Samstag, Juni 30, 2007

Kunst kann auch sein, wo Du nichts siehst

"Die müssen sich verdruckt haben, hier ist doch nichts!", flucht die Dame aus Oklahoma. Sie entknittert ihren regenzerweichten Stadtplan, wendet ihn, dreht sich um die eigene Achse, schiebt die Brille auf der Nase zurecht und runzelt die Stirn. Unweit vom Zoo steht sie an einer Weggabelung auf einem der geschwungenen Flanierpfade, der durch die Aaseewiesen führt. An dieser Stelle soll sich laut Plan eins der 34 Kunstwerke befinden, die im Rahmen der "Skulpturen Projekte 07" die Stadt bevölkern und weltweit neugierige Kunstkennerblicke ins beschauliche Münster lenken. Extra aus den USA ist die Dame angereist, um sich das kulturelle Großereignis höchstselbst anzuschauen.

An dieser Stelle soll sich laut Skulpturenstadtplan das Werk des Polen Pawel Althamer befinden. Sie wirft abermals kritische Blicke durch ihre Nickelbrille. Doch nichts ragt hier aus dem Gras auf. Ein paar Bäume zucken schüchtern mit den Ästen, kein Schild findet sich, das erklären könnte, was hier zu finden sein soll. Ein paar Dutzend Meter weiter kraxeln Besucher über einen Hügel, doch das ist - auch laut Plan - ein ganz anderes Kunstwerk. Dort hat Guillaume Bijl eine fiktive Grabung installiert, bei der eine Kirchturmspitze aus einem metertiefen Loch ragt. Kritik am Kulturtourismus will Bijl hiermit angeblich üben. Hier bisse sich die Katze ein wenig in den Schwanz, ist doch Bijls Werk selbst eins zu einem der Ziele für das geworden, was er kritisiert.

Die amerikanische Dame steht mit zerfurchter Stirn da, brauengerunzelten Blickes, die Hände in die vergoldeten Hüften gestemmt. Sie erspäht noch immer nicht, was sie sucht. Man muss schon sehr genau hinsehen. Vielleicht auch gleich sämtliche althergebrachten Vorstellungen dessen, was man bislang für Kunst und Skulptur gehalten hat, in eine der kleinen Mülltonnen am Wegesrand stopfen. Pawel Althamers Beitrag ist nicht mehr (oder weniger) als ein matschpfütziger Trampelpfad, der sich schnurgerade durch eine der wildwüchsigen Aaseewiesen fräst, geteerte Wege quert, mitten in ein Gerstenfeld führt, hinunter in das "Gievenbecker Tal" und weiter über eine windschief aus Astbruch zusammengerumpelte Holzbrücke. Da niemand zurzeit das Kunstwerk begeht, fällt es nicht auf. Und wohin das Kunstwerk führt, ist von hier aus nicht zu ersehen.

"Es geht darum, die eingefahrenen und ausgetretenen Wege zu verlassen, mal wieder querfeldein zu gehen und zu denken, nicht nur den befestigten Pfaden zu folgen, sondern einfach mal mitten über Stock und Stein, Baum und Borke zu hüpfen", erklärt ein knorriger Herr mit altersfleckengesprenkeltem Antlitz, dessen schlohweiße Haare sich unter einer Baseballkappe im Wind wiegen. "Dann muss das Kunstwerk ohne mich auskommen. Ich bin gekommen, um mir Skulpturen anzusehen, nicht, um auf Stöckelschuhen durch Schlamm zu staksen. Das ist doch keine Kunst mehr! Ich habe doch keine paar tausend Dollar geblecht, um hier in die Wildnis zu tapern! Bei der letzten Ausstellung vor zehn Jahren wusste man gar nicht, wohin man zuerst gucken sollte, diesmal findet man die Kunstwerke ja nichtmal mehr!" Spricht's, rümpft die Nase und wackelt entrüstet von dannen.

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Mittwoch, Juni 27, 2007

Eine magische Stunde - Rock you like a hurricane (III)

Dein Herz weitet sich und zerspringt in glitzernde Scherben, Deine Hände krallen sich zusammen, beim Versuch, die Zeit anzuhalten, den magischen Moment einzufrieren. Zu viel Schönheit reißt Dir den Boden unter den Füßen weg. Du taumelst fast. Möchtest das Glück und die Trauer heraus schreien. Dein Innerstes birst. Worte zerfallen zu schillerndem Sternstundenstaub beim Versuch, das Erlebte zu beschreiben. Ich bin nah am Wasser aufgewachsen. Weit weniger nah am Wasser bin ich eigentlich gebaut. Hier jedoch sind Dämme gebrochen. Hier habe ich geweint. Silberglänzende Tränen. Zum ersten Mal bei einem Konzert seit ich denken kann. Selten habe ich mich sprachloser gefühlt als nach dem unfassbar überwältigenden Auftritt von Aereogramme am späten Samstag abend auf dem Hurricane. Ein Auftritt, wie ich fast noch nie einen erlebt habe, der mich weggeblasen, mitgerissen und angerührt hat wie fast keiner je zuvor und der wohl unvergesslich bleiben wird.

Wie habe ich diesem Konzert im Vorfeld entgegen gefiebert, und welch bittere Gewissheit mischte sich darein. Schon im letzten Jahr hatte das Schicksal der Band auf der Kippe gestanden. Eine schwere Kehlkopfkrankheit hatte sich in die Stimmbänder von Craig B., dem Sänger, gefressen. Es dauerte Monate, ehe er wieder einen Ton traf. Doch es schien ein gutes Ende absehbar. Das neue Album wurde weit ruhiger, verzichtete auf schmerzverzerrte, schreiende Leidenschaftsausbrüche. Zurecht wurde es als Wiedergeburt gefeiert und alles schien hoffnungsvoll, vielleicht gar der Durchbruch in Sichtweite. Doch so kam es nicht. Mitte Mai, nur wenige Monate nach der Veröffentlichung, plötzlich das Aus. Komplexe Problembündel, vor allem das finanzielle Darben, hatten die Band zu einer erschütternden Auflösungs-Erklärung gebracht. Am Ende war keine Kraft mehr für einen Kampf. Eine der großartigsten, intensivsten und anrührendsten Bands der letzten Jahre baut ermattet und resigniert ihre Zelte ab. Die dicken, bärtigen Zottelschotten senken den Kopf, packen ihre Sachen, nicht jedoch ohne wenigstens sich auf den letzten Konzerten von ihren Fans zu verabschieden.

