Mittwoch, November 30, 2005

Kölle, wir kommen (Teil II)

Irgendwo hinter Remscheid entspannen sich unsere Mienen. Mit dem Schnee hat es sich weitgehend ausgeflockt. Der Verkehr schliddert wieder zügiger voran, und in der Nähe von Leverkusen durchklettert uns die Hoffnung, doch noch rechtzeitig zum Festivalbeginn ins Palladium zu kommen.

Deutlich verschätzt haben wir uns bei der Länge der Schlange vor dem Eingang. Unsere Jacken kuscheln sich im Autokofferraum aneinander, wir selbst überplapperten unser leises Frieren, lassen uns von eisbetautem Regen benieseln und merken mal wieder, wie wenig kühles Pils doch dabei hilft, sich innerlich aufzuwärmen. Doch unser Platz in der Schlangenwurst nähert sich dem vorderen Ende. Die Gods of Blitz wummern schon los, es poltert durch die alten Steinmauern, doch um kurz nach vier und anderthalb Songs später sind auch wir in der heiligen, warmen Vorhalle.

Gods of Blitz

Nach kurzem Stopp am Merch-Stand sausen wir in den dunklen Stahlträgersäulenbauch des Konzertsaals. Überraschenderweise ist es weniger die Musik als die Gestaltung des Kopfbewuchses, der uns zu Diskussionen anregt:

Mit halbaufgeknöpftem Hemd grätscht der Sänger und Bassist mit seiner strubbeligen Katalogfrisur über die Bühne und zeigt, was er im Volkshochschulkurs "Posing" gelernt hat. Der Drummer schüttelt sein Haar für uns und tritt den Beweis an, dass Metalmatten doch noch nicht vom Aussterben bedroht sind, während sein Guitarrero frisurell seinen alten Helden von Pantera zu huldigen scheint. Die vier Berliner schrubbeln solide ihr Programm runter, darunter auch ihre kleinen Untergrundhits "Greetings from flashbackville" und "The rising". Schwungvoller Rockpop zwischen Franz Ferdinand, Hard-Fi, Mando Diao, den Beatsteaks und was eben sonst noch so angesagt ist, momentan. Wirkt ein wenig wie Reißgebretter, das Ganze. Optisch und klanglich. Gefällt, begeistert aber nicht. Das Kölsch vom Tresen plörrt mehr als es perlt, aber ich habe Durst und stürze es fix runter. Oh, Konzert schon vorbei? Egal. Holste noch Bier?

Eine unerwartete, aber sehr sympathische Begegnung während der Umbaupause mit einer bis dato Unbekannten. Der Duft von Bockwurst, Buletten und Kartoffelsalat schwabbert durch die Türen zum Foyer. Der Schwips hat inzwischen seine fuseligen Krallen ins Bewusstsein der überraschend massiv vertretenen Turbojugend gekrallt. Munter wird getorkelt, gestolpert, sich untereinander geprügelt, Brillen zerdeppert, gegrölt, gekotzt, noch indes in steigerbarem Ausmaß.

Dredg

Das Licht senkt sich wieder. Dredg machen ihre Aufwartung. In mir kribbelt Vorfreude hoch und Neugier - war ich von ihrem laschen Auftritt zur besten Kaffee- und Kuchenzeit auf dem "Rheinkultur" im Sommer doch ziemlich enttäuscht. Doch wieviel besser diese Band im Dunkeln funktioniert! Verhalltes zirpt die Gitarre, verfängt sich in eckigen Motivfetzen, bauscht sich auf. Der Bass pulst, geschmeidig sausen die Finger über das Griffbrett. Der Drummer - ein begnadeter Poser vor dem Herrn - spielt mit Rhythmen und Metren wie Ronaldinho mit der Lederkugel und schafft es zudem noch, gleichzeitig mit links Klavier zu spielen und rechts weiterzugrooven. Zwischendurch grummelt der Gitarrist in seinen fusseligen Bart, zuckt grimmig. Seine Gitarre oder das Kabel sind wurmstichig und machen nur selten, was sie sollen. Und doch. Rechtzeitig zum Refrain ist der Wackelkontakt gerichtet und der Pathosvulkan kann gezündet werden und bricht auch alsbald aus. Melodielinien von weltentrückter Schönheit überglitzern die wuchtigen, heiß brodelnde Riff-Lava der Rhythmusgruppe. Ein heißkaltes Wechselbad zwischen verträumt lyrischer Sphäre und bretternder Rockkelle. Immer wieder gleichermaßen witzig wie faszinierend am Ende: Dino, der Drummer, groovt in Ekstase weiter, während zwei Roadies Stück für Stück sein Schlagzeug abbauen, ehe nichts davon mehr übrig ist. Grandios, mitreißend, Kandidat für das beste Konzert des Jahres.

The Soundtrack Of Our Lives

Die ersten Skandinavier schnappen sich den Staffelstab. Eingesprungen für die grandiosen Billy Talent, schwummern The Soundtrack Of Our Lives ihren schrammeligen, melodieseligen Sechzigerjahrerock. Der buschbärtige Sänger Ebbot Lundberg hat sich wieder einen familienzeltgroßen Kaftan über seinen kugeligen Leib geworfen und predigt mit langem weißem Schal und ebenso aus- wie einladenenden Gesten wie ein Priester der immer zahlreicher einströmenden Rockgemeinde. Die Gitarre brät, das Schlagzeugscheppert, die Orgel schwurbelt. Ein vergnügliches Set der großen Schweden.

Life Of Agony

Die Frikadelle liegt noch schwer im Magen, da kommen die filigranen Brachialisten auf die Bühne. Der Bruch ist gekittet, sie sind zurück: Life Of Agony. Mit orkanischer Wucht fegen sie den Ohrenschmalz aus den Gehörgängen und jeden Zweifel aus dem Bewusstsein, ob man überhaupt noch einen Pfifferling auf sie setzen sollte nach ihrer Wiedervereinigung. Keith Caputo ist immer noch die flitzeflinke, kleine Weltverbesserer mit der großen Kehle, der mit Haifischfrisur wie ein elastischer Gummiknüppel über die Bühne saust. Ultratieftönende Grummelriffs krachen mit explosiven, messerscharfen Rhythmen aufeinander. Der Bass ballert, die Gitarre donnert, die umgedrehte Baseballkappe zittert im Krachgewitter. Ein paar Floskeln hat Keith auch auswendig gelernt. Wir sind das beste Publikum der Tour oder gar aller Zeiten. Er liebt uns. Seitenhiebe gibt's zwischendurch für alle Skeptiker, die Runterladefetischisten und die Unkenden, die den Jungs nichts als Raffgier für den nerneuten Zusammenschluss unterstellten. Hits gibt's auch. Eigentlich alle. Die Ohren scheppern und pfeifen, als uns Keith mit warmen, ermahnenden Worten verabschiedet: "Stay positive!" We will.

