Dienstag, Januar 31, 2012

Die Spaß-Roboter

Schon bevor der Zeiger auf die Schnapszahlminute gerutscht ist, hat der Karnevalist drei Runden Schnaps bezahlt. Auch wenn der Abend offiziell noch gar nicht begonnen hat. Nun wankt er mit glühenden Wangen. Schaukelt am Tresen wie eine Jolle in schwerer See und brüllt "Mach nochma ne große Runde Charly klar" zur Wirtin, die fünf Schaufeln Pommes in der Küche in die Fritteuse geworfen hat. Ein ganzes Tablett mit Gläsern, in denen Cola-Weinbrand schwappt, kann er wenig später mit an seinen Tisch nehmen. Gejohl. Schnaps!

Niemand ist Clown, niemand ist Cowboy, heute Abend. Auch keine Biene Maja weit und breit. Das ist tierischer Ernst. Orden dagegen hin oder her. Umso genauer prüft der Präsident, ob seine Narrenkappe auch gerade auf dem Kopf sitzt. Zupft die Uniform zurecht. Ein echter Narr schminkt sich nicht, geht nicht als John Wayne oder Superman.

Beim Zeremonienmeister schmerzt das Knie, und der Bauch spannt unterm Hemd. Der DJ sucht noch die CD mit dem Narhalla-Marsch. Das Wichtigste des Abends, die ewiggleiche Hymne, Wuff-Ta-Ta mit Flötentrillern, Trommelwirbeln. Die Funkemariechen rauchen. Klar, in Uniform. Haare wie Milky-Way-Brotaufstrich. Schaumolweiß gebleichte Strähnchen auf Schwarzbraun lugen unterm Käppchen hervor. Der DJ hat seine CD doch noch gefunden. Der automatische Frohsinn beginnt, abgespulte Heiterkeit, wie ferngesteuert.

Los geht's.Der Zeremonienmeister schwingt den Stock, geht voran. Die Meute im Saal steht auf, stürzt schnell noch den Schnaps runter, klatscht. Riesige Narrenkappendichte. Warum tragen sowas eigentlich nur die Männer, und warum tragen die zudem fast alle Schnurrbart? Trübtassige Blicke, schlaff hängende Lefzen, schmale Lippen. Jede Menge Gastvereine. Ohne die wäre der Saal leer. Nächste Woche im Nachbardorf. Dann ein Dorf weiter. Gleiches Spiel, gleiche Abfolge, andere Vereinsfarben. Aber: Uniformen, Narrenkappen, strenges Programm, Marschieren, Helau, Raketen, verordneter Spaß für Roboter.

Von jetzt an wird abgespult. Marsch an der Meute vorbei auf die Bühne. Der Elferrat strammen Schrittes, die Tanzgarden hopsen mit angewinkelten Beinen, und mit den Armen winken sie, als seien es Scheibenwischer. Der König trägt auch Schnurrbart, schwingt sein Zepter schlapp beim Gehen, als könne er damit den Rasen im Garten kalken. Ist aber kein Kalk drin und kein Rasen da. Elferrat sitzt. In Uniformen. Orden baumeln um den Hals. Zeremonienmeister und Funken hopsen und marschieren wieder runter. Die Meute ruft "Helau" und klatscht. Gehört sich so. Auf der Bühne bleibt die junge Garde. Wird später abgeholt. Schwingt teils teigige Schenkel, nicht immer im Takt. Hoppelt. Wie Duracell-Häschen. Wirft Beine samt Röckchen steil hoch, auf dass die Schnurrbärtigen im Publikum Schlüpfer sehen. Doch will man's? Auswendig gelernte Posen. Teils lückenhaft erinnert. Jedes Mädchen darf sich danach eine Belohnung abholen. Ein bisschen Toffifee als milde Hopsergabe. Gib dem Kaninchen noch eine Möhre - oder dem Affen Zucker.

Weiter in der lustigen, verordneten Abspulfolge. Programmpunkt? Check. Programmpunkt 2? Check. Einmarsch? Check. Ausmarsch? Check. Schnaps? Check. Spaß? Check. Kleines Tanzmariechen kommt. Hoppelt. Schwingt Beine. Zeigt im Schenkelhochreißen, was niemanden etwas angeht. Bekommt auch Toffifee. Wird per Narhalla-Marsch abtransportiert. Büttenrede. "Wir müssen alle nun / immer wieder auch etwas richtig tun / wir müssen uns alle auch kräftig jeden Tag anstrengen / und Lieder singen." Haus. Maus. Klaus. Aus. Toffifee. Marsch. Tanz für alle. Schatzi soll wieder ein Foto schicken. Am besten eins, auf dem man Stühle über dem Kopf trägt.