"The quickest way to end a war is to lose it", das Zitat George Orwells, ziert den Rücken der Abschieds-T-Shirts. Ich schlucke, als ich es mir überstreife. Dieses Konzert wird mein persönlicher Abschied. Und so wohnen zwei Herzen, ach, in meiner Brust, irrsinnige Vorfreude und triste Wehmut, als ich den wirklich tollen Auftritt von Bright Eyes schon nach einer Dreiviertelstunde verlasse, den ich liebend gern zu Ende gesehen hätte, und hinüberschlurfe zum Zelt, wo meine Lieblings-Schotten aufspielen werden. Es ist die Crux von Festivals, sich oft zwischen verschiedenen tollen zeitgleichen Möglichkeiten entscheiden zu müssen. Dies hier ist jedoch zu wichtig, hier gibt es keine wirkliche Frage.

Fast schüchtern betreten sie die Bühne, bauen selbst ihre Instrumente auf, mit nur wenig Hilfe von Roadies. Schüchtern winken sie ins Publikum; warmer Applaus brandet ihnen entgegen. Dann ziehen sie sich wieder zurück. Vorerst. Als sie zurückkehren beginnt die vielleicht eindringlichste, mitreißendste und berückend schönste Konzertstunde seit immens langer Zeit. Selten hat Craig B. seine Melodielinien zarter, inniger gesungen, die Hände ans Mikrophon geklammert, mitgerissen vom gewaltigen musikalischen Strudel. Mit unglaublicher Intensität und meilentiefer Empfindsamkeit walzen sie mit Riffgewittern und Monstergrooves alles nieder, schichten Klangschicht über Klangschicht, punktgenau und kristallklar, brachial und doch gefühlvoll, um im nächsten Moment alle schwarzen Wolken in lichtdurchflutete Sanftmut aufzulösen, auf herrlichen Melodien weiter zu schweben. Innere Zerrissenheit, die sprachlos macht. Die reinigende Kraft der tragischen Katharsis.

Wie im Rausch versinkt das Publikum in den Klangfluten, dem Wechselbad schüchterner Zurückhaltung und großem Pathos, trinkt den Moment, den klavierversunkenen, wunderschönen Trauerwalzer "Barriers", das irre, traumhafte Wechselbad von "Indiscretion #243", das zauberschöne Conscious life for coma boy. Mit jeder Minute wird der Jubel frenetischer, die Menge verzauberter. Und plötzlich fliegt sogar noch ein roter Slip auf die Bühne. Schweiß tropft vom Zeltdach. Fast gerührt klaubt Craig ihn auf. Es ist der erste überhaupt in der Bandgeschichte - im drittletzten Konzert überhaupt. Dass sie ihren ganz besonderen Reigen ausgerechnet noch mit Post tour pre-judgement, dem vielleicht schönsten und intensivsten Song der Bandgeschichte beenden, macht diese Stunde fast noch magischer. Am Ende ist das Publikum sprachlos, überwältigt, in Trance. "Thank you... we are... we were Aereogramme" haucht Craig B. am Ende mit zittriger Stimme. "My heart has a wish that you would not split up", saust mir eine Abwandlung des letzten Albumtitels durch den Kopf. Aber wenn schon abtreten, dann so. Das perfekte Requiem für einen (geplatzten) Traum. Eine geschlagene halbe Stunde lang donnert ein Applaus-Orkan gen Bühne. Techniker, die zum Abbau verpflichtet sind, werden ausgebuht.

Zugabeforderungen aus nicht müde werdenden Kehlen reißen gar nicht mehr ab. Draußen stehen die Fans von Hayseed Dixie, die den Abend beschließen sollen, doch sie haben keine Chance. Hier geht erst einmal keiner. Hier ist die Stunde des Abschieds gekommen, und der soll gefeiert werden . Das Publikum sprengt den Zeitplan. Mit tränenfeuchten Augen betreten die einzelnen Bandmitglieder fast schüchtern noch einmal die Bühne, heben hilflos die Hände. Sie dürfen nicht weiter spielen. Das Publikum lässt sich nicht beirren, dies ist der Abschied von den persönlichen Helden und der wird ausgekostet. Niemand will sie gehen lassen. Ein Wahnsinns-Ausstand für eine fantastische Band. Irgendwann gehen wir dann doch, erschlagen, ermattet, beseelt, tief berührt. Interpol, die ein wirklich gutes Set auf der großen Bühne hinlegen, können mich zwar durchaus begeistern, doch können sie trotzdem nach diesem gigantischen Auftritt von Aereogramme nur verlieren. Eine Konzertstunde wie diese erlebt man nur ganz selten. Ich bin froh, dabei gewesen zu sein und hoffe, dass es auch nach ihrem Hinscheiden noch viele geben wird, die sich mit neugierigen Ohren einlassen und die fantastische, origininelle und berückend großartige Musik dieser Band für sich entdecken.

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Dienstag, Juni 26, 2007

Rock me like a hurricane (II)


Dixieland

Montag, Juni 25, 2007

Rock me like a hurricane (I)

Wir kommen vergleichsweise spät an. Erst am frühen Freitagnachmittag erreicht unser Kombi über die ausgewiesenen Feldwege den abgelegenen Landstrich zwischen Waldstreifen, Äckern und Wiesen, wo sich das Festivalgelände rund um den alten "Eichenring" bei Scheeßel versteckt. Eine dicke Anweiserin mit neongelber Weste schickt uns auf einen abgeernteten Maisacker, wo wir in Reih' und Glied dirigiert werden und den Wagen abstellen. Schon von Weitem lugt zwischen den Baumwipfeln das riesige Camping-Gelände hindurch mit einem kaum übersehbaren Wirrwarr abertausender oft schlecht abgespannter Iglu-Zelte und Pavillons hinter Metalldrahtzäunen. In unregelmäßigen Abständen ragen meterhohe, selbstgebastelte Fahnenmasten empor, an denen Flaggen im Wind baumeln. Gern Totenköpfe, manche Deutschlandfahnen schlabbern als Relikte der letztjährigen WM-Begeisterung umher, auch Jägermeisterbanner stehen hoch im Kurs. Leuchttürme der Orientierung, die das Wiederfinden der eigenen Zelte erleichtern.

Schon von Weitem riecht es nach Holzkohle und billigem Grillfleisch. Eine schlafsack- und zeltbepackte Karawane schlurft die letzten paar Hundert Meter bis zum Einlass. Im Trott vor uns scheppern die Böhsen Onkelz blechern aus einem Ghettoblaster. Er baumelt, festgeknotet mit Zeltabspannschnur, unter einem Bundeswehrrucksack. Dutzende Bierfässer werden, mit meterweise klebrigem Panzertape auf eine Schubkarre gefesselt, durch den Schlamm geschoben. Wir staksen zwischen Matschpfützen hindurch zum großen Eingangszelt und tauschen Eintrittskarten gegen Armbändchen. Nun sind wir angekommen, betreten den abgeernteten Stoppelacker, den Campingplatz, die wilde Großstadt für ein Wochenende. Das neue Abenteuer beginnt. Eine vielleicht Fünfzehnjährige torkelt uns entgegen. "Nadja mit den Zaubertitten! Bock, mich zu ficken?", hat sie mit Edding auf ein Stück Klebeband gekrakelt und sich quer über die Brüste gepappt.

