Dienstag, August 28, 2007

Du bist vielleicht ein Vogel!

Vorgestern Anlass bekommen, meine Außenwirkung zu überdenken. Mit dem Rad über den Bahnhofsvorplatz geschlängelt. Plötzlich bremsen müssen, weil ein quietschpinkgewandeter Kerl in meine Bahn taumelte. Die Beine plüschfusselumpuschelt, die wasserstoffblonden Haare zu Igel-Imitaten haargelackt, der Blick gläsern. Von ihm mit Glupschpupillen angestarrt worden, ehe er sich kreischend vor Lachen auf die Waschbetonfliesen warf, mit dem Finger auf mich zeigte, und inmitten des Lachgewitters kreischte: „Ey Mann, Du siehst ja aus wie ein Uhu.“

Ein wenig gestutzt. Nachgefragt, welche Farbe denn mein Schnabel habe. Nur zur Antwort erhalten: „Keine Ahnung Mann, aber ich such Gleis 14 und kann keine Zahlen mehr lesen, bin komplett auf Teilen!“

Zu Hause in den Spiegel geschaut, keine Federkiele in den Haaren und keine Schnabel-Entwicklungen im Gesicht bemerkt. Bei der Netzrecherche entdeckt, dass einige Kilometer südlich in Essen wieder Loveparade war. Insgeheim gehofft, dass der Uhumann Gleis 14 noch gefunden und halbwegs heil heimgekommen
ist.

Sonntag, August 26, 2007

Cora und Jens: Die Anfänge

"Wenn Du rauchen möchtest, tu Dir keinen Zwang an", rief Jens über seine linke Schulter, während er auf dem Herd umständlich Spiegeleier briet. Die Morgenröte kroch bereits über die Dachwipfel jenseits des Küchenfensters, aus dem Cora gedankenverloren starrte. Was genau hatte sie eigentlich hierhin geführt? Mitten in die Küche eines wildfremden Kerls, der einen blauen und einen grünen Schuh trug , der eine Wanduhr mit einem blau-orangefarbenen Rennauto an die Wand montiert zu haben schien und auf der Tanzfläche eher ihr Mitleid erregt hatte, wie er ein wenig hüftsteif hampelte und ständig auf der Suche nach dem Takt schien. Spontan hatte sie ihn in die Mundwinkel gekniffen, und ihn einfach gefragt, warum er denn so bedröppelt gucke. Und sich dann von hinten an ihn zu schmiegen. Einfach mal schauen, was passiert. Dem verklemmten Klotz ein wenig Feuer unterm Hintern machen und schauen, ob er auftaut und gar schmilzt. Seltsam, woraus plötzlich Reize erwachsen. Nun, der Plan war aufgegangen. Doch…

„Was hattest Du gesagt? Tut mir Leid, war gerade in Gedanken.“
„Wenn Du rauchen möchtest, tu Dir keinen Zwang an!“ Die Butter knisterte in der Pfanne.
„Nein danke. Gerade nicht. Trotzdem herzlichen Dank!“
„Aber Du rauchst doch? Du darfst hier gerne rauchen.“
„Das ist super. Aber jetzt grad nicht.“
„Falls Du keine mehr hast… ich habe noch eine Schachtel in meinem Zimmer liegen.“
„Aber Du rauchst doch gar nicht?“
„Nein, na ja, nicht wirklich. Ich habe sie vor allem für Gäste.“
„Süß. Aber: Danke, danke. Grad nicht.“
„Du brauchst Dich nicht zu genieren.“
„Ich geniere mich auch nicht. Mach Dir nur keine Umstände. Danke.“
„Nun bedank Dich doch nicht dauernd!“, rief Jens, während er gerade mit dem Pfannenwender kämpfte.
„Oh pardon, der Herr! Es tut mir Leid, wenn ich Dich mit meinem Dank beleidigt haben sollte! Ich kenne mich aus, wie es ist, verletzt zu werden. Und sei Dir sicher: Verletzen wollte ich Dich nicht. Ich kann auch gern rauchen, wenn es Dir dann besser geht. Aber ich bin nicht gewohnt, angebrüllt zu werden, nur weil ich mich bedanke!“
„Ich habe Dich nicht angebrüllt. Die Eier brutzeln nur so laut!“
„Ach nein? Sowas!“
„Meine Herren! Ich habe Dir nur angeboten, dass Du auch von mir noch Zigaretten haben kannst, und dass Du rauchen darfst, wenn Du willst. Ich wollte Dir nen Gefallen tun. Musst Du da gleich durch die Decke gehen?“
„Wer ist denn hier gerade durch die Decke gegangen?“, schmollte Cora. Jens rollte die Augen.