Auch Mitglieder werden geehrt. Check. Einmarsch. Ehrung. Ausmarsch. Aufstehen. Klatschen. Schnaps ordern. Schnaps trinken. Nächste Büttenrede hören. Oder doch lieber rauchen gehen? Saal leert sich. Redner reimt. Und redet. In der Fritteuse der Köchin schmurgeln Fritten im Fett. Wangen glühen heißer, Blicke eiern glasig. Noch ne Garde, noch ein Tanz, noch ein Toast, noch ein Ei, noch ein Kaffee noch 'n Brei, etwas Marmelade, etwas Konfitüre, ein bisschen Spaß muss sein. Höllehöllehölle. Schweißflecken unter den Achseln in den Uniformen. Schunkeln? Check. Protokoll wird eingehalten. So überraschend wie der Bahn-Fahrplan. Höchstens Verspätungen lockern die strenge Folge. Bis in die frühen Morgenstunden wird das Tanzbein geschwungen. Wird irgendwo in der Zeitung stehen.

Mittwoch, Januar 25, 2012

Mit acht oder neun?


Morgens, wenn das Tal noch unter der Nebeldecke schlief, kletterte er aus dem Bett in die Dunkelheit seines Hauses. Riss ein Streichholz an, und mit einer flackernden Kerze in der Hand, die er mit den Fingern der anderen vor Windböen beschirmte, humpelte er in den Stall. Er warf den Schweinen im Koben ein paar Möhren hin und sah ihnen zu, wie sie schmatzend und grunzend ihre Rüssel in den Schlamm bohrten, der schwappte und klatschte. Dem Pferd im Stall strich er zart über die Nüstern, zupfte einen Heuballen auseinander, um ihm sein Frühstück zu geben. "Es greift mir ans Herz, Dir ein kaltes zu geben, aber es ist nicht zu ändern", sagte er oft, ehe er auch seine Kuh besuchte. Für die schnitt er ein oder zwei Kürbisse auf, setzte sich auf einen alten, abgewetzten Melkschemel und sah ihr zu, wie sie sanft und anmutig mit den Kiefern malmte, am Fruchtfleisch schlürfte. So saß er dann oft eine halbe Stunde oder länger. So früh war kaum jemand wach, der ihn rufen konnte. Und während er saß, kamen plötzlich alte Bilder wieder. Wie ihm einst die Badehose im Freibad geplatzt und er fast ertrunken war. Beim Turmspringen war er abgestürzt wie eine riesige Kartoffel und mit dumpfem Knall aufs Wasser geklatscht. Über seinem Kopf schlugen die Wellen zusammen, prasselnd zerfiel die Fontäne, Wasser schwappte über den Beckenrand, und der Schwimmmeister hatte ihn mit einem Ring an einer Eisenstange aus dem Wasser gefischt. Prustend, Wasser spuckend, nach Luft japsend war er aus dem Wasser getaucht, hatte sich mühsam an den Beckenrand geklammert, während die anderen Kinder seine zerfetzte Badehose "Iiih" schreiend in ein Gebüsch warfen. Er hatte sich nicht mehr aus dem Wasser getraut. Niemand sollte ihn so sehen. Er war so lange im Wasser geblieben, bis der Abend dunkelte, das Becken sich leerte und und seine Haut - von schrumpligen Rillen zerfurcht - aussah wie das Wattenmeer bei Ebbe. Dies alles dachte er, während seine Kuh die Kürbisschnitzel vertilgte, und er fragte sich: "Wann habe ich eigentlich mein Seepferdchen gemacht - mit acht oder neun?"

Montag, Januar 23, 2012

Leise Träume

Der Kakao dampft, während das Weltende vor den Fensterscheiben seine finsteren Vorboten schickt. Düstere Wolken türmen sich ewig nachwachsend auf, kleben über dem Horizont und peitschen ohne nachzulassen Regen hernieder. Kurz hinausblickend, sitzt Du im Schaukelstuhl und träumst von Frühling, von Blumen, die sich aus Vasen auf den Tischen recken, und von Kaffee im Sonnenschein an der frischen Luft, mitten in Berlin.

Freitag, Januar 20, 2012

Passable Passantin

Betäubend kreischte die Métro, wilde Schritte prasselten ringsum. Schlank, in tiefer Neugier, traumumhüllt, schritt sie vorüber, auf den flachen Abgrund hin, üppig hob und wiegte ihre Hand einen Dreierpack Pappkartons.

Leicht und edel hielt sie inne, er aber, ihm war, als trinke er, im Krampf wie ein Verzückter, aus ihrem Auge, einem dunkelglänzenden Smaragd, umwölkt von tiefen Rätseln, voll von betörender Süße und Lust, die bebte.

