngeln. Dies ist in Ostfriesland nicht anders. Auch hier müssen sich Asylsuchende einem knackharten Test unterziehen. Doch wer besteht, kann den Ostfriesen-Ausweis gleich beantragen und bekommt ihn als PDF-Datei zugeschickt. Fälschungssicher, versteht sich. Auch plattdeutsche Schimpfwörter kann man dort raten, sich durch die seltsamen Rezepte meiner Heimat klicken oder den Text der Hymne auswändig lernen.

Gerade noch im Deutschlandfunk, jetzt schon auf unserer Showbühne

Ärzte im Streik. Kontroverses Gezänk tropft aus den Radioboxen. Erst nur die Experten, dann dürfen auch die Hörer anrufen. Und eine Dame ereifert sich, "[...] dass die jungen Assitenzärzte den Rücken krumm arbeiten, eine Invasion nach der anderen machen müssen, und die Chef-Ärzte sitzen sich den Hintern platt."

Sonntag, März 19, 2006

Wird, wer nicht genießen kann, auf Dauer ungenießbar?

Samstag, März 18, 2006

Frerichs Mestbült


Der Misthaufen stank und dampfte; der verdreckte Hinterhof lag starr und frostverglast. Der alte Dieselmotor des Güldner-Treckers keuchte, wupperte und spuckte schwarzen Rauch, während die Forken des Frontladers in den Mist hineinstachen, notdurftverklebte Strohhalme umherschoben, hochzogen, neu zusammendrückten. Kleine Wasserdampfwolken stoben aufwärts gen Himmel, der schwer und tief über den kahlen Bäumen hing. Leichter Nebel lag über dem Land, die Umrisse des Nachbarhofes waren unscharf, wie mit grauer Ölkreide hingetupft.

Frerich fror. Knarzend öffnete sich das grüne Scheunentor und in Kittelschürze schob sich Anneliese ins Freie. "Frerich! Holl man eehmd up an Grubbern. Mestbült löppt neeit wech. Tee is klaor", bölkte sie mit schriller Stimme am Misthaufen vorbei. "Ick kaom di futt bi!", brüllte Frerich zurück, in der Hoffnung, das Treckergeknatter zu übertönen.

Er setzte zurück über die frostzerborstenen Betonplatten. Die Hydraulik quietschte, als er den Frontlader hochfuhr und arretierte. Die Stoßfedern des altersmüden Schalensitzes seufzten erleichtert, als Frerich seinen massigen Leib emporwuchtete, um vom Trecker hinunter zu klettern. "Oh Pussi." Frerich beugte sich zu einer der vielen Hofkatzen hinunter, strich ihr über den Rücken. Sie hießen alle Pussi. sonst müsste man sich ja auch permanent neue Namen merken. Seine Hände waren noch vom feuchten Rost des Treckerlenkrads verschmiert und klebten an Pussis Fell. Sie jaulte auf und rannte weg. Die Kühe malmten Grassilage in der Scheune. Ab und zu muhten sie gemütlich. Frerich wuchtete die Brandschutztür auf, hielt seine frost- und rostroten Handinnenflächen in der Waschküche unters Wasser und trottete in die Teeküche.

"Oh, lecker! Hest' ook Mettwurstbrot maakt? Datt fallt mi woll tau."
"Ick doch, datt muchst Du ook maal gern weer eeten."
"Kinners un kien' een! Door hest' wall recht!"

Plötzlich schrillte die Türklingel. "Well mach datt woll wesen?", knirschte Frerich. "Ick kiek woll eehmd", krähte Anneliese und schlurfte zum Vorderflur, um die Tür zu öffnen. Gemurmel, dumpf, durch geschlossene Holztüren hindurch. Anneliese kam zurück, mit einem sauber gescheitelten Herrn im Nadelstreifelanzug, der Frerich mit glänzenden Augen ein joviales "Moin!" entgegenschwang. "Moin", brummelte Frerich zurück. "Well sünd see?" "Oh, Verzeihung, ich hatte mich bislang nur Ihrer Frau vorgestellt. Heiner Theuerkauff mein Name." "Sünd see so'n Düürverkooper?" "Oh nein, nein! Aber möglicherweise habe ich tatsächlich ein erstaunlich gutes Angebot für Sie!" "Sech bloß!" "Oh ja." "Nu setten see sück man erstmaal henn un' drinken'n lecker Koppke Tee. Denn küüw' ook tosamen över jo Angebot prooten." "Sehr gern."

Anneliese beugte sich über den Tisch, hob die Teekanne, stand auf und schenkte ein. Ein paar Flecken tropften auf ihre schmuddelige Schürze, mit der sie wegen ihres ausladenden Busens fast das Sahnekännchen umwarf.

"So, wi willn ja eegntlich nix kopen, man watt willn see dann lootwoorn?"
"Ich habe Sie gerade mit ihrem alten Traktor gesehen, als Sie den Misthaufen aufschoben." "Ach." "Und gerade in der kalten Jahreszeit ist das eine beschwerliche Arbeit." "Heeijanee. So stuur is't nu ook neeit." "Was ich Ihnen aber anbieten möchte, ist eine technische Revolution. Völlig neuartig. Es handelt sich um den "MB 5000"." "Un' watt sall datt wesen?" "Bitte?" "Verzeihung, mein Herr. Ich werde versuchen, mit Sie hochdeutsch zu reden. Was soll das denn sein, Ihr MB Dingsda?" "Der MB 5000 ist ein vollautomatischer Mist-Roboter. Sechs Mal täglich mistet er den Kuhstall aus. Mit einer Geschwindigkeit von vier Metern pro Minute schleicht das nur 400 Kilogramm schwere Gerät geräuschlos durch die Gänge und reinigt sie von Kuhfladen. Den Weg durch die Gänge findet der Roboter mittels einiger in den Boden eingelassener Markierungen selber. Damit könnten Ihre Rinder in einem noch saubereren und trockeneren Stall leben und wären noch weitaus gesünder. Und gesunde Kühe sind glückliche Kühe, die mehr Milch geben."

