Freitag, September 28, 2007

Die Nachteile der Vorteile

Der Fortschritt hat etwas Faustisches. Seine schillernden Errungenschaften ermöglichen den Nutzern, Raum und Zeit binnen Sekunden zu überspringen und zu vergessen, Kontaktpflege mit Menschen in der Antarktis, punktgenau fertig gewaschene Wäsche dank ferngesteuerter Waschmaschinen mit Zeitschaltuhr oder frühstücksknuspriges Brot dank programmierbarer Brotbackautomaten. Aber viele Fähigkeiten gibt man allzu schnell in die Hände der Technik, lehnt sich zurück und lässt den Tempomaten die Fahrgeschwindigkeit regeln, lässt das Automatikgetriebe das Schalten übernehmen und steht wie der Ochs vorm Berg, wenn es plötzlich nicht mehr funktioniert. Fortschritt macht abhängig. Das ist die faustische Schattenseite der strahlenden Vorteile. Nicht allein im Sinne von Sucht, dem permanenten Verlangen, beispielsweise Tage und Nächte in den Reizfluten von Internet oder Computerspielen zu baden. Nein, "abhängig" im Sinne von "angewiesen".

Im Räderwerk meines Lebens knirscht zurzeit gehörig Sand: Das Modem streikt daheim, kein Netz. Missmutig grummelnd gifte ich den schwarzen Kasten an, fluche vor mich hin und ärgere mich, wie umständlich inzwischen allzuviel geworden ist, ohne Netz in den eigenen vier Wänden. Journalistische Artikel und Fotos verschicken sich leider schlecht per Post. Doch schlimmer noch: Die Kommunikation strumpelt. Kontakt zu heißgeliebten Personen außer Landes wird urplötzlich schwierig. Technik, die entgeistert.

Und selbst wenn alle Geräte schnurren, ist es doch merkwürdig: Die Herzensdame hockt in Finnland und doch meint man ihren Atemhauch am eigenen Ohr zu spüren, wenn man via Skype miteinander telefoniert. Da scheint so viel Nähe in der Distanz. Und plötzlich schmachtest Du ein grün leuchtendes Oval an, den digitalen Statthalter. Mitten im Gespräch vergisst Du alle Entfernungen und wirst urplötzlich wieder machtvoll von der Wirklichkeit eingeholt. Irgendwann sind alle Abenteuer und kleinen Geschichten des Alltags erzählt, die witzigen und skurrilen Momente berichtet, Sehnsüchte ausgetauscht, Sorgen und Hoffnungen ausgebreitet. Und dann tritt plötzlich das Schweigen ein. Der Moment, in dem man sich in direkter Nähe einfach umarmt, aneinander kuschelt, in die Rippen piekt oder küsst und übereinander herfällt. Doch stattdessen flackert nur ein Monitor, der Plüsch-Elch auf dem Bett zuckt mit den Schultern und in den eigenen vier Wänden ist niemand außer Dir selbst und dem Laptop. Die unbändige Freude über gefühlte Nähe, den geliebten Stimmklang, witziges Frotzeln und lebhaft durcheinander purzelnde Wortwechsel knallt auf das erwachende Bewusstsein, dass alles zumindest teilweise Illusion ist und wird kalt abgeduscht. Die Erkenntnis steht pitschnass und frierend da und sieht die vorigen Illusionen zerbröseln.

Und die Frage schleicht ins Hirn, wie all dies früher überwunden worden ist. Wenn gar nicht erst die Chance bestand, die Stimme des Partners zu hören dank moderner Technik, wenn vielleicht ein Telefonat in zwei Wochen schon ein absolutes Highlight wurden. Ohne Technik hätte man sich nie soweit voneinander entfernen können - ohne Züge, Flugzeuge, Autos, Kutschen. Und auch Telefon und Briefe sind ja technisch versandt. Heute kaum mehr vorstellbar, wie es war, als Bücher in Universitäten per Zettelkasten gesucht werden mussten, anstatt sie von irgendwo auf der Welt im Online-Katalog nachzuschlagen und Fernleihen träge Wege in Briefumschlägen auf sich genommen haben. Man gewöhnt sich viel zu schnell an den Fortschritt, gibt sich selbst aus der Hand, macht sich abhängig und steht wie der begossene Pudel da, wenn es plötzlich nicht funktioniert. Und dessen faustischer Kern lacht sich ins Fäustchen.

