Freitag, August 03, 2007

Wulnikowski erobert Neuland

Das Ratschen eines Handrasenmähers dringt durch das Kippfenster neben der Balkontür herein. Vorsichtig, als handele es sich um etwas Kostbares, Zerbrechliches, drückt Wulnikowski die Klinke. Sachte. Langsam. Es ist die Premiere. Als er die Wohnung besichtigte, hatte er ganz vergessen, den Balkon zu begutachten, und seit er vor wenigen Tagen eingezogen ist, war er vor allem damit beschäftigt, seine Habseligkeiten aus den Kisten zu klauben und zu verstauen. Er schlurft bedächtig hinaus. Sein erster eigener Balkon überhaupt. Über vierzig Jahre alt musste er hierfür werden.

Der ratschende Handrasenmäher wird von einem - bis auf eine magentafarbene Turnhose - nackten Mann über ein winziges Rasenstück gewuchtet. Wulnikowski tritt staunend an das Balkongeländer. Wie Adventskalenderkästchen hängen auch an den benachbarten und gegenüber gelegenen Häusern kleine Balkons. Einige Geländer sind mit Schilfmatten verkleidet. „Wahrscheinlich, damit sich hübsche Damen dort, vor lüsternen Männerblicken aus den unteren Stockwerken geschützt, unbemerkt sonnen können“, denkt Wulnikowski. Eine hutzelige Alte mit silberglänzender Dauerwelle klopft ein paar Teppiche aus. Im Innenhof wirft ein kugelförmiger Mann seinen Kompostbeutel in die Papiertonne. Irgendwer hat einen Hirschkopf samt Geweih an die gegenüber liegende Außenwand genagelt. Die ersten Sommerblumen blühen in Ampeln und den eckigen Kästen, die Wulnikowski immer an Brotbackformen erinnern.

Vor Monaten ist aus einem höheren Stockwerk ein blauweiß geringeltes Paar Socken in die Regenrinne des Balkons geplumpst am äußeren unteren Rand der Brüstung. Seitdem kauert es sich nun zwischen ein, zwei Kippenstummel, ein zerknittertes Stück Alufolie, eine inzwischen verblichene Radler-Büchse und ein leeres Feuerzeug auf den krummen Blechboden, wurde nass geregnet, sonnengetrocknet. Im Herbst landeten ein paar Blätter aus der Rotbuche auf seinem Rücken und verfaulten allmählich. Es wurde als Schneeflockenlandeplatz auserkoren und alsDonnerbalken für eine Trottellumme, die sich – Gott weiß, wie – hierhin verirrt hatte. Das weiß ist schrubbelig geworden, das Blau inzwischen dreckig verblichen.

Das ist alles geschehen, bevor Wulnikowski eingezogen ist. Er betrachtet das Sockenpaar eingehend. „Wahrscheinlich von nem höheren Balkon herabgeweht. Von irgendeinem Wäscheständer. Oder von dem meiner Vormieterin. Man sollte den Wäscheständer nicht so nah ans Geländer stellen, bei Sturm schon gar nicht. Vielleicht hat es aber auch gar nicht gestürmt. Man weiß sowas ja nie genau. Aber ist doch schade um die Socken.“ Während Wulnikowski auf einen Weg sinnt, wie er die Strümpfe aus der Regenrinne retten kann, klingelt es an der Tür.

To be continued...

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11 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Wunderschön geschrieben. Und witzige kleine Details. Man wird gut hineingezogen in die Geschichte. Die Geschichte selber wird aber erst kommen, oder? Das hier wirkt noch eher wie eine (fantastische) Momentaufnahme.

Eine shcöne Seite haben Sie auch sonst. Sehr interessant.

Viele Grüße, J. Billker

4/8/07 11:13

 
Blogger Etosha meint...

Sehr schön gemalt, diesen Tag im Neuland. :)

Hier mal zur Abwechslung ein bisschen konstruktive Kritik:
Ich finde, dass man mit dem Satzbau viel Einfachheit erreichen, aber auch unnötig verkomplizieren kann:

'Der ratschende Handrasenmäher wird von einem fast nackten Mann über ein winziges Rasenstück gewuchtet, der nur eine magentafarbene Turnhose trägt.'

versus

'Der ratschende Handrasenmäher wird von einem fast nackten Mann, der nur eine magentafarbene Turnhose trägt, über ein winziges Rasenstück gewuchtet.'

In deiner Variante neige ich dazu, die magentafarbene Turnhose dem Rasenstück anzudichten, obwohl es einen anderen Genus hat; der Rasen immerhin ist doch aber männlich, denke ich - und stutze somit, wo ich nicht stutzen soll.

Dafür gefällt mir das Ringelsockenpaar so gut, dass ich mir wohl demnächst auch eines für die Regenrinne anschaffen werde. ;)

Lieben Gruß!

4/8/07 13:11

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@etosha: Konstruktive Kritik - welch seltenes, erfreuliches Gut in der Bloglandschaft. Und gerade bei dem Satz hast Du auch völlig recht. Den wollte ich eigentlich selbst noch aus den von Dir genannten Gründen entzerrt und entschlackt haben, habe es am Ende dann aber doch wieder vergessen. Danke in doppelter Hinsicht. :)

4/8/07 16:45

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

billker: Freut mich. Und ja: Aus der Momentaufnahme wird schon noch so etwas Ähnliches wie eine Geschichte werden. :)

4/8/07 16:57

 
Anonymous Anonym meint...

Wulnikowski, werter Herr Ole, wird's schaffen. Wird er doch, oder?
Ihr Erdge Schoss

5/8/07 10:56

 
Anonymous Anonym meint...

Der ist schon ein eigenartiger Typ, dieser Wulnikowski, finde ich. Hat ja lange gedauert, mal wieder von dieser Figur zu lesen. Aber er bleibt interessant.

5/8/07 19:59

 
Blogger Etosha meint...

Da bin ich aber froh! Man weiß ja nie, wie dünn das Eis tatsächlich ist.

6/8/07 08:40

 
Blogger mq meint...

Besonders gut gefällt mir der Vergleich mit den Adventskalenderkästchen - hinter jedem Türchen eine Überraschung ...

6/8/07 09:31

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Keine Sorge, Etosha. So heiß es draußen auch ist, dieses Eis schmilzt so schnell nicht und trägt noch eine ganze Weile. :)

6/8/07 11:41

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@sillerin: Sind die Eigenartigen nicht oft die weitaus Interessanteren? :)

6/8/07 11:42

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@mq: Mit dem Unterschied, dass sich die Adventskalenderüberraschungen selten entwickeln und verändern. :)

6/8/07 11:43

 

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