Frerich nahm einen großen Schluck Tee, stopfte eine Scheibe Mettwurstbrot hinterher, schluckte, forschte kurz mit seinem Zeigefinger im linken Nasenloch, fand aber nichts und fragte dann "Waren Sie schonmal in unserm Stall?" "Bedaure, nein." "Und woher wollen Sie dann wissen, dass ich sowas nötig habe?" "Ich..ähhh..." "Und was soll der Spaß kosten?" "Das ließe sich problemlos mit unserem speziellen Finanzierungsangebot in sehr günstige Raten aufteilen." "Was soll Ihr Viech denn nu kosten?" Frerichs Schlagader puckerte stärker. "Wir würden Ihnen den MB 5000 für supergünstige 19.999 € liefern, programmieren und installieren."

Anneliese verschluckte sich, hustete und wischte verschämt zwei Brotkrumen von der Tischdecke, die ihrem Mund entwischt waren - in der Hoffnung, dass es niemand bemerkt hatte. "Twinnichduusend? Wi hemm ja neeitmal Geld för'n neei Trecker." "Naja, die Raten und Finanzierungsdauer sind ja frei verhandelbar." "Raus!" Frerich schwang plötzlich die Faust. "Ruut mit jo, oll Düürverkoopermorsgatt! Sonst werd ich gleich Frerich... äh... frech." "Beruhigen Sie sich doch." "Raus." Heiner Theuerkauff griff hektisch nach seinem Aktenkoffer, eilte in den Vorderflur, hinaus, rannte zu seinem Auto, während ihm der aufgebrachte Landwirt hinterherhumpelte. Im Augenwinkel sah er noch, wie eine Mettwurstscheibe an seinem Scheitel vorbeisauste. Hastig schloss er seinen neuen Passat auf und raste weg. "Watt'n Heiopei!", murmelte Frerich, als er die Tür wieder schloss, seinen Tee zu Ende trank und zurück durch die Scheune zum Hinterhof schlurfte, um weiter Mist zu schieben.

Hinweis: Die plattdeutschen Dialogteile gibt es in hochdeutscher Übersetzung in den Kommentaren.

Freitag, März 17, 2006

Nicht lecken!

„Dann vielleicht doch lieber Kröten.“ Adas Wangen wölbten sich überraschend stark nach innen.

„Was ist denn jetzt kaputt?“ Sidonie lachte glockenhell und buddelte in ihrer Handtasche nach einem Feuerzeug.

„Ich saß vorhin vor meinem Schreibtisch, trank Kaffee und futterte diese enorm krümelnden Apfelstrudelkekse.“

„Und aus einem der knisternden Plastikfächer sprang eine Kröte?“

„Eben nicht. Wenn Du mich ausreden lässt, erfährst Du auch, worauf ich hinaus will. Es geht mehr darum: Lieber Kröten als CDs.“ Ada reichte der immer noch ihre Tasche durchbuddelnden Sidonie ein Feuerzeug, die daraufhin ihre Zigarette anzündete und sie verwirrt durch die Rauchkringel ansah, die von der orangeglühenden Spitze emporhuschten. „Ach…“ Ein Honichkuchenpferdgrinsen tanzte in Sidonies Gesicht.

„Auf meinem Schreibtisch lag – ohne Hülle – die CD der Kooks. Und beim Keksausderpackungprökeln ist mir ein ganzer Haufen knuspriger Keksbrocken auf der CD gelandet; Du weißt, was für ein Krümelmonster ich bin.“

„Aber Du weißt schon: Es war eine Kooks-CD! Keine Keks-CD.“

„Quatschnase. Ich wollte die Krümel nicht verkommen lassen, habe sie von der CD abgeleckt, und scheinbar haben sich ein paar der schwarzen Farbpartikel abgelöst. Mir ist ein wenig übel, und ein grässlich bitterer Geschmack lässt meine Zunge zusammenkrampfen. Und wenn ich stattdessen an einer Kröte geleckt hätte, würde ich jetzt vielleicht wenigstens surreale Träume durchfliegen.“

„Ah, die Schleiernebel lichten sich, so wie bei Homers Ausflug als Missionar. Kröten soll man ja auch aufblasen können, die platzen dann so schön.“

„Das ist mir wiederum neu.“

„Wir haben Christoph das ja auch vorgeschlagen – nicht das mit dem Platzen. Der ist ja grad in Neuseeland. Da gibt’s einen ganzen Haufen solcher halluzinogenen Kröten. Leckste dran, fliegste weg.“ Sidonie zog, blies den Rauch gen Decke und malte Kreise in die blaugrauen Kringel. „Allein den Drang zu verspüren, an einer CD zu lecken – ich möchte mich manchmal schwer über Dich wundern.“

„Der Reiz ging von den Kekskrümeln aus, nicht von der CD. Es wird auch das letzte Mal gewesen sein, dass ich an einer Platte lecke.“

