Nightswimming in Edinburgh (II)
In einer steil bergabwärts kurvenden Seitenstraße der Royal Mile finde ich einen Pub – die „Scotman’s Lounge“. Wie Ölsardinen quetscht sich eine trinkfreudige Horde darin. Nur dass Ölsardinen nicht tanzen, juchzen, johlen und grölen. Ein Barde mit Gitarre singt inbrünstig alte Gassenhauer und Volksweisen, seine Silben knallen hart, das „R“ fliegt mit Flatterzunge vom Gaumen. Sein urschottischer Akzent beißt sich ein wenig mit seiner äußeren Erscheinung. Demnach könnte er ein vorzeitig ausgestiegenes Gründungsmitglied des mongolischen Oberton-Gesang-Ensembles „Huun Huur Tu“ sein. Er besingt alte Schlachten, spottet der englischen Königin, und sein Volk kreiselt über der Stelle, hakt sich unter, tanzt Ringelreihen, schwitzt und säuft vergnügt.
Halbleere Bierhumpen tummeln sich auf alten, angestrichenen Whiskyfässern, die als Tische dienen. Gestalten mit glasigen Blicken klammern sich daran, schwanken, plustern die Backen und atmen schwer. Doch gelingt es ihnen, den Arm zu recken und noch ein weiteres „XXXXXX“ zu ordern. Fotos von Dudelsack-Orchestern prangen an der Wand. Sie haben an Wettbewerben teilgenommen und sind gegen andere Dudelsack-Orchester angetreten. Irgendwer wird dabei gewonnen haben. Torkelnde Gestalten schieben sich nach draußen, rauchen, blicken trübe durch den inneren und äußeren Nebel hinein. Die Fensterscheiben sind beschlagen. Plötzlich platscht es außen an der Scheibe. Ein Sturztrunkener knallt mit dem Gesicht gegen das Glas, offene Wunden klaffen an seinen Wangen, sein Gesicht ist blutverschmiert, die Scheibe ist es danach ebenfalls. Irgendwo konnte anscheinend schon zuvor eine harte Oberfläche seinem fallenden Gesicht nicht rechtzeitig ausweichen.
Ein Strubbelbärtiger, dessen Rachen von Hochprozentigem gegerbt ist und der sich einige Zähne hat ziehen lassen, um Whisky mit geschlossenem Mund trinken zu können, zeigt – mit dem Arm eiernd – auf ein paar hüpfende, kreiselnde Frauen, die beim Tanz ihre Brüste schwingen. Schottland sei ein Busenparadies, hier gäbe es die großartigsten Titten der Welt. Ich nehme es zur Kenntnis. Die großartigsten Titten der Welt, die hier geschwungen werden, haben wahrscheinlich schon ein paar Runzeln, zumindest aber fünf Jahrzehnte auf dem Buckel. Der schottische Mongolenbarde ist beim „Wild Rover“ angekommen.
Vier Takte braucht der Betrunkenenchor, um das Lied zu erkennen. Dann grölt er aus voller Kehle die zweite Zeile mit: „…and I’ve spent all me money on whisky and beer“. Ansonsten beschränkt sich die Textkenntnis weitgehend auf „No, nay, never! No, nay, never, no more!“, die mit ähnlich glühender Inbrunst gegen die tiefe Holzdecke geschmettert werden. Daumen und Zeigefinger werden zum Pfeifen in den Mund gesteckt, aus manchen Winkeln rinnen Speichelfäden. Dann umarmen sie sich, stoßen an. Släintsch! Slaínte! Prost. Noch ne Runde, Wirt. Fast wie die Wikinger in Torfrocks „Rollo“: Wir saufen den Met, bis keiner mehr steht, unser Häuptling heißt rote Locke. Nur dass hier keiner Met säuft und auch keiner umfallen kann. Dazu steht die quietschvergnügt-besoffene Meute viel zu dicht gedrängt.
Gleichgewichtsprobleme werden erst auf dem Heimweg wieder ins Gewicht fallen. Diesen trete ich allmählich an. Noch längst nicht betrunken genug, aber der Blick auf die Uhr verrät, dass Mitternacht schon lange vorüber gezogen ist. Und morgen gibt es noch so viel Neues zu entdecken, dann, wenn der Nebel sich allmählich verzogen hat.