Freitag, Februar 27, 2009

Seltsame Freunde (II)

Gebückt auf dem kalten Stein kriecht der Maskierte die Stufen entlang und wischt die verzahnten Deckelhügel abwärts, wie ein Sträflingshelfer auf einer archäologischen Ausgrabung, der einen Fund freilegen möchte. Doch seinen Freunden geht das Fegen zu schnell. Sie schnappen sich Plastikkehrbleche, tauchen sie in die hinabpurzelnden Kronkorkenberge und schmeißen sie auf die just freigebürsteten Stufen zurück. Wulnikowski buddelt mit in der linken Manteltasche nach einem Hustenbonbon, der einen Tag zuvor noch darin gelegen hatte. Doch die Finger ertasten nur ein Taschentuch und den Haustürschlüssel. Währenddessen fragt Wulnikowski sich, was der bedauernswerte junge Mann mit der Gummimaske wohl verbrochen haben mag, dass ihn diese grinsende Gruppe fesselt, vor dem Rathaus aussetzt und ihn mit einer Nagelbürste inmitten von Kronkorkenbergen niederknien lässt. Vorerst will er abwarten, vielleicht erschließt sich die Lösung der Frage von selbst.

Wohl weitere zehn Minuten lang hockt der Maskenmann auf den Stufen, die Arme mit Handschellen vor dem Bauch gefesselt, und schrubbt mit der Bürste über den Stein. Dann scheint ein wenig Gnade in den zuvor hämisch grinsenden Gesichtern seines Gefolges aufzublitzen, vielleicht ist es aber auch nur Erwartungsfreude. Wulnikowski ist unsicher. Zumindest richtet der Maskierte sich auf und raunt dumpf durch die Maske, dass das Gefolge sich gern auf seine Kosten betrinken möge. Die Meute johlt, schart sich um eine Bierkiste und zwei Glühweinthermoskannen, die zuvor herbeigebracht wurden, und beginnt sich die Zäpfchen zu feuchten. Als vermeintlicher Lohn werden dem Gefesselten seine Handschellen abgenommen und ein Bier gereicht, für das er kurzzeitig die goldene Gummimaske hochklappen darf, um den Flaschenhals am zotteligen Bartgestrüpp vorbei an die Lippen zu führen.

Einer aus dem Gefolge, ein dürrer Schlacks mit hellem Schnurrbart, ruft aus, der Maskierte habe die erste Stufe auf dem Weg zum „Fegi-Ritter“ erreicht. „Vielleicht ist das eine Art Abschlussprüfung“, denkt Wulnikowski Das Gefolge johlt und drängt die biertrinkende Goldgummimaske, nicht inne zu halten, es bleibe noch viel zu fegen.

Und so kniet er wieder nieder, kann sich nun mit einer freien Hand abstützen und schrubbt weiter mit den winzigen Borsten der Nagelbürste über kalten Stein, wischt die Stufen frei von Kronkorken und sein hämisches Gefolge macht sich einen großen Spaß daraus, frisch freigelegte Stufen erneut mit Hilfe der Plastikschäufelchen wieder vollzuschütten. Bei einem Schaufelwurf tritt der Maskierte der Schaufel abwehrend mit dem Fuß entgegen. Sie zerbricht.

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Hamburg, meine Perle










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Mittwoch, Februar 18, 2009

Zu spät. Ein Hinterherwinken, traurig.


Den Mut nicht tröpfchenweise sammeln, zögern, abwägen, durchgrübeln, sondern alle verfügbare Kraft zusammenkratzen, um den Schopf der Chance zu packen, wenn sie für Momente auftaucht. Nachdenken hilft oft, bringt nicht selten klügere Resultate als der Impuls, und doch birgt es Gefahren, zu erstarren, sich in den Umlaufbahnen der Hirnschleifen zu verlieren und das Handeln zu vergessen. Hallo Hamlet. Das von Gorbatschow überlieferte Wort hat mich einmal mehr erwischt: „Wer zu spät kommt…“

Als ich nach Jahren endlich wieder nach Hamburg kam, war er bereits in den Süden gezogen. Nach Hause, fort aus dem steilen Turm hoch über der Reeperbahn. Gründe, vorher nicht gereist zu sein, gab es. Fehlendes Geld während der Studienzeit war einer davon. Und so habe ich ihn nie persönlich treffen können. Dennoch waren wir uns über Jahre verbunden, mit – vor allem von seiner Seite – geradezu rührendem Wohlwollen und Großherzigkeit.

Als der Job kam und begann, die Zeit zu fressen, die Augen nach Feierabend beinahe achteckig waren vom Starren auf flackernde Monitore, schwanden allzu oft auch Kraft und Muße, hier und in den liebgewonnenen Nachbarschaften sich zu tummeln. Technischer Internetentzug spielte hinein. Ein Rückzug auf leisen Sohlen, wenngleich nie eine Abkehr. Doch wer weniger liest, bekommt weniger mit. Viel zu spät habe ich von seinem Krankheitsschlag erfahren.

Ein lieber Genesungsbrief wuchs schnell, doch wollte ich noch feilen, überdenken, es noch besser machen, und so blieb er unvollendet eine Weile liegen, bekam immer wieder zärtliche Zeilen hinzu, unnötiger Perfektionismus und Erschöpfung nach Feierabend waren das Doppel, das der Entscheidung zum Abschicken Fesseln anlegte. Der Brief ist noch da, doch inzwischen hat der Herr den Adressaten zu sich geholt. Ein weltliches Ziel wird das Schreiben nicht mehr finden. Allein dass dem so ist, habe ich abermals viel zu spät entdeckt, zu Lebzeiten nicht mehr vermocht, Adieu zu sagen. In einer stillen Stunde wird eine Himmelslaterne mit guten Wünschen aufsteigen. Hau rein Opa, hab es gut, hoch über den Wolkenmeeren! Hummelhummelmorsmors.



Adieu. Und hier kommt Dein Abschiedslied.

Dienstag, Februar 10, 2009

Seltsame Freunde (I)

Eisige Regenfäden durchweben den Blick in die verschachtelten Gassen der Altstadt unterhalb des Rathauses. Streusalzkörner knirschen unter den Schuhsohlen, und Wulnikowski presst die Lippen aufeinander. Er hat seine Mütze vergessen. Nun landen halb gefrorene Tropfen in seinem Nacken und perlen den Nacken hinab. Flüchtige Gestalten ducken sich unter Schirme, verbergen ihre Gesichter in eng zugezogenen Kapuzen und huschen vorwärts. Es ist Sonntagnachmittag, die Geschäfte sind geschlossen, auch kein offenes Café in Reichweite. Wulnikowski stellt sich unter - im Eingang eines Schlachtergeschäfts. Zwei Fliegen tanzen in der Auslage auf einer beilzerteilten Keule, als ein Kleinwagen aus einer Seitenstraße biegt und direkt vor dem Rathaus parkt.

Zwei junge Männer mit struppigen Oberlippenbärten steigen aus, öffnen die Kofferraumklappe und zerren wohl fünf prall gefüllte, graue Müllsäcke heraus, die sie die Rathaustreppen hinauf hieven. Auch eine Bierkiste wuchten sie an den Fuß der Treppe. Dann öffnen sie die Beifahrertür und ziehen eine dritte Person heraus – fast zwei Meter groß, die Hände mit Handschellen gefesselt, das Gesicht unter einer goldenen Gummimaske verborgen. Sie erinnert Wulnikowski ein wenig an „C3PO“, den watschelnden Roboter aus den Star-Wars-Filmen.

Aus anderen Gassen kommen zwei weitere junge Männer und drei Frauen hinzu, umstellen den Maskenmann, bleiben stehen und lachen. Dann klettern die zwei Erstgekommenen die Treppe erneut hinauf und reißen einen Müllsack nach dem nächsten auf. Abertausende kleiner Kronkorken und anderer Flaschendeckel klirren und klappern, als sie treppabwärts stürzen und in kleinen Hügelketten auf den Stufen liegen bleiben. Wulnikowski reibt sich die Schläfen, kräuselt die Stirn, und er wundert sich umso mehr, als die goldene Gummimaske nun die Treppe hochkraxeln muss, dort eine winzige Nagelbürste in die Hand gedrückt bekommt und plötzlich niederkniet, um mit den kurzen Borsten die Blechdeckel abwärts zu fegen.

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