Donnerstag, September 20, 2007

Großartige Musik für Neugierige Ohren (IX)


Der Herbst rückt näher. Die ersten Blätter schrubben sich das Grün vom Leib, frösteln im erkaltenden Wind und segeln regentropfenumtanzt gen Boden. Mancher hat das Sommerbett zurück in den Schrank gestopft und kuschelt sich wieder unter dickere Decken. Die ersten Heizungen werden eingeschaltet. Klamme Finger klammern sich an warme, dampfende Becher mit Heißgetränken. Zeit, den Herbst mit einem tiefen Griff in die musikalische Schatztruhe zu begrüßen und neugierigen Ohren neues Futter und die Möglichkeit zum Entdecken von vielleicht Unbekanntem zu ermöglichen. Und vielleicht im Anschluss auch ein paar lohnende Neuanschaffungen ins CD-Regal zu stellen.
Mit „The stage names“ haben die famosen Okkervil River für mich eins der großartigsten Alben des an Höhepunkten wahrlich reichen Musikjahres geschaffen. Schwungvoller, knackiger als vorher und doch schimmert noch immer die sanfte Sehnsucht durch’s Unterholz. Neugierig? Our life is not a movie or maybe gibt einen ersten Eindruck.
Binnen kürzester Zeit hat sich auch Patrick Watson mit seinen unglaublich traumversponnenen, einfallsreichen Kleinoden einen Spitzenplatz in meiner Gunst ersungen. Die Songs brauchen mehrere Anläufe, geben ihre Strahlkraft und ihren Zauber erst allmählich frei, zünden dann aber ein poetisches Feuerwerk im Hirn. Luscious life und Giver gibt es hier zu entdecken.
Herrlich ist auch Make a plan, einer der neuen Songs von Saturday Looks Good To Me. Auch Beirut haben ihrem famosen Balkan-Folk-Erstling einen Nachfolger zur Seite gestellt, von dem es hier A Sunday smile zu hören gibt. Wunderschönen, zarten Indierock gibt es im Anschluss von The Good Life mit >You don’t feel like home to me. Famos entwickelt sich auch das neue Album von Maritime. For science fiction bricht nicht in den Orbit auf, bohrt aber tolle Powerpop-Melodien in die Hirnrinde und lässt die Knie vergnügt wippen. Große Gesten, treibende Rockriffs, bombastische Momente und verschlungene Pfade verzwirnen Circa Survive auf „On letting go“, ihrem neuen Album. Großes Kino, das hier mit The difference between medicine and poison is in the dose über die trommelfellene Leinwand flimmert.
Quirligen, vorwärts wuselnden Rock zwischen Ohrwurm und angeschrägten Riffs bieten Pinback mit From nothing to nowhere. Wahnsinnig und großartig zugleich entwickelt sich auch das neue Album von Sunset Rubdown. Nichts für flüchtige Ohren, wächst es mit jedem Hören mehr und erfrischt das Ohr mit brachialer Zartheit und tonnenschwerer Leichtigkeit. Winged/Wicked things lässt schon mal vorschmecken. Rogue Wave haben auch ein neues Album gebastelt und lassen mit Chicago x 12 einen feinen Popsong vom Stapel. Filigran gewobenen, leichtfüßigen und bezaubernden Pop gibt es auch von den Moonbabies mit Walking on my feet. Nicht sonderlich krank, aber ebenso schön ist auch die Countryfolkballade Just a little insane von Kristofer Aström, einem meiner Lieblings-Schweden.
Nochmals hinweisen möchte ich auch auf die fantastische, liebevoll gestaltete Internetseite Daytrotter, wo sich unzählige musikalische Geheimtipps tummeln, die extra für die Seite neue, frische Versionen ihrer Songs noch einmal einspielen, von denen es dann gleich mehrere zum kostenlosen Download gibt. Eine wahre Offenbarung. Von dort stammen auch die beiden famosen Versionen von Hail Mary und Fierce little lark der absolut fantastischen Shearwater sowie Get down und Hand in hand der großartigen Get Him Eat Him. Eine verblüffende Erkenntnis in den verspulten Jungs von Carribean ins Hirn geschlüpft: Stockhausen dient dem Imperialismus. Wer’s nicht glaubt, darf hier nachhören.
Mit seinem butterweichen, traumschönen Cover der alten The Knife-Nummer „Heartbeats“, zu der in einem Werbeclip Myriaden bunter Flummis durch San Francisco hüpften, ist José González mitten in die gleißenden Scheinwerfer des Ruhms gestolpert. Nun hat er eine neue, kargschöne Platte gemacht, auf der sich diesmal abermals eine Coverversion findet – der Massive Attack-Klassiker Teardrops, hier in einer Live-Aufnahme. Auch sehr nett: My rights versus yours der New Pornographers. Und noch immer sprengen Giardini Di Miró jedes Klischee zeitgenössischer italienischer Musik. Verträumt, kühl, rockig, fast ein wenig nordisch. Von ihrer neuen Platte „Dividing opinions“ könnt Ihr hier die Nummer Broken by einem Intensivtest unterziehen. Allseits abgefeiert als aufregendste Elektronik-Tanzplatte der Saison, haben Justice mit ihrem Album „“ abgeräumt. Zum Abschluss darf hier also mit D.A.N.C.E. der Astral-Arsch geschwungen werden.

