Mittwoch, Dezember 13, 2006

Zu Besuch im Paralleluniversum - Ole wagt sich in ein Konzert der Flippers (III)

Bildquelle: www.sonybmg.de
Sie haben schon eine Menge gezeigt. Aber in der zweiten Konzerthälfte legen sie erst richtig los. Musikalisch bleibt nichts anders, aber modisch haben sie noch eine Schippe draufgelegt und beweisen, dass ihnen in puncto schillernder Geschmacksfragwürdigkeit so schnell keiner die Butter von der Schrippe schrappt. Bewegen sich die Flippers musikalisch auch auf routiniertem Terrain - was textile Wagnisse angeht, untermauern sie ihre Spitzenreiterambitionen.

Verblüffte Bernd zuvor noch mit seinem kreischroten Schlafanzug, tänzelt er nun mit einer buttermilchorangenen Bügelfaltenstoffhose auf die Bühne. Von seinem Oberkörper fräst sich ein lachshellblaubeigeorangen appliziertes Glitzerjackett direkt in die Netzhaut und sorgt beinahe für optischen Gefrierbrand. Mit dieser von innen kommenden Heiterkeit, diesem Sinn für das harmonische, fröhliche, innige Füreinander, drängen die hellen Kleiderfarben sein Erscheinungsbild dennoch in Richtung Milchsemmel. Oder, wie Tante Hedwig einst auf der Zugfahrt nach Ahlbeck zu Mutters 70. Geburtstag kurz vor der Kurve von Holzhausen zu Renate Lohse sagte: "Schade, es macht Dich so blass."

Olaf glitzert nun in Ganzkörperapricot (die Hose karottig geschnitten) und genehmigt sich - mit Dank an die Fans - noch einen Schluck aus einer geschenkten Sektbuddel. Der Manfred hat sein Funkeln von Aralblau auf Karminrot umgestellt. Ansonsten wuppert der Schunkelexpress munter weiter. Das Weltklassepublikum schwankt inzwischen etwas betüterter zwischen den Sitzreihen. Der glasiger werdende Blick lässt die Augen noch heller strahlen. Die Menge hat Spaß. Und das verbindet sie allem Anschein nach mit ihren Vortänzern. Denn so auswendig gelernt das Set sein mag, so durchgebimst und vorkalkuliert die Gesten und Posen, das Lächeln und die Hüftschwünge sein mögen: Die quietschbunt alternden Boys, die "auch mit 80, 90 noch auf der Bühne stehen" wollen, augenbezwinkern sich selbst und schaffen es bei aller völligen Reproduktion des Ewiggleichen tatsächlich noch, den Eindruck zu erwecken, sie hätten Spaß an der Sache. Der Manfred klöppelt vergnügt auf seine elektrischen Bratpfannen, hört dann mitten im Stück auf, um sich mit seinem Schlagzeuger und unterhalten, während die Hitlawine munter weiterrollt: Er ist ja nicht angeschlossen.

Bildung kommt auch nicht zu kurz bei den drei lustigen Zweien: Mal erhellen sie die italienische Klassik rund um das liebevolle Treiben des Giacomo Casanova (1725 - 1798), dann zitieren sie Friedrich Nietzsche ("Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.") oder Mark Twain ("Gib jedem Tag die Chance, der schönste Deines Lebens zu werden."). Natürlich immer eingeflochten in die Flippers-Geschichtsstunden und wortgewandten Überleitungen von Stück zu Stück. Doch genug der Theorie. Schauen wir uns das einmal in der Praxis an. Ich habe stenografiert.

Der letzte Akkord des vorangegangenen Schlagers ist verklungen. Venezianische Karnevalsmasken erscheinen auf der Videoleinwand. Olaf ergreift erst das Mikro und dann die Menge. Er raunt mit meilentiefer, lasziver Stimme.

"Man sagt ja schnell, wir würden nur Masken tragen als Schlagersänger und uns verkleiden, dabei kommt unsere Musik von Herzen. Auch wenn wir den Karneval lieben. Vor allem den in Venedig. So wunderschön sind die Kostüme dort, und nirgends auf der Welt werdet Ihr solch eine sensationelle Stimmung erleben wie dort - sie wird nur noch übertroffen von Flipperskonzerten. (Brüller sitzt, Menge bejubelt den Helden und sich selbst, der Held grinst schlingelig) Ich habe dieses Jahr auch wieder Karneval gefeiert. Nicht in Venedig, in Knittlingen. Und da habe ich mit Sonja überlegt, wie wir uns denn verkleiden. 'Nicht als Flipper, als Delfin', habe ich mir gedacht. Denn dann erkennt Dich jeder. Und wenn Du auch die andern Mädels mal umarmen willst, wollen sie gleich Autogramme. Und so habe ich zu Sonja gesagt: 'Schatz, Hase, kauf Du diesmal die Kostüme.' Und sie rennt also zu Hertie und kommt spät am Nachmittag heim. Sie drückt mir eine Tüte in die Hand und sagt: 'Schatz, Hase, da ist Dein Kostüm.' Ich schaue so in die Tüte rein und werde blass. (Der Held spielt Entsetzen) 'Schatz... das...das... ist ja... wieso willst Du, dass ich mich als Pferd verkleide?' Sie antwortet nur: 'Tja mein Lieber - ich fand das super. Denn Pferde saufen nur Wasser.'"

Die Menge kreischt. Die Band legt mit los mit "In Venedig ist Maskenball". Kurz später darf auch Bernd nochmal. Erst sinniert er von Herzen und völlig ironiefrei darüber, wie schön es doch noch immer ist, verliebt zu sein und gleichzeitig verheiratet. In die selbe Frau, natürlich. Auch im hohen Alter noch Schmetterlinge im Bauch zu haben. Seine Frau ist, seit die Kinder aus dem Haus sind, immer dabei auf Tour. Sie pflegt ihn auch. Und dabei fällt ihm ein: "In jeder Stadt, in der wir spielen, in JEDER Stadt, in der wir mit unseren tollen Fans feiern dürfen, kenne ich genau drei Orte. Genau drei. Den Veranstaltungsort. Das Hotel. Und die Apotheken. Denn wir Sänger müssen ja auf unsere Stimme acht geben und brauchen immer wieder mal was zum Lutschen. Und so war ich auch gestern in einer Apotheke. Ich betrete sie. Vor mir wartet ein älterer Herr und wirkt verärgert. Ich frage: 'Was haben Sie denn?' Er sagt: 'Ich bin hierhergekommen, um Zäpfchen zu kaufen. Aber es sind schon alle ausverkauft. Sogar seit den Morgenstunden schon.' Ich frage: 'Wie kann denn das passieren?' Er sagt: 'Hier stürmen sie alle hin, denn hier verkaufen sie die Zäpfchen noch zum Einführungspreis.' (Menge tobt ob schlechten Kalauers) Ich kaufe dann doch nur eine Packung Salbeibonbons. Doch dann entdecke ich: Sie verkaufen sogar Flohpuder." Hernach ertönt die Anfangsfanfare, und es folgt "Der Floh in meinem Herzen".

Und so lauert das K immer wieder unter, neben und auf der Bühne. Die Damenherzen schmelzen, die Herren johlen pilsbeduselt mit (sehnen sich allerdings sporadisch nach der Theke), und kurz vor dem Ende brechen alle Dämme. Auf Kommando dürfen sie alle nach vorne stürmen, direkt vor die Bühne, in Handkussweite vom Olaf, dem Bernd und dem Manfred. Und hier tanzen sie, hier winken sie ihren Helden zu, die Damen. Nahezu ausschließlich. Hier zeigen sie ihren Göttern ihre neuen Frisuren und das frisch erstandene Kleid. Noch zehn Minuten dürfen sie ihren Schwärmen, den schrill schillernden Werkzeugmachern, dem singenden Reisebüro, entgegenklatschen, sie anlächeln und sich mit ihnen hinfortträumen an mild besonnte Strände. Zehn Minuten noch. Wir verdrücken uns während des Zugabenmedleys. Es ist hier auch ohne uns "alles La Paloma".

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22 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Du bist sehr, sehr mutig.

14/12/06 01:25

 
Anonymous Anonym meint...

Respekt, dass du es bis zum großen Finale ausgehalten hast. Die gekonnte Beschreibung der Musik, die präzise Dokumentation der miesen Kalauer und die Schilderung der präapokalyptischen Konzertatmosphäre wirken so realitätsgetreu, dass ich mich jetzt erstmal übergeben muss. Da fehlt nur noch ein Überraschungsauftritt von Marianna und Michael, und du hast die letale Dosis erreicht...

14/12/06 01:30

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Ronnie: Wie klein der Schritt dorthin für mich war, lassen wir vorerst mal dahin gestellt. :) (Auch wenn meine Anreise zum Konzert nur ca. 800 Meter betragen hat)

14/12/06 08:56

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@ich bin erkältet: Ich habe mir den Mut angetrunken. Zumindest ein kleines bisschen. (Dies hier ist kein Plädoyer für ethanolhaltige Gärungsprodukte) :)

14/12/06 08:57

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@michael: sind die flippers nicht viel zu flippig für das verheiratete grauen aus dem süden? marianne und michael treten sicher eher als suprise act bei den kastelruther spatzen auf. die kommen auch nach münster, da kriegen mich aber keine zwölf pferde hin. das wäre noch ne nummer härter und zugleich drei nummern ZU hart! :)

14/12/06 08:58

 
Anonymous Anonym meint...

Ich bin einfach nur geplättet ob dieser Beobachtungs- und Beschreibungsgabe, ganz großartig Ole.
Die Flippers kaufen bei Hertie ein? Sie leben wirklich in einem Paralleluniversum!

14/12/06 09:25

 
Blogger eins60 meint...

lieber ole, vielen dank für diesen schönen bericht, ich habe sehr viel gelacht. aber sag ehrlich - auf pur-konzerte gehst du nicht, oder? ;-))

14/12/06 11:58

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@emma: Ich war nie auf einem, und dies zu ändern ist bislang auch wirklich nicht in Planung. :)

14/12/06 13:15

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@uli: Ich weiß nur, dass dem Olaf seine Sonja nach Olafs Erzählung bei Hertie ein Pferdekostüm erstanden hat. Ich tippe grob, die Flippers höchstselbst lassen vor allem ihre Frauen einkaufen. Und wo die sonst so shoppen gehen, und welche weiteren Einkaufszentren es in Knittlingen und Umgebung gibt? Keine Ahnung. :)

14/12/06 13:16

 
Anonymous Anonym meint...

Nachdem ich das gelesen - und oleseidank nicht in einem Video gesehen - habe, bin ich doppelt froh, dass ich Samstag zu Placebo gehe und nicht zu einem Flipperskonzert.

14/12/06 13:58

 
Blogger viktorhaase meint...

die wiesen wie das geht. die haben es drauf. mannoman. es ist so einfach. man muss nur all seine würde ins all schießen und ab geht die fahrt. junge junge.

14/12/06 14:35

 
Blogger Lenny_und_Karl meint...

Hat das Grauen denn jetzt ein Ende Ole?

14/12/06 15:24

 
Anonymous Anonym meint...

Fpüh. Da hat jemand was verpasst. Aber vielleicht gibts dadurch ja nen Abnehmer für eventuelle CD-Geschenke... :p *flatter*

15/12/06 00:28

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@kreuzberger: Placebo sind musikalisch ja auch klippundklarstens die weitaus geschmackvollere Wahl. Bei allem habe ich die drei androgynen Briten inzwischen schon x-mal gesehen. Und was den Punkt betrifft, hatten die Flippers den "Vorzug", dass sie mir Einblick in eine bislang nie aus der Nähe gesehene Welt eröffnet haben. Was auch in gewissem Rahmen interessant ist. Auch, wenn ich immerhin vier Placebo-Scheiben besitze und nie im Ansatz darüber nachdenken werde, mir auch nur eine einzige Flippers-CD zu kaufen. :)

15/12/06 02:47

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@viktor: passender hätte ich den nagelkopf nicht treffen können.

15/12/06 02:48

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Fpüh: Verrät mir die Eule auch, wer hier was verpasst hat. Und wer könnte von wem welche CDs geschenkt bekommen? :)

15/12/06 02:55

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@lennyundkarl: Die Berichterstattung über das Grauen ist vollzogen. Die Spätfolgen des Grauens peinigen mich noch immer in Form verhasster Ohrwürmer, die sich nichtsdestoweniger bitterst festkrallen. :)

15/12/06 03:03

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@sillerin: Ernüchtert bin ich auch längst. Völlig nüchtern hätte ich den Abend wiederum damals aber nicht überlebt. :)

15/12/06 03:04

 
Anonymous Anonym meint...

Achja, übrigens: die Schrift "im Raum verteilen" .. dazu hab ich einfach nur markiert und auf das kleine Knöpfchen "Zentriert" gedrückt; kann dir also leider nicht wirklich helfen, denn bei mir hat es ohne Probleme einfach so geklappt.

16/12/06 01:27

 
Anonymous Anonym meint...

Das "F-Wort" hat ab sofort eine neue Dimension ..

16/12/06 21:08

 
Blogger stilhäschen meint...

Großartig. Mutig. Heldenhaft. Und dann auch noch so mitreißend realistisch geschrieben, daß einem das Lachen im rosa Polyamid-Schalkragen stecken bleibt.

Danke, daß Du für uns durch die Hölle gehst. Du bist ein wunderbares Publikum.

22/12/06 18:50

 
Anonymous Anonym meint...

Vollidioten! Wenn jemand keine Ahnung von dieser Musik hat, dann soll er sich gefälligst in Schweigen hüllen. Leider findet man solche Ergüsse von Frechheit und Intoleranz ganz oben in der Suchliste von google! Es ist schon erstaunlich, wie es minderbemittelte Schreiber schaffen eine Plattform zu finden um ihr dämliches Machwerk als Konzertbericht zu veröffentlichen.

7/2/07 08:55

 

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