Drei rotbekopfte Halbstarke mit bierbefleckten Muskelshirts kleben ein Pappbanner an ihren windschief abgespannten Pavillon: "Tofu ist was für Schweine! Wir grillen ganze Rinder!" Ein halbes Dutzend johlender Mädchen spielt Flunkiball. Sie stehen in zwei Gruppen einander gegenüber und versuchen mit promilleschwankenden Händen eine Wasserflasche, die aus dem Matsch aufragt, mit einem Gummiball zu treffen und umzuwerfen. Im elften Versuch hat die linke Gruppe getroffen. Sofort rennen die Mädels zu einem großen Kanister, in dem wohl Vodka-Orangensaft schwappt, reißen ihn hoch und kippen das Gesöff in gierige Kehlen. Schneller, schneller. Jeden Moment könnte die andere Gruppe die Flasche umplumpsen lassen. Dann dürfen die weitertrinken, bis man selbst wieder getroffen hat - was dauern kann, wenn der Blick zu schwindeln beginnt. Und vorher sollte man doch den Löwenanteil in den eigenen Schlünden versenkt haben. die auf dem damit diese umkippt und sie selbst weitertrinken können. Ein Langhaariger mit "Led Zeppelin"-Shirt und Kinnbart sitzt selbstversunken auf einem wackligen Campinghocker am Wegrand und versucht "Stairway to heaven" zu zupfen. Der Weg ist da, wo keine Zelte stehen. Sonst gibt es keinen Unterschied. Er verfehlt unentwegt die richtigen Bünde auf dem Griffbrett, gibt irgendwann auf, spielt "Knocking on heaven's door". Bob Dylan geht leichter von der Hand.

Wir erreichen unser Ziel: Ein Teil unserer Gruppe ist schon vorgefahren, hat netterweise auch unsere Zelte schon aufgebaut, gerade das dritte Fass Bier angestochen und grillt munter. Das Fleisch brutzelt über der qualmenden Kohle, braucht aber noch ein wenig. Einige von uns haben als Chemie-Doktoranden Trockeneis besorgt, was die mitgebrachten Lebensmittel das Wochenende über kühl halten wird. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Nur brauchen sie ein wenig länger, bis sie verzehrfertig sind. Der Weg von -78° C bis zur Knusprigkeit ist weit. Inzwischen sind wir schon eine Viertelstunde auf dem Gelände. Erstaunlich: Noch hat niemand "Heeelgaaa!" gebrüllt.

Wir beziehen die Zelte, schlürfen das erste frische Pils. Auf dem "Weg" bildet sich eine Menschentraube. Ein volltrunkener Schrank wankt barfuß, umhüllt von einem billigen Regencape, durch den Schlamm. Erste Krusten sind getrocknet und bröckeln ihm aus dem Gesicht. Er taumelt beinahe. Einige Umstehende feuern ihn an. Dann nimmt er Anlauf, springt ab und bauchklatscht mit einem kraftvollen Flachköpper ins brackige Gegubbel. Die Menge johlt. Er liegt mitten in einer Schlammpfütze, grinst triumphierend und nimmt einen Kräftigen Schluck aus seiner halbzerquetschten Bierdose. Dann torkelt er zurück. Hält sich an einer wackeligen Pavillonstange fest. Beide müssen ad hoc gestützt werden, um einen doppelten Zusammenbruch zu vermeiden. Der Mob ist gewachsen und feuert den volltrunkenen Schlammriesen zu neuen Taten an. Der lässt sich zunächst abermals rückwärts in den Schlamm plumpsen und nimmt einen breiten Plastikschlauch in den Mund, an dessen oberem Ende ein Trichter festgeklebt ist. Einer seiner Kumpels sticht eine Faxe-Dose an und kippt deren Inhalt in den Trichter. Bier-Rutsche! Effektmaximiertes Kampftrinken in Hochform. Einige lange Sekunden bleibt der Schlammsack reglos liegen. Dann patscht er mit den Handflächen in den Matsch, drückt sich mühsam hoch, kippt rücklings fast wieder um, schwankt bedenklich, wird abermals gestützt. Und abermals angefeuert. Und dann nimmt er, der tollkühne barfüßige Flieger erneut Anlauf, rutscht, springt, klatscht in den Modder. Das Publikum applaudiert. Wir setzen uns unter die Pavillondächer. Die Wolken verfinstern sich wieder. Das Fleisch wird allmählich garer, das Bierfass lockt. Ich durchblättere den Konzertplan. Fünfundzwanzig der knapp über siebzig Band-Auftritte will ich selbst in Augenschein nehmen. Ein stolzes Vorhaben, für das man sich ordentlich stärken sollte. Noch bleiben zwei Stunden - ein gemütlicher Start in ein aufregendes Wochenende.

[P.S.] An alle Kurzentschlossenen: Von 1:00-2:00h läuft im WDR ein Mitschnitt vom Auftritt des Esbjörn Svensson Trios bei den Leverkusener Jazztagen. Traumhafter Klaviertriojazz. Dringendst empfohlen!

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Donnerstag, Juni 21, 2007

Great days ahead


Wetterberichte verraten nichts Gutes. Düstere Wolkenfronten verkeilen sich, türmen sich auf zu finsteren Riesen. Es soll beinahe durchregnen. Ab Samstag mit Gewitter und Sturm. Beirren lassen wir uns nicht. Zu sehr habe ich in den letzten beiden Jahren geflucht, als ich aus ärgerlichen Gründen jeweils kurzfristig beim Hurricane Festival passen musste. Diesmal passe ich nicht. Und noch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass am Ende das Wetter doch noch passt. Mit den bei mir ganz weit oben notierten Bands wie den bedauerlichsterweise scheidenden Aereogramme, Arcade Fire, Bloc Party, Bright Eyes, Editors, Isis, Johnossi, The Good The Bad & The Queen, Kings Of Leon, Modest Mouse, Mogwai, Snow Patrol, meinen Jugendgöttern Pearl Jam, die ich nun endlich mit irrer Verspätung doch noch einmal live erleben darf und einem ganzen Haufen weiterer grandioser Bands ist das diesjährige Line-Up auch bombastisch. Und so ist das Zelt gepackt (mit Stangen und Heringen), der Brenner wasserdicht verstaut und diesmal neben dem üblichen Zelt-Gepäck auch haufenweise Regenzeug an Bord, bis hin zu Gummigaloschen und Klappspaten (um im Notfall Wassergräben ausheben und so wilde Sturzbachattacken auf unsere Zelte abwenden zu können) . Hoffen wir, dass wir nichts davon brauchen werden, auch wenn die Zeichen schlecht stehen. Aber auch im Matsch kann man Spaß haben und grandiose Konzerte feiern. Insofern: Ich bin dann mal weg für's Wochenende. Wer für den Zeitraum Neues vermisst, darf gern im Archiv buddeln und kann dort schauen, ob er denn schon alles Alte kennt. Tolle Tage Euch.

Mittwoch, Juni 20, 2007

Plattdüütske Spreekworden (X)

Well Eiers eeten will, mutt vöördem eerst döör't Höhnerstall krabbeln."

Wer Eier essen will, muss zuvor durch den Hühnerstall krabbeln.

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Montag, Juni 18, 2007

Zum Ersten, zum Zweiten... zum Jubiläum



Auch geistige Kinder altern. Fast ein wenig erschrocken habe ich heute festgestellt, dass es heute schon ganze drei Jahre her ist, dass die "Nachrichten aus Absurdistan" am 18. Juni 2004 fast wie aus dem Nichts entstanden. Damals noch in dunkelblau, mit türkisen und orangefarbenen Flächen in einem der Standard-Layouts, mit einem engagierten und in HTML-Fragen völlig ahnungslosen Kopf im Hintergrund. Mehr als ein halbes Jahr kannte nahezu niemand die Seite, sie führte ihr kleines, von der Öffentlichkeit abgeschiedenes Leben in einer Netzhöhle. Erst ganz allmählich verirrten sich plötzlich fremde Menschen auf diese Seite, die nicht zu meinem Freundeskreis gehörten. Ich erschrak. Wie hatten die hierher gefunden? Ich hatte nahezu keine Ahnung von der Blogwelt außerhalb der eigenen Seite. Ganz allmählich veränderte sich vieles, anderes ist geblieben. Und noch immer lebt die Seite, noch immer macht es Spaß, kreative Dinge auszuprobieren, Erlebnisse und Erfindungen in Erzählungen zu übersetzen, die experimentelle Spielwiese wächst und gedeiht noch immer.

Und so habe ich mir zum dritten Geburtstag etwas überlegt. Ihr seid gefragt. Denn weiterhin möchte ich die Seite spannend gestalten und zugleich auch das Niveau halten und wennmöglich noch steigern. In den Kommentaren dürft Ihr nach Herzenslust Themenwünsche, Anregungen und Ideen festtackern. Geschichten-, Themen- und Ideenvorschläge. Was wolltet Ihr schon immer von mir lesen? Was hat hier bislang immer gefehlt? Was kann besser werden? Wo wäre etwas Neues angebracht, und wenn, was? Eine geheim gehaltene Jury wird sich mindestens drei der Vorschläge schnappen, und jeweils einmal pro Woche wird es einen "Beitrag nach Wunsch" geben. Vielleicht auch weit darüber hinaus. Lasst Euch was einfallen, und seid auch in punkto Kritik (positiv wie negativ) nicht sparsam. Offene Augen und Ohren erwarten Euch, und vieles darf, kann und wird sich hier allmählich weiter verändern. Wäre doch schön, wenn es in jeder Hinsicht zum Positiven geschähe.

Sonntag, Juni 17, 2007

Karma wieder in Gefahr. Barfuß in eine Nacktschnecke getreten. Um es wieder gut zu machen, drei weitere Nacktschnecken umkurvt. Immer noch ein schlechtes Gewissen. Halb verrenkt, beim Versuch, das Bein galant ins Badezimmerwaschbecken zu hieven, um die Schnecken-Innereien abzuwaschen. War schonmal gelenkiger. Memo an mich selbst: Ballett-Karriere endgütig abschreiben.

Freitag, Juni 15, 2007

Fietspad - Dus niet brommen (V)


Ich bin ein pergamentenes Puzzle, dessen Teile sich lösen. Hauchfein blättert es fetzenweise. Zumindest einige Tage lang. Mein erster Sonnenbrand seit Jahren. Er sagte vorher nicht Bescheid, kam ganz unerwartet. Sind uns am Vortag noch Regenmassen sturmbefeuert entgegengeklatscht, ist der frische Gegenwind uns doch geblieben, so herrlich die Sonne nun auch aus wolkenfreiem Blau herab strahlt. Eine trügerische Wärme, frisch genug, in uns gar nicht den Gedanken aufkommen zu lassen, dass es angebracht sein könnte, sich einzucremen.

Wie völlig anders die heutige Tour sich zeigt. Von Gasselte aus schlängeln wir uns vergnügt auf kleinen, asphaltierten Pfaden durch Mischlaubwald, kurven zwischen Kiefern hindurch, passieren knorrige Eichen, durchqueren grüne Felder und weit geschwungene Heideflächen. An Grolloo vorbei, entdecken wir inmitten von endlosen Heidelandschaften und Gebieten, die eher an finnische Tundra erinnern, zwei versteckt gelegene Radioteleskope, streifen beinahe das alte Durchgangslager Westerbork, von wo aus Juden zur NS-Zeit in die Todeszüge gen Osten verfrachtet wurden. Eine seltsam mulmige Beklommenheit kriecht in mir hoch, Bilder uralter Lastwagen, schlammiger Wege, brauner Uniformen, Tod und Blut mischen sich mit den Blicken, die durch diese abgeschiedene, sonnenbeschienene Idylle schweifen.

Hinter Beilen erreichen wir dann das größte Naturschutzgebiet der Region, den "Nationaal Park Dwingelderfeld". Wieder schlängeln wir uns auf engen Pfaden durchs Unterholz, überqueren dickflüssige, algenwuchernde Sümpfe, aus denen tote Baumstämme wie morsche Zeigefinger aufragen, radeln durch kleine, frei wuchernde Buchweizenfeldchen. Wilder Mohn und Kornblumen grüßen in voller Blüte am Wegrand. Ein besoffener Pulk radelnder Frauen kommt uns entgegen. Die Spur halten sie nur unter großen Anstrengungen. Einige von ihnen haben sich Spiralfeder-Plastikaugen vor die Stirn gepappt, wegen derer sie zwar kaum noch etwas sehen können, die aber lustig baumeln. Sie juchzen, sie lachen, sie stürzen beinahe. Doch Betrunkene haben ja oft tapfere Schutzengel.