Fortsetzung folgt

Labels:

Donnerstag, August 23, 2007

Braunbären und Badehosen gehören nicht zu den zentralen Montageteilen, die man benötigt, um einen modernen Hubschrauber zu bauen. 

Montag, August 20, 2007

Innerer Nervenkrieg und die Flucht ins Grüne

Um Mitternacht noch auf den Trichter kommen, Shakespeares "Sommernachtstraum" in einem Rutsch durchlesen zu wollen. Nach der Heimkehr von der nächtlichen Medikamententour noch allzu wach sitzen und im frühen Morgengrauen Mails beantworten. Und dann früh morgens aufstehen, um zur Zeitungsredaktion zu radeln. Zu wundern brauchst Du Dich da nicht. Aber eigentlich wunderst Du Dich auch nicht, wie wundgeschürft Du selbst jetzt plötzlich bist. Doch der Erschöpfungs-Einbruch kam schlagartig.

Urplötzlich sind die Dämme gebrochen, liegen Deine Nervenstränge blank und alles nagt,
reibt und beißt ungeschützt daran, wüst stürzt alles auf Dich herein. Ein rohes Ei ist eine uneinnehmbare Trutzburg gegen Dich, zurzeit. Die Kreuzung unter Deinem Fenster wird zum gnadenlosen Monster. Der aufbrausende Verkehr, der sich Dir sonst nicht einmal mehr ins Bewusstsein schleicht, frisst Dich auf.

Es grollt,
kreischt,
sägt,
quietscht,
brummt,
donnert,
dröhnt
und bollert.

Krankenwagen rasen krähend und jaulend durch Deine Stube. Automobile fahren über Dich hin. Im Flur knallt eine Tür zu. Draußen klirren Altglasflaschen, die vom Gepäckträger gefallen sind. Du hörst die großen Scherben lachen und die kleinen Splitter kichern. Der nächste Lastwagenmotor brüllt wie ein gigantischer Löwe. 

Geräusche werden zu Geschossen, sprengen Krater in Dein Selbst, 
zerkratzen Deinen Lack, zerfetzen den Moment, zerdeppern Deine Schutzhülle wie Porzellan auf einem Polterabend. Unablässig, ohne auch nur den Hauch einer Pause. Und Du sitzt da, erschlafft, kraftlos, grummelnd und hoffst, irgendwer möge dem infernalischen Lärm doch mal ein P vorsetzen. Warum ist nie eine Panzerfaust zur Hand, wenn man mal eine gebrauchen könnte? Die Kreuzung einfach in Schutt und Asche legen. Unpassierbar machen für Tage, vielleicht Monate. Aber dann wäre die Polizei nicht erfreut, und der Stress würde auch nur eine andere Richtung nehmen. Und dann würden sie wieder die Nacht durch unter Deinem Fenster teeren, und die Straßenwalzen würden dröhnen. Gewonnen wäre damit nichtmal Bohnenstroh. Du kapitulierst. Schlafen! Schlafen! Schlafen! Dein Körper schreit nach Hilfe.

Legst Dich hin, doch Deine Nervendrähte britzeln trotz bleichfahler Erschöpfung. Mindestens zwei Pötte Kaffee zuviel am Morgen. Alles in Dir vibriert, Du möchtest um Dich schlagen, irgendwen abmurksen, auf dass die Zeit endlich still stünde und Du Deine Ruhe fändest. Wenigstens für kurze Momente. Dich abschotten, das könnte es sein. Du stopfst Dir Ohropax in die Gehörgänge. Doch auch der leise Druck und das Schaumstoffblasenknirschen, das Kitzeln, während sich die Stöpsel, erst zusammengedrückt, nun wieder ausdehnen, halb in die Gehörmuschel zurückrutschen, macht Dich fast wahnsinnig. Du richtest Dich wieder auf. Niemand außer Dir ist schuld, aber die Schuldfrage bringt auch nicht weiter. Raus! Bloß raus! Letzter Notanker: Das Grüne.