Turbonegro

Jeder Schritt klebt inzwischen. Die Garderobe ist wegen Überfüllung geschlossen. Am Imbiss gibt's die Wurst nur noch ohne Brot. Schaler Bierdunst wabert durchs Foyer. Zertrampelte Servietten, Bier, Schnaps, Cola, Kippen überbappen den gesamten Fußboden. Jetzt schlägt die große Stunde der Uniformierten. Mehrere Hundert Jeansjackenträger der "FDTJ", der freien deutschen Turbojugend, haben ihr Ziel erreicht. Ihre Helden ziehen ein. Die Matrosenmützen werden geschwenkt, der Lippenstift wird schnell und windschief nachgezogen, dem Nachbarn wird noch schnell Bier auf die Matte gekippt, und gemeinsam wird gegrölt und gerockt, dass die Schwarte kracht. Turbonegro sind im Haus! Mit schwabbelnder Bierplautze, verschwitzt klebenden Haaren und verlaufener schwarzer Schminke um die Augen erzählt Henk in gebrochenem Schwedendeutsch in den Pausen wirre Geschichten von Fotzen, Schwänzen, Bier, Rock'n'Roll und St. Pauli. Die Masse grölt und holt mehr Bier. Dass keiner umfällt, trotz sturmflutendem Alkoholpegel und brüllender Hitze, liegt nur am dichten Gedränge. Gemeinsam wird gerockt und gejohlt. Uououououooooooh! Alle Hits haben die Nordlichter im Gepäck und schmettern ihren prollig-selbstironischen Riffrock der Gemeinde um die Ohren, die am Ende noch minutenlang ausharrt und weitergrölt, ehe sie kriegen, weswegen sie hier sind: "I got erection"! Nichts für zartbesaitete Gemüter. Aber großer Sport am letzten Sonntag des Wochenendes.

Mando Diao

Für den schwungvollen Hitreigen zum Ausklang sorgen dann die monsterhippen, kilometerhoch gehypten Tommy-Hilfiger-Werbeträger und Schmockrocker von Mando Diao. Schon beim Anblick von Gustaf und Björn sacken die ersten kreischenden Mädels zusammen wie zu gut geölte Klappspaten. Das Trommelfell erzittert vor der frenetischen Jubelorgie. Ein paar kleine Pickel zucken sich ins Gesicht beim Anblick einiger hyperarroganter Posen von Gustaf, doch der mitreißende, melodieselige und beschwingt nach vorn groovende Rock macht enorm gute Laune. Nicht ganz so packend, wie im Gleis 22 vor zwei Jahren, aber trotz ihrer inzwischen enormen Größe lässt die Band zumindest heute keine Spielfreude vermissen. Scheppert und schwurbelt sich durch Strophen und Refrains, baut unbekannte Wendungen ein, ein Ohrwurm jagt den nächsten. Ein famoser Abschluss eines grandiosen Konzerttags, den wir kurz vor der Zugabe verlassen. Schließlich haben wir auf der Hinfahrt schon genug im Stau gestanden. Auf der Rückfahrt umkurven wir das Gehügel rund um Wuppertal weiträumig, flüchten uns vor überfrierender Nässe und Glatteis bergaufbergab, indem wir gemütlich und stressfrei über Wuppertal nach Hause schnurren. Visions Festivals? Gern wieder!
Es gibt nur wenige Haarbürsten, die Mechthild heißen. Auch diese gehört nicht dazu. Nicht einmal aus der Nähe betrachtet.

Dienstag, November 29, 2005

Kölle, wir kommen (Teil I)

Und tatsächlich!
Geglaubt haben wir es kaum.
Doch wir sind gerüstet.
Auch wenn wir gleich viermal vergessen haben, das Mixtape rechtzeitig zur Stauschau aus dem Schacht hüpfen zu lassen.


Abgebrochene Strommasten, Hunderttausende bibbern in der nächtlichen Finsternis des Münsterlands ohne Strom, Heizung und Warmwasser. Wir hatten selbst nur aus den Nachrichten davon erfahren. Zwar war auch Münster in über 30 Zentimetern eisigweißer Glitzerpracht versunken, die Heizung ausgefallen ist aber nur im Studentenwohnheim Böselager Straße. Die Autos schlichen schlitternd im Schneckentempo über die glitschigen Fahrbahnen, die Regionalzüge hissten die schneeweiße Fahne,und auch die Busse gaben am Freitag abend den Geist auf. Wildfremde Menschen pfefferten sich kichernd lockerflockige Kugeln um die Ohren. Mitten in der Nacht bappten plötzlich edelweiße S(chn)eepferdchen an Laternenmasten, eine großbusige, kugelige Schneemäusekönigin thronte im Schlossgarten. Ein Kaninchen knabberte, vor Kälte zitternd, an der heruntergefallenen Karotte eines umgefallenen Schneemanns.

Fast ein Wahnsinn, bei solcher Witterung zum "Visions Anniversary Festival" nach Köln zu fahren, oder? Die Frage bohrt, doch die musikalische Leidenschaft obsiegt. Schließlich haben wir schon Eintrittskarten. Das Geld verfallen lassen, die Konzerte verpassen? Nix da. Zumal: Nun, am Sonntag, scheint alles halb so wild. Anruf in Köln: "Nöö, hier ist alles frei." Blick aus dem Fenster: Straßen hervorragend befahrbar. Also fahren wir. Ein kleiner, türkiser Polo ohne Wumms unter der Haube aber mit Winterreifen macht sich auf den Weg.

Und tatsächlich!
Geglaubt haben wir es kaum.
Doch wir sind gerüstet.
Auch wenn wir gleich viermal vergessen haben, das Mixtape rechtzeitig zur Stauschau aus dem Schacht hüpfen zu lassen.