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Dienstag, September 18, 2007

Wulnikowski entdeckt Neuland (III)

Wulnikowski gießt kristallklares Wasser in die Kaffeemaschine, zupft einen Kaffeefilter aus dem Holzgestell darüber, stülpt ihn in den Trichter und klappt die Kaffeedose auf. "Wie viel Kaffee willst Du, Joost?"
"Mach mal zwei Becher für mich."
Fünf mal taucht Wulnikowski einen tiefen Plastiklöffel ins dunkle Pulver und lässt ihn die Filtertüte rieseln. Es duftet. Mit jedem Löffel stärker. Dann blickt er auf den Küchenboden, reibt seine Schläfe, zerfurcht die Stirn, schüttelt den Kopf, grinst und klaubt aus der Lebensmittelkammer einen Handfeger. Etwas hüftsteif kniet er sich auf die Fliesen, um das Kekskrümelgewirr auf die Plastikschaufel zu schieben. Joost schlurft vor die Fensterscheibe und drückt an seinem linken Augenlid herum.

"Ist was mit Deinen Augen nicht in Ordnung, Bester?"
"Ich glaube, ich habe mir eine eine Dallitis eingefangen."
"Was ist das denn?"
"Die Karldallisierung meiner äußeren Erscheinung nimmt seit gestern bedenkliche Ausmaße an. Mein linkes Auge hängt schlaff herab, ist ein wenig geschwollen und scheint nur noch halb so groß wie das rechte."
"Donnerknispel! Immerhin hast Du noch keine Blödelbardentonsur!"
"Schwacher Trost. Wenn ich - wo ich schon so ein Aussehen erdulden muss - wenigstens auch das Einkommen von Karl Dall hätte."
"Das ganze Geld mit Quatsch verdient!"
"Ja... und mit seinem Exotenbonus - Ostfriese, chronisch schlaffe Augenbeule... och nö, danke. Da ist mir meine karge Rente lieber."
"Warst Du denn schon beim Arzt?" Wulnikowski schüttet die Fege-Reste in den Mülleimer
und wirft Joost einen krümeligen Blick zu.
"Ich dachte, ich warte bis morgen. Erstmal Kaffee, Sahne und Joghurt."
"Ach, der Joghurt... Heidelbeer hätte ich."
"Sehr gut."

Wulnikowski schlurft zur Besteckschublade, lupft unter silbrigem Klappern einen Teelöffel heraus, klappt den Kühlschrank auf, um einen der buntbedruckten Plastikbecher zu entnehmen und drückt seinem Freund beides in die Hand. "Danke." Joost zieht die Alufolie ab, leckt mit der Zunge drüber und blickt gedankenverirrt wieder in sein schwach gespiegeltes Abbild in der Scheibe. Das Auge. Das vermaledeite Auge. Er sträubt sich gegen die hängenden Lider, gegen die Karldallisierung. Ein Lächeln huscht über seine Mundwinkel, flüchtig. Doch ihm gefällt sein Wortspiel. Dann, wie er es immer tut, schüttelt Joost den Becher kräftig. Zum Durchmischen. Das lässt den Joghurt frischer schmecken. Sagt er sich. Dass er den Deckel schon abgezogen hat, ist ihm völlig entfallen.