„Wobei…“

„Wobei was?“

„Kennst Du dieses krümelige Ganztags-Deo, was man sich unter die Achseln schmiert?“

„Nicht wirklich.“

„Ich habe letztens gedacht: ‚Probier’s mal aus.’ Dann habe ich am Ende des Tages ne halbe Stunde meine Achseln geschubbert, um die Poren wieder freizurubbeln. Und daran habe ich wiederum mal ganz kurz geleckt.“

„Du bist mindestens so meschugge wie ich.“

„Und ich habe drei Liter Wasser getrunken, und selbst danach, habe ich den ekligen Geschmack immer noch nicht aus dem Mund herausbekommen.“

„Wir sollten – um uns vor uns selbst zu schützen – dringend die Industrie anflehen, auf alle Nichtlebensmittel einen Nichtdranlecken-Button zu kleben.“

Donnerstag, März 16, 2006

Gehsitzstand

„Das hat gesessen.“

Erwin versucht angestrengt, seine von Sorgen zerfaltete Miene zu entknittern.

„Was?“

„Ich habe es ihr gestanden.“

„Du hast wem was gestanden?“

Rudi schlürft an seinem Glas Bier, leckt sich mit der Zungenspitze den Schaumbart aus den Stoppeln und denkt im Stillen, dass er schon Biere getrunken hat, die genau sieben Minuten gezapft worden sind. Nicht so eine schale Ratzfatzplörre wie die hier. Erwin räuspert sich. Zartes Lungenrasseln flankiert seine Atemzüge.

„Irma. Ich habe ihr gestanden, dass ich schon mal gesessen habe.“

„Und dann?“

„Dann bin ich gegangen.“

„Einfach gegangen?“

„Ja, es ging nicht anders. Es hat mir so schwer im Magen gelegen, dass ich gegangen bin.“

„Woran hat das gelegen?“

„Es gab bisher keine Gelegenheit, und so habe ich es verschoben, weil ich dachte, es sei irgendwann von selbst ausgestanden.“

„Aber Du warst doch ganz versessen darauf, es zu gestehen.“

„Weil ich hoffte, sie würde zu mir stehen. Aber unter den so entstandenen Umständen konnte ich vielleicht auch nicht auf Verständnis bestehen.“

„Versteh mich nicht falsch, aber wieso ist sie so versessen auf die Vergangenheit?“

„Sie ist gegen die Begegnung mit der Gegenwart.“

„Aber sie geht mit Dir. Oder ist aus dem geht ein ging geworden?“

„Das ist noch nicht ganz ausgestanden.“

„Und was hat jetzt gesessen? Nicht dass wir das vergessen.“

„Sie hat einfach dagesessen. Wortlos. Und dann hat sie mir eine gegeben.“

„Eine was?“

„Eine geschallert.“

Rudi verschluckt sich, hustet und spuckt versehentlich Schaum auf den Tresen.

„Sie hat Dich geschlagen?“

„Hat ganz danach ausgesehen.“

„Dazu hat sie nicht das Recht besessen, und das hätte ich nicht auf mir sitzen lassen.“ Rudi schnaubt wie ein verschnupftes Walross. „Und was hat sie als Grund angegeben dafür?“

„Sowas könne sie nicht vergeben. Sie hätte zu mir gestanden, hätte ich ihr das gleich zu Beginn gestanden. Und dass ich gesessen hätte, sie ist gar nicht weiter drauf eingegangen und meinte nur, dass das ja niemand erfahren dürfe, was sie für Umgang pflege. Dass ich es jetzt erst gestanden habe und nicht gleich zum Einstand der Beziehung, verstehe sie als Zeichen von Abstand, von innerlichem.“

„Und dann bist Du einfach gegangen?“

„Ja, es war ein flinker Abgang. Ich hätte sie sonst vielleicht angegangen.“

„Also steht es nicht gut um Euch?“

„Nein.“

„Aber nach so was – wieso stehst Du noch auf sie? Wieso bist Du immer noch von ihr besessen?“

„Bisher ist doch alles gut gegangen. Wir haben uns hervorragend verstanden.“

„Und jetzt? Wie willst Du mit ihr umgehen?“

„Die direkte Konfrontation umgehen. Ich hoffe, es ist nur ein Zwischen- und nicht der Endstand.“

„Du willst es also aussitzen.“

„Erscheint mir als die gangbarste Lösung.“

Mittwoch, März 15, 2006

Blood on CCTV


Diese grässliche Ahnungslosigkeit, die Angst, die Dir das Blut zu bibbernden Klumpen gefrieren lässt. Das Hirn turnt in alle Richtungen, sucht nach wenigstens winzigen Fetzen eines Anhaltspunktes. Doch wohin es sich auch bewegt, es rutscht ab und gleitet zurück in den zähklebrigen Sumpf völliger Hilflosigkeit. Nichts bietet sich an. Das Haus, aus Sicht der Seitengasse. Gusseisern eingezäunt. Ein freudloser Rhododendronbusch davor. Autos parken, Passanten schlendern über den Bürgersteig. Irgendwann verlässt jemand das Haus. Der Blick bleibt unbewegt. Eine Tür schlägt zu. Stille. Eigentlich völlig harmlos. Doch wer hat den Blick überhaupt geworfen? Und warum schickt irgendwer den auf Videokassette konservierten Blick, ohne Rückschluss auf die Herkunft und wickelt ihn in scheinbare Kinderzeichnungen mit schwarzen Konturen und Blutgeschmier? Immer wieder der Hauseingang. Gedanken drehen sich im Kreis, taumeln im haltlosen Raum, finden keinen Grund. Man sieht: Georges, wie er zur Arbeit aufbricht, sein Sohn Pierrot bei der Heimkunft. Sonst nichts. Doch wieso?

Und dann diese Flüsteranrufe aus dem Irgendwo. Ohne Namen zu nennen. Paranoia krümmt den Magen jedes Mal weiter, wenn Georges und Anne Laurent rätselnd vor dem Riesenbildschirm ihres Fernsehers inmitten ihres bücherüberpfropften, kalten Wohnzimmers stehen, vorspulen, zurückspulen, nach versteckten Hinweisen suchen. Georges kennt alle Großen, ist selbst einer und hält sich auch für einen solchen. Schließlich moderiert er die erfolgreichste Literaturtalkrunde im Fernsehen. Doch gibt es da nicht vielleicht irgendwo dunkle Flecken in der Vergangenheit? Und könnte ihm jemand Böses wollen? Plötzlich nicht mehr nur die Haustürpassage. Georges Geburtshaus, ein unbekannter Straßenzug, ein Hahn mit abgehacktem Kopf. Beklemmende Reflexionsbilder. Die Schlinge legt sich enger, immer tiefer verstricken sich Georges und Anne, immer panischer wird die Verfolgungsangst, niemand übt körperliche Gewalt aus, aber das Gefühl, beobachtet zu werden ohne zu wissen von wem, ohne den nächsten Schritt ahnen zu können, lähmt alles. Und die Videos ziehen Kreise. Blutbeschmierte Postkarten landen in der Schule von Pierrot. Und immer wieder bei Familie Laurent selbst.

Ganz langsam torkeln lange ignorierte Erinnerungsfetzen zurück in Georges selbstgefälliges Gedächtnis. Ein durchtbarer Verdacht manifestiert sich. Er stolpert über seine eigene Borniertheit und Selbstgerechtigkeit. Will Vertrauen und Ehrlichkeit, doch versucht er, selbst seine engsten Vertrauten zu täuschen, enthält ihnen Wichtiges vor, um sich seiner Vergangenheit nicht stellen zu müssen. Er verdächtigt und verurteilt, auch wenn die Indizien kaum greifbarer sind als Seifenblasen. Vertrauen zersplittert, woran Anne, als einzig klug handelnde und einfühlsame Familienmutter, verzweifelt. Sie rennt bei Mann und Sohn gegen misstrauische, bornierte und verhärmte Gefühlswände.

Caché , der neue Film von Michael Haneken zerknabbert das Nervenkostüm, ist ein genialisch-herber Brocken und gewann den jüngst gar den Regie-Preis beim Filmfestival in Cannes. Er verwischt die Grenzen zwischen gefilmter Realität, gefilmtem Film in der gefilmten Realität und gefilmtem Fernsehbild in der gefilmten Realität. Einen ungemein packenden und verstörenden Film über Schuld und Sühne, Lüge und Verheimlichung hat er gedreht. Mit hauchzartem Gespür für nuancierte Charakterzüge und Beziehungsgeflechte, mit psychologischem Scharfsinn und ungewöhnlichen Mitteln schürt er die Verfolgungsängste, die sich ausbreiten, sobald man merkt, dass man verfolgt und überwacht wird - ohne zu wissen von wem. Er legt falsche Spuren, verheimlicht, verdreht, verwirrt. Absichtlich. Auch der Zuschauer wird belogen, ihm werden wichtige Indizien vorenthalten, sodass er sich in der gleichen Situation wie die Filmfiguren befindet. Nichts ist eindeutig, aber irgendwie muss man sich seine Sicht der Welt ja zusammenzuimmern. Ganz langsam lüften sich Schleier, nur wenig passiert wirklich und doch ist, fast wie bei Jackson Pollock, überall Blut. Dann passiert doch etwas. Doch wer ist am Ende Schuld, wer ist wirklich Täter und wer Opfer? Und wer hat mit allem wirklich begonnen? Ein grässlich guter Film.

Dienstag, März 14, 2006

Nicht sonderlich knackig

"Da hast Du den Salat."
"Ich wollte aber doch gar keinen."

Er kräuselt die Stirn zu einem verworrenen Faltenknäuel.

"Salat ist doch gesund. Nahrhaft, erfrischend, ballaststoffreich."

Funkelndes Zahnpastalächeln.

"Ballast. Da sagste was. Solchen Salat wollte ich nicht. Und erzähl mir nicht, dass der Salat hier gesund ist. Der zerrt und ziept an den Nerven."

Es grummelt.

"Du bist aber auch anspruchsvoll."

Der Ton wird patziger.

"Ich hatte nur eine witzige Idee, hab mich hingesetzt, rote Fäden versponnen, verschmitzte Pointen gesetzt..."

Er seufzt, stemmt die Ellenbogen auf den Tisch und die Fäuste in die aufgeplusterten Backen.

"Also eher Kabelsalat?"
"Eigentlich gar kein Salat, obwohl ich irgendwen grad gern zu Fleischsalat verwursten würde."
"Zu Salat verwursten ohne Wurst?"
"Komm mir nicht auch noch blöd!"

Ein sonnenfinsterer Blick zischt ihn an.