Ein Blitz, und dann der Moment, als die Tür sich schloss, sie hinter sich bergend, und der stählerne Käfig sie quietschend und rumpelnd fortrriss. Gefühlte Nacht, Momente nach dem Nu, in dem er sich wie neu geboren fühlte.

Anderswo, sehr fern von ihr, niemals vielleicht sähe er sie wieder. Womöglich aber auch nur Stunden später, im sanften Abenddämmer, vor einer Brasserie sitzend - wenn sie mit der Fingerspitze verstreute Zuckerkrümel abseits der Untertasse ihres Kaffees auflas, wie beiläufig, vertieft in Verse über die Morgendämmerung,das Skelett als Ackermann oder eine, die vorüberging.

Sonntag, Januar 15, 2012

Obst als Rettung

Manchmal schreckte sie nachts aus Träumen hoch, weil es irgendwo schepperte und knackte, knallte, schabte, knirschte, klirrte. Auch wenn es nur eine Katze war, die draußen von einer Mülltonne gesprungen war oder ein Torkelnder, der eine Flasche aufs Pflaster gepfeffert hatte: "Einbrecher!", war jedes Mal ihr erster Gedanke und beruhigte sich, indem sie sich sagte: "In so einem Fall ist es immer gut, etwas in der Nachttischschublade zu haben, was wie ein Revolver aussieht. So etwas jagt Räuber schnell in die Flucht." Es mochten nur Bananen sein, aber das Wissen beruhigte sie wie ein leise gesummtes Schlaflied, wie ein starker Arm, in den man sich kuscheln kann. Der Atem ging wieder flacher, und sie fiel zurück in tiefen Schlaf.

Samstag, Januar 14, 2012

Steinzeit, Namen und seltsame Viecher

Vorläufer der heutigen Pferdebremsen haben wahrscheinlich schon genervt, als die Menschen sich noch Felle erlegter Mammuts um die Hüften schlugen und in Höhlen hausten, die sie winters mit Bären teilten. Der Mann musste mit der Keule in der Pranke hinaus ins feindliche Leben, um Wollnashörner zu jagen, während daheim die Frau den Felsboden bohnerte und die Knochen vom Frühstück wegräumte. Wahrscheinlich schon damals haben die meisten Leute das nervige, stechwütige Getier gern verscheucht oder – wenn es allzu arg wurde – totgehauen.

Wenn der wilde Herr der Höhle von der Jagd nach Hause kam, grunzte, knurrte oder brummte er womöglich stolz irgendwas, wenn er erschlagenes Getier nach Hause zerrte. Ob er dafür schon einen Namen hatte? Keiner mag's sagen. Heute aber geben wir ja fast allem Namen. Wer eine Katze hat, nennt sie vielleicht „Miezi“, „Murr“ oder – im Fall von Helge Schneider – „Orang-Utan-Klaus“. Die eigenen Kinder heißen kurz nach ihrer Geburt plötzlich „Göran“, „Lena“ oder „Horst-Sergio“. Mancher gibt auch seinem Auto einen Namen, etwa „Knutschkugel“ oder „Falke“. Fast alles, was Menschen in die Finger bekommen haben, haben sie auch benannt – vielleicht abgesehen von dem Dings, das man vor der Kasse im Supermarkt zwischen die eigenen Einkäufe und den Krams vom Vordermann schiebt. Nur gerüchtehalber nennt man es „Warentrennstab“.

Einen erstaunlichen Trend beim Benennen gibt es seit einiger Zeit hingegen bei neu entdeckten Tieren, die sich nicht zu Hause aufs Sofa kuscheln: Man greift zu Prominenten als Namenspatronen. Einen potthässlichen, fiesen Käfer, der in slowenischen Höhlen auf räuberische Beutezüge geht, benannten Forscher nach Hitler. Jüngst musste – nun ja – David Hasselhoff herhalten, als Wissenschaftler in der Tiefsee der Antarktis eine Krabbe entdeckten. Ob das kälteliebende Krustentier einen lederartigen Rücken hatte, in dem es blinkte, oder ob der sich in der Düsternis der eisigen Fluten mit Schlagern für Wiedervereinigungen einsetzte? Ein Geheimnis.

Jüngst hat der australische Biologe Bryan Lessard eine Pferdebremse gefunden, die einen ach so wunderbaren Hintern haben soll, an dem auch noch goldene Härchen sprießen. Das erinnerte den womöglich leicht verwirrten Forscher an den Po und die Kostüme der Popsängerin „Beyoncé“. In der Steinzeit hätte die feine Dame für solch ein Kompliment vielleicht dem wilden Kerl die Keule entrissen und zugeschlagen. Wer will schon wie ein fieses Stechvieh heißen? Aber es sollte nicht wundern, wenn der Trend weitergeht und bald ein bislang unbekannter, glatter Aal in Kürze neu getauft wird. Vielleicht heißt der dann „Christian Wulff“.