Halb benommen taumelst Du das Treppenhaus hinab, schnappst Dir Deinen Drahtesel und rollst los. An Dir vorbei brüllt noch immer der Verkehr. Rechts runter, in Richtung Kanal. Am Kanal ist es doch ruhig. Du fährst ein, zwei Kilometer über den staubgrauen Kiesweg. Binnenfrachter tuckern an Dir vorbei. Wellen schwappen an die rostigen Stahlspundwände. Du setzt Dich auf eine Bank, versuchst inne zu halten. Doch alle paar Sekunden kreuzen Radler und Jogger. Manche heizen wild durch die Pfütze vor der Bank, fast wirst Du von den Matschspritzern getroffen. Und ein paar hundert Meter weiter brausen noch immer Autos über eine Brücke. Ist doch kein Zustand das, gibt es denn nirgends Ruhe? Wieder auf's Rad. Weiter. Fort. Nur fort! Du biegst über einen schlängeligen Holpferpfad nach rechts ab. Auf den Prozessionsweg. Der führt hinaus aus der Stadt, das weißt Du.

Auf völlig wirren Pfaden taumelst Du voran, überquerst die Brücke der Stadtautobahn, unter Dir lachen Dir krähende Fratzen aus den Kühlerhauben entgegen. Weiter! Weiter! Am Wegrand taucht ein Supermarkt auf. Du schnellst hinein, schnappst Dir eine Tüte Lakritzheringe (gerade im Sonderangebot) und ein Kaltgetränk. Schnell weiter. Schon ruhiger hier, aber auch hier macht der Verkehr nicht halt. Weiter, weiter! Über eine schmale Seitenstraße, unter Akazien hinfort, durch eine gemauerte Bahnunterführung. Links ist ein Tennisplatz. Publikum applaudiert. Ich schnelle vorwärts. Hier wird es endlich ruhiger.

Ein Lokal schält sich zwischen Baumkronen hervor. Die Pleistermühle. Schirmbemützte Ausflügler spielen im Garten Minigolf. Und dann, rechts davon, ein Wald. Ein winziger Weg schlängelt sich unter Buchen voran. Du kurvst zwischen uralten Stämmen hindurch, entschleunigst langsam. Mild rascheln die Blätter in den Kronen, nicht höhnisch, hauchzart, als wollten sie Deine Seele streicheln. Da vorne ist eine grob behauene Holzbank. Du bremst, setzt Dich hin. Versinkst mit dem Blick in den geruhsam wogenden Fluten der Werse, die den Wald durchfließt. Plötzlich fällt alles von Dir ab.

Eine Entenfamilie, vierzehnschnäblig, scharwenzelt am gegenüber liegenden Ufer entlang. Ein einsames Blesshuhn schippert vorbei, taucht kurz ab. Minutenlang, wie in Trance, sitzt Du da. Eingetaucht in den Moment, jenseits von Gedanken, alles strömt ein, doch es ist ein ruhiger Strudel. Ganz allmählich findest Du zurück zu Dir. Du klaubst ein Buch aus dem Rucksack, beginnst die erste Geschichte zu lesen. Es ist "Die Frau des Weisen" von Arthur Schnitzler. Oh wie die ruhige, gemessene Sprache, das sanfte Vorwärtsschnurren der Sätze Dich umfängt. Deine glühenden Nervendrähte erkalten langsam.

Belaubte Buchenzweige wiegen sich im linden Wind, der auch Deine Nasenspitze zart umspielt.Und Du merkst, wie Du Dich verwandelst. Plötzlich zerrieselt Dein Groll, die harten Knoten lösen sich, alles Verbissene weicht, die geschundene Seele atmet auf, fast erfrischend prickeln ein paar Regentropfen, die sich den Weg durchs verzweigte Kronendickicht über Dir gebahnt haben. Nichts stört mehr. Niemand kommt vorbei. Kein Dröhnen, kein Sirren, kein bollernder Verkehr. Nur Du, der Wald und der Fluss. Und endlich findest Du den Frieden, nachdem Du Dich gesehnt hast.

Dies ist meine Antwort auf das von Frau Zoee vor einiger Zeit gewünschte Selbstgespräch-Stöckchen.