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Donnerstag, September 13, 2007

Wulnikowski entdeckt Neuland (II)

„Sockenrettung hat auch später noch Zeit“, denkt Wulnikowski, schlurft durch die Küche zur Wohnungstür und zuckt zusammen. Erst umflattert ihn wild etwas, dann knirscht jeder seiner Schritte. Krümel. Keks-Krümel. Auf dem gesamten Küchenboden verteilt. Jeder Schritt knirscht. Eine Blaumeise, die noch einmal keck vom Balkongeländer blinzelt, ehe sie in die linde Nachmittagsluft entschwirrt, hatte sich während seines Sockenstaunens in die Küche gestohlen und genüsslich am Spritzgebäck herumgepickt, das auf den Tisch drapiert stand. „Vögel!“, grumpft Wulnikowski und schlurft weiter. Es schellt zum x-ten Male.

Joost steht vor der Türe. Mit verwirbelten schlohweißen Strähnen in seinem verbeulten blauen Cord-Anzug, der Wulnikowski immer entfernt an einen Leichensack erinnert hat.

„Oh, hallo Joost.“
„Ich habe etwas Sahne mitgebracht.“
„Ach… Das… das ist sehr freundlich.“
„Ein guter Freund sollte manchmal Sahne mitbringen.“
„Mich überrascht, dass Du kommst. Und mich überrascht Dein Geschenk.“
„Sind es nicht, die positiven Überraschungen, die das Leben erst besonders machen?“
„Doch, doch. Komm nur herein. Aber sag: Was führt Dich zu mir? Und was hat Dir die Idee ins Hirn springen lassen, Sahne mitzubringen?“
„Ich dachte, wir trinken zusammen einen Tee.“
„Eine schöne Idee. Ich habe nur gerade keinen Tee da. Ich habe Vielleicht hättest Du ein Viertelpfund Assam mitbringen sollen.“
„Oh. Ja. Nun. Damit habe ich nicht gerechnet. Hast Du Kaffee?“
„Kaffee habe ich.“
„Hervorragend. Dann lass uns Kaffee trinken. Sahne passt auch in den Kaffee. Und ich finde, auch wenn unsere Hüften goldener werden, wir können doch nicht den ganzen Tag Halbfettmilch trinken, oder?" Er lacht eckig.
"Das stimmt. Sahne hätte ich sogar auch da gehabt. Und vielleicht wäre ein Stück Kuchen auch nett."
"Das wäre es. Aber... sonst... hätte ich gern einen Joghurt dazu.“
„Joghurt habe ich noch im Hause. Komm nur herein.“

Beide schlurfen durch den dunklen Flur. Ein Axolotl rappelt im Flur durch sein Terrarium. Die beiden älteren Herren kümmern sich nicht näher darum. Der wird sich beruhigen.

„Oh, hast Du Deine Bodenfliesen zum Vogelhaus umgeweiht?“, fragt Joost. Inzwischen hüpfen gleich fünf Blaumeisen zwischen den Fugen umher und picken Kekskrümel auf. Die erste Meise hatte ihren Freunden Bescheid gesagt.

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Samstag, September 08, 2007

Mancher Mann hat schwer zu tragen

Dienstag, September 04, 2007

Auf dem Weg zum Friedhof der Kommunistenstatuen

Wir klettern an der Endstation am Etéle ter aus der klapprigen Straßenbahn, inmitten der Kelenföldy-Siedlung an einem Vorstadtbahnhof. Der pittoreske, bohème Jugendstil-Charme der Budapester Innenstadt? Ist kilometerweit entfernt. Nichts lässt ahnen, dass wir noch immer in derselben Stadt sind. Wenn auch an deren zerfaserndem Rand. Plattenbauten stehen in Reih und Glied. Schlecht rasierte Männer sitzen gekrümmt auf Bänken neben einer Bierstube. Einige Balken der Bänke fehlen, sind vermodert, zerbrochen. Es riecht beißend nach vertrockneter, eingesickerter Pisse. Hutzelige Frauen hocken auf dem Gehsteig und bieten schrumpelige Apfelpaprika feil. Auch Äpfel, Birnen oder hackfleischgefüllte Blätterteigstrudel.

Auf dem Bahnhofsvorplatz husten und spucken uralte Ikarus-Busse schwarze Rußwolken. In der Mitte, an der Zieharmonika, hängen sie durch, schrammen fast das Straßenpflaster. Löchrig und brüchig ist die Gummiverbindung zwischen Vorderteil und Hinterteil der Busse geworden. Man kann gar Finger oder Hände hindurch stecken, sie vom Fahrtwind erfrischen lassen und sich derweil freuen, dass der Himmel lasurblau und sonnendurchflutet glänzt und kein schmoddriger, nasskalter Winterwind eisig hindurch fegt. Sägen kreischen, Pressluftbohrer rattern, Staub wirbelt. Es wird gebaut.

