Dienstag, November 14, 2006

Frühstück mit Tieren

Satie zählt die Ringe unter seinen Augen. Innerlich. Links sind es fünf, rechts sieben. Dass er noch immer Nummer sechs trägt, passt in die Reihe. Die Nacht war zu lang und zu dunkel. Die Sterne hatten ausgesehen wie Kokosmakronen. Es wird der Absinth gewesen sein. Man kann nicht sagen, dass Absinth den Magen schont. Doch nach durchtrunkenen Nächten ist das beste Heilmittel ein gutes Frühstück und ein Frischluftspaziergang. Der Fußweg von Arceuil hierher, zur Auberge du Clou, war schon erfrischend, wenn auch auf leeren Magen. Keine Zwischenfälle. Zum Glück! Denn heute ist der Hammer versehentlich unter dem Bett liegen geblieben.

Der Garcon schwingt heraus, dreht Kreise wie Vogel bei der Landung und bleibt dann vor ihrem Tisch stehen. Satie bestellt Milchkaffee, Contamine de Latour einen doppelten Cognac und ein Croissant. Taufrisches Licht tanzt zwischen den Baumkronen vor der Auberge du Clou hindurch. Eine Pfütze glitzert. Genau dort, wo kurz zuvor ein struppiger Golden Retriever einen Strauch in sein Revier eingemeindet hat. Satie sieht ihm nach und versucht, einen Knoten, den er beim Wuscheln im Bart entdeckt hat, zu entwirren. Ihre Bestellung wird serviert. Contamine de Latour kratzt sich am Arm. Er mag keine Mückenstiche. Und er lässt sich ungern von Herren bedienen. Warum ist die Serveuse heute nicht da? Satie sieht immer noch dem Hund nach.

"Contamine, habe ich das je gesagt? Ich liebe die Tiere. Sie danken es mir. Die Tiere kennen und anerkennen mich, vor allem die Hunde. Ja, ich liebe das Hühnchen, das Schaf, die Ente, den frischen Lachs, das Rind, den Truthahn… mit und ohne Kastanien… ja, sogar mit Trüffeln und ohne."

Satie leckt Milchschaum aus den Bartspitzen über seiner Oberlippe. Contamine de Latour wischt sich Croissantkrümel aus dem Schritt seiner neuen Hose.

"Ja, ich liebe die Tiere, denn ich bin gut zu ihnen. Zu gut vielleicht. Ich folge ihnen von ihrer Kindheit an, nehme Teil – als Freund – an ihren Verlobungen, ihren Hochzeiten. Ich schreite freundschaftlich ein, wenn sie streiten – nur dann, wenn ich will, freilich. Ich gebe Ihnen väterliche Familienratschläge."

Contamine de Latour fragt sich, wo die Serveuse jetzt wohl steckt. Er würde ihr gern einen Besuch abstatten. Satie nippt an seinem Milchkaffee.

"Sie verdanken mir viel, denn all diese mit ihnen verbrachte Zeit hat mich die Hälfte meines Vermögens gekostet. Weil ich mit ihnen verkehrte, habe ich mir Gebrechen zugezogen: Ich habe eine Glatze bekommen – auf dem Kopf – aber das ist nicht schlimm, man sieht es nicht."

Eine linde Böe weht ein Platanenblatt in Saties Milchschaum. Er pflückt es heraus, leckt es ab und lässt es zu Boden treideln.

"Michelet hat gesagt, die Tiere seien ‚unsere niederen Brüder’, was heißen soll, der Mensch sei der höhere Bruder der Tiere. Die Ansicht der Tiere zu dieser Ansicht kennen wir nicht. Es ist der Mensch, dem es an Höflichkeit gegenüber dem Tier gebricht! Wenn zum Beispiel eine Katze auf einem Fauteuil schläft, jagt der Mensch sie weg. Dass eine Katze kommt und den Menschen vom Fauteuil verjagt, ist mir hingegen noch nicht begegnet. Doch die weit interessantere Frage nimmt von hier erst ihren Ausgang..."

Teil 1

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17 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Das Tier als solches tut selbiges subtil.
Wer ist da der niedere Bruder von wem?
Oder: würden Tiere Menschen halten?
Und: warum sollten sie?
Oder: tun sie es nicht bereits?

Literarische Empfehlung hierzu:

Michel Faber
Die Weltenwanderin

Lohnt!

14/11/06 12:34

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@isserley: Animal Farm und die faberlhaften Nachfolgewerke waren zu Lebzeiten Saties ja noch nicht ansatzweise geschrieben. Vielleicht war er ja fast so etwas wie der Wegbereiter eines neuen Tierverständnisses? ;)

14/11/06 14:05

 
Anonymous Anonym meint...

...ein sehr sympathischer Mensch...der Herr Satie....ich glaube, ich gründe auch eine Kirche...Sie eröffnen mir Welten!

14/11/06 14:28

 
Anonymous Anonym meint...

Deine Muse für lange Texte möchte ich haben. Und dein Talent:)

15/11/06 13:47

 
Anonymous Anonym meint...

..aber nicht deine Popups in den Komentaren!

15/11/06 13:47

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Die Pop-Ups wär ich auch gerne los. Und die Muse kommt auch nur, weil sie auf ihren nächtlichen Reisen durchs Land kostenlos bei mir übernachten darf (sie hatte mal in der örtlichen Wochenzeitung inseriert).

15/11/06 14:04

 
Anonymous Anonym meint...

Ich glaube, solche Texte in diesem wunderbar ruhigen Stil bringt außer dir nur noch Frau Rabe zustande (Ganz besonders auch der Beitrag davor).

Ein wahre Wohltat in der aktionssüchtigen Blog-Szene !

Wegen deiner Popups hatte ich vor einem Jahr schon mal die Leute angemacht, die die Seiten herstellen. Man erklärte sich als nicht verantwortlich und vermutete als Verursacher den Blog Counter.

15/11/06 18:08

 
Anonymous Anonym meint...

Sorry, ich vergaß: die Maling ist genauso große Klasse.

15/11/06 18:11

 
Blogger kein einzelfall meint...

Beim Burnster Animal Triste und hier Animal Texte. ;)

15/11/06 19:39

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@opa: In der Ruhe liegt die (spinnerte) Kraft. Und danke. :)

15/11/06 23:15

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Wer genau ist denn aber Maling?

15/11/06 23:16

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@k.e.: tierisch exakt erkannt. :)

15/11/06 23:19

 
Anonymous Anonym meint...

das schöne ist: es kommt mir so vor, als sässe ich mit contamine und satie am tisch und hörte ihnen gespannt zu. wunderbar, ole.

16/11/06 00:41

 
Anonymous Anonym meint...

Maling sagt der Seemann zu einem Gemälde oder einer Zeichnung. :-)

16/11/06 00:50

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@opa: Ah! Comprende! :)

16/11/06 01:00

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@bsc: Ab und zu wird neben ihnen ja auch mal ein Platz frei gewesen sein. :)

16/11/06 01:01

 
Blogger mq meint...

Bild: Das ist er!
Text: Genau so muss es sich ereignet haben!

24/2/07 21:41

 

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