Wir besuchen die „Schaapskooi“, den Schafstall, inmitten der heidebewachsenen Weiten. Von hier aus schlendert ein Schäfer tagtäglich mit den wuscheligen Blökern über Feld und Flur. Er ist weit vor uns losgezogen, wir haben uns vielleicht auch etwas viel Zeit gelassen am Morgen, sind wir doch erst kurz vor zwölf Uhr abgefahren. Und doch: Nachdem uns tags zuvor die Eisenbahnbrücke im Regen stehen lassen und aufgehalten hat, findet sich auch diesmal ein Hindernis auf unserer Reise.Denn die Herde von mindestens Hundert Heidschnucken, die wir eigentlich an ihrem „Schaapskooi“ besuchen wollten, grast vielmehr einige Kilometer weiter mitten auf unserem schmalen Radweg, blökt munter und macht zeigt kein gesteigertes Interesse daran, kurzzeitig auf das Abrupfen und Zerkauen der flachen Grashalme am Wegrand zu verzichten, um uns vorbei zu lassen. Nur zögerlich tapsen sie mit ihren zahnstocherdünnen Beinen ein Stück seitwärts, grummeln uns ein halb entspanntes, halb nörgeliges „Määh“ zu und bewegen ihre wollüberwucherten Leiber ein kleines Stück.

In Ruinen machen wir Halt, rasten ein wenig. Entgegen des Namens, ist Ruinen überaus gut erhalten, bestzt unzählige winzige Häuschen, von denen nicht eins kaputt ist, malerische Vorgärten und keinen Hauch von Verwitterung, Zerstörung und Verlassenheit. Wir gönnen uns am Dorfplatz frisch gebackenen, noch warmen Apfelkuchen mit Zimtstreuseln. Ein absolutes Gedicht und willkommene Stärkung, denn es liegen noch einige Kilometer vor uns, die Zeit rollt nicht rückwärts, und irgendwann schließen die Campingplatzrezeptionen. Von hier ab wird es friesischer. Bauernhäuser drömeln an schnurgeraden Straßen, Milchvieh grast auf saftigen Weiden. Der Wald bleibt hinter uns, das Ijsselmeer rückt näher, auch wenn wir kilometerweit Abstand dazu halten werden.

Nach abermals knapp achtzig Kilometern, die sich am Ende auf nicht enden wollenden Straßen geradeaus hinziehen wie zähtrüber Rübensirup, erreichen wir unser Ziel dann aber doch, spät, zur Tagesschauzeit, aber noch rechtzeitig. Wir schlagen unser Quartier auf in Westeinde, knapp außerhalb von Wanneperveen, auf einem kleinen Motorbootcampingplatz inmitten riesiger, schilfumrankter Seen. Direkt an einer der winzigen Grachten, in denen die Boote dümpeln und an die sich die Dauercampingcontainer kuscheln, bekommen wir ein kleines Stück Hecke und wähnen uns plötzlich im Nebel. Doch ist es kein milchiger Wasserdampf, der heraufzieht, es sind Mückenschwaden, dicht wie Rauch, ein bissiger Vielvölkerstaat, der sich blutrünstig mir entgegen stürzt, während ich – noch benetzt mit Mannesschweiß des Tages – nach dem Aufbau unserer Unterkunft vor dem Campingkocher knie, um das Abendessen zuzubereiten. M. ist das Privileg vergönnt, sich zuerst unter die erfrischende Brause zu schlagen.

Immer wieder schlage ich wild umher, doch die Blutsaugerwolke gibt sich ungerührt, wünsche mir ein Moskitonetz, fege beinahe den Topf vom Brenner, indem die Pasta für das Abendessen brodelt. Als alles verspeist ist, flüchte ich in die Dusche, spüle mir die Strapazen des Tages vom Leib, tausche den mückenmagnetischen Schweißduft mit Pfirsich-Odeur des Duschgels und erschrecke ein wenig. Meine Füße sehen aus wie Bahnschranken, rotweiß gestreift, halb belichtet von der Sonne, halb abgedeckt durch die Sandalen. Auch Arme und Nasen sind rot wie Hummerfleisch, das aus kochend heißem Wasser gezogen wird. Zu frisch war der Wind, da kommt man schnell darüber hinweg, sich einzucremen. Nun, es schmerzt nicht, außerdem bin ich Indianer. Ein Indianer, der vielleicht auch die Sonnenresistenz seiner Haut überschätzt hat.

Zurück am Zelt, haben sich die Stechbiester ein neues Opfer gesucht. M. scheint ihnen gar noch besser zu schmecken, denn von nun an lassen sie mich in Ruhe. M. wird am nächsten Tag über vierzig rote Stiche zählen dürfen, ich finde meine Stiche am nächsten Morgen nicht wieder. Doch vorher setzen wir uns noch auf einen Steg an einem der großen Seen, schreiben Tagebuch, lesen ein wenig, trinken Bier und gönnen uns die erste, köstliche Milchtüte voll mit Vanille-Vla. Unter unseren Füßen schwappt Wasser selbstverloren gegen die Steg-Pfosten. Die Sonne geht inzwischen unter. Wir sitzen immer noch da, genießen die Mückenfreiheit dieses Fleckens, reden leise, starren fast kontemplativ ins Dunkel. Zwei Motorboote fahren mit kleinen Leuchten hinaus in die Finsternis. Nacheinander. Mit etwa einer Viertelstunde Abstand. Hinaus auf's große Nass. Wohin sie wollen? Wir wissen es nicht. Es hat fast etwas Unheimliches. "Vielleicht versenken sie ein paar Kinderleichen an einer abgelegenen Stelle im Schilf?", mutmaße ich. M. bleibt skeptisch. Zurecht. Wir werden es nicht klären können. Und so schlurfen wir zurück zum Zelt, werfen noch einen Blick über die um Dunkeln von Lichtern glänzende Minigracht vor unserem Zelt, klettern dann in unsere kleine Unterkunft, verriegeln das Innenzelt mit dem Mückengitter besonders sorgfältig und legen uns schlafen.

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Mittwoch, Juni 13, 2007

Ein neuerlicher Besuch im Paralleluniversum - Ole wagt sich auf ein Konzert der Münchener Freiheit (I)


Dort, wo die Masse des Publikums an die Bühne brandet, findet man gemeinhin den "Moshpit". Zumindest bei brachialeren Rock-Fraktionen. Entfesselte Fans verheddern sich zu Knäueln, quetschen sich gegen einander und die Absperrungen, zucken mit ihren jungen Hälsen im Takt, schleudern ihre Haare umher, recken ihre Arme, tanzen, springen, keifen und grölen. Just, bei einer krachenden Punk-Combo in einer Seitenstraße. Auch auf dem Domplatz drängelt sich das Volk bis dicht vor die Bühne, doch ist ansonsten vieles anders.

Wenn sich noch Haare auf den Häuptern finden, so eignen sie sich nicht zum Umherschleudern. Dafür sind sie zu kurz geschnitten. Vielfach umkränzen sie silberglänzend und schütter die Falten der hohen Stirn. Bisweilen sind sie auch durch Dauerwellen oder umfassenden Schaumfestigereinsatz auch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. In diesem Fall fehlt dem Moshpit vielleicht vor allem die Jugend, der Ungestüm, der das Explodieren der Masse in wilder Ekstase ausbleiben lässt. Nun hat sich für heute abend allerdings auch keine Band der brachialeren Rock-Fraktion angesagt, auch wenn das riesige Drumset mit zwei Bassdrums, haufenweise Toms und einem Himmel aus Becken fast derlei vermuten ließe.