Aus dem Radio knödeln frierende Münsterländer aus Ochtrup und moppern über den opportunistischen Ministerpräsidenten, der den Strom auch nicht wieder anschalten kann, aber plötzlich mit großen Gesten in ihrer Winzstadt auftaucht, in die er sonst nie gefahren wäre. Kein Strom, nix warm, ratternde Generatoren, Erbsensuppe in Turnhallen, tuckernde THW-Diesel, mit Megafonen auf dem Dach, um die Bürger zu informieren. Aber jetzt rücken alle näher zusammen. Nun endlich die Stauschau. Mehrere Kilometer Schneegestöberstau dank chaotischer Witterung bei Wuppertal, dem wir uns langsam nähern. So'n Quatsch! Hier ist doch nix! Und nur soweit ist es dahin auch nicht mehr!

Und tatsächlich!
Geglaubt haben wir es kaum.
Doch wir sind gerüstet.
Auch wenn wir gleich viermal vergessen haben, das Mixtape rechtzeitig zur Stauschau aus dem Schacht hüpfen zu lassen.


Plötzlich flockt es. Immer wilder. Eisige Sturmböen schleudern butterweiche, eisige Massen herab. Die Raststätte zur Rechten versinkt in weißem Aufgetürm. Wir überschlittern die nächste Bergkuppe. Da ist schon der Stau. Rien ne va plus. Aussteigen, Schneeballschlacht. Wenn wir hier stecken bleiben: Wir haben doppelte Socken, Handschuhe, nen zweiten Pulli, Wolldecken, Grillkohle, ne Kiste Wein, warmen Pfefferminztee und zuckerfreie Karamellbonbons. Was kann uns schon passieren?

Es matscht beim Spurwechsel. Die Blechschneelawine eiert in Zeitlupe durch die Kurve. Wir passieren "Schloss Burg". Immer wieder einen Schmunzler wert. Jochen kitzelt Britta. Lieber nicht zu lang. Schließlich fährt sie. Steffis Hanuta krümelt. Nervöse Blicke auf die Uhr. Noch zwanzig Kilometer. Noch eine Stunde bis zum Konzertbeginn. Was sollen wir hier im Schnee bei Remscheid? So wird das nix. Egal, wird schon. Wir nehmen, was kommt. Die Decemberists krähen vom Mixtape. Dann walzt der Korso wieder schneller. Wir nehmen Fahrt auf, Kölle wir kommen, und scheinbar doch nicht einmal zu spät.

(Teil II folgt)

Montag, November 28, 2005

Das gibt's doch gar nicht!

Wie genau man Bauklötze staunt, ist ein noch nicht hinreichend erforschtes Gebiet. Doch kam ich gestern nur schwerlich aus dem Kopfkratzen heraus. Bislang gehörte zu den für mich unumstößlich scheinenden Weisheiten wie "Die Erde ist keine Scheibe", "Der Mensch hat nur zwei Ohren" oder "Autos, die in England auf der rechten Spur fahren, sind Geisterfahrer" auch die zuckersüße Überzeugung "Karamellbonbons macht man aus gebräuntem Zucker, Sahnekaramellbonbons macht man aus gebräuntem Zucker und Sahne." Als ich nun meine Mini-Packung "Werthers", die jetzt nicht mehr "Echte" sondern "Original" sind, aus der Jackentasche hervorzauberte, stellte ich fest, ich hatte mich beim Einkauf vergriffen und das Unmögliche gekauft: Zuckerfreie Karamellbonbons. Es gibt Sachen, die es eigentlich gar nicht geben kann. Das ist nicht neu, aber immer wieder überraschend. Ein klein wenig ist mein Weltbild gestern zusammengebrochen. Aber nur ein ganz klein wenig.

Sonntag, November 27, 2005

Daumen drücken. Das Chaos in meiner Wahlheimat hat sich weitgehend gelegt. Und in Bälde wollen wir los. Nach Köln. Das Visions-Anniversary-Festival gucken. Dredg, Mando Diao, Life of Agony, The Soundtrack of our Lives, Turbonegro und Gods of Blitz live gucken und ordentlich mitrocken. Bleibt zu hoffen, dass wir heil und zügig durchkommen. Vorsichtshalber wird jetzt munter dampfender, heißer Pfefferminztee in Thermoskannen gefüllt, ein zweites Paar Socken und ein dicker Wollpulli eingepackt. Bloß nicht liegenbleiben. Kein Frösteln in verschneiten Staukolonnen. Frustriertes Fluchen, weil nix mehr geht. Seien und bleiben wir gespannt. Ich hoffe, alles geht gut.

Freitag, November 25, 2005

Napoleon solo

Ausschneiden und einfügen. Hattet Ihr Euch niedergelassen auf der verperlten Impotenz von New Orleans? Und ein Hauch von Spannung, wenn das Telefon klingelt. Dies ist für immer. Ein Hauch von Distanz spazierte zwischen dem Satzbaufehler von der gelb gepflasterten Straße in Austin. Dies ist für immer. Von diesem ausgehauchten Texas-Atem, nicht ein Zeichen von Erleichterung, denn dies weißt Du: Dies ist für immer!

Der dreiundzwanzigste März huschte im Wind, die Musik erstarb. Wenn Du jetzt nicht das Beste aus uns rauskitzeln kannst: Es ist, weil's für immer ist! Macht keinen Unterschied. In Deinem Alphabet fehlen Buchstaben. Siebzehn, einbalsamiert, und Särge werden ins Wetter herabgelassen, ein tiefschürfender, munterer Sprühregen.

Zupf auf dieser zerborstenen Harfe, wir wurden getroffen von den Akkorden, gesetzt von ihren Herzen. Ja, dies ist für immer.

(frei nach At the drive-in: Napoleon solo)
Gleich wird Schneeball geschlachtet.

Donnerstag, November 24, 2005

Die Grandezza fauler Türme

Millionen. Wer sie waren und woher sie kamen, weiß niemand. Aber sie haben abgestimmt. Über drei Millionen Stimmen wurden abgegeben, als im Internet aufgerufen wurde, den schönsten Kläranlagen-Faulturm Europas zu küren. Und in wohl keinem anderen Land Europas wird so schön im Turm gefault wie in Deutschland.

Europas schönste Faultürme stehen in Halle(Saale)-Nord, Göttingen und Bottrop. Schlichter silbergrauer Glanz hievte den faulen Turm aus Halle auf den Thron, Göttingen begeisterte die Jury mit bunten Senkrecht-Streifen. Bei den über fünfzig Meter hohen «Blauen Eiern» in Bottrop war es dann die beeindruckende nächtliche Beleuchtung, die bei den Faulturm-Fans und -Experten für freudig glänzende Augen sorgte. In Zeiten zaghaften Zauderns und unsicherer Umbrüche setzen die deutschen Kläranlagen-Faultürme ein leuchtendes Fanal für das ganze Land, dass Deutschland noch immer Spitze in Europa ist und sein kann.

(Foto via web.de)

Schlupp

Gewisse ausgestopfte Hunde ahmen in verblüffend vollkommener Weise lebendige Hunde nach. Adas Hund "Schlupp" ahmte in verblüffend vollkommener Weise einen ausgestopften Hund nach. Eine wuschelige Franse troddelte vor seiner Stirn, verbarg geschickt den Umstand, dass der Hund auch zwei schwarzglänzende Augen hatte und offenbarte darwinistisch die Überflüssigkeit des Sehens durch die Gewohnheit, von einem fremden Willen und an einer Leine geführt zu werden. Streichelte man ihn, musste man fürchten, dass ein Haar seines schlammbraunen Fells einen in den Finger stach. Er war klein, fast in die Tasche zu stecken, entzückend dumm und besaß den Bewegungsdrang eines Germknödels. Bequemte er sich seltenenfalls tatsächlich einmal von seinem ewigen Liegeplatz auf dem rostroten Cord-Sofa zum Fressnapf, hatte man trotz allem selbst in diesen Fällen das Gefühl, dass er sich dabei nicht einmal bewegt habe. Bei aufmerksamer Untersuchung konnte man sogar erkennen, an welcher Seite der Kopf und an welcher Seite der Schwanz war.

Mittwoch, November 23, 2005

Der Löwenzahn verblüht

Auch das Schöne muss sterben, das Menschen und Götter bezwinget. (Friedrich Schiller, Nänie) Schon jetzt türmen sich die Ausverkaufsstapel, werden durchwühlt, begrabbelt, Stück für Stück weggetragen. Der - nach Meinung von Harry Rowohlt - "schönste Buchladen der Welt", das Taraxacum in Leer, nimmt seinen Abschied, schließt die Pforten zum Jahresende.

Inmitten der Altstadt kuschelt sich das altehrwürdige Gebäude zwischen die malerischen Giebel. Erhabene Holzsäulen teilen und stützen den Verkaufsraum, gediegene, uralte Holzregale an den Wänden bieten der Unzahl lesenswerter Werke Halt. Zuweilen bis fast an den Rand der Karikatur und doch enorm liebenswert verkörpert das Taraxacum das kleine Refugium der südostfriesischen Bohème.

Hier konnte man nicht nur das besondere Buch kaufen. Edle Karaffen und in Würde gealterte Fässer mit verschiedensten erlesenen Weinsorten gab es ebenfalls. Und im gemütlichen Café konnten sich existenzialistisch angehauchte Schüler und Erwachsene mit Baskenmütze und schwarzem Wollmantel fühlen wie Sartre im "Les deux magots" oder sich zu selbstgedrehter Zigarette und dunkelpigmentiertem Rotwein einreden, der Gruppe 47 anzugehören. Die Kunst- und Literatur-Interessierten der Region und auch die kleinen und mittelgroßen Künstler und Literaten hatten hier ihr kleines Nest.

Hier waren sie unter ihresgleichen, hier waren sie Mensch, hier konnten sie's sein und zelebrierten sich auch ein klein wenig. Sei es in der Mittagspause, sei es beim abendlichen Klönschnack.

Gern auch bei den kulturellen Abenden mit Lesungen herausragender Schreiber, die sich dank des quirligen Umtriebs der beiden buschbärtigen Buchhändlerbrüder und dem gemütlichen Ambiente immer wieder gern in die ostfriesische Provinz verirrten. Arno Schmidt, Harry Rowohlt, Urs Widmer, Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker und viele mehr.

In heimeliger Atmosphäre mitten im Buchladen wuselten auch gern Jazzmusiker über Tasten und Griffbretter, plinkerten rotlockige Harfenistinnen aus Schottland in grüne Seidenbahnen gehüllt, grölten stoutfahnige Vollbartblut-Iren keltische Weisen.

Doch ist die Zielgruppe zu klein, vieles blieb idealistisches Zuschussgeschäft, die Kunst hat dem Gewinndruck nicht standgehalten. Ende des Jahres schließt das Taraxacum die Pforten. Enorm schade. Mach es gut, war schön mit Dir.

Dienstag, November 22, 2005

Wurm, Suppe, Regen

Wulnikowski schlurfte die Allee entlang und dachte: "Warum? Warum schmeckt die Suppe nicht mehr, wenn man Sand hineinkippt?" Der Regen strähnte das Haar über seinem Kragen und bildete eine kleine Pfütze im Zwischenraum zwischen seinen Stiefeln. Das harte Pappköfferchen in seiner linken Hand weichte langsam auf. Sein fehlender Zeh schmerzte beim Auftreten. Bloß nicht länger daran denken. Er kniff seine grauen Augen zusammen, um besser durch die Wände aus Wasser sehen zu können. Letzte Eicheln ploppten aus den gerupften Baumkronen über ihm.

Auf dem Trottoir vor ihm sah er ein zerfleddertes Mädchen sitzen, das einen Wurm in der Hand hielt und weinte. Ihre champagnerfarbenen Locken schienen unter den Wasserfluten zu zerfließen.

"Warum weinst Du?", fragte Wulnikowski das Mädchen.

"Ich weine nicht, ich singe", gluckerte das Mädchen.

"Aber warum singst Du so?" Wulnikowski zerknitterte ratlos seine Stirn.

"Damit der Wurm lachen kann! Ich heiße übrigens Milla."

"Ach so?", staunte Wulnikowski.

"Ja, genau so", schmunzelte Milla, "auf Wiedersehen."

Milla sprang auf, setzte sich auf ihr Fahrrad und fuhr unter dem andauernden Regenplätschern davon.

"So klein und kann schon Fahrrad fahren", dachte Wulnikowski.

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Sonntag, November 20, 2005

Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der falschen Körperstelle.

Donnerstag, November 17, 2005

Was machen eigentlich.... heute: BAP

Es dürfte verdammp lang her sein, dass sich ein Gedanke an oder über BAP in mein Hirn verirrt hat. Hat die Kapelle rund um den krüssellockigen größten Dylan-Verehrer nördlich von Bonn bei mir doch bisher höchst selten feuchte Augen und begeistert kribbelnde Ohren verursacht.

Und bevor ich mir auch nur die Frage stellen konnte, "was machen BAP eigentlich heute so?", erklärte mir eine meterbreite Plakatreihe in der Bahnunterführung: BAP gehen auf Greatest-Hits-Tournee. Soweit, so wenig erstaunlich. Stirnrunzelschmunzelnde Züge ins Gesicht zauberte mir die verblüffte Erkenntnis, dass die Tour von den wolfstatzigen Überlebenskunst-Ausstattern von "Jack Wolfskin" präsentiert wird. Meine Vermutung, dass die Konzerte bei so einem Sponsor dann vielleicht auch zwischen morastigen Birkenhainen im Hochmoor, an menschenverlassenen, mückenübersurrten Seen oder in abgeschiedenen Bergklüften - zumindest aber unter freiem Himmel stattfinden würden, scheint den Bollerwagen meiner Fantasie aber auf einen sehr schlammigen Pfad gelenkt zu haben.
Herr Wulnikowski macht Karriere. Ihm wurde die große Ehre zuteil, sich nun auch in der dritten Ausgabe des großartigen Magazins von Mindestens haltbar den abgehackten Zeh von einer vermaledeiten Katze klauen lassen zu dürfen.

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Umgeschnitzt flog er zurück, der Stock. Nachdem im Juni hier an Ort und Stelle schon etwas sehr Ähnliches, nur mit der Buchvariante, die Runde machte, bin ich vom gemeinen Morgensternschen Nasobem nun mit einem leicht abgewandelten Stöckchen beschmissen worden, das mit einem Zettel umwickelt war, der mich bat: "Nimm den 5. Satz aus Deinem 23. Blog-Beitrag". Der schmissigen Bitte komme ich nun gern nach, habe mühsam von hinten nach vorne gezählt und habe mich selbst gewundert, worüber ich nicht schon berichtet habe und gestaunt, dass mein 23. Beitrag sogar (stilecht) am 23. Juli erschien, damals:

"Nackte Adonismännerkörper mit Jagdhüten und wild bommelndem Freiluftschniedeln in Robin-Hood- oder Amor-Posen gehörten noch immens weit weniger zu sehnsüchtigen Träumen bei mir - um nicht zu sagen, die (Puff-)Bohne nicht."

Ich lasse den Stock hier ansonsten einfach liegen. Wer mag, darf ihn gern mitnehmen und damit machen, wonach die Laune gerade steht.

Mittwoch, November 16, 2005

Keine Nacht für niemand.

Dienstag, November 15, 2005

Jörgen

"Jörgen!". Der Name entblättert sich auf ihrer Zunge wie eine verwelkte Teerose. Zwei Wochen ist es her, dass sie fuchtelte, kreischte und vor Zorn bebte wie die schmale Holzbrücke vor ihrem Haus, wenn der Milchlaster bollernd darüber fährt.

"Hau bloß ab", hatte sie geschrien. Danach erst eine der getrockneten Mettwürste vom Haken genommen, hinter ihm hergeschmissen und im Anschluss den Küchenstuhl gegen die Wand gekracht, der in seine Einzelteile zersplitterte. Er ging einfach. Mit kaltfeuchten Augen. Kopfschüttelnd, schulterzuckend, stumm. Hinter ihm her gebrüllt hatte sie. Den Stuhl wollte sie später reparieren, aber irgendetwas hatte sie verkehrt gemacht; irgendetwas ist daran nun anders als vorher. Jörgen ist nicht mehr wiedergekommen. Weggeblieben. Sie hatte ihn nichtmal zu Wort kommen lassen. Vielleicht hatte sie sich ja auch geirrt? Vielleicht hatte er gar nicht...? Nicht auszudenken, wenn.

Montag, November 14, 2005

Alle neune

Börp. Chrrrrrrwk. Ppah. Bittergallisch kracht der Rachen. Körpermasse mit Schnurrbart klatscht gegen die Ampel unter meinem Fenster, hält sich mühsam am Blechmülleimer fest und lässt sich den bisherigen Abend abermals durch den Kopf gehen. Rückwärts. Stückchenpfütze auf dem Waschbetontrottoir. Bratwurst wahrscheinlich. Und kleiner Feigling. Und Bier. Ne Menge. Vielleicht auch Cola-Korn.

"Boah Willi, mach mal hinne", lallt sein Kumpel.

"Hass ja auch gut zugelangt. Aber war geil, oder Alter? War richtig geil!"

Willi spuckt nochmal. Börp. Chrrrrrrrrwk. Ppah.

"Joah. Unnnnächsses Jahr wieder."

Dann schwenken beide von "Schalalalalalala" zu "Wir wolln die Möpse seeehn, wir wolln die Möpse seeeehn" und torkeln schlangenliniiert in Richtung Bremer Platz. Noch eine ganze Weile wehen schlager- und schnapstrunkene Parolen durch den frühen Sonntag morgen. Willi und sein Kumpel waren nicht allein. Micky Krause hat inzwischen die Hütte abgerissen. Es ist fünf Uhr morgens. Sie ist vorbei, "die größte Kegelparty Europas" in der Halle Münsterland, einen Katzenwurf von meiner Wohnung entfernt. Den Beteiligten scheint's gefallen zu haben. Sie waren wahrscheinlich auch dabei.

Sonntag, November 13, 2005

Wasserzeichen

Die Zeit zerbröselt wie die Spekulatiuskekse, die Ada mit zeitgeluptem Gleichmut in den Milchkaffee tunkt, der vor ihr auf dem Schreibtisch durch den blauweiß gestreiften Becher schwimmt. Ein Krümel bricht ab. Der Umruhrlöffel dreht seine Runden, versucht, ihn wieder heraus zu fischen. Seit Stunden starrt sie auf den Bildschirm. Wo eigentlich Buchstaben munter und sinnvoll in Reihe purzeln sollten, klafft immer noch eine verblüffend weiße Leere. Mag sich nicht füllen. Sie nippt am Becher. Sucht ihr Feuerzeug. Schiebt sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Umwölkt sich. Verliert sich in blaudunstigen Kringeln. Neuen Antrieb hat das auch nicht gebracht. Plötzlich!

Das Wasserglas neben ihrem Kaffeebecher. Da regt sich was. Bläschen blubbern, kleine Strudel beginnen zu wirbeln, das Glas zittert. Klappert auf der Tischplatte. Krack! Es birst. Die Masse murmelt. Flüstert. Verdickt sich zu gallertartigem Gelee. Formt sich zu einem Klumpen.

"Huh! Ada!", raunt sie.

Ada verschluckt sich an ihrem Zigarettenrauch und hustet staubig.

"Ich bin's, der Wasserstrolch."

Ada fängt sich wieder.

"Und? Das ist noch lange kein Grund, mein Wasserglas kaputtzudeppern, den ganzen Schreibtisch nass zu machen und mich in meiner wohlverdienten Nachmittagsruhe zu stören!"

"Nachmittagsruhe? Hihi. Die Zeit. Die Zeit. Sie rennt Dir weg. Und Du schlurfst mit Engelsmiene hinter ihr her als sei sie eine Napfschnecke!"

"Wenn ich mit jemandem über meine Zeit philosophieren möchte, mach ich das im Seminar. Wozu studier' ich denn Philo?"

"Was Du scheinbar nicht wusstest, ist, dass alldiejenigen, die ihre teure Lebenszeit dauerhaft vermplempern statt sie sinnvoll zu nutzen, von mir heimgesucht werden. Von mir, dem hurtigen, halszuschnürend hurgelnden, gurgelnden Wasserstrolch. Ich umfließe und umschließe Euch! Zerre Euch mit wild wirbelnden Wasserwogen hinab in mein feuchtes Reich, durchwühle Euch mit eiskalten Fluten, durchspüle Euch mit salzigem Nass, schleudere Euch durch meine finstere Grotte, wo Ihr Euch die Barfüße an winzigen Stalagtiten aufschlitzt, wo Ihr nach Luft ringt. Ich bin die Rache der missachteten Zeit."

Ada schluckt. Blitzschnell schnappt sie nach einer neuen Zigarette und bringt sie hektisch zum Glühen. Das geht jetzt deutlich an die Nerven. Wird sie gar verrückt? Völlig plemplem?

Doch das triefend glitschglupschige Gebilde raunt wieder mit pergamentpapierzerknitterndem Timbre: "Ich bin der Wasserstrolch!"

Ada friemelt beherzt ein großes Taschentuch aus ihrer Handtasche und presst es mit Schmackes auf den Wasserstrolch. Es zuppelt und zappelt. Erst wütend und lebendig. Dann nur noch schwach. Irgendwann endet es. Sie trägt das vollgesogene Taschentuch in die Küche und wringt es über der Spüle aus. "Heim in Dein Reich mit Dir, Wasserstrolch!", zischt sie, holt sich noch einen Becher Kaffee, legt sich mitsamt ihrem Aschenbecher aufs Bett, raucht und kratzt sich am grazilen Kinn.

Samstag, November 12, 2005

Der Gipfel des Kohls?

Meter um Meter kraxelten sie aufwärts. Die Luft wurde dünner, das Atmen schwerer. Die Zehen waren klammblau gefrorene Streichhölzer. Und bei allem blieb dieser nagende Zweifel, ob es in Wirklichkeit gar kein Gletscher sondern ein Blumenkohl war, dessen Gipfel sie dabei waren zu erklimmen.

Donnerstag, November 10, 2005

Man campt deutsh

Schlapp. Schlapp. Badelatschen klappen zwischen Hacke und Asphalt hin und her. Bauchmasse wuppert im Takt der Schritte unter der karierten Strickweste. Karl-Heinrich schlurft schnaufend aus dem Waschhaus. Schlapp. Schlapp. Seine Stirn glitzert. Schweiß perlt die Schläfe hinab, verheddert sich im silbriggrauen Haarkranz. Der ist bald durchnässt. Die wenigen verbliebenen Haupthaare sind in dicken Strähnen quer über den Kopf gekämmt. Wirkt fülliger dann.

Hände zu waschen vergessen. Sind aber auch schlecht geputzt die Waschbecken. Die Campingplätze in Deutschland sind sauberer. Aber mit Putzen hamses im Ausland ja auch nicht so. Außer in Singapur. Da knallen se Dich ja ab, wennde ne Kippe auffen Bordstein wirfst. Der Ausländer generell ist ja eher seltsam. Aber schöne Gegenden ham se da, wo er wohnt.

Er reibt sich die linke Augenhöhle. Auf dem Auge sieht er nicht mehr viel. Erschwert das Einschätzen von Entfernungen beim Autofahren. Muss man aber ja nicht jedem erzählen. Schafft nur Unruhe.

Schlapp. Schlapp. Zurück zum Wohnwagen. Wenig Wind heute. Die Flagge baumelt träge runter. Schwarzrotgoldenes Trauerflor fast. Er plumpst in seinen Campingsessel im Vorzelt. Dort sitzt er immer und observiert den abgezirkelten Wegstreifen in seinem Sichtfeld. Man muss ja auch wissen, was so los ist. Der Holländer schleicht vorbei. Ne Käsehaut hat der, gelb, irgendwie milchig und eingedellt. Und auch sonst. So würd ich ja nie. Nee. Im Leben nich. Senfiges Haar und Schnurrbart wie'n toter Schwalbenschwanz. Kähähä. War wohl abwaschen. Dessen Frau würd ich was erzählen. Abwaschen. Das ist doch keine Männerarbeit! Bei dem ist wahrscheinlich eh Hopfen und. Hilft eh nix.

Sein Sack juckt. Schon wieder. Karl-Heinrich kratzt sich. Wenigstens für die nächsten Minuten trollt sich der Juckreiz. Naja, solange es keine Sackratten sind. Molli, bring mal Bier, Zigaretten, Feuerzeug und nen Ascher raus.

Er denkt nach. Seine Gedanken schillern in den langweiligsten Farben der Welt. Ach, da kommt der Däne wieder. Was für ne mickrige Zugmaschine der doch fährt. Wenn der mit seinem Gespann nen Berg hochtuckert, überholt den doch jede Nacktschnecke und hinter ihm kann niemand mehr was sehen vor rußigem Qualm. Wetten, der muss jede zweite Woche seinen Wohnwagen putzen, damit niemand denkt, die Front wäre schwarz gestrichen? Und überhaupt. Der hat seine Frau auch nicht im Griff. Die Bierflaschen von gestern stehen immer noch auffer Sitzgarnitur draußen. Und was die quietscht, wennse die aufbauen. Sowas käm mir ja nicht ins. Watt ordentliches Schmieröl ist, wissen die auch nicht. Bier. Achja. Molli, watt is nu? Soll ich hier verschimmeln, oder wird das langsam mal was?

Seine Frau schält sich trainingsbehost aus dem Wohnwageninneren. Sie ist eine gute Frau. Fleißig. Ordentlich. Bügelt und putzt, ohne, dass man ihr das ständig sagen muss. Sie mag ihren Mann. Irgendwie. Sie hat ihn ja auch geheiratet. Das ist ja nun aber auch schon ne Weile her. Wahrscheinlich war sie auch in ihn verliebt. Ob und wieso, weiß sie nicht mehr genau. Das Gedächtnis verblasst ja mit der Zeit. Das ist ja nun aber auch schon ne Weile her. Und gibt auch Schlimmeres als Blömelskötter heißen.

Karl-Heinrich hievt die Pinte, sich das Zäpfchen zu feuchten. Geht doch nix über ein kühles Pilsken. Schaum aus der Krone verfängt sich im zotteligen Schnurrbart. Er schiebt sich eine Ernte 23 unter dem Haarbusch hindurch zwischen die Lippen. Wo ist das Feuerzeug? Molli, ich hab doch gesagt. Ach, da. Ich dacht’ schon. Schmeckt wie immer. Nur schwer zu bekommen in Frankreich, die Dinger. Muss man immer gleich mehrere Stangen mitnehmen, wenn man wegfährt. Die rauchen hier ja so komisches Kraut. Franzosen – ein Verein von Tanzlehrern. Ouioui. Schwule Sprache. Außer Wein, Baguette und mit Strapse im Ballett rumhüpfen können die auch nicht viel.

Schon wieder der Holländer. Geht mit seiner Frau spazieren. Das sollte Molli mal einfallen. Was Frauen immer mit Spazierengehen haben? So wie die aussieht, schmiert die sich immer doppelt dick Butter auf’s Brötchen. Schlumpige Fettschwampe. Komisch geschrägtes, siruppiges Gesicht hatse. Schmoddergraubräunliche Fratze. Aber Pfauenaugen. Sieht verschlagen aus. Und zerschlagen gleich dazu. Und'n Arsch wie'n Ozeandampfer. Kähähä. Und er erst. Bei der Seele meines Sofaschoners! Was für’n Weichei. Lässt sicher auch rumschubsen. Geht, als hätt' er ne Bleiplombe im Pimmel. Was ne schlaffe Wurst. Was kommt da denn? Ein Pole? Sowas lassen die hier auf den Platz?

Bei Gott, da kann einem ja das Pils im Hals sauer werden, kann einem da doch. Naja, wenn der sich neben uns stellt. Dem werd ich. Ja. Dem zeig ich, auf welcher Seite das Brot gebuttert ist. Und der Leeraner da gegenüber. Komische Titten am Adler auf seiner Flagge. Und seit wann ist die Deutschlandflagge unten blau? Gibt’s bei denen keine ordentliche gelbe Farbe? Leer, wo liegt das überhaupt? Der liest auch immer französische Zeitungen. Furchtbar angepasst. Klugscheißer. Redet auch an der Rezeption nur ausländisch. Bringt sicher auch noch seiner Oma bei, wie man Enten melkt. Wenn ich hier nix auf deutsch kriege, kauf ich auch nix. Man sollte einfach auf der ganzen Welt deutsch lernen. Dann ham wir auch keine Sprachprobleme mehr. Ich sag's ja immer wied. Aber auf mich hört ja eh kei.

Vor lauter Aufregung verbrennt er sich fast die Finger am Stummel seiner ollen Zigarette. Wo ist denn eigentlich der Aschenbecher. Mein lieber Kukuschinski, Molli. Irgendwatt vergisstse ja immer. Kann man doch glatt die Flöhe kriegen.

Er ascht auf den Rasen. Wann gibt’s eigentlich Essen? Ist bald halb sechs. Was? Die von nebenan laden uns ins Restaurant ein? Wozu hab ich denn extra einen Speiseplan für drei Wochen erstellt? Heute ist Erbsuppe dran.

Karl-Heinrich hustet. Eiter rasselt. Er spuckt in sein blassrosa Stofftaschentuch. Hier im Restaurant krieg ich doch eh nur komischen Käse, gebratene Frösche oder irgendwelche Vögel, die sich in übermenschengroßen Tischtennisnetzen verheddert haben. Quatsch mit Soße und Rosinen. Nee danke. Auf sowas geb ich keinen gegrillten Furz nich. Außerdem kommt der Heck heut im Fernseh. Mal sehen, datt ich die Satellitenschüssel bis dahin wieder an Laufen gekricht hab.

Mittwoch, November 09, 2005

Nur einmal noch die bewusste Seife

Ich goss mir Mayonnaise über die Pflaumen, weil ich dachte, es wäre Sauerrahm. Makrele nannten sie mich. Quatsch mit Spinat! Wieso ist Horatio Leitstern an einem schönen Junitag gewesen? Verringerte Finger erweisen sich als zu prickelnd für fröhliche alte Frauenzimmer. Anne popelt, Flo pupt - doch kann man's verübeln? Lasst uns ein Wasserklosett installieren. Hallo, Zentrale! Diese leicht überkandidelten Weiber! Damen beschenken Spießer mit Tempopillen. Ein wahrer Meteoritenhagel, soll man das denken? Der Sophist versetzt der überkandidelten Helena Nasenstüber. Sie liegt jetzt auf der Entbindungsstation. Das Zeug vom sinnenden Busen des Silberschimmers. Derweil knirschen Spartaner mit Backenzähnen, während die Ithaker Pen zur Favoritin wählen. Nachts aus dem Schlaf hochgeschreckt und schwarze Panther gesehen. Darauf geschossen. Eine Nonne soll doch den Stacheldraht erfunden haben. Der Mond. Er hat Hamlet vergessen. Der Gedanke, dass der Kerl da zahlt, ist die beste Soße der Welt. Eine geschliffene Periode. Impromptu. Reime und Sinn: pace, piace, tace. Ominös - für ihn! Irgendein Kerl, den der Parterre-Schnupfen brennt. Angst setzt Säfte frei, die machen das Fleisch erst richtig zart. Immer außen um die Laternenpfähle. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag... Bindeglieder zu vergangenen Tagen. Und träufelt in den Eingang meines Ohres... Sie können das! Kyrie eleison. ??? Eine Oper von Balfe klingt im Original genauso wie die Eisenbahn. Verlorne Sache. Erinnerung an denkwürdige Schlachten. Was Wetherup immer gesagt hat.
Aus der Reihe "Bandnamen, für deren Erfindung ich leider etwas zu spät gekommen bin" heute:

"Das zuckende Vakuum"

Dienstag, November 08, 2005

Der Nuschler

Inmitten des Gewusels sehe ich plötzlich sein geflunschtes Gesicht. Der Nuschler. Einst saß er mit mir im Lateinkurs, spätabends an der Uni, rang mit mir den ablativus absolutus nieder. Seine Haut ist blass geworden, schimmert wie Tofu. Er schlurft schwerfällig, gar lustlos unter dem großen steinernen Torbogen her. Rechterhand geht es zu den frisch gestrichenen Seminarräumen. Er scheint erkältet; seine Nase leuchtet wie eine Sparglühbirne. Dann erblickt er mich.

"Na?"

"Hi! Herrje, Dich hab ich ja Jahre nicht gesehen! Studierste noch?"

"Hmjoamnstudier jetzt Darmflora." Dachte ich gehört zu haben. Gesagt hatte er: "Hmjoamnstudier jetzt DaF(*) noch, ja." Vielleicht sollte ich mir nach zu viel krachender Rockmusik Sorgen um mein Gehör machen? Vielleicht bleibt er aber auch einfach nur der Nuschler.

*DaF ist die Abkürzung für "Deutsch als Fremdsprache", wie ich seitdem weiß.

Traumhaft

Manchmal erstaunt mich die Wahrnehmung von mir in den Augen anderer Menschen. Vor allem die unterbewusste. Aus beinahe heiterem Himmel heraus erzählte sie, die gerade in Wien weilt, mir ohne näheren Zusammenhang:

A: "Ich hab ja heute nacht geträumt, dass Du mir ein Päckchen geschickt hast."

B: "Ich hoffe, es waren nur famose Sachen drin?"

A: "Es war ne Menge Zeug drin - ein 74 € teurer indischer Vorhang und eine halbleere Flasche hohes C."

Montag, November 07, 2005

Wurst Case Scenario (II)


Bleigrau schimmern die Schläfen der Produktdesigner, mit mehr Rändern als Augen - und die unterlaufen - schleichen sie geduckt durch die Zentrale. Alle hadern mit dem Schicksal. Es sollte der neue Coup werden, die Marktplatzierung war genau geplant. Und plötzlich gab's da gammliges Hühnerfleisch aus dem Cloppenburger Land, jede Menge Vogelg(e)rippe und die hartbittere Erkenntnis, dass das Volk momentan wohl auf Vieles mehr Hunger hat als auf ihr neues Geflügeltrockenwürstchen - egal, ob und wie herzhaft, kräftig ...und gut sie nun sein und schmecken mögen.

Sonntag, November 06, 2005

"Na schön", sagt er, "na schön. Hat keinen Wert, den Apfel zu pflücken, wenn man nicht wissen will, wie er schmeckt."

Freitag, November 04, 2005

Samplertauschbörse

Ich bin begeistert, wieviel geballter, guter Musikgeschmack hier zu Besuch ist. Und, wie schon im Kommentar zum Klangherbst-Artikel angedeutet, kam mir die Idee, einen kleinen, feinen, neuen Sampler-Kreis ins Leben zu rufen. Was bei den Aktionen von Herrn Poodle im Frühjahr schon zu begeisternden Ergebnissen führte, könnte jetzt noch einmal neu und frisch erstrahlen.

Die Idee ist simpel. Ein kleiner, fester Kreis aus Interessierten und Geschmackvollen bekommt jeweils die Adressen aller anderen Teilnehmer, stellt seinen - hier teilweise ja schon schriftlich festgehaltenen - Sampler für alle anderen einmal her und schickt sie ihnen zu. Und umgekehrt bekommt er von allen anderen dann Post mit deren ureigenem Sampler. Und - schwupps! - hat man einen bunten Reigen hervorragender Sampler, zu deren perlend sanften Klängen sich famos melancholisch schwelgen lässt. Frl.Fuchs, Burns, Calvin, Nasobem, Kein Einzelfall, French Kiss und auch an alle anderen... wie wär's? Oder auch gern herbstlicher HipHop vom MC?!

Bei Wulnikowski fehlt was

"Undank ist der Welten Lohn, alsbald verdreht sich Dank zum Hohn", grummelt Wulnikowski durch seine trockenen Lippen, während er seinen verbitterten Blick durch die verwaschene Gardine aus dem Küchenfenster bohrt. Für einen Moment amüsiert ihn seine eigene Fortdichtung der Binsenweisheit. Und fast zuckt ein Lächeln spielerisch über seine Mundwinkel. Doch es scheitert, stürzt ab, gerät zur grässlichen Fratze. Vergiftetes Schweigen zieht sich wieder durch seine beengte Küche wie ein riesiges Fischernetz, das nur seine brummelnden Flüche kurzzeitig aufreißen. Draußen fällt das Tageslicht schräg und scharf ein wie eine Rasierklinge und schneidet die Häuser entzwei. Auf dem Bordstein zerrt und pickt eine Taube lustlos an einer Sardinenbrotrinde herum, die die streunenden Katzen liegen gelassen haben.

"Überhaupt, Katzen! Verdammte Mistviecher! Säuselschnurrende Verräterbