Freitag, Juni 30, 2006

Ein Schwank aus Wulnikowskis Jugend (I)

Für M.

Einst, in Zeiten, als Pomade noch in bemalten Blechdosen mit Drehknopf zum Abheben des Deckels an gepflegte Herren im Anzug verkauft und mit einem Haken am Stiel vom höchsten Bord des Krämerladens für sie herab bugsiert wurde, war Wulnikowski einige Zeit unterwegs. Nun war er nicht, wenn man so will, auf Reisen. Kein Hauch von Urlaub trieb ihn durch die Lande. Nein, er tingelte zu Fuß von Dorf zu Dorf, über hügelige Alleen und schlaglöchrige Feldwege, in der Hoffnung, dass sich jemand mit schwungvollen Hüften fände. Wenige Wochen nach dem er das Gebrüll, Matschgerobbe und Gewehrgereinige des Wehrdienstes überstanden hatte. Wulnikowski trug damals noch einen schmal getrimmten Oberlippenflaum. Weil er David Niven so mochte. Und erdnussfarbene Gamaschen. Und dann hatte er eines Nachts geträumt, er hätte Millionen verdient mit gefalteten Hühnerhäuten.

Niemand konnte so flink, behände und in so komplexen Hühnerhäute falten wie er. Es war gewissermaßen Hühnerhaut-Origami. Ein japanischer Offizier, der während des Krieges bei seinen Eltern untergekommen war, hatte ihm einige Kniffe gezeigt. Allerdings nur auf Papier, nicht auf Huhn. Das war seine eigene, Wulnikowskis höchstpersönliche Idee gewesen. Patentieren lassen hatte er sie sich. Und die hübsche Frau auf dem Patentamt fand die Idee so toll, dass sie ihn gleich hatte heiraten wollen. Und die Leute waren in Scharen zu ihm geströmt und hatten ihm die Hühnerhäute begeistert aus den Händen gerissen, so wild waren sie auf seine gefalteten Hühnerhäute. Sogar die amerikanischen Besatzer hatten gleich kistenweise seine Spezialitäten eingekauft, um ihren Familien zu Thanksgiving eine Freude zu machen. Gefaltete Hühnerhäute, passten doch so hervorragend zum Truthahn-Essen.

Doch hatte Wulnikowski ja nur geträumt. Und dann war er auf seinem milbenzerknabberten Kopfkissen aufgewacht und dachte, dass es vielleicht doch gar nicht so viele Menschen geben mochte, denen die Augen begeistert glitzern würden bei gefalteten Hühnerhäuten. Und überhaupt: Wie sollte das denn gehen – Hühnerhäute falten? Und dann noch in Form – Einen Schwan, eine Taube, Blumen?

Es waren noch einige Wochen bis zum Studienbeginn, und bis dahin hatte er eigentlich nichts zu tun. Als er nun aber mit nichts Konkretem im Sinn zum Krämer um die Ecke schlurfte, stand am massiven Holztresen ein gepflegter älterer G.I., der sich mit dem Haken am Stiel eine bemalte Blechdose Pomade mit Drehknopf zum Abheben des Deckels vom obersten Bord herabbugsieren ließ. Dapper Dan. Und während der schrumpelige Herr Knuffe, dem der Laden damals gehörte (heute ist darin ein arabisches Wasserpfeifencafé untergebracht), die Pomade mit dem Haken zu angeln versuchte, sprach der GI Wulnikowski an…

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Donnerstag, Juni 29, 2006

Jüngst beim Lesen auf Blumento-Pferde getroffen, dann Verb-Rauchern begegnet, an einer Musiker-Ziehung teilgenommen und im Fernsehen auf einen Faxa-Bruf hingewiesen worden. Befunden, dass ich die hirninterne Betonung von Worten beim Lesen überdenken könnte.

Mittwoch, Juni 28, 2006

Rettung vor der Grütze in Sicht?

Dicht gequetscht schieben sich grölende und jubelnde Fanhorden durch die Städte, schwenken ihre Stoff- und Bierfahnen, feiern sich selbst und ihre Mannschaften. Vielleicht, weil es so nah dran ist, vielleicht auch mehr denn je ist diese Weltmeisterschaft ein Fest der Anhänger. Doch was umso glutvoller und leidenschaftlicher in den Straßen brodelt, ermattet auf dem akkurat geschorenen Rasen selbst allzu oft. Den nach Engagement, Emotionen, Esprit und Einfallsreichtum lechzenden Fußball-Liebhaber lassen die Kicker gerade der favorisierten Mannschaften allzu oft ins Leere schlittern und setzen stattdessen das fünfte „E“ entgegen: Effektivität. Große Überraschungen der Kleinen waren bis jetzt Mangelware. Die Karibik-Kicker aus Trinidad und Tobago haben schnarchnasigen Schweden einen Punkt gemopst und auch England an den Rand der Verzweiflung gebracht. Ghana hat der inzwischen faltenwürfigeren goldenen Generation Tschechiens gordische Knoten in die Beine gedribbelt und die Frisur-Archaiker rund um Pavel Nedved in Grund und Boden gespielt. Australien hat mit mächtigem Känguru-Satz die Hürde zum Achtelfinale übersprungen und dabei nicht nur Japan sondern auch Kroatien die Schweißperlen der Ratlosigkeit auf die Stirn gezaubert. Doch schon die Elfeneinküste stürmte zwar bezaubernd aber erfolglos ins Nichts. Wie generell der verblüffenden Schönheit gerade der afrikanischen Spielzüge ein erstaunliches Fiasko beim Einnetzen kristallklarer Möglichkeiten entgegenstand. Stattdessen gurkte sich England satt, schlapp, selbstgefällig und unmotiviert dem Achtelfinale entgegen, Frankreich vernagelte das eigene Tor mit bretthartem Baguette und mauerte sich hauchknapp in die nächste Runde, auch Brasilien, Portugal oder Italien schlurften zwar weitgehend ungefährdet unter die letzten Sechzehn, spielten dabei aber so frisch und knackig wie Kopfsalat, der einen Monat alleingelassen auf dem sonnigen Balkon vor sich hin dümpeln durfte, und so leidenschaftlich wie ein Sack Gries.

Das Herz „für die Kleinen“ blutete umso kraftvoller, als die Männer in Schwarz und Neongelb sich im Achtelfinale anschickten, größeren Einfluss geltend zu machen. Die Herren Schiedsrichter. Italien kickte schlapp wie kalte Pappe und so glanzvoll wie Mehl an den Fingern gegen eifrige, quirlige und glücklose Australier, die den Atemhauch der Sensation schon riechen konnten, ehe Fabio Grosso keine Lust mehr hatte, weiter in den Strafraum zu laufen und glücklicherweise jemanden in seinem Laufweg liegen sah, gegen den man treten und wegen dem man danach – padautz! – niederplumpsen konnte wie ein knallvolles umgeschubstes Dixi-Klo. Die Pfeife schrillt, der Zeigefinger guckt Richtung Elferpunkt. Lächerlich! Und traurig. Denn die Ex-Schillerlocke Totti guckte abgezockt und knallte die Pille in den Winkel links oben. Zack, bumms, Spiel aus, Italien trotz offensiver Grützwurstleistung weiter. Die tapferen Australier rausgekegelt. Oh Fußballgott, Du grässlich ungerechte Nulpe.

Kaum anders war es auch mit Brasilien. Lustlos und träge schluderten sie ihr Spiel zusammen, zäh wie dickflüssiger Klärschlamm, während sich die Ghanaer selbst schwindlig passten und vor hochklassigem Gewusel auf dem Platz nur irgendwie vergaßen, zwischendurch den richtigen Zeitpunkt zum Fuß-in-den-Pass-Halten abzupassen, um Dida ein paar Eier aus dem Nest Netz fischen zu lassen. Statt dessen passten die Ghanaer, noch ganz wirr vom eigenen Spielrausch, dreimal hinten nicht auf, und die eminent effizienten Kanarienvögel ließen die Pille plötzlich in die anderen Maschen flattern. Und auch hier half das Schiedsrichtertrio wieder mit, indem sie Adrianos Abseitshütte fraglos anerkannten. Nur wenige Minuten lang zauberten die Grandseigneurs vom Zuckerhut und ließen den Betrachter Zunge schnalzen. Ansonsten lag nur schwer im Magen wie fettige Buletten und verleitete zum Gähnen, was sie sich zurecht gurkten. Schrecklich abgezockt bei aller Lustlosigkeit, aber ein Frevel am Gerechtigkeitsempfinden. Auch die risikofreien Ballschiebe-Stafetten und Bollwerkbewachungen der Franzosen haben sich ja gegen den unlängst noch verzaubernden Offensivrausch der Spanier durchgesetzt. Nicht unverdient, aber beileibe auch nicht ansehnlich.

Bleibt zu hoffen, dass sich derart schlaftablettiges Gemäuer und lustloses Geschiebe in der nächsten Runde rächt, und die spritzig und spielwitzig Stürmenden den rumeiernden Mannschaften ordentlich einen einschenken. Auf dass es mit dem Erfolg für fettigen Pomadenkick ein Ende hat!

Dienstag, Juni 27, 2006

Erste Hilfe

„Ein höchst verworrenes Straßennetz, das jahrelang von mir gemieden wurde, ward mir mit einem Schlage übersichtlich, als eines Tages ein geliebter Mensch dort einzog. Es war, als sei in seinem Fenster ein Scheinwerfer aufgestellt und zerlege die Gegend mit Lichtbüscheln.“ (Walter Benjamin, Einbahnstraße)

Montag, Juni 26, 2006

Hier wird der Jurist zum Linienrichter

Der Strich auf dem Asphalt war für eine Israelitin einfach zu lang. Zumindest zu wenig gestrichelt, wenn man der israelischen Zeitung "Jediot Achronot" glauben darf. Das allein wäre nicht schlimm gewesen, hätte sie dieser vermaledeite Polizist sie nicht erwischt, wie sie im Kibbuz mit dem Auto die durchgezogene Linie überfahren hat. Strafzettel. Und was nun? Was tun? Ein kurzer Anruf genügte, und ein Bekannter von ihr stapfte los, mit schwarzer Farbe bewaffnet, und pinselte aus der durchgezogenen Linie gemütlich eine gestrichelte. Nur dass er seinen Tarnanzug vergessen hatte, und derselbe Polizist, der schon die 45-jährige Bekannte verwarnt hatte, nun plötzlich einen Mann mit schwarzer Farbe mitten auf der Farbahn knien und pinseln sah. Donnerknispel. Starkes Stück. Nach Angaben der Zeitung, die das Verhalten als "Gipfel der Frechheit" beschrieb, droht jetzt weit mehr als nur ein Strafzettel.

Samstag, Juni 24, 2006

Bezirzen wir den Fußballgott!

Dass unser Wissen relativ zum gesammelten Weltwissen nur ein winziger Wassertropfen im Vergleich zu den Weltmeeren ist, darf als akzeptiert gelten. Die zahlreichen Lücken im konkreten Wissen nun – die Spalte, Fugen und Löcher zwischen den Ahnungs-Inseln im Gedächtnis – spachtelt das Bewusstsein gern zu mit vagen Vorstellungen und ungefähren Annahmen im Rückgriff auf Schemata. Denn wenig braucht Mensch dringender als Sinnzusammenhänge. Entsprechend zieht das Hirn munter Verbindungsstrippen und bastelt Platzhalter, weil es mit nichts weniger leben und arbeiten kann als mit unverbundenen Fragmenten, mit losen Enden, mit Zusammenhang- und Sinnlosigkeit. Lieber einen Zusammenhang basteln, der auf wackligsten Füßen taumelt, als gar keinen und haltlos durchs Nichts taumeln wie dereinst bei Nietzsche.

Worüber wir beispielsweise nichts wissen, ist, ob irgendwer von weit oben oder woanders das Schicksal allen Lebens lenkt, und wenn, wer das denn sein könnte und wie man ihn erreicht, um mal nachzufragen oder Bescheid zu sagen. Für viele Menschen ist dies irgendeine göttliche Instanz, der die allerwenigsten bislang begegnet sind, über die man auch nicht mehr weiß als über die irre komplexen Zusammenhänge und Verwicklungen der gesamten Lebensschicksale auf der Welt. Ohne diese Vorstellung rutscht man schwupps wieder in das Dilemma der Erklärungsnot mangels Wissen. Und prompt ist da wieder dieses gigantische Chaos aus völliger ungeordneter Zusammenhanglosigkeit, die man nicht ertragen kann, weil sie hilflos macht.

Jetzt will auch ich die Fäden konkreter zusammenbinden, denn dieses dezent theosophische Präludium hatte ein Ziel: König Fußball. Wichtig is nämlich aufm Platz. Und irgendwer muss doch zum Donnerdrummel auch die Geschicke auf dem Rasen von oben beeinflussen können. Der Fußballgott. Und den gilt es, sich gewogen zu machen. Mit Stoßgebeten, mit Gesängen, und auch mit dem Glauben an ihn. Vielleicht auch vor dem Glauben mit einem kleinen Aber. Alle Gefahrenquellen ausschalten, jedes kleinste Menetekel einfallsreich in die Flucht schlagen.

Der eine besteht darauf, dass seine Freundin beim Spiel unbedingt dabei sein muss, weil Deutschland alle Spiele, bei denen sie zugegen war, gewonnen hat – auch wenn Fußball sie nicht einmal die Schnippelbohne interessiert. Der andere hat das T-Shirt weggeschmissen, das er trug, als Deutschland zuletzt verlor, die Schmach gegen Italien, und traut sich nicht mehr auf die Toilette während des Spiels, weil schon mehrfach Gegentore genau während seines Verweilens auf dem Abort gefallen sind. Ein Dritter rasiert sich nicht mehr, weil Deutschland immer gewonnen hat, wenn er einen Bart getragen hat und isst jedes Mal zum Spiel Aldibratwurst, weil sich auch hier herausgestellt hat, welch positiven Einfluss das auf den Spielverlauf zu eigenen Gunsten nimmt. Mexikaner haben ihrem Totengott ein grünweißrotes Trikot übergezogen, Togolesen Voodozauber versprüht. Keiner weiß, wie reißfest der gesponnene Zusammenhang ist, aber so lange niemand das Gegenteil der vermuteten Vorteilhaftigkeit bewiesen hat, wird weiter kreativ für den Erfolg geglaubt. Immer wenn ich meine Ostfrieslandflagge zu einem Spiel dabei hatte, hat Deutschland auch gewonnen. Hoffen wir das Beste. Ich habe nur so eine Ahnung, genau weiß ich es (noch) nicht. Mein Chefstatistiker-Rat als einer der 80 Millionen Bundes-Co-Trainer an Klinsmann: Eine Deutsche Mannschaft hat noch nie mit drei Bremern in der Startelf verloren!

Freitag, Juni 23, 2006

Neues von der Apo-Tour (I)

Unter der dunklen Decke der Nacht verborgen schlummert das Münsterland dem erwachenden Sonnenlicht der frühen Morgenstunden entgegen. Das Scheinwerferlicht zerschneidet die Eingeweide eines plattgefahrenen Igels, die auf dem Asphalt festkleben. Kurzes Korrigieren mit dem Lenkrad, nicht drübermatschen, auch wenn’s für Hilfe schon zu spät ist. Mitleidvolles Seufzen, fünfhundert Meter später entschleunigen. Rechtskurve, noch mal rechts in den Schlabberpohl, dann rechtslinks, abbremsen, Hecktür auf, schmutziggelbe Wannen anpacken und in den Bretterverschlag rechts neben der Adler-Apotheke wuchten. Diesmal nur zwei. Der Schlüsselbund klingelquengelt kristallklar im hellhörigen Windhauch. Die Kirchturmuhr von Sendenhorst schlägt zwölfe. Geisterstunde. Doch nichts spukt. Kein kleines Gespenst lässt sich blicken, vielleicht aus Neid, weil mein riesiger Schlüsselbund weitaus beeindruckender ist. Rasselnd schlägt das Brettertor ins Schloss. Leergut in die Heckablade verfrachten, Tür zuschlagen, weiterjuckeln. Nächste Apotheke in Vorhelm, dann kurze Kaffeepause an der Tanke in Ahlen. Der Tankwart, ein ausgedienter Püttrologe wie C. sagt, zwirbelt seinen Zwirbelschnurrbart und murrt über die Irakis, die Saddam Husseins Anwälte abmurksen wie Biotonnenfruchtfliegen mit der Plastikklatsche. Kurze Stille, ich durchkurve mit dem Holzstäbchen den Kaffee im Pappbecher, um ihn kälterzurühren.

Mit quietschenden Bremsen und röhrendem Motor reißt ein tiefergelegter Opel Astra die Stille in Fetzen. Es ratscht metallisch, als die Ölwanne über den Betondrempel schubbert. Der Unterboden schimmert neonblau. Am Heckspoiler flattert, welch Überraschung, eine Deutschlandfahne. Die rechte Wagentür schnellt auf, kurz dringt schrillmumpfiges Gekeif heraus. Dann stakst eine vanillevlablonde Grazie mit Rasierklingenpony durch die Glasschiebetür und wackelt mit ihrem übellaunigen Hinterteil zum Tresen. Die grell geschminkten Mundwinkel hängen auf Halbmast, die Brüste wippen miesepetrig unter dem knatschengen Flittertop. „Mach ma zwei Schachtel Mallboro.“ Der püttrologische Zwirbelschnurrbart knurrt mürrisch, sagt nichts, kassiert. „Ich sach Dir eins“, kräht sie dann, „such Dir nie so ein schlappes armes Würstchen wie datt Exemplar, watt ich mir angelacht habe. Bezirzt Dich mit seiner dicken Karre, klunkert Dich mit seiner schicken Kette an, baggert Dich in der Disko an bis der Landarzt gesendet wird und führt Dich zum Essen aus. Und dann… soll ich meinen Fraß sogar selber blechen.“ Sie quiekt schriller. „Sel-ber ble-chen! Is datt nich die Höhe?“ „Selbst Schuld, Püppchen. Watt suchste Dir auch so’ne Fräse aus?“, brummt der Zwiebelschnurrbart. „Hast Du ne Ahnung, Alter. Ich dachte doch, das sei ein geiler Typ.“ „Und warum erzählst Du mir das?“ „Watt soll denn die Scheißfrage? Datt muss ich mir nu auch nicht geben. Ihr Männer seid doch ein Mistverein. Alle zusammen.“

Sie schluckt Luft, zischelt abschätzig, rümpft ihre gerichtete Nase, dreht sich empört ab und stakst davon, plump wie eine genudelte Köpfertaube. Der Motor brüllt einmal laut, dann zischt der Wagen davon. Nicht jedoch, ohne noch einmal mit der Ölwanne über den Beton zu kratzen. „Die Frauen von heute ha’m se doch auch nicht mehr alle. Oller Schickimicki.“ Ich zucke mit den Schultern. Mein Gesprächsbedürfnis war schon mal lebendiger. Ein scheinbar herrenloser Labrador schnuffelt um die Tanksäulen herum. Der Zwirbelschnurrbart bollert gegen die Scheibe. Der Hund erschrickt und trollt sich. Ich schlürfe meinen Kaffeebecher leer und mache mich auf. Jetzt noch elf Apotheken, elf Seiteneingänge, Garagen, Hintertüren, Abstellräume, noch dreiundvierzig schmutziggelbe Wannen. Die Zeit verfliegt, der Kofferraum leert sich Halt um Halt, der Morgen dräut, ich kurve dem Schlaf entgegen.

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Donnerstag, Juni 22, 2006

Mit dem Fass den Boden und die Drogen ausschlagen

Nie verkehrt ist, aufzupassen, was Du von Dir gibst. Denn manchmal blubberst Du unbedacht vor Dich hin. Zum Nachdenken ergibt sich just keine Gelegenheit, der Klumpatsch flutscht von der Zunge und schwupps krampfen sich die Mienen derer, die es mitbekommen, zusammen, als hätten sie versehentlich in eine unreife Grapefruit gebissen und dann pressen sie ihre Lippen so schmal und fest aufeinander, als wollten sie damit Walnüsse knacken. Kundige Menschen mögen beurteilen, inwieweit die Gefahr besteht, dass Du Dir die Füße im Napf fettig trittst, wenn Du sagst: „Menschen, die ihre Verstrickung in sündige Laster nur durch agonische Krampfkämpfen haben kappen können, sind im Anschluss oft die knallhärtesten aller Streiter gegen das ungesunde Übel.“

Umso zerbrechlicher wird das argumentative Eis, wenn DuMenschen, die Du kaum kennst, Verstrickungen in Geschichten zuschreibst, ja gar andichtest, auf die Du allein wegen äußerer Merkmale und beobachteter Verhaltensweisen schließt. Hier kannst Du Dir flott kalte Füße holen. Oder gar eine Watschn fangen. Zumal wenn Du nicht mal den blassesten Dunst hast, ob Dich der Bollerwagen Deiner Fantasie hier nicht auf einen besonders schlammigen Pfad hat schliddern lassen. Doch der Stefan, da bist Du Dir sicher, der war früher Junkie.

So radikal, wie der heute gegen Drogen bollert. Kämpft heimlich gegen die Begierden seines Körpers, die er sich nicht mehr eingestehen kann. Zurecht. Klaro. Verliert aber die Distanz und das rechte Maß. Mit seinen regenbogenfarbenen Schlabberpullis, auf denen gebatikte, windschiefe Kreise wie betrunkene Ufos oder zertrampelte Kornkreise prangten, mit seinem langen strohigen Bartgestrüpp, das fast noch als Intimvorhang taugen konnte und seinen stumpenbratwurstigen Lippen – stumpf, trocken, zwei Finger dick. Der Stefan, der sich immer Kordeln ins blonde Zottelhaar flocht. Und roch immer so ein wenig nach Patschuli. Wie er damals vor Euch stand.

Er, der Mittdreißiger mit dem trüben Blick und der spargeldünnen Stimme. Wie er sich vorstellte, er, der Drogenberater von der Drogenberatungsstelle. Der Stefan. Wie er so vor Eurer Klasse lavierte. Ihr damals grad vierzehn Jahre alt. Wie er mit den Händen fuchteln konnte und quieken und keifen, wenn es um Drogen ging. Und sich die Pranken an seiner spinatgrünen Hose abwischte, wenn er geniest hatte. Der Stefan. Wie er Euch damals vorkrähte, dass auch Cola und Fernsehen und Sport Drogen sind, die man meiden muss. Nicht nur Hasch, Koks, Speed, LSD, Heroin, Kippen und Alk. Er sagte immer Alk. Ihr könnt von allem abhängig werden. Ihr müsst Euch widersetzen! Wie seine Augen besessen zuckten, als tobe ein Hurliburli in ihm, und wie seine Blicke Gift spritzten, wenn er wüst über Abhängigkeit schimpfte. Dass Abhängigkeit gefährlich ist, grässliche Folgen im Schlepptau hat und Ihr tunlichst weite Bogen darum schlagen solltet, das habt Ihr eingesehen. Das stimmte ja auch. Dass man jetzt aber keinen Sport mehr treiben, nicht mehr fernsehen und keine Cola mehr trinken sollte, da machte er ein Fass auf, aus dem ihm stirnkräuselndes Unverständnis entgegenmüffelte. Und wie ihr gerade deshalb nach der Stunde sein Konterfei mit Kreide an die Tafel gekritzelt habt und das Gekrickel mit Turnschuhen beworfen habt. Gleich danach war ja Sport. Und nach dem Sport habt Ihr Cola getrunken und nachmittags ferngesehen, vor den Hausaufgaben.

Doch noch heute bist Du Dir sicher: Der hatte was mit Drogen.

Wie er Euch damals eingebleut hat: Nur Kreativität hilft gegen die Sehnsucht, dem Alltag durch die Dröhnung zu entrinnen. Und dann musstet ihr Eure Gesichter mit grässlichen Malfarben verunstalten und mit matschbunt beschmierten Gesichtern durch die Stadt tingeln, und Euch vor aller Welt lächerlich machen, weil der Stefan ja meinte, man beweist Selbstbewusstsein dadurch. Und man kommt von Gedanken an Drogen ab. Und dabei hättet ihr nichts lieber als Drogen gehabt, um diesen Höllengang durch die Fuzo, wie ihr die Fußgängerzone genannt habt, wenigstens ein bisschen ertragen zu können. Und dann war er plötzlich weg, der Stefan. Und vorgestern hast Du eine Visitenkarte mit seinem Antlitz gefunden. Er ist nach Nordhorn gezogen und leitet jetzt die Selbsthilfegruppe für männliche Gewaltopfer. „Hauen tut weh“ hat er sie genannt. Sehr prägnant. Was hast Du gelacht. Und Dich lustig gemacht. Und dann kam er plötzlich durch die Tür. Mit seinem Bartgestrüpp und dem schlabbrigen Regenbogenbatikpulli. Vielleicht auf Heimatbesuch. Wie es der Zufall so will. Und plötzlich warst Du Dir mit all Deinen Urteilen gar nicht mehr so sicher. Dabei standen sie doch eigentlich schon fest.

Mittwoch, Juni 21, 2006

Plattdüütske Spreekworden (VIII)

"Ver naarei kummt blaarei."

(ungefähr: Nach dem Gekabbel kommt das Geplärre. Oder: Nach dem Gefrotzel kommt das Geheul.)

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Montag, Juni 19, 2006

Was macht eigentlich... heute: Herr von Bödefeld

Ohne Bescheid zu sagen, verschwand er in der Versenkung. Strubbelte mit seinem karottigen Haargewirr und seiner phallischen Nase von dannen. Überließ Samson die Hängematte. Seit Jahren ist es still geworden um den altehrwürdigen Herrn von Bödefeld. Doch die Agenten des absurdistanischen Geheimdienstes sind durch die Lande gewuselt, und sie haben ihn ausfindig gemacht. Zwischen Bremen und dem Teutoburger Wald - nur einen Katzenwurf entfernt von den historischen Orten der Varusschlacht bei Bramsche - betreibt er im Diepholzer Kreiskrankenhauses oberhalb der logopädischen Praxis von Petra Lübberding eine Praxis für Nieren- und Hochdruckkrankheiten.

It's been a long long time to get here

Schweiß rann ihm kübelweise von der Stirn, der Teint erblaute fast schon ungesund. Schließlich war er wild gehetzt, um der erste zu sein - der erste Gratulant. Auch wenn er noch nie zuvor in Erscheinung getreten war. Jørgen Krøller-Møllerup. Und trotzdem ist er zu spät gekommen. Genau einen Tag. Denn gestern vor zwei Jahren gingen die Nachrichten aus Absurdistan mit Lord Byrons Worten "My way is to begin with the begining." auf Sendung gegangen. Fast seltsam, wie fix die Zeitspanne ins Land gesaust ist. Jørgen hatte sich extra von Lucia, seiner schwedischen Freundin, zwei rote Kerzen geliehen und in die Haare stecken lassen, um seine Glückwünsche zu unterstreichen. Und wer jemals mit zwei brennenden Kerzen auf dem Kopf gerannt ist, weiß, welche Schwierigkeiten dies mit sich bringen kann. Doch Jørgen hat es geschafft. Und gratuliert. Heute morgen. Gerührt und dankbar habe ich ihn prompt porträtiert.

Freitag, Juni 16, 2006

K.P.w.B.-R.f.d.H.-N.-S.i.H.u.G.m.O.

Mittwoch, Juni 14, 2006

¡Arbitro: Sabemos dónde has aparcado tu coche!

Schorfi nannten sie ihn seit seiner Kindheit wegen der trockenen Gesichtshaut. Drei Monate lang hatte er nun seinen Rücken im Schatten kubanischer Palmen an deren faserigem Stamm geschubbert. Liebend gern vor allem am Strand. Einen Selbsterfahrungskurs "Hautselbstheilung mit Kokosmilch" hatten ihm seine Eltern geschenkt, zusammen mit einem Sprachkurs "Spanisch". Aus Sympathie mit Fidel Castro hatte er sich die gesamten drei Monate nicht rasiert und sich einen Bart stehen lassen. Das erschwerte die Kokosmilchbehandlung, verdeckte seine schrubbelige Gesichtshaut aber vor kritischen Blicken Anderer. Jetzt, wo er zurück in der Heimat angekommen war, nötigten ihn seine Eltern indes, das buschige Gestrüpp abzurasieren. Viel Besserung war an der Haut nicht zu beobachten, aber seine sprachlichen Fähigkeiten waren beachtlich gewachsen. Und so schlich er sich nachts aus der elterlichen Wohnung in Kreuzberg, versteckte eine Spraydose unter seinem beigefarbenen Trenchcoat und schlurfte in eine unbeleuchtete Gasse. Nur der schläfrige Mond war sein Zeuge, als er die Dose lautlos herauszog und am Mauerwerk unter Beweis stellte, dass er eine der wichtigsten Fußballfan-Parolen nun auch mehrsprachig beherrschte: "Schiri, wir wissen, wo Dein Auto steht!"

Dienstag, Juni 13, 2006

Par bleu! Erst als er schon auf der menschenleeren Treppe inmitten gläserner Häuserschluchten stand, fiel Xie Hui ein, welch einen schönen Komplementärkontrast zum roten Geflatter über seinem Kopf es ergeben hätte, wäre ihm eher die Idee gekommen, die grünen Jagdloden anzuziehen; die hatte er sich einst im Allgäu-Urlaub gekauft. Direkt danach erst wurde ihm bewusst, dass ihm in der Hetze sogar völlig entfallen war, sich anzukleiden. Aus Sorge, ausgelacht und angestarrt zu werden aus den verspiegelten Fensterfronten, versuchte er die Situation zu retten, indem er seine Scham mit den Handinnenflächen verdeckte.

Montag, Juni 12, 2006

Textmarkerfarbene Neueroberungen und der schusselige Staubsauger

Nach der verfrühten Einstellung der Bewerbungsfrist für M.A. Mayers Wettbewerb zu "Roten Rosen und blauen Hosen" folgt hier nun außer Konkurrenz, was wohl hätte eher kommen müssen.

Das schwarzrotgelbe Fahnengewirr verwirrt Klaus-Dieter, die grölenden Fahnenträger lassen ihn trotz Gluthitze erblassen. Er freut sich über fidele Grüppchen am Straßenrand, die "für den Titel grillen" und großmütig ein Lächeln und Bratwürste an Passanten verschenken. Doch er mag sich nicht recht auf eine Seite schlagen. Denn wer für jemanden ist, ist auch immer gegen andere. Dieser Gedanke ist nicht Klaus-Dieters Tasse Tee. Und so hat er sich anlässlich der Fußball-WM einfach ein Unparteiischentrikot gekauft. Eins von den textmarkerfarbenen Shirts mit den symmetrisierten abgeknipsten Fingernägeln in Übergröße drauf. Zumindest findet Klaus-Dieter, dass es so aussieht. Und das findet er lustig. Und als Schiedsrichter ist man immer für beide Mannschaften. "Man ist aber auch immer gegen beide Mannschaften", hat Gringo, sein Mitbewohner, ihm geflüstert, während er auf einer Käseschrippe herumkaute. Klaus-Dieter hat das geflissentlich überhört und stattdessen einen stolzen Blick in den Spiegel geworfen, um sich im Glanze seiner Neuerrungenschaft zu bestaunen. Mit der Hüfte streift er den Telefontisch. Das Schnurtelefon stürzt scheppernd auf den Linoleumboden.

Klaus-Dieter blickt noch einmal in den Spiegel. Schick findet er sich. Passt auch gut zu den blauen Hosen, die er gern trägt. Dann klingelt das Telefon und rappelt über das Linoleum. Er bückt sich, streicht sich eine seiner nougatcremefarbenen Locken aus der Stirn und nimmt ab.
"Ja?"
"Klausi?", schrillt es aus dem Hörer.
"Mama?"
"Ja. Ich bin's."
"Ach, Du bist's. Hör bitte endlich auf, mich Klausi zu nennen. Ich bin nicht mehr neun. Was gibt's?"
"Ich hab Dir doch von unserem neuen automatischen Staubsauger erzählt, oder? Der, der automatisch durch die Wohnung fährt und von selber putzt?"
"Ähh... kann sein."
"Ich habe ihn heute getauft."
"Gekauft?"
"Nein, getauft!"
"Ach."
"Ja, willst Du gar nicht fragen, wie er jetzt heißt?"
Klaus-Dieter wischt sich einige glitzernde Schweißperlen von der Stirn und seufzt lautlos.
"Wie heißt er denn, Mama?"
"Ich habe ihn nach Dir benannt. Er heißt jetzt auch Klaus-Dieter."
"Welch Ehre." Klaus-Dieter spürt plötzlich einen Hauch von Müdigkeit durch sein Antlitz streifen.
"Willst Du denn auch nicht fragen, wieso? Muss man Dir denn alles selbst erzählen?"
"Das würde es vereinfachen."
"Naja, so ganz funktioniert Klaus-Dieter, also der Staubsauger, Du verstehst? Also, so ganz funktioniert der noch nicht. Der rappelt immer überall gegen und verursacht einen Heidenkrach. Genau wie Du."
"Na, das ist ja wirklich eine Ehre." Klaus-Dieter rollt die Augen.
"Heute morgen ist er sogar gegen den Esstisch gebollert und hat die Vase mit den roten Rosen umgeworfen. Das war vielleicht ein Heidenlärm."
"So wie ich..." Klaus-Dieter drückt sich vom Boden hoch und stellt das Telefon wieder auf seinen angestammten Platz.
"Naja... nicht so ganz. Ein bisschen. Ich dachte, Du fändest das lustig."
"Nein, eher nicht. Und auch wenn ich nicht der Entscheidungsfreudigste Mensch südlich vom Nordpol bist. Ich bin mindestens ein bisschen dagegen, dass Du einen ramdösigen Staubsauger, der irgendwogegen knattert und Dinge kaputt macht, nach mir benennst." Dann knallt Klaus-Dieter den Hörer auf und blickt sich noch einmal im Spiegel an. Schick! Dieses Trikot, hat er sich entschieden, wird er selbst nicht und es sich selbst von niemandem kaputt machen lassen.

Freitag, Juni 09, 2006

Mein neuer Job

Eine Spinne krabbelt gelangweilt durch ihr Netz, das sie zwischen den Aluminumpfeilern für die abgeschalteten Leuchtreklamen gesponnen hat. Vor dem "Pussy Cat", dem Bordell gegenüber, hält mit quietschenden Bremsen ein Taxi. Tagsüber hatte ich das Pussy Cat für einen Katzenfutterladen gehalten. Wer rechnet schon mit horizontalem Nachtgewerbe mitten im Gewerbegebiet zwischen alternden Sattelschleppern, Türmen alter Treckerreifen und gigantischen Fertigungshallen aus silbrigem Wellblech? Hier, in der rechten Hälfte einer alten Werkstatthalle, ist der Stützpunkt meiner neuen Arbeit. Kalter Staub steht in der Luft, schon vor Jahren ist Öl in großen Flatschen auf dem Betonboden gelandet und hat sich fleckenweise darin verewigt. Alte Paletten liegen aufgereiht an unverputzten Mauern.

Rechts davor steht zwischen struppigem Gras ein alter, oberirdischer Dieseltank. Nicht rauchen, Fremdheizung abschalten. In Kürze wird der Lastwagen aus Köln auf den Hof gerauscht kommen, der ungefähr 70 Wannen mit Medikamenten und einige Zusatzkartons für mich im Gepäck hat. Diese werde und muss ich just im Anschluss sortieren, in einen Bulli laden und dann im südöstlichen Münsterland in kleinen Hinterräumen, Schließschleusen, verschließbaren Gartenhütten oder Kellergeschossen von Apotheken abliefern. Über die Nacht verteilt. Sechzehn Apotheken stehen auf der Liste. Albersloh, Sendenhorst, Beckum, Neubeckum, Ahlen, Vorhelm, Dolberg, Ennigerloh, Ostenfelde, Westkirchen...

Reglos liegt das Münsterland in der Finsternis. Ich kurve durch verlassene Alleen. Durch die Baumkronen zwinkert mir der buttergelbe Mond zu, der gemütlich am Himmel lehnt. Für einen kurzen Halt stoppe ich an einer Ahlener Tankstelle. "Na, Kerli? So spät noch auf? Die Jugend von heute muss endlisch ma Disziplin lernen. Nisch immer mitten inner Nacht inne Koje!" Der schmerbäuchige Tankwart, dessen Antlitz mich an einen haupthaarlosen Bismarck erinnert, beginnt zu keuchen, als er über seinen eigenen Witz lacht. "Naja... ich muss arbeiten." "Watt denn? Alte Frauen besteigen? Biste so'n... ähh... Kollboj?" Seine Kopfdurchblutung steigert sich erschreckend, als er lacht. "Damit hatte ich geliebäugelt, aber bei meinen Fähigkeiten hätte ich... naja... womöglich die ganze Konkurrenz gegen mich aufgebracht. Deshalb fahre ich nur Medikamente aus für Apotheken." "Ach watt. Sowatt gibbet?" "Klaro. Könnte ich jetzt bitte einen Kaffee haben?" "Watt? Jo. Und watt meinste? Ob die Deutschen ohne Ballack, den ollen Mimose [sic!] morgen die Kaffeeköppe weghauen? Und den Iranern, ne? Nenen muss man die Abwehr wegbomben wie dem Sakawwi den Kopp. Findste nich auch?"

Ich nicke, knurre ein "hmmnjoa", ducke meinen Blick dann aber weg, da ich nur schnell einen Wachmacher runterstürzen und nicht zu viel Zeit verlieren wollte. Zurück ans Steuer. Der zweite Schlüsselbund hat sich unter den Fahrersitz verabschiedet. Auf dem Beifahrersitz türmt sich Leergut. Leere, gelbdreckige Wannen, in denen die Apotheken ihre Ware erhalten. Allzu eng sind die Kurven in den Innenstädten der Münsterländer Kleinstädte. Der Mond sinkt schon ein wenig, schubbert mit dem Kinn über die Hausdächer. Nur noch vier Apotheken, nur noch drei. Immer kontrollieren, dass man auch die richtigen Wannen ausliefert. Zeit ist Schlaf. Jeder Fehler verschiebt die Nachtruhe. Doch um halb drei ist es vollbracht. Ich weiche einem Taxi aus, das Gäste vom "Pussy Cat" zurück nach Hause bringt. Womöglich zur schlafenden Ehefrau. Nur noch das Leergut verstauen und die alte Halle verbarrikadieren. Dann radele ich durch die laue Sommernacht. Die erste Tour ohne fremde Hilfe ist vollbracht. Und ab jetzt einmal wöchentlich. Mein neuer Job als Medikamentenkurier.

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Donnerstag, Juni 08, 2006

Moussierende Explosionen

Trotz aufwändigster Vorkehrungen musste Günter sich eingestehen, dass seine Schutzausrüstung für den ersten Versuch, selbst Schokopudding zu kochen, noch ausbaufähig war. An vorderste Stelle seiner Anschaffungsliste dirigierte er die "Anschaffung eines Visiers".

Mittwoch, Juni 07, 2006

Lektüre in der Dämmerstunde

Es hat einen seltsamen Charme, nachts um vier, wenn die Stadt noch reglos in tiefem Schlummer liegt und die Helligkeit schon langsam wieder über die Hauswipfel klettert, von der neuen Arbeit nach Hause zu kommen und mit senkbleischweren Augenlidern die Haustüre aufzuschließen, die noch druckpressenwarme, probeabonnierte Süddeutsche Zeitung mit müden Händen zu greifen, sich noch kurz am Küchentisch niederzulassen, dem allmählich erwachenden Vogelgezwitscher das Ohr zu leihen, ein großes Glas Wasser zu trinken und dabei zu lesen, dass Jens Lehmann Körperkontakt mit Elefanten scheut und danach vor allem stirnrunzelnd die seltsame Golfspielbeilage zu durchblättern, in der sich ernstgemeinte Bewegungsstudien Veronica Ferres beim Abschlag mitsamt Tipps für die Verbesserung von Technik und Körperhaltung finden, ehe man erschöpft zwischen die Kissen kriecht und unruhigen Träumen entgegendämmert.

Dienstag, Juni 06, 2006

Im Schatten des Bären

Überraschend großartig war es in der Hauptstadt. Auf der Hinfahrt eine sehr abstruse Kurzbegegnung gehabt mit einer jugendlichen, möglichen Drogenkurierin, die seit morgens um sechs schon in Hamburg, Berlin und Amsterdam war, um "Ware zu überbringen", unter grau verhangenen Wolken betrunkene, schlafende Triketreffer im Stelenfeld entdeckt, auf ultraengen Rundtischen formidabel gefrühstückt, einem tanzenden, französischsprachigen Clochard die Hälfte von meinem Twix abgegeben, in der Gormannstraße das Dunkelrestaurant entdeckt, gleich mehrere Nacht-Magneten kennengelernt, bis in nächtlichere Stunden gerockt und festgestellt, wie erstaunlich schlapppappig hauchdünne Dönerbrotfladen sein können, eine Menge erfrischender Bekanntschaften gemacht oder wieder aufgefrischt, mein Zwerchfell am Sonntagabend trainiert und mich beim Lesen nur halb so oft verhaspelt wie beim äußerst sporadischen Üben zuvor, im Wandschimmel des "Lass uns Freunde bleiben" das Gesicht von Paul McCartney entdeckt und überlegt, wie man das wohl Gewinn bringend bei ebay verkaufen und überhaupt transportieren könnte... Wiederholung äußerst gern - nachdem mein opus magnum eingetütet ist.

Freitag, Juni 02, 2006

Two days remain

Inmitten magistraler Verhedderungen habe ich immerhin noch gerade den Weg zum Bahnhof gefunden und schon einmal die Zugfahrkarte gelöst. Ab morgen abend um kurz nach sieben bereise ich mal wieder für das Pfingstwochenende die Hauptstadt. Gelernt und geschrieben wird weiter während der Fahrt, und gelesen wird übermorgen ab halb acht im "Lass uns Freunde bleiben" in der Choriner Str. 12. Zusammen mit den grandiosen Herren Burnster und Kid 37. Nur zur Erinnerung. Wer dem absurden Haupt dieser Seite, das abgesehen von einer Silberhochzeitsrede und irgendwelchen Referatstexten noch nie etwas öffentlich vorgelesen hat, bei seiner Lesepremiere Mut zusprechen, mit Keksen bewerfen, auf ein Bier einladen, anstarren und zuhören oder auch Buh rufen möchte, darf sehr gern kommen. Ich freu mich. Kurze Auszeit inmitten von schaumschlagendem Stress.

Donnerstag, Juni 01, 2006

Hurricane, anyone?

Das Herz blutet aus einer klaffenden Schnittwunde. Die Zähne klappern und knirschen abwechselnd. Der Bauch überschlägt sich in flauem Angstgeflatter, kalt perlt der Schweiß den Rücken hinab. Die Zeit rennt davon, ich renne hinterher und versuche, sie einzufangen.
Zu perfektionistisch, muss ich mir eingestehen, ist meine Magisterarbeitsweise gewesen. Zu akribisch aufarbeiten will ich alle Voraussetzungen, die mein enorm komplexes Thema bedingen. Einer Doktorarbeit würdig wäre diese Arbeitsweise wohl eher gewesen, doch hier ist weniger Zeit. Entsprechend ist jetzt radikales Kürzen, Zusammenreißen, Nachtschichten einlegen gefragt. Noch sind es ein paar Wochen, doch was noch an Arbeit wartet, ist nicht von Wellpappe. Entsprechend werde ich hier notgedrungen kürzer treten müssen und darüber hinaus auch das Hurricane-Festival absagen müssen, worauf ich mich schon gefreut hatte, ganz immens sogar. Doch nie könnte ich wieder glücklich das Hurricane berocken, müsste ich mir eingestehen, dass meine Musikliebe und die Feierlaune mir meine beruflichen Chancen zerdeppert haben, indem ich am Ende nur ein Magisterarbeitsfragment abgeben konnte. Jeder Tag zählt. Ich werde dEUS nicht sehen, nicht die Arctic Monkeys, Billy Talent, Death Cab For Cutie, Maximo Park, Muse, Nada Surf, Pretty Girls Make Graves, Shout Out Louds, Sigur Rós, Snow Patrol, The Cardigans, The Cooper Temple Clause, die Kooks, Raconteurs, Strokes, Tomte, Two Gallants oder Wolfmother. Wie gerne würde ich. Aber wie unverzeihlich wäre es auf andere Weise. Nun besitze ich aber schon zwei Karten. Wer dringend noch welche haben möchte (es ist ja seit vier Wochen ausverkauft), darf mich gern anschreiben, für 100 € würde ich sie veräußern (94€ Kaufpreis + 55 Cent Porto + 5,45 € Schmerzensgeld). First come, first serve. Wenn ich mich insofern rar mache, hat es nichts mit Desinteresse zu tun, wenn ich hier weniger schreibe nicht mit mangelnder Lust. Es ist nur Zeit, noch klarer Prioritäten zu setzen.