"Was ist denn los?"
"Wie gesagt, ich hatte einen großen Text fast fertig. Wasweißich wie lang ich dran gesessen habe. Und kurz vorm Wegschicken auf die "Zurück"-Taste gekommen und alles weg. Da hab ich den Salat, ganz richtig. Aber der ist für niemanden gut, raubt mir Nerven und Vitamine, beschleunigt den Puls, erhöht den Blutdruck."

Schulterzucken.

"Ich sag' doch: Texte immer in Word schreiben und dann rüberkopieren."
"Wann sagst Du das? Bislang hast Du das noch nicht gesagt."
"Stimmt aber trotzdem."
"Und hilft jetzt trotzdem nicht weiter. Schlaue Sprüche bringen mir den Text auch nicht wieder."
"Aber Du hast ihn doch noch im Kopf?"
"Ja, aber keine Zeit alles zweimal aufzuschreiben - und vor allem keine Lust, das Pferd nochmal komplett von vorn aufzuzäumen, wo ich es doch schon fast komplett eingespannt hatte."
"Ungeduldig und jähzornig?"
"Ganz danach sieht's aus."

Der Blick irrt halb wehmütig, halb zornig durch den Raum und zersplittert an der Rauhfasertapete.

"Naja, ich muss mal los. Gleich gibt's Abendessen."
"Strammen Max? So, mit Spiegeleiern von unglücklichen Hühnern, weil sie demnächst nur noch im Winter nach draußen dürfen, wo es dann nix zum picken gibt?"
"Schneehühner-Spiegeleier?"
"Zum Beispiel."
"Nee. Keinen Strammen Max, jedenfalls?"
"Sondern?"
"Brot... Butterbrot... und... Salat."

Achtung Stufen!

"Arbeit an einer guten Prosa hat drei Stufen: eine musikalische, auf der sie komponiert, eine architektonische, auf der sie gebaut, endlich eine textile, auf der sie gewoben wird."

(Walter Benjamin)

Montag, März 13, 2006

Stehen zwei Wolkenkratzer im Keller und bügeln Butter. Kommt ein Streifenhörnchen vorbei und fragt: "Was ist orange und geht im Gebirge lange Wege?" Der linke Wolkenkratzer runzelt den Fahrstuhl und krächzt "keine Ahnung." "Eine Wanderine." Sagt der rechte Wolkenkratzer "Wäre mein Bügeleisen nicht gerade verdampft, hätte ich getippt, morgen wär' Silvester. Aber hingegangen wäre ich eh nicht."

Freitag, März 10, 2006

Achtzehn? Jo. Zwanzig? Logger.

"Bekackt, Walter! Bekackt!"

Baadls massiert sein Kinn, sortiert seine Karten auf der Hand.

"Was soll ich denn mit der Grütze hier? Da jagt ein Schrottblatt das nächste bei mir den ganzen Abend. Und da wag' ich es trotzdem mal und dann sowas. Aus jedem Dorf ein Köter, da kann ich ja bald 'ne Hundepension eröffnen."

Fump! Jo floppt den Kronkorken von der Bierflasche, grinst verlegen und nimmt einen kräftigen Schluck.

"Ach komm, zur Not kannste immer noch Null spielen."

"Am besten noch offen, was? Das Blatt ist so undicht wie die verrottete Gartenlaube im Schrebergarten meiner Tante. Bekackt! Bekackt! Ich meine, stochastisch kann das doch gar nicht sein. Soviel Scheiße wie ich heute abend auf die Hand bekommen habe, muss doch auch mal was Gutes kommen."

Baadls grummelt, greift in die Chips-Kumme und stopft eine Handvoll in den Rachen. Ein paar Krümel stolpern aus den Mundwinkeln wieder heraus und verheddern sich im Bartgestoppel.

"Bekackt!"

"Nu komm schon, was willste spielen? In der Zeit, die Du zur Ansage brachst, sind andere Leute schon mit dem Rad von Hamburg nach Paris gefahren."

"Du mich auch. Ich hätt' abheben sollen. Echt."

"Abnehmen. Abnehmen."

"Du hast zuviel Werner geguckt."

"Und Du hast immer noch nicht gesagt, was Du spielen willst."

Jo scharrt mit den Füßen und dreht am Frequenzrad des alten Kofferradios.

"Was meinst Du, wie lange wird's wohl dauern, bis ich heute wenigstens ein gescheites Blatt kriege?"

"Drei Stunden?"

"Sehr witzig. Ich meine, das kann doch gar nicht sein. Das widerspricht allem. Auch der gauß'schen Normalverteilung. Nietzsche hat gesagt: 'Gott ist tot'. Wenn ich mir das so angucke, sage ich, und nicht nur, weil das seit ein paar hundert Jahren stimmt: 'Gauß ist tot'."

Donnerstag, März 09, 2006

Fell onto the floor, man - dEUS live in Münster (II)

Überrascht, zumindest ein wenig, blicken wir auf das rege Treiben knapp über uns. Umbau. Absynthe Mindeds letzte Akkorde hallen noch im Kopf nach. Und keine Roadies klettern im Dämmerlicht zwischen Mikroständern und Kabeln rum, schrauben das Schlagzeug auseinander, schleppen die abgewetzte Hammondorgel von der Bühne. Nein, die Musiker selbst müssen ran und nach famosem, Schweiß treibendem Werk noch ihr Equipment zur Seite schaffen und in den kleinen Miet-Van verfrachten. Derweil tummeln sich beachtliche Teile des Publikums vor dem Merchandise-Stand in der hinteren Ecke.