Freitag, August 17, 2007

So nett kann Urlaub sein

Es wird noch dauern, bis ich wieder in die Fremde pirsche. Und doch: Die Reise ist bereits geplant. Wohin es geht? Noch wird es nicht verraten. Doch weil ich Urlaub an sich so nett finde, kam mir die Idee, ein Sonett auf den Urlaub zu schreiben.


Die Welt, sie rauscht vorbei an trüben Scheiben,
An die manch müd’ Zugreisender sich lehnt,
Und während er dem Ziel entgegensehnt,
Sich labt an fensterjenseits munt’rem Treiben.

Nach Worten ringend, kann er kaum beschreiben,
Was sich ihm zeigt - das Land, das mild sich dehnt,
Wo Berg’ sich wölben, steiler Abgrund gähnt,
Und mancher Ort einlädt, spontan zu bleiben.

Das Abendrot legt sanft sich über Wälder,
In Gold getaucht erglänzen Roggenfelder.
Hindurch, sanft vorwärts, schlängeln sich die Gleise.

Der Duft von Fremde kitzelt in den Nüstern,
Die Vorfreude beginnt schon zart zu knistern,
Wie spannend wird die Welt, ist man auf Reise.

Donnerstag, August 16, 2007

Fokko und Meta (I)


Die anderen Kühe blicken nicht mehr auf, sie rupfen und mampfen gemütlich ihr Gras. Fokko kommt schließlich täglich, meist mit seinen lehmverklebten Gummistiefeln (auch im Sommer), einer schmuddeligen Jeans, bei der er allzu oft den Hosenstall weit offen stehen lässt (er schiebt es auf den defekten Reißverschluss) und mit seinem neuen Schnurrbart (er ist inzwischen schließlich ein Mann, und das soll die Welt ruhig sehen). Seit die Kühe auf dem Hof sind und so lange sie zurückdenken können, kommt Fokko, um Meta Gassi zu führen - insoweit sie überhaupt nachdenken, zumal darüber. Meta ist eine wulstige Schwarzbunte und von Kälberbeinen an seine große Liebe.

Irgendwann nach dem Mittagessen klappt die kleine dunkelgrüne Tür in der Scheunenrückwand auf, die Scharniere knirschen und Fokko schlurft heraus. Seit er vor vier Wochen ein Päckchen „Schwarzer Krauser“ am Wegrand fand, hat er mit dem Rauchen begonnen. Es schmeckt ihm nicht. Aber es macht ihn mehr zu einem Mann. Hat er sich gesagt. Und ein Mann muss tun, was ihn zu einem Mann macht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Und so friemelt er krautige Tabakbröckchen in einen Papierschnipsel, um daraus eine windschiefe Zigarette zu drehen, bevor er am dampfenden Misthaufen vorbei und an der Flanke vom Schweinekoben entlang zur Weide schlurft. Selbstumwölkt. Manchmal grunzt er noch ein paar Mal und grüßt die Schweine. Die wühlen derweil weiter im Matsch nach Äpfeln, suhlen sich in Pfützen oder schubbern ihre Leiber an Holzpfählen. Fokko ist ihnen reichlich egal, ob er nun raucht oder nicht.

Fast immer pfeift Fokko ein Lied, während er das rostige Tor zur Weide entsichert, sich hindurch windet und zur verstreut grasenden Herde hinüber schlendert, meistens flötet er „Movie star“ von Harpo. Das ist sein Lieblingslied. Über die Schulter baumelt dann der große Gurt, den er Meta anlegt. Er hat ihn selbst gebastelt. Aus zusammengedrehter Silofolie, Teppichklebeband und einer alten Hundeleine. Mit Edding hat er in fetten Lettern „META“ darauf gekritzelt – damit die Leute, die ihm entgegen kommen nicht immer fragen, wie die Kuh wohl heißt. Sie stellen sowieso zu viele Fragen. Als Besonderheit hat Fokko noch eine Hundemarke an das Kuh-Halfter geklebt. Auch die hat er vor Monaten einmal am Wegrand gefunden. Nur wenige Meter entfernt von der Stelle, wo unlängst der Tabakbeutel lag. Meta kommt ihm nie entgegen, wenn er nach ihr ruft. Sie bleibt, wo sie grast. Manchmal verscheucht sie mit ihrem Schwanz ein paar Fliegenschwärme, die um ihr Hinterteil schwirren. Fokko schlägt das Herz dann höher. Denn wenn Hunde sich freuen, wedeln sie mit dem Schwanz. Warum sollten Kühe das nicht tun?

to be continued…

Labels:

Mittwoch, August 15, 2007

Skulpturen-Spaziergänge (II)




(Klick macht's größer.)