Mit einem der Busse wollen wir weiter stadtauswärts fahren. Dorthin, wo der Szoborpark liegt – die außerhalb liegende Touristen- Sensation Budapests, ein Friedhof für geschleifte Kommunistenstatuen. Beeindruckend sind die Faltblättchen gestaltet, die an zahllosen Stellen der Stadt ausliegen. Das aufregendste Freilichtmuseum ganz Osteuropas sei es. Und so klettern wir hinein in einen der Busse, der grollend und dröhnend Fahrt aufnimmt. Eine Ziege, unter einem Sitz mit struppigem Seil festgezurrt, meckert. Die faltige alte Frau, zu der sie gehört, schlägt ihr auf den Hinterkopf. Die Ziege meckert weiter. In lang gedehnten Serpentinen schraubt der Buss sich steile Hügel hinauf, auf denen windschiefe Hütten und schlecht verputzte Häuser stehen. Irgendwo in der Ferne fließt die Donau, liegen die majestätischen Stadtpaläste. Sie sind nicht mehr zu sehen, kaum mehr zu erahnen. Wie unsere Bushaltestelle heißt, haben wir uns gemerkt. Doch werden die Haltestellen nicht – wie in der Stadt – angekündigt. Unsere Haltestelle hätte vor einer Kurve gelegen. Erst als wir sie durchfahren haben und ich im Augenwinkel noch schwarz glänzende Statuen vorbeihuschen sehe, bemerken wir, dass wir längst hätten aussteigen sollen. Wir sitzen in einem Überlandbus. Die nächste Haltestelle liegt etwa vier Kilometer entfernt.

Mitten in der Puszta, so scheint es uns, steigen wir die knarrenden Bustreppen hinab ins Nichts. Der nächste Bus zurück wird in einer Stunde kommen. Fußmarsch also. Unter sengender Sonne dürstet das Gebüsch der Ausfallstraße, die sich schnurgerade durch das Land schlägt. Ein Lastwagen nach dem nächsten rattert an uns vorbei, wenige machen einen Bogen um uns, fast streifen wir die Kotflügel und Reifen. Bullis mit rostigen Motorrädern, vertäut auf dem Dach, Kastenwagen mit Paprikabergen, alte Wartburg-Dreckschleudern rasen uns entgegen. Es riecht nach Zweitaktbenzin. Wir schlurfen Schritt für Schritt zurück. Immerhin verschaffen die vorbeisausenden Laster uns kurzzeitig Schatten. Fast eine Dreiviertelstunde schieben wir Fuß vor Fuß, wohl fünfhundert Fahrzeuge brausen an uns vorbei und wir verfluchen den Bus, die Idee hierhin zu fahren, können kaum ein Wort miteinander sprechen. Zu laut dröhnen die Motoren, zu schwierig sind Unterhaltungen, wenn man hintereinander her läuft, ständig auf der Hut, nicht plattgewalzt zu werden. Doch ganz allmählich schieben wir uns dem Ziel näher.

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Samstag, September 01, 2007

Marché aux puces

Die Profis haben Bergbautaschenlampen am Kopf und kommen schon nachts. Sie durchwühlen die Haufen mit Plüschperücken, Korkenzieher, orangebraun glasierten Steingutservices, rostigen Staubsaugern, Porno-Comics, Hörspielen, alten Schallplatten oder Lattenrosten, zerren Seltsamkeiten hervor und beginnen zu feilschen. In Decken eingewickelt dösen die Verkäufer halb. Schlafmangel gähnt aus ihren Blicken. Irgendwer isst Bratwurst oder fettige Frikadellen. Schräggescheitelte mit Nietengürtel diskutieren über Sonderpressungen und gesprenkeltes Picture-Vinyl. Erstaunlich, wie viel Ramsch und Unsinn in Kellern und auf Dachböden lagert. Erstaunlich, wie viel davon immer wieder neue Interessenten findet. Erstaunlich auch, dass ich nach stundenlangem Flanieren über den riesigen Promenadenflohmarkt am Ende das Verlangen nach Glühwein verspürt habe. Es sagt etwas über diesen Sommer.