Montag, August 25, 2014

Liegerspiel

Grätsche, Foul, Sturz.

Der Spieler wälzt sich auf dem Rasen, krümmt sich, bäumt sich auf, schlägt sich die Hände vors Gesicht. Minutenlang.

"Bei Pokalspielen oder bei der WM stehen die Jungs viel schneller wieder auf", sagt der Mann neben mir. "Ist Dir das auch schon aufgefallen? Aber hier bleiben sie dauernd und viel länger liegen. Meinst Du, dass das deshalb Liga-Spiel heißt, weil die dauernd liegen?"

Sonntag, August 24, 2014

Die Winzer vom Rande des Kiezes


Die Landungsbrücken in Hamburg... das versteckte Weinbaugebiet. Bouquet des Tropfens? Vermutlich nordisch herb. Mindestens. Schweröl-rußig und bratfettig im Abgang.

Mittwoch, August 20, 2014

Der verschwundene Sommer

Während draußen wilde Wolkengebilde übers Firmament ziehen und Regengüsse in Trommelwirbeln auf dem Dach landen, ziehe ich mir mitten im August eine zweite Bettdecke über, schlüpfe tagsüber in einen Fleece-Pulli und denke: "Auch der Sommer darf ja mal Urlaub machen." So haben die Menschen auch mal wieder ein Gesprächsthema, in dem sie den Satz "Ich glaube, der Herbst hat sich verlaufen" fallen lassen können. Und sie können mitten im August einen modischen Schal tragen oder den anthrazitfarbenen Filzmantel wieder hervorholen, der sonst erst im November wieder Saison gehabt hätte. Und es sind gute Tage, um sich mal wieder heiße Milch mit Honig zu kochen, unter einer Kuscheldecke einen guten Roman zu lesen oder einen schlechten zu schreiben, und in Jahren wird man seinen künftigen Kindern davon erzählen können, wie plötzlich der Sommer weg war. "Haben wir damals gefroren", werden wir sagen, denn dass der Sommer einfach verschwindet, passiert ja nicht so oft. Und dann werden wir leise denken: "Es wäre schon schön gewesen, wenn wir selbst und nicht der Sommer in Urlaub gefahren wären - wir wären auch schneller wiedergekommen."

Dienstag, August 19, 2014

Bevor Sie gehen: Darf ich noch Ihre Brille putzen?

Gewürze im Gespräch

Sobald der Koch seine Schürze an den Haken gehängt, die Töpfe abgewaschen, die Pfanne geschrubbt und die Küche verlassen hat, stecken die Gewürze ihre Köpfe zusammen, tuscheln, tratschen und hecken Unsinn aus, den sie unbeobachtet verzapfen können.

Freitag, August 15, 2014

Maracuja Blues

Vor kurzem waren sie noch so süß gewesen, passioniert, frisch - doch plötzlich, an diesem Morgen kurz nach dem Frühstück, fühlten die beiden sich nur noch alt und leer.

Dienstag, August 12, 2014

S-Bahn-Umfall

Ein wenig blass ist die Spindeldürre um die Nase, als sie in die S-Bahn stakst. Noch während die Türen sich zischend wieder zuschieben, bevor der Triebwagen überhaupt wieder Fahrt aufgenomen hat, schwankt sie, klammert sich leeren Blickes an eine Halteschlaufe. Vielleicht Mitte 20 mag sie sein, knochig ist sie, blass mit einem Teint der an OP-Kittel erinnert.

Gemeinsam mit ihr hat sich eine alte Frau in den Waggon bugsiert. Klein, verhärmt, eine Plastikregenhaube über der Dauerwelle.

Die S-Bahn fährt an. Die junge Frau fällt um.

Zwei Männer aus der Sitzgruppe dahinter springen hoch und helfen ihr auf.

Die Alte beugt sich nieder und fragt fast schimpfend: "Mein Gott, Kind! Was ist denn los mit Dir?"

"Mir ist grad schwarz vor Augen geworden!"

"Ich sag's doch immer wieder. Kontaktlinsen sind nichts für Dich!"

Montag, August 11, 2014

Purpur



Die Wolken waren längst geborsten, hatten das Land überschüttet, die Straßen für Momente in Kanäle verwandelt und Spaziergänger in wildfremde Hauseingänge getrieben, da brach sich das Licht und der Himmel verwandelte sich in seltsames Purpur...
Ich bin nicht eingebildet. Es gibt mich wirklich.

Sonntag, August 03, 2014

Die Poesie leerer Coladosen

Spät, irgendwann nach Mitternacht, stand er plötzlich vor der Tür. Hatte an der Wohnung geklingelt, irgendeiner der Partygäste hatte ihm geöffnet. Er sagte Hallo. Mehr nicht. Doch wie selbstverständlich kam er herein, ging in die Küche, griff sich eine Weißbrotscheibe, tunkte sie in die Schale mit Hummus und goss sich ein Mango-Lassi ein.  Dann irrte er mit seinen Blicken durch den Raum, blieb kurz am Chat-Noir-Poster hängen, schlängelte seine Blicke darüber. Wir kannten uns nicht; er begann, unvermittelt zu erzählen, übersprang das Kennenlernprozedere, kein wieheißtduwasmachstduwokommstduherstudierstduauchundwasliestdugerne. Er erzählte. Seine Stimme war dünn wie zu kurz gezogener Tee, erinnere ich mich. Er sammle leidenschaftlich, sagte er. Herumliegende Dinge, die er auf der Straße fände. Oder in Gebüschen am Gehsteigrand. Kassenbons und Studiennotizen und abgebrochene Stöckelschuhabsätze. Einmal habe er Glasscherben aus einem zerplitterten Autofenster gebrochen und eine Kette daraus gemacht, sagte er. Fast hätte er sich dabei geschnitten, erinnere ich mich, sagte er.

Er meinte, das seien Großstadtdiamanten und fügte an, selbst in einer leeren Cola-Dose stecke Poesie. Er habe eine große Vitrine gebastelt, sagte er, erinnere ich mich, und darin habe er eine Reihe benutzter Spritzen aufgestellt, die direkt Gitterzaun hinter dem Spielplatz am Kösliner Ring gelegen hätten. Daneben hätten Kinder gespielt. Und eins habe gesagt: "Guck mal, wir haben ein riesiges Loch gebuddelt." Und da habe er gestaunt, denn es sei ein sehr großes Loch gewesen. Gerne hätte er es mitgenommen. Aber es sei kein Platz in seiner Wohnung für ein Sandkastenloch gewesen.

Und wenn er etwas nicht mit nach Hause nehmen konnte, habe er sich davorgekniet, es fotografiert und die Aufnahmen liebevoll in Fotoalben geklebt. Eine Wasserwaage benutze er dafür sogar, sagte er, erinnere ich mich. Man solle Fotos nie schief einkleben.

Er trank sein Lassi leer, blassgelbe Tropfen aus seinem fusseligen Bart leckend. Er erzählte, er sei ein Archäologe der Gegenwart, lachte darüber und schnippte Asche in den nun leeren Plastikbecher.  "Findest Du das seltsam?", fragte er. Fast flüsternd.

"Ich mag so etwas", entgegnete ich und dann lächelte ich. "Das ist selten", sagte er und erhob seine Hand wie zum Gruße, erinnere ich mich, ehe er sich umdrehte und verschwand, ohne sich von mir und den restlichen Gästen zu verabschieden. Still. Fast unhörbar schloss er die Tür. Erst als er fort war, fiel mir ein, dass er mir seinen Namen gar nicht verraten hatte, erinnere ich mich. Und staunend musste ich feststellen, dass auch kein anderer der Gäste ihn wusste. Niemand hatte ihn zuvor gesehen. Doch womöglich ist auch dieser Abend nun Teil seiner Sammlung.