"Mein Lieber! Du liegst im Gras, den Kopf im Nacken, um Dich herum keine Menschenseele. Du hörst nur den Wind und schaust hinauf in den offenen Himmel – in das Blau dort oben, wo die Wolken ziehen –, das ist vielleicht das Schönste, was Du im Leben getan und gesehen hast." (Ilja Kabakow)

Montag, August 13, 2007

An Bord mit Özul (II)

Draußen sausen schäbbige Hausfronten der Düsseldorfer Südstadt an den Fenstern vorbei, drinnen zupft Özul gelangweilt am Goldkettchen und lässt dann kurzzeitig seine Nummernschilder los, um sich im Schritt zu kratzen. Klappernd fallen Sie seinem Gegenüber auf die Füße. Der zischt unter seinem Schnurrbart durch:

"Mann, kannst Du nicht aufpassen?"
"Boah, ey das war keine Absischt, klar? Ey, weißt Du, Du kennst das doch, wenns juckt, dann..."


Er bricht ab. In den Untiefen seiner Lederjacke beginnt es zu schnurren und rappeln. Das Handy klingelt. Hektisch durchgrabbelt er seine Innentaschen, zunächst erfolglos. Dann endlich. Er rupft sein vibrierendes Mobiltelefon aus irgendeinem Jackenwinkel, blickt kurz auf das Display und kräht quer durch den Waggon:

"Ey Alta! Mehmet, Mann. Was geht ab? ... Alles roger in Kambodscha?... Was? Wie? Nee, isch kann nicht schnell vorbeikommen, Mann! Isch sitz im Zug. Koblenz. Neue, geile Karre abholen... Und hier war gerade ne Perle... Wie? Was soll das heißen, Du hast jetzt keine Zeit, Dir was über geile Chicks anzuhören? Ey, Bruder, das war ein todgeiles Gerät!... Hä? Wieso sitzen wir metertief in der Scheiße?"

Der solarienknusprige Teint von Özul erblasst um die Nase. Er schluckt. Fummelt nervös mit den Fingern am linken Ohrring.

"Wie Du hast Post gekriegt? Anzeige?... Und isch auch? Wegen Körperverletzung? Aber wir haben doch gar nix... watt? Die kleinen Pisser im MAXX, die uns angepöbelt haben, als wir die Perlen klar gemacht haben? Und die haben uns wirklisch?... Ey, woher wissen die, wie wir heißen?... Was? Echt? Scheiße, Mann! Ey, ne Anzeige kann isch gerade gar nisch gebrauchen. Fuck!... Äh... Alter, isch regel das. Mach Dir keine Sorgen, Bruder. Özul kriegt das alles hin. Peace!"

Wie eingefroren sitzt er Momente lang da. Schockerstarrt. Dann schreit er "Verdammte Kacke!", ehe er sich an den gegenüber sitzenden Schnurrbart wendet: "Weißt Du, Mann? Isch bin Checker. Und jetzt werd' isch mal zeigen, was für krasser Checker isch bin."

Der Schnurrbart zuckt mit den Schultern. Özul tippt hektisch eine Nummer in seine Tasten. Hält sich das Gerät ans Ohr.

"Hallo? Auskunft? Ja! Ich hier. ... Wer? Özul! Ö-Z-U-L!... Ja, Mann... Ey, brauch isch Auskunft von Dir. Sag mir mal die Nummer von Staatsanwaltschaft Hamburg... Was? Staatsanwaltschaft, Mann. Was sonst?... Ja, keine Ahnung. Irgendeine halt.... Moment..."

Er zückt einen Kugelschreiber und notiert sich eine Nummer auf der Rückseite seiner Zugfahrkarte. "Ey, danke Mann!", flötet er noch, dann legt er auf, hält kurz inne, kratzt sich am Kinnbart, grübelt, um prompt danach die just notierte Nummer anzurufen.