"Was meinst Du, womit dEUS eröffnen werden?" Stirnrunzeln. Muntere Ratespielchen. "Vielleicht mit 'Bad Timing', dem ersten Song der neuen Platte? Riesenhit!" Robert schubbert mit der Handinnenfläche über die Wangenbartstoppeln. "Näää, eher mit 'Put the freaks up front'. Der knallt von Beginn an." Ein halbes Dutzend Songtitel wirbelt durch die staubige Luft, und doch kann keiner den richtigen Riecher für sich reklamieren, als sich der Trockeneis-Nebel verdichtet und dunkle Schemen sich im Gegenlicht über die Bühne schieben. Der Einmarsch der Helden. Und statt aus der vorletzten Reihe, wie in Groningen, begegne ich den Helden diesmal aus allernächster Nähe direkt vor der Bühne.Verhallte Samples poltern aus den Boxen, wirre Gesprächsfetzen, der Groove durchzuckt den Nebel, die Orgel kreischt auf, die Gitarre lässt sich das nicht gefallen und kontert, der Bass tanzt sich beschwingt durch die niedrigen Frequenzen. Füstersingsangdialog. "Fell off the floor, man" - das hatte keiner auf seinem Wettzettel. Nun auch von vorne beleuchtet, schälen sich die Profile aus dem Nebel. Tom Barman zündet sich eine Kippe an, krault beiläufig ein paar seiner Brustlocken im halb offenen schwarzen Hemd, grinst. "Hallo Münster. Danke, dass wir hier sein dürfen und danke vor allem an Absynthe Minded - sie sind solch eine fantastische Band." Larmoyant-verschmitzte Bescheidenheit und einer der nicht allzu häufigen Fälle, in denen die Hauptband freundschaftlich und respektvoll den imaginären Hut vor ihren kleinen "Anheizern" lüftet.
Lausbübisches Glitzerlächeln zu den Mitstreitern und prompt wird weitergerockt. Genau genommen ist Barmans sonores Raschelreibeisen- timbre das letztverbliebene Markenzeichen der Band, ist sie doch sonst nach Querelen der letzten Jahre auf allen Positionen rundumerneuert. An der zweiten Gitarre schringelt nun der latinlovereske schnieke Schönling, Mr. Pawlowski, der trotz Beau-Koketterie seine Saiten enorm frisch, vielseitig und druckvoll bearbeitet. Am Schlagzeug groovt sich ein blutjunger G.Love-Lookalike um Kopf und Kragen. Der Bassist lässt seine Finger über die scharrenden Seiten sausen, mit nikotingegerbtem faltigem Teint, leicht abgerissener Aura und abgetragener Lederjacke. Rundumerneuert ist vieles neu, der Esprit aber ist geblieben. Und sie haben enormen Bock zu spielen heute. Kracher folgt auf Kracher. Wenngleich sie zwischenzeitlich auch leise Balladen, wie eine traumverzauberte Version von "Little Arithmetics" aus dem Ärmel schütteln, sind es überwiegend die druckvollen Titel, die uns gischtschäumend mit Schmackes, aber enorm nuanciert um die Ohren geknallt werden. Grandiose Balladen wie "Serpentine" oder "Sister Dew" bleiben heute in der Schatztruhe. Doch wen stört's?

Erstaunlich sind nicht nur das breit gefächerte dynamische Spektrum und die funkensprühende, mitreißende Spielfreude der fünf Jungs, sondern auch die Auswahl der Lieder, die sich fast gleichmäßig auf alle Schaffensphasen verteilt. Die Menge juchzt, der Applaus kracht Song um Song stärker, Barman selbst gibt sich so offen wie sein Hemd, bleibt in freundlich-süffisantem Dialog mit dem Publikum, rockt sich dann wieder um Kopf und Kragen. Turnt wie ein Derwisch über die Bühne, gerät inmitten des eruptiven Klangvulkans in Rücklade, kracht auf die Bühne, landet auf dem Hosenboden, zuckt dort einfach ekstatisch weiter, lacht sich ins Fäustchen, rappelt sich lachend auf und turnt weiter.

Zärtliche Strophen funkeln, hingehauchte Töne perlen wie frischer Tau, werden alsbald aber zermalmt von meterdicken Gitarrenlawinen, die Geige spinnt feine Bögen, der Bass brodelt im Untergrund, Grooves preschen voran, die Gitarre täuscht fettes Braten an, macht eine flinke Drehung und streut ziepend augenzwinkernde Dissonanzen ein. Das hier ist ganz, ganz großes Kino. Eine fantastische Band, vor Witz und Energie strotzend, heizt durch eine großartige Songauswahl. Münder stehen offen, die Augen glänzen, Hüften schwingen, lippensynchron singen die Eingefleischten mit. Fast wie in Trance. Und urplötzlich sind fast zwei Stunden vorbei. Rasende Begeisterung. Die Helden verlassen die Bühne, nicht ohne einen weiteren lobudelnden Dank an ihre Vorband. Verschwinden kurz und kommen dann mit zwei finalen Zugabenkrachern wieder: Dem famosen Opener des neuen Albums, "Bad timing", das unsereins ganz am Anfang erwartet hatte, und dem obligatorischen Groovemonster "Suds and Soda". Ein letztes Bad im kochendheißen Vulkan. Bedauerlicherweise findet auch das irgendwann sein Ende. Halb in Trance bleibt das Publikum noch minutenlang stehen. Jubelnd, feiernd. Dann schwebt man, noch benommen von diesem gigantischen Konzert, auf dem Drahtesel heimwärts durch die klirrkalte Münsteraner Spätwinternacht. Schon jetzt das Konzert des Jahres. Sollte sich irgendwer anschicken wollen es zu toppen: Die Latte liegt hoch über dem Horizont.

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Mittwoch, März 08, 2006

To be ist to be (Sokrates)
To be or not to be (Shakespeare)
To be is to do (Sartre)
Do be do be do (Sinatra)

The bitter end












Gel tropft noch glitzernd aus den nassen Haaren,
als er zermürbt der Kamera sich stellt.
Oh wie geschockt wir alle plötzlich waren,
und sahen, wie der Traum zu Staub zerfällt.

Der rosa Riese steht, gebeugt, gebrochen,
die stolzgeschwellte Brust gekrümmt vor Pein.
Dank Wiese hat's nach Sensation gerochen,
doch sind die Hoffnungen erstarrt zu Stein.

Zum Panthersprung bereit, ist er geflogen,
sein Arm, sein Bein vereitelt Chance um Chance.
Zutiefst elastisch hat er sich gebogen,
und doch zerbrach am Ende die Fassance.

Ein leichter Ball, mit sich'rer Hand gefangen,
im schicken Hechtsprung dann aber entfleucht,
zerdepperte das Heldentumsverlangen,
der Gala-Abend: kurz vor Schluss verseucht.

Montag, März 06, 2006

Belgische Grandezza - dEUS live in Münster (I)

"Donnerknispel! Das wird ja immer besser!"
Die eh schon kribbelnde Vorfreude weitet sich zum wild lodernden Flächenbrand. Freudenschweißperlen überglitzern meine erstaunte Stirn als Markus mir abends zuvor steckt, wen die fantastischen dEUS, auf deren Konzert ich seit Wochen hinfiebere, als Vorband mitbringen: Ausgerechnet die ebenfalls enorm grandiosen Absynthe Minded. Ein belgischer Doppelschlag vom Feinsten also. Entsprechend ist es nicht allein der mir um die Nase peitschende eisige Winterwind, der mein Herz tags drauf höher schlagen lässt, als ich durch die frühnächtlichen Straßen zum Konzert radle.

Kurzer Exkurs: Zum zweiten Mal in meinem Leben werde ich die Belgier live erleben und zum ersten Mal sogar wirklich sehen. Vor acht Jahren in Groningen hatten unglückliche Umstände dafür gesorgt, dass wir unseren Spitzenplatz vor der Bühne nach dem Konzert von Notwist, der damaligen Vorband, räumen mussten und das dEUS-Konzert ganz von hinten erlebten, wo vor mir sechs Zweimetermänner auf Lücke standen, was mich trotz meiner relativen Größe zwang, hochzuspringen, um wenigstens zwischendurch einen Blick auf die Band zu erheischen. Kurzer Exkurs Ende.

Nur spärlich streut sich das Publikum vor der gemauerten Backsteinbühne des Skaters Palace, als Absynthe Minded loslegen wie die Feuerwehr. Einmal mehr zeigt sich ganz zu Beginn: Das Publikum bejubelt vor allem sein eigenes Gedächtnis, applaudiert erst dann richtig laut, kommt erst dann richtig in Fahrt, wenn es erkennt, was es sowieso schon kennt. Unbekanntes wird skeptischer beäugt und zurückhaltender bejubelt.

Das ist auch zu Beginn dieses Konzertes so. Das Klatschen ist wohlwollend, respektvoll aber vorsichtig. Allem Anschein nach waren Absynthe Minded dem Gros des Publikums bislang kein Begriff, was sie allerdings in der folgenden Dreiviertelstunde gründlichst ändern. Unter ihren schlabbrigen Ringelpullis birst die Energie und sie zimmern ein mitreißendes Set auf die Bretter. Mit lackzerplatzter Klampfe, abgewetzter Hammond, Kontrabass, Geige, teils sogar Trompete schütteln sie ein ganzes Dutzend origineller Songs aus den Ärmeln - zwischen stiller Melancholie, blutbahndurchwuselndem Swing, angejazztem Folk, unkoscherem Klezmer und knatterndem Rock. Die Melodien krallen sich in den Gehörgängen fest, die Anzahl kreativer Ideen übersteigt die Dauer der Minuten um ein Vielfaches, der Puls schwillt, mit jedem Song braust der Applaus mächtiger. Fast hat das Publikum schon vergessen, für wen es eigentlich gekommen ist. Absynthe Minded werden, dafür, dass sie vorher nur die wenigsten kannten, frenetisch gefeiert und legen die Latte hoch für ihre großen Helden, Landsleute und Kumpels: Für Tom Barman und seine neuformierten Helden, dEUS. Selten zuvor habe ich einen vergleichbaren Publikumsstrom zum Merchandise-Stand der Vorband in der Umbaupause erlebt wie hier. Völlig zurecht. Die Rehabilitation des Absinth-Rausches.

Wer auch mal ein Ohr riskieren möchte und Absynthe Minded entdecken, kann sich hier einen ersten Appetitmacher zulegen.

Fortsetzung folgt

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An Tagen wie diesen, wenn der Verdauungstrakt unbezahlten Urlaub genommen hatte und der Magen hauptsächlich durch erstaunliches Knurren, Blubbern, Glucksen und Schwubbern auf sich aufmerksam machte, war Wulnikowski seltsam froh, kein Schaf zu sein. "Denn Schafe haben ja nichtmal einen Schließmuskel", sagte er sich, während er seine Unterhose wechselte.

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Samstag, März 04, 2006

Teddygebären

"Meine Eltern dachten immer, dass Fernsehen verbildet." Inka lacht und kringelt eine ihrer goldenen Locken um den linken Zeigefinger. "Insofern haben sie den alten Schwarzweißfernseher weggeworfen, und Papa hat stattdessen in wochenlanger Arbeit ein Puppenhaus gezimmert, das dann auf dem Fernsehtisch errichtet wurde. Sogar mit beleuchtetem Puppenklo." Draußen schimmert die Sonne durch die zerknitterte WOlkendecke wie durch Fettflecken in Butterbrotpapier. Igor lächelt, während er versucht, seine Segelohren noch ein Stück nach vorn zu biegen, um ihr besser zuhören zu können. Sein tinnitus fiept heute wieder besonders laut. Gedankeneingesunken kippt er Kaffee, während er aus dem Fenster schaut. Die Tasse läuft über, die frisch gestärkte Baumwolltischdecke saugt sich mit braunen Flecken voll. Er flucht zerknirscht.

Inka lässt sich nicht beirren, pflückt eine Zigarette aus der eckigen Schachtel, zündet sie an, zieht, bläst genüsslich Rauch in Kringeln an die Decke. "Insofern habe ich erst letzte Woche zum ersten Mal die Simpsons gesehen." "Aber Deine Kindheit ist doch schon mindestens fünfzehn Jahre her." "Ja. Aber wir haben dann eben immer Puppen gespielt. Und ich sehe immer noch kaum fern." "Seltsam." "Wieso?" "Nur so." "Ach so." "Ja." "Meine Brüder und ich haben auch oft gespielt, dass wir schwanger sind." "Deine Brüder auch?" "Ja, die waren bauchhöhlenschwanger." Igor verschluckt sich fast an einem Kekskrümel, den er beim Lachen versehentlich in die Luftröhre befördert hat. "Und Papa war auch schwanger. Aber Papa hat im Kreißsaal geraucht, da hat er nur einen Teddybären geboren." "Und Du?" "Ich rauche jetzt auch. Ich sollte zwar aufhören, aber ich rauche zu gern." Inka zieht an ihrer Zigarette, schließt die Augen, grinst und sagt: "Vielleicht bekomme ich ja auch irgendwann einen Teddy."

Freitag, März 03, 2006

Mich traf mein Ich (II)

Taube Finsternis flutete die nächtlichen Straßen, der Mond verbarg sein Licht hinter dicken Wolken. Einige Schneeflocken tanzten im bleichen Lichtschauer der Straßenlaternen. Fast rutschte ich aus, doch ein beherzter Griff an eine der Laternen rettete meinen Hosenboden vor Kontakt mit eismatschigem Grund. Vor mir ging, mit strubbelschwarzen Haaren und kuscheliger Winterjacke ein junger Kerl, wohl so groß wie ich. Da stach der Hafer mich, ich ging schnelleren Schrittes hinter ihm her, holte ihn fast ein und tippte ihm auf die linke Schulter, um geschwind einen Schritt nach rechts zu tun. Er drehte sich um. Sah niemanden. Seine Gesichtszüge entgleisten verwirrt. Ich erhob den Zeigefinger und sagte: "Haa-haa!" Er grinste mich spitzbübisch an und sagte: "Was bist Du nur für ein Fuchs." Der kalte Lampenschein reflektierte in den Kratzern seiner entspiegelten Brille. Und ich sah, dass er ich war. Dann fuhr plötzlich sein Arm hoch und - beinahe erschrocken! - flüsterte er: "Hinter Dir! Ein dreiköpfiger Affe!" Nun drehte ich mich schreckerstarrt zurück. Nichts. Ein einsamer Bäckerelieferwagen, jede Menge Dunkelheit, Eiseskälte, Laternen. Dann grinsten wir einander an und sagten fast zeitgleich: "Verarschen kann ich mich alleine." Kurz später dann: "Und gemeinsam geht's fast noch besser."

Donnerstag, März 02, 2006

Denkwürdig

"Warum soll's am Rhein nicht schon im Mittelalter Fähren gegeben haben? Sie haben doch sogar schon im alten Ägypten über den Nil geschifft."

Mittwoch, März 01, 2006

Au lit avec "au lait"?

Irgendwer geht oder legt sich irgendwann mit irgendwem oder auch ohne irgendwen aus irgendeinem Grund in irgendein Bett. Das verblüfft nicht unbedingt und geht mir nicht anders. Und nachdem seit Neuestem anscheinend reges Interesse aufkeimt, Einblicke in die Schlafgemächer netzumtriebiger Schreiberlinge zu erhaschen, gewähre ich zumindest einen fotografischen Einblick in den Bereich, in dem ich mich zu nachtschlafender Zeit vorwiegend aufhalte, in dem ich bizarre Träume durchlebe, in dem ich bei gedimmtem Licht großartige Romane lese, in dem ich mich mit famoser Musik beschallen lasse. Ein enorm gemütlicher Bereich, der zu ganz vielfältigen Vergnügungen einlädt und Möglichkeit bietet. Meine höchstpersönliche Kissenburg, mein Bett.