Herzschlag ist der Takt für sanftes Hüftwiegen und Klatschen an diesem Abend. Es ist gesetzter Jubel, reife Anerkennung und Freude an sanft ergrauten Erinnerungen. An die Zeit vor etwa zwanzig Jahren, als vier junge Münchener mit komplexer Mehrstimmigkeit, einer Mischung aus schmeichelweicher Zärtlichkeit und deftigen Gitarrenakkorden ihre eigene, anspruchsvolle Variante der Schlagermusik erfanden und Teile des Landes in Bann schlugen.

Heute ist also der Abend, seine eigenen Erinnerungen zu bejubeln. An damals, als man selbst noch viel jünger war, als alles viel intensiver roch und schmeckte, als das Leben noch weit wilder kribbelte. Bei mir selbst sind es Erinnerungen an die Zeit der Einschulung. An den selbstgenähten Teddy, den mir meine Mutter geschenkt hat, an die Schultüte, meine riesigen, kreisrunden Brillengläser, an Höhlen aus Ästen, Gras und Laub im Wald, an die Minitrix-Eisenbahn oder die ersten Paraden als Torhüter in der E-Jugend des VfR Heisfelde. Ohne Dich schläft heute keiner der Anwesenden ein. Die Münchener Freiheit ist auf das Münsteraner Eurocityfest gekommen, um open air und kostenlos "Gefühle, die ich nie vergaß" zu wecken. Nach dem Konzertbesuch bei den Hawaiihemdengöttern des Schlagers ergibt sich nun also die zweite Chance in eine musikalische Welt fernab meiner sonstigen musikalischen Präferenzen.

Klebrig kräht das Keyboard zu Beginn, als die Band die Bühne stürmt. Die Bindung zu den Erinnerungen erwacht prompt. Mehrere Tausend Ichs bejubeln mit "Tausendmal Du" gleich den ersten Hit, der in ihrem Gedächtnis wieder lebendig wird. Der Schlagzeugsound ist ein wenig mumpfig; ansonsten klingt alles haargenau wie damals. Die Stimme Stefan Zauners ist immer noch traumhaft weich und angenehm, herrlich zart wie Erdbeercreme und gleitet zum Refrain geschmeidig ins Falsett. Aron Strobel sieht immer noch leicht brägenklöterig zwischen seinen langen Krüssellocken hindurch, während er sein Plektrum über die Gitarrenseiten schubbert.

Und doch sind zwanzig Jahre nicht spurlos die Isar hinab geflossen. Stefan Zauner hat sich längst getrennt von den einstigen haarspraybetonierten Fransenzotteln. Ersetzt hat er diese durch eine pomadetrunkene Fönwelle, mit der er optisch nahe an den ehemaligen Erotikfilmdarsteller und Glücksrad-Moderator Peter Bond und an - ja - die tschechische Goldkehle, den Titelliedbarden von Biene Maja, an Karel Gott rückt. Micha, der Bassmann, hat seinen schnöden Viersaiter inzwischen ersetzt. Inzwischen zupft er, kokett und lässig lächelnd, einen silberglänzenden, kleinbauchigen Fünfsaiter mit überdimensionalem Tragegriff, der eher an einene futuristische Weltraumwaffe oder eine Science-Fiction-Holzsäge erinnert.

Dass es bei allem eher die großen Glanzlichter der Karriere sind, auf die das Publikum wartet und die es kennt, wird gleich danach deutlich. Denn nach ihrer großen Zeit, Ende der achtziger Jahre, haben die Vier durchaus noch in munterer Reihenfolge Alben eingespielt, siebzehn inzwischen, doch hat kaum noch jemand ernstlich Notiz davon genommen, scheint es. Diejenigen, die eben noch vollkehlig jede Zeile auswendig mitsangen, kräuseln unsicher die Stirn, bewegen die Lippen nurmehr unsicher oder gar nicht mehr. Eher lauschen sie interessiert den Songs, von denen sie sich erst eine Meinung bilden müssen, ob sie diese für interessant halten.

to be continued...

P.S.: Das Foto stammt von Andreas Lepsi und erscheint hier mit dessen freundlicher Genehmigung.

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Sonntag, Juni 10, 2007

Fietspad - Dus niet brommen (IV)

Manchmal muss man die Hoffnung schon in den Gegenwind geschossen haben, ehe sich Wünsche erfüllen. Irgendwann, als ich schon zigfachst nach Blicken in den Himmel den Zeltaufbau bei Sturm und Regen, das Versenken der Häringe in wasserweichen Matsch und das morgendliche Einpacken der feuchtdreckigen Planen im Kopf durchgespielt habe, ebbt der Regen doch noch ab und versiegt allmählich. Rund achtzig Kilometer haben wir inzwischen niedergekämpft, als wir in Gasselte ankommen, wo es glücklicherweise gleich mehrere Unterkünfte zur Auswahl gibt. Der erste Campingplatz bietet Golf, Tennis, Massagen und wahre Freizeitparkatmosphäre feil zu Preisen, die mich beinahe schwindeln lassen, des zweiten Rezeption ist bereits seit über einer Stunde nicht mehr besetzt. Der dritte, „De Berken“, vereint hingegen alles, was wir uns wünschen: Eine geöffnete, überaus freundliche Rezeption, einen sehr gepflegten Zeltplatz, von Laubwald umgeben, vor allem aber blitzsaubere, moderne Sanitäranlagen. Die Toiletten- und Badezimmertüren werden bewacht von aufgemalten Zwergen, die sich ebenfalls waschen oder ihren Geschäften nachgehen.

Wohl kaum etwas Traumhafteres lässt sich nach einem durchnässten, durchfrorenen und abgekämpften Tag denken als eine heiße, ausgiebige Dusche, ein kräftigendes, warmes Abendbrot und ein kuscheliger Schlafsack. Nachdem der Sturm sich zunächst einen Spaß daraus machte, die Unterplane wie eine Brötchentüte umher zu wirbeln, bändigen wir sie, stellen das Zelt auf feste Füße, verankern und vertäuen es im Gras, machen es zu unserer wetterfesten Trutzburg, und so folgen die Wunscherfüllungen einander. Der Campingkocher hinter seinem Windschutz versteckt, schnurrt und befeuert den Topf, in dem Suppe, Würstchen und im Anschluss frischer Tee brodeln. Die klatschnasse Hose kann, nun, wo der Regen sich verdrückt hat, auf einem futuristischen Klettergerüst trocknen.

Die Dusche erfrischt, wärmt auf und haucht zusätzliche neue Lebensgeister ein. Leises Grummeln bewirkt indes, dass der zusätzliche, angeblich so wasserdichte Übersack für den Schlafsack von M. sich als heimlicher Freund von Tröpfcheninfusionen erweist und der gesamte Schlafsack an den Nähten und dem Kopfstück klamm und feucht ist. Es wäre sonst vielleicht ja auch beinahe zu einfach gewesen. M. klettert. als Schlafsackschlumpf ins Waschhaus unter den großen Fön, das Heißluftgebläse treibt dem klammen Sack die Nässe aus, und so ist die trockene erste Nacht im Nachbarland gerettet. Ein frisches Heineken rundet den versöhnlichen Abend ab, ehe die Augenlider schwer werden und ein traumloser Tiefschlaf mich überfällt.

Und welch Überraschung am nächsten Morgen: Nicht nur der Müdigkeit wegen reibe ich mir die Augen. Ein lasurblauer Himmel lugt zwischen den Baumkronen hindurch, Sonnenstrahlen lassen das taufrische Gras glitzern. Über Nacht hat das Wetter die Handbremse gezogen und eine famose Kehrtwende hingelegt. Tonnenschwere, massive Wolkenteppiche sind über Nacht zerstoben, haben sich in Nichts aufgelöst. Der zweite Tag wird eine ganz andere Geschichte erzählen können. Froh darüber, den Survivalkampfgeist erst einmal in den wasserdichten Fahrradtaschen verstauen zu können, frühstücken wir knusprige Brötchen, schlürfen abermals frischen Tee und blicken weitaus leichteren und vergnügteren Herzens der neuen Etappe entgegen, während sich in unserem Rücken kleine Zicklein im campingplatzeigenen Streichelzoo um Kiefernzapfen balgen. Das Karma wird diesmal auf zu umkurvende Schnecken verzichten können.

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Freitag, Juni 08, 2007

Fietspad - Dus niet brommen (III)


Sparzwang herrscht in den Niederlanden auch mit Blick auf den Nachwuchs.

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Mittwoch, Juni 06, 2007

Fietspad - Dus niet brommen (II)


Bonjour Tristesse. Und wie wichtig Wäscheaufhängen werden kann. Mit scharfem Blick und hellwachem Hirn.

Die bleigrauen, tief hängenden Wolkentürme verschieben sich zu immer schwereren und dunkleren Gebilden, schlagen leck und entladen sich in unermesslichen Regenmassen, die uns, vom Gegenwind in Schwung gebracht, unablässig ins Gesicht klatschen. Schnecken kriechen aus dem nassen Gras auf Wege und Straßen. Eine der ersten von ihnen wird versehentlich von meinem Vorderrad erwischt, zermatscht und halbiert. Schlecht für’s Karma. In spiegelflachen Serpentinen schlängelt sich der Weg durch die kleinen Overledinger Bauerndörfer, mit ihren saftigen Wiesen, verschlafenen Höfen, kleinen Tümpeln, reglosen Sieltiefs und idyllischen Häuschen. Kopfsteinpflaster ziert die innerdörflichen Wege, die die Örtchen hübscher und die Fahrt hubbeliger machen.

Inzwischen schon neun Schnecken umkurvt. Das Karma hellt sich auf, das Wetter nicht. Regen peitscht immer noch windbeschleunigt. Wir queren die Ems in Richtung Weener über die uralte Eisenbahnbrücke. Machtvoll demonstriert sie ihr Klappbrückendasein, reißt ihren Schlund auf, reckt ihren gigantischen Klapparm gen Himmel. Mitten über den sandgrauen Fluten müssen wir auf dem hauchengen Überweg vor einer kleinen Schranke bremsen, werden vorerst gestoppt; getragen von verwittertem Stahl und schmalen Holzbohlen, zwischen denen der Blick in die Tiefe rutscht. Über Wasser, unter Wasser, denn der Regen lässt sich auf keine Beschwichtigungen ein. Zwanzig Minuten verharren wir in der Enge des Raumes vor der geschlossenen Schranke. Ein Frachter nach dem nächsten schiebt sich durch die Fluten, und die Flut schwemmt so hoch, dass eine Unterfahrt bei geschlossener Fahrt unmöglich ist.

Mein Telefon klingelt plötzlich. Der Empfang ist schlecht, doch inmitten des Knarzens erkenne ich die Stimme meines Vaters. Er habe just Wäsche aufgehängt und im Keller eine Entdeckung gemacht, die uns interessieren könne. Wie wir denn zu nächtigen gedächten? Na, im Zelt. Flach auf dem Boden liegend? Ja, schon, nicht stehend, nicht sitzend, ohne Hochbett. Ob wir sicherheitshalber aber nicht doch noch Zeltstangen und Häringe mitnehmen wollten, damit es nicht ganz so flach werden muss? Potz Strahl! Haben wir denn etwa…?

Die habe er jedenfalls im Keller gefunden, in der Ecke, wo zuvor das Zelt gehangen hatte, unterhalb liegend. Etwas blass um die Nase wird mir bewusst, dass wir müdigkeitstrunken nicht mehr alle Unterpunkte „Zelt“ auf der Liste abgehakt haben und bewusstseinsschlaff tatsächlich das Zelt ohne Stangen eingerollt und auch nicht den Häringsbeutel im großen, wasserdichten Sack verstaut haben. Alle Gesichtsfarbe rutscht mir aus dem Gesicht, zerläuft auf der Regenjacke, mischt sich mit Regen und tropft in die Ems.

Dem Super-GAU nur knapp entronnen. Mein Vater macht sich auf den Weg, wir warten unruhig und aufgewühlt vor dem tiefen Wasserloch, von dem wir uns sehnlichst wünschen, es möge sich endlich wieder schließen, sodass wir Weener wenigstens vor meinem Vater erreichen. Es glückt. Die befürchtete Standpauke bleibt aus, zur Stärkung unserer nassgeregneten Leiber geht es gemeinsam in ein kleines chinesisches Restaurant. Dort erfahren, dass Buddha möglicherweise Raucher ist. Zumindest sind ihm neben Räucherkerzen auch Zigaretten geopfert worden. Ob er selbst sie geraucht hat oder seine Verehrer, lässt sich nicht ermitteln. Zumindest klebt kein Lippenstift an den Filtern. Von Dankbarkeit beseelt und wieder innerlich erwärmt, verabschieden wir uns ein zweites Mal voneinander. Er braust mit dem Land Rover heim, wir kurbeln uns unter finsteren Wolken hindurch gegen Wind und Wetter in Richtung holländischer Grenze. Zwölf weitere Schnecken umkurvt und leben gelassen. Karma klettert in den grünen Bereich, Himmel nicht.

In Bellingwolde wollen wir Kaffee trinken, uns stärken und M. hat sich von mir überreden lassen, nun doch trotz optischem Zähneknirschen die inzwischen triefnasse Jeans auszuziehen und stattdessen die lange, leichte und eng anlielegende Radhose aus Lycra anzuziehen, so deppert diese auch aussehen mag. Gute Kühlung mag bei schmerzendem Knie helfen, aber nasse Kälte, die in Poren und Glieder kriecht, die bei jeder Bewegung kalt klebt, knautscht und den Körper von innen auskühlt, nicht.

Die Kilometer schleichen dahin, vom Kampfgeist niedergerungen, jeder einzelne. Erst am Ende des kilometerlangen Dorfes finden wir ein kleines uriges Hotel, das nicht geschlossen ist. Warmer Tee und Karamellkekse werden zur größten Köstlichkeit seit Langem. „De Telegraaf“ liegt am Rand unseres runden Tisches. Ich durchblättere die Zeitung auf der Suche nach der Wettervorhersage, bleibe zunächst einmal aber beim Horoskop hängen. Für mein Sternzeichen empfiehlt es. „Sie sollten heute keine Reisen unternehmen.“ Die Warnung erreicht uns spät. Beim Aufsitzen für die Weiterfahrt fällt auf, dass M.s Lenker sich ein wenig gelockert hat. Meinem Werkzeug mangelt es leider ausgerechnet an dieser Inbusschlüsselgröße. Doch der Hôtelier ist höchst freundlich und leiht uns das Inbusschlüsselset des Hauses.

Am Ende des Ortes biegen wir auf einen schmalen Radweg quer durch die Felder. Mehr Schnecken als Spalten zwischen den Steinen haben sich hier auf die Fahrbahn geklebt. Umkurvte Schnecken: Siebenundvierzig. Überfahrene Schnecken: Keine weiteren. Diskussionswürdig bleibt, ob schwarze Schnecken mehr, weniger oder genau so viele Karmapunkte zählen wie braune. Und ob Schnecken mit Haus Bonus- oder Minuspunkte geben. Abseits des Karmagedankens freut jede umfahrene Schnecke schon allein, weil sie ein kleines Stück weiteren Vorankommens in Richtung Ziel bedeutet.

Ein wenig werden die Hände taub, von Kälte, Muskelspannung, Druck und Gewicht. Im nächsten Dorf finden wir zum Glück einen kleinen Fahrradladen. Der Besitzer lächelt schief, fast verschlagen und sieht aus wie Kurt Beckstein. Er hat noch zwei Paar Radhandschuhe in unserer Größe, die sogar optisch noch halbwegs passabel erscheinen. Die Preise lassen mich zusammen zucken, doch etwas atme ich auf, als er mir in breitestem Holländisch erklärt, dass es sich beim ausgewiesenen Betrag nicht um Euro sondern Gulden handelt. Sechs Jahre scheint das Handschuhpärchen in diesem ereignisarmen Laden zugebracht zu haben. Nun dürfen sie mit auf Reise, hinaus in Kälte, Regen, Wind.

Durch die unfreiwilligen Pausen, Tee-Erholung und die vergleichsweise gemächliche Reisegeschwindigkeit (auch, um M.s Knie zu schonen), zerrinnen die Stunden weit schneller als uns das Vorankommen glauben macht. Und so rücken die Abendstunden allmählich heran, was leichten Zeitdruck zeitigt, schließlich wollen wir ja noch vor Rezeptionsschluss das Ziel erreichen.

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Montag, Juni 04, 2007

Fietspad - Dus niet brommen (I)



Die Vorabfahrtsnacht war kurz. Ein paar Schlafkrümel rieselten noch aus nur halb geöffneten Augen in den frisch aufgebrühten Frühstückstee. Fast ein wenig müdigkeitsstumm dämmerten wir der Abfahrt entgegen. Mehrfachst waren wir am Tag zuvor die Listen durch gegangen. Alles dabei? Den neuen Benzinbrenner hatten wir getestet – funktionstüchtig. Ein kleiner, faltbarer Plastikwassersack daneben gestopft, um nicht andauernd vom Zelt zu den Sanitäranlagen schlurfen zu müssen, für das Kochen sowie den obligatorischen Abend- und Morgentee.

Geschirrtücher, T-Shirts, Hosen, Unterwäsche und Socken wurden wie winzige Fischröllchen zusammengestaucht und aufgewickelt. Fleece-Pullover und –Hosen für die kühlen Abendstunden nach getanem Werk und wohlverdienter Dusche waren auch an Bord. Ein kleiner Schwamm zerschnitten und in einer Filmdose verstaut, Duschgel und Shampoo sowie Spülmittel in kleine Wäschefärbefläschchen umgefüllt. Die Schlafsäcke zusätzlich in alte, wasserdichte Bundeswehrschlafsackbeutel gestopft.

Das Kochgeschirr, Werk- und Flickzeug sowie Besteck eng verpackt, leichte Kunststoffbrettchen und Becher, denn alles Gewicht muss selbst geschleppt werden, und es ist nur so viel Platz wie die Fahrradtaschen lassen. Alles feinsäuberlich in kleine transparente Plastiktüten gewickelt, um das Durcheinander zu bündeln und die Atmung des Chaos von vornherein flach zu halten. Die Gepäckträgerschrauben waren ruckelfrei festgezogen, der Luftdruck der Reifen geprüft, die Kette geölt.

Auch die Route war bereits ausgetüftelt. Eigentlich war alles vorbereitet, vielleicht nicht von langer Hand, aber im Rahmen der Möglichkeiten. Eigentlich. Morgens musste nur noch das Zelt von den Wäscheleinen im Keller genommen werden, denn die Güsse des Vortags hatten das Außenzelt und die Unterplane klitschnass geregnet, und ein nasses Zelt einzupacken und später nass aufzubauen hat bislang nur selten zu den spaßigeren Dingen des Lebens gehört.

Die Teekerze flackerte schüchtern, während wir in unsere Brötchen bissen, schon in Gedanken auf den fast achtzig Kilometern, die uns noch bevorstanden. Die Stirn kräuselte sich bei den Blicken aus dem Fenster nach draußen, zwischen den grünen Baumkronen hindurch. Düster dräuende Wolken hingen tief, Wind fegte aus West-Südwest, exakt der Richtung unseres Ziels. Besserung war zwar angekündigt, doch nicht mehr für diesen Tag. Und eine weitere Frage blieb: Mochte das Knie von M., das sich seit zwei Tagen aus heiterem Himmel mit zwickenden Schmerzen immer wieder meldete, halten? Ist das Knie doch das vielleicht zentralste Gelenk bei einer Fahrradtour. Eine Manschette hatten wir zum Glück, dennoch man weiß ja nie.

Wenn noch viel Wegstrecke zurückzulegen ist, sollte man nicht ewig frühstücken. Und so kletterten wir alsbald in den Keller, zupften das Zelt von den Leinen, rollten es ebenfalls zusammen, bepackten die Räder und radelten los.

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