"Hallo?... Ja, ey, Staatsanwalt Meyer hier! Ey, isch brauch dringend ma' die Unterlagen wegen dieser Anzeige wegen Körperverletzung letzte Woche im MAXX. Isch muss da was wissen... Sag mal, was genau da drinsteht... Ey, was? Wie, wer hat mir erlaubt Disch zu duzen? Ey, wir sind doch Brüder, Mann!... Ey, wie, das geht nisch?... Wie Dienstbefugnis?... Was, Datengeheimnis?... Ey, Alter, bin isch Staatsanwalt oder was?... Wie? Ja, Staatsanwalt Meyer, Mann!... Wie, Staatsanwalt Meyer gibt es nisch?... Ey, klar! Ey, ruf isch Disch grad an? Telefonier isch grad mit Dir!... Wie, Staatsanwalt sagt nicht 'ey'?... Hallo? Hallo? Ey, was soll der Scheiß? Hallo?"

Özul knallt das Handy auf den Tisch vor sich. "Aufgelegt, der Wichser! Arschloch!" Dann schlägt er auf den Tisch und schreit "Fuck!". Prompt fallen seine Nummernschilder wieder um und dem gegenüber sitzenden Schnurrbart erneut auf die Füße. Der blickt mit aufeinander gepressten Lippen zur Decke.

Labels:

Sonntag, August 12, 2007

Dieser Beitrag ist nicht geeignet für Kleinkinder unter 3 Jahren: Enthält Kleinteile, die verschluckt werden könnten

Die MIDI-Rhythmen schunkeln beschwipst, die vorprogrammierten Arrangements dudeln vergnügt, die Finger wuseln über stumme Tasten und die Meute tanzt und freut sich. Geschmeidig wiegt sich Siggis Nackenhaarteppich im Takt. Doch dann zeigt sich, dass es etwas in der Tanzmusik gibt, das noch viel lebensgefährlicher werden kann als die Lieder selbst. Himmelschreiend komisch, wahnsinnig bitter. Auch aus ökotrophologischer Sicht sehr bedenklich.

Donnerstag, August 09, 2007

Ich liebte ein Mädchen

34 Jahre ist es her, dass der großartige Ingo Insterburg sich von Berlin aus in die Welt hinaus liebte, mit jeder irgendwie und -wo was hatte, und jede von ihnen war besonders. Viel zu schnell ist dieses grandiose Stück deutscher Komik in Vergessenheit geraten. Und spontan kam mir die Idee, es erstens wieder auszubuddeln und ins Gedächtnis zurück zu zerren, und zweitens - ihm zu Ehren - selbst einmal eine Liebesreise zu starten. Beginnend im Münsterland...

Ich liebte ein Mädchen aus Dülmen,
die ließ sich beim Duschen gern filmen.

Ich liebte ein Mädchen aus Billerbeck,
bei der war ständig der Füller weg.

Ich liebte ein Mädchen aus Vreden,
die stand auf unendliche Fehden.

Ich liebte ein Mädchen aus Freckenhorst,
die schrie: „Ich mag’s wenn Du nach Zecken bohrst.“

Ich liebte ein Mädchen aus Gelmer,
die sah aus wie Patty und Selma.

Ich liebte ein Mädchen aus Ahlen,
die ließ sich die Liebe bezahlen.

Ich liebte ein Mädchen aus Coerde,
die hatte Angst, dass man uns hörte.

Ich liebte ein Mädchen aus Haltern,
die fühlte sich ständig eiskalt an.

Ich liebte ein Mädchen aus Buldern,
die lehnte gern an starken Schultern.

Ich liebte ein Mädchen aus Bösensell,
die meckerte über Frisösen schnell.

Ich liebte ein Mädchen aus Senden,
ich ließ es bei zweimal bewenden.

Ich liebte ein Mädchen aus Telgte,
die wie eine Blume verwelkte.

Doch dann wurd’ das Münsterland doch etwas klein,
drum zog ich spontan in ganz Deutschland ein…


to be continued...

Dienstag, August 07, 2007

Großartige Musik für neugierige Ohren (VIII)



Einmal mehr haben trübgraue Schleier die Sonne versteckt. Bürgersteigpassanten ziehen ihre Kragen wieder tief ins Gesicht, haben die langen Stiefel übergestülpt und das Spaghettiträgertop zurück in die hintere Ecke vom Kleiderschrank geknüllt. Ein Murks-Sommer ist das. Zeit, die man nun wieder weit weniger verbringt mit Sonnenbrille, frischen Fruchtsäften, After-Sun Lotion und einem guten Buch in der Sonne zubringt oder abends mit Freunden im Biergarten, im Straßencafé oder mit den Füßen im Kanal baumelnd. Doch diese Zeit kann, wer mag, der Entdeckung der neuesten Musiktipps hier widmen und sich (hoffentlich positiv) überraschen lassen.

Beschwingte Popnummern, schmissige Rhythmen, Melodien süß und zart wie frische Erdbeeren, hier und da ein paar schrägere Tonsprenkel, um es nicht zu überzuckern.
Vielleicht ist ja das ein oder andere (oder gar alles) für Euch dabei und reizt Euch dazu, die Künstler intensiver zu erkunden - viel Spaß mit dem Sommersampler 07!

1. Someone Still Loves You Boris Yeltsin - Half awake (Deb)
2. The Weakerthans - Night windows
3. Johnossi - Man must dance
4. Seymore Saves The World - Love song
5. Maritime -Guns of Navarone
6. Shout Out Louds - Tonight I have to leave it
7. Friska Viljor - Oh oh
8. The XYZ Affair - Little fool
9. Rock Plaza Central - The things that bind you
10. Architecture In Helsinki - Heart it races
11. Iron & Wine - Boy with a coin
12. The Coach And Four - In transit
13. Kevin Drew - Tbtf
14. Spoon - The underdog
15. Hallelujah The Hills - Hallelujah the hills
16. Caribou - Melody day
17. The Maccabees - Toothpaste kisses (Daytrotter version)
18. Jens Lekman - Friday night at the drive-in bingo

Labels:

Montag, August 06, 2007

Ein spontaner Abschied?

Es schwelt, es brodelt, es knirscht in mir bereits eine Weile. Schon lange mag ich kein "Blogger" mehr sein. Will die Hülle abwerfen, sie zerreißen, zusammenknüllen und in eine Stahlgittermülltonne pfeffern. Vielleicht tue ich das jetzt. Doch vielleicht sollte ich erst die Brille putzen, die Schlafkrümel aus den Augenrändern wischen und nach Alternativen suchen. Ohne mit einem besseren Vorschlag um die Ecke zu kommen, sollte man sich eigentlich auch nicht trollen. Und doch: Ich mag kein „Blogger“ sein.

Man kann sich am Ende wohl doch nicht dagegen wehren, und so wild ist es eigentlich auch gar nicht. Sollte irgendwer zusammengezuckt sein, vielleicht war es gar nicht nötig. Ich beabsichtige keineswegs, den Laden hier dichtzunageln und zu schließen. Nein. Auch wenn ich in letzter Zeit weit weniger dazu gekommen bin, hier zu schreiben ebenso wie ich nicht die Zeit gefunden habe, mich in dem Maße auf lieb gewonnenen anderen Seiten zu tummeln, wie ich eigentlich gern gewollt hätte. Das ist schade, aber darum geht es gar nicht.

Der spitze Kiesel in meiner mentalen Sandale, der piekt und sticht, ist vielmehr terminologischer Natur. Es gibt nur wenige Worte, die ich blöder finde als "Blogger". Und blöd heißen mag ich ungern. Seit Anbeginn der immer wieder mit völlig unnötiger, verkeilter Vehemenz verfochtenen Diskussion, ob es denn nun der, die oder das Blog heißt, ermüdet sie  mich. Alle Varianten sind gleich doof. Mir ist weit weniger wichtig, wie man dieses eingedeutschte Wort scheinkorrekt attribuiert, mir ist wichtig, was ich auf den Seiten lesen darf, welche scharfsinnigen, fein gedrechselten, wortschönen oder auch plumpen Texte sich dahinter verbergen.

Insofern beißt sich meine Argumentation selbst in den Schwanz. Eigentlich kann mir auch egal sein, ob man mich nun „Blogger“ nennt oder „Netzschreiberling“ oder auch ganz anders. Prinzipiell ist es das auch. Aber einem spontanen Impuls folgend, kribbelte es in den Fingern, doch einmal kundzutun wie völlig blöde ich den Begriff „Blogger“ finde. Ich schreibe gerne Texte, auch gern über Alltägliches, Skurriles, Selbstausgedachtes. Aber wie viel dämlicher komme ich mir vor, wenn ich mir sage, dass ich "blogge". Das nimmt dem Prozess in meinem Empfinden jeden Charme, macht es zu einer stulten, blubbernden Sache. Nicht, weil es etwas an der Sache selbst verändern würde, nur, weil mein Wortempfinden hier plötzlich allergische Pusteln schlägt.

