Dienstag, September 04, 2007

Auf dem Weg zum Friedhof der Kommunistenstatuen

Wir klettern an der Endstation am Etéle ter aus der klapprigen Straßenbahn, inmitten der Kelenföldy-Siedlung an einem Vorstadtbahnhof. Der pittoreske, bohème Jugendstil-Charme der Budapester Innenstadt? Ist kilometerweit entfernt. Nichts lässt ahnen, dass wir noch immer in derselben Stadt sind. Wenn auch an deren zerfaserndem Rand. Plattenbauten stehen in Reih und Glied. Schlecht rasierte Männer sitzen gekrümmt auf Bänken neben einer Bierstube. Einige Balken der Bänke fehlen, sind vermodert, zerbrochen. Es riecht beißend nach vertrockneter, eingesickerter Pisse. Hutzelige Frauen hocken auf dem Gehsteig und bieten schrumpelige Apfelpaprika feil. Auch Äpfel, Birnen oder hackfleischgefüllte Blätterteigstrudel.

Auf dem Bahnhofsvorplatz husten und spucken uralte Ikarus-Busse schwarze Rußwolken. In der Mitte, an der Zieharmonika, hängen sie durch, schrammen fast das Straßenpflaster. Löchrig und brüchig ist die Gummiverbindung zwischen Vorderteil und Hinterteil der Busse geworden. Man kann gar Finger oder Hände hindurch stecken, sie vom Fahrtwind erfrischen lassen und sich derweil freuen, dass der Himmel lasurblau und sonnendurchflutet glänzt und kein schmoddriger, nasskalter Winterwind eisig hindurch fegt. Sägen kreischen, Pressluftbohrer rattern, Staub wirbelt. Es wird gebaut.

Mit einem der Busse wollen wir weiter stadtauswärts fahren. Dorthin, wo der Szoborpark liegt – die außerhalb liegende Touristen- Sensation Budapests, ein Friedhof für geschleifte Kommunistenstatuen. Beeindruckend sind die Faltblättchen gestaltet, die an zahllosen Stellen der Stadt ausliegen. Das aufregendste Freilichtmuseum ganz Osteuropas sei es. Und so klettern wir hinein in einen der Busse, der grollend und dröhnend Fahrt aufnimmt. Eine Ziege, unter einem Sitz mit struppigem Seil festgezurrt, meckert. Die faltige alte Frau, zu der sie gehört, schlägt ihr auf den Hinterkopf. Die Ziege meckert weiter. In lang gedehnten Serpentinen schraubt der Buss sich steile Hügel hinauf, auf denen windschiefe Hütten und schlecht verputzte Häuser stehen. Irgendwo in der Ferne fließt die Donau, liegen die majestätischen Stadtpaläste. Sie sind nicht mehr zu sehen, kaum mehr zu erahnen. Wie unsere Bushaltestelle heißt, haben wir uns gemerkt. Doch werden die Haltestellen nicht – wie in der Stadt – angekündigt. Unsere Haltestelle hätte vor einer Kurve gelegen. Erst als wir sie durchfahren haben und ich im Augenwinkel noch schwarz glänzende Statuen vorbeihuschen sehe, bemerken wir, dass wir längst hätten aussteigen sollen. Wir sitzen in einem Überlandbus. Die nächste Haltestelle liegt etwa vier Kilometer entfernt.

Mitten in der Puszta, so scheint es uns, steigen wir die knarrenden Bustreppen hinab ins Nichts. Der nächste Bus zurück wird in einer Stunde kommen. Fußmarsch also. Unter sengender Sonne dürstet das Gebüsch der Ausfallstraße, die sich schnurgerade durch das Land schlägt. Ein Lastwagen nach dem nächsten rattert an uns vorbei, wenige machen einen Bogen um uns, fast streifen wir die Kotflügel und Reifen. Bullis mit rostigen Motorrädern, vertäut auf dem Dach, Kastenwagen mit Paprikabergen, alte Wartburg-Dreckschleudern rasen uns entgegen. Es riecht nach Zweitaktbenzin. Wir schlurfen Schritt für Schritt zurück. Immerhin verschaffen die vorbeisausenden Laster uns kurzzeitig Schatten. Fast eine Dreiviertelstunde schieben wir Fuß vor Fuß, wohl fünfhundert Fahrzeuge brausen an uns vorbei und wir verfluchen den Bus, die Idee hierhin zu fahren, können kaum ein Wort miteinander sprechen. Zu laut dröhnen die Motoren, zu schwierig sind Unterhaltungen, wenn man hintereinander her läuft, ständig auf der Hut, nicht plattgewalzt zu werden. Doch ganz allmählich schieben wir uns dem Ziel näher.

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9 Wortmeldung(en):

Blogger amadea's world meint...

Wie schön du schreibst.

4/9/07 21:07

 
Anonymous Anonym meint...

Sehen Sie, werter Herr Ole, hätten Sie dem Hutzelweib am Plattenbau einen halbverdorrtten Apfel abgekauft, wäre der Weg durch die staubigen Weiten der ungarischen Steppe nur halb so trocken gewesen. Gut in diesem Zusammenhang aber auch, dass Sie auf den Blätterteig verzichteten, denn der hätte es nur schlimmer gemacht. Unter ernährungsphysiologischen Aspekten ist's bis hierhin also neutral.

Höchst gespannt, was noch kommt
Ihr Erdge Schoss

5/9/07 11:35

 
Anonymous Anonym meint...

Wie war der Friedhof - falls Ihr ihn jemals erreicht haben solltet? Ich wüsste nämlich gar zu gern vor meinem Dezemberbesuch bei den Magyaren, ob es sich lohnt, die toten Kommunisten zu besuchen.

5/9/07 17:11

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@kreuzberger: Du wirst es erfahren. Und ich nehme vorweg: Ich finde, dass es den Aufwand, dorthin zu kommen, nicht lohnt. Es ist ganz ulkig, verblasst in der Wirklichkeit aber völlig gegenüber den Vorstellungen, die man sich gemacht hat, wenn man die geschickt gestalteten Prospekte gelesen hat. Doch dazu in Kürze mehr. :)

5/9/07 17:13

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@amadea: Danke.

5/9/07 18:37

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@erdge schoss: Ein halbverdorrter Apfel, Lieber Erdge Schoss, hätte unbenommen seines Vertrocknungsstadiums wohl die kreuzallergischen Prozesse wachgerüttelt, die mich leider seit Jahren plagen. Insofern wäre es dann eine Wanderung mit geschwollenem Gaumen geworden. Wir hatten ja immerhin Getränke dabei. Und Müsliriegel. Aber danke. Und Fortsetzung wird folgen. Zurzeit ist freie Zeit fürs Schreiben (und leider vor allem fürs Lesen auf anderen lieb gewonnenen Seiten) hier leider sehr rar. Aber ich mühe mich.

5/9/07 18:40

 
Blogger Lars meint...

Lange nach die Erinnerung wie die Statuen aussahen aus euer Köpfe verschwinden sind, wird die Abenteuer von wie ihr dahin gekommen sind bleiben.
Ich wünsche euch noch viele schöne Tagen.

5/9/07 20:51

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@lars: Ich werde erst in fast zwei Monaten Deutschland für eine Woche verlassen. Ich bin nicht in Ungarn. Ich war dort vor recht genau einem Jahr. Die anderen Berichte aus Budapest findest Du hier. Einfach runterscrollen. Unterhalb der "Fietspad"(Holland-Fahrrad-Urlaub)-Texte findest Du sie alle versammelt. :)

6/9/07 00:44

 
Blogger Lars meint...

Danke Ole, es gibt da viel zu lesen, ich muss ja mein Zeit nehmen um alles zu geniessen.

6/9/07 18:32

 

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