Mittwoch, März 14, 2012

Morgenstund war pleite. Ist deshalb zum Zahnarzt gegangen, hat sich alle Goldzähne rausnehmen lassen und sie bei einem windigen Altgoldhändler verschachert. Morgenstund hat stattdessen nun Keramik im Mund. Weil der Händler aber weit unter Marktpreis angekauft hat, musste Morgenstund am Ende sogar draufzahlen.

Donnerstag, März 08, 2012

Das Lied des Renovierens






















Der Putz kreischt, schreit rhythmisch auf, während der Spachtel schräg auf ihn einschlägt, immer wieder, wenn Metall an Kalk schabt. Papier ratscht. Tapete. Mal knurrend, in großen Stücken, oft nur in kleinen Fitzeln. Dann, wenn der Spachtel flach einhackt, sich unter die störrischen Schichten zwängen soll. Schwisch. Klatsch. Der Quast wischt über die Farbe, Schwung für Schwung, um die festgeklebten Bahnen zu tränken, auf dass sie sich vollsaugen, an Halt verlieren und den Widerstand aufgeben, sich packfest an die Wand zu klammern. Mehr als nur einmal lauert ein raschelndes Geheimnis, wenn der Kleber sich löst und das Papier fällt. Da bröselt Putz, da klackern Brocken hinaus, da klaffen Löcher, über die scharf ratschend der weit größere Mörtelspachtel schaben muss. Da rauscht seit Jahren nicht weggeputzte Asche kiloweise aus dem Schornsteinschacht, und Du riechst wie ein kirgisisches Braunkohlekraftwerk. Du wischst Dir Tapetenfetzen von der Stirn, zupfst Farbplacken aus den Augenbrauen, grummelst, fluchst, die Nerven sirren, der Puls puckert.

Das Lied des Renovierens hallt im Hinterkopf nach, wenn Du aus Träumen hochschreckst, geweckt von wirbelnden Gedanken, die aufschrillen, die "Vergiss mich bloß nicht!" schreien, die "Denke dran" knödeln, die in wilden Strichen schraffieren, was alles noch passieren kann, was schiefgehen könnte, die skizzieren, was alles noch vor Dir liegt. Das, was sich entweder zum gefühlten Gebirge auftürmt oder Dich wie ein Malmstrom strudelnd hinabreißt. Das, was eisig hochkriecht, wie eine kalte Quelle am Grund eines warmen Sees aufwallt und Dich packt, was den Puls aus den Tiefen der Ruhe hochjagt, Dich ins Trudeln bringt, wenn Du nicht schnell genug gegensteuerst, inmitten von Gedanken, die wie ein Schwarm Mücken an einem warmen Sommerabend über Dir hängen, blutdurstig, stechwütig. Du wälzt Dich nach links, winkelst Die Arme übereinander, zerrst die Decke über den Kopf, gräbst Dich tief in Kissen, doch es juckt hinterm Ohr, die Armbeuge schmerzt, schläft ein (anders als Du), Du drehst Dich nach rechts, doch so liegt es sich auch nicht gut, und irgendwann, Momente, bevor der Wecker klingelt, findest Du Deine Ruhe wieder, nickst ein, ehe der neue Tag beginnt, gebraucht wie die alten Tapeten, die Du auch heute wieder abreißen wirst. "Wer erneuert mich selbst bloß nach all dem Renovieren?", fragst Du Dich, und dann packst Du wieder den Spachtel und das Lied des Renovierens erklingt von vorn.

Montag, März 05, 2012

Betörende Klangwildnis aus der Schwiiz

Wäre er damals nur nicht tauchen gegangen, zwischen den Schären bei Stockholm, an diesem Tag im Juni vor dreieinhalb Jahren. Nun, er hätte Monate später beim Brötchenholen stolpern können, auf die Fahrbahn strumpeln und von einem Betonmischlaster überfahren werden können. Er hätte sich an der Tankstelle eine Kippe anzünden können, den Laden in die Luft jagen und von der Explosion hingerafft werden, von einem herabfallenden Wasserspeier aus Stein erschlagen... oder höchstselbst in die Tasten hauen können beim Festival der Konjunktive. Doch Esbjörn Svensson ging im an diesem Tag Sommer 2008 tauchen, und er tauchte nicht wieder lebendig auf, wurde unweit des Stegs reglos, leblos unter Wasser gefunden, mit schweren Verletzungen am Kopf. Seitdem klafft ein Loch am Rande des Jazz. An der Stelle, die Puristen meiden, wo sich die Neugierigen aber scharen. Dort, wo Rock, TripHop, Elektronik, Pop-Melodien, knackige Grooves und Experimentierfreude wirbeln und mit frischem Wind Staub vom alten, in Gediegenheit erstarrten Jazz fegen.

Nun gab es durchaus auch Andere, die sich getraut haben. Die Brachial-Rumpler von "Bad Plus" etwa. Die Neugierigen im Grenzgebiet raunen nun aber von einer wunderbaren Neuentdeckung in der Schweiz. "Rusconi". Einen ersten Echo hat Stefan Rusconi bereits eingeheimst. Nun ist bei ihm "Revolution". Ein wunderbar erfrischendes Album hat er eingespielt, eins, das faucht und aufbegehrt, eins das Ideen gegeneinander ausspielt, eins, in dem wuchtig krachender Rock, lyrische Melodien, keck gegeneinander gesetzte Rhythmen, vieldeutige Harmoniefolgen aufhorchen lassen. Eins voller Spielwitz und Wagemut, voll stillem Lärm, voll raubeiniger Zärtlichkeit, mit Abenteuerlust gewaschen. Und es ist eins, bei dem - wie vor Jahren bei Radiohead - der Hörer selbst entscheiden kann, wie viel er dafür zahlen mag, wenn er es runterlädt. Viel zu großartig ist die Musik, um nichts dafür zu geben, aber wer möchte, kann auch kostenlos eine Erkundungsreise machen und später alle Freunde begeistern und motivieren, gegen Geld das Album zu erwerben. Hier gibt es das feine Stück, dank dessen wieder neues Leben pulsiert in den Grenzgebieten am Rande des Klaviertrio-Jazz, wo es so still und karg geworden war, seitdem Esbjörn Svensson nicht wieder lebendig auftauchte.