Vielleicht ist es der Klang des Wortes, der meine Eingeweide krampfend sich drehen lässt, wenn ich es lese und gar wenn ich so genannt werde. Vielleicht ist es auch der Klischeerattenschwanz, der mit daran hängt. Ich weiß es nicht. Es ist eigentlich auch gar nicht so wichtig. Es wird nichts ändern. Weder generell noch für diese Seite. Der Begriff wird weiterwuseln, diese Seite pfeift auch längst noch nicht aus dem letzten Loch. Ich buddele nach neuen Begriffen. Nach knackigeren, pfiffigeren, treffenderen Worten. Doch so lange ich keine bessere Bezeichnung auf den runden Tisch werfen kann, sollte ich mich eigentlich auch nicht beschweren, wenn man mich „Blogger“ nennt. So blöde ich das Wort auch finde.

Freitag, August 03, 2007

Wulnikowski erobert Neuland

Das Ratschen eines Handrasenmähers dringt durch das Kippfenster neben der Balkontür herein. Vorsichtig, als handele es sich um etwas Kostbares, Zerbrechliches, drückt Wulnikowski die Klinke. Sachte. Langsam. Es ist die Premiere. Als er die Wohnung besichtigte, hatte er ganz vergessen, den Balkon zu begutachten, und seit er vor wenigen Tagen eingezogen ist, war er vor allem damit beschäftigt, seine Habseligkeiten aus den Kisten zu klauben und zu verstauen. Er schlurft bedächtig hinaus. Sein erster eigener Balkon überhaupt. Über vierzig Jahre alt musste er hierfür werden.

Der ratschende Handrasenmäher wird von einem - bis auf eine magentafarbene Turnhose - nackten Mann über ein winziges Rasenstück gewuchtet. Wulnikowski tritt staunend an das Balkongeländer. Wie Adventskalenderkästchen hängen auch an den benachbarten und gegenüber gelegenen Häusern kleine Balkons. Einige Geländer sind mit Schilfmatten verkleidet. „Wahrscheinlich, damit sich hübsche Damen dort, vor lüsternen Männerblicken aus den unteren Stockwerken geschützt, unbemerkt sonnen können“, denkt Wulnikowski. Eine hutzelige Alte mit silberglänzender Dauerwelle klopft ein paar Teppiche aus. Im Innenhof wirft ein kugelförmiger Mann seinen Kompostbeutel in die Papiertonne. Irgendwer hat einen Hirschkopf samt Geweih an die gegenüber liegende Außenwand genagelt. Die ersten Sommerblumen blühen in Ampeln und den eckigen Kästen, die Wulnikowski immer an Brotbackformen erinnern.

Vor Monaten ist aus einem höheren Stockwerk ein blauweiß geringeltes Paar Socken in die Regenrinne des Balkons geplumpst am äußeren unteren Rand der Brüstung. Seitdem kauert es sich nun zwischen ein, zwei Kippenstummel, ein zerknittertes Stück Alufolie, eine inzwischen verblichene Radler-Büchse und ein leeres Feuerzeug auf den krummen Blechboden, wurde nass geregnet, sonnengetrocknet. Im Herbst landeten ein paar Blätter aus der Rotbuche auf seinem Rücken und verfaulten allmählich. Es wurde als Schneeflockenlandeplatz auserkoren und alsDonnerbalken für eine Trottellumme, die sich – Gott weiß, wie – hierhin verirrt hatte. Das weiß ist schrubbelig geworden, das Blau inzwischen dreckig verblichen.

Das ist alles geschehen, bevor Wulnikowski eingezogen ist. Er betrachtet das Sockenpaar eingehend. „Wahrscheinlich von nem höheren Balkon herabgeweht. Von irgendeinem Wäscheständer. Oder von dem meiner Vormieterin. Man sollte den Wäscheständer nicht so nah ans Geländer stellen, bei Sturm schon gar nicht. Vielleicht hat es aber auch gar nicht gestürmt. Man weiß sowas ja nie genau. Aber ist doch schade um die Socken.“ Während Wulnikowski auf einen Weg sinnt, wie er die Strümpfe aus der Regenrinne retten kann, klingelt es an der Tür.

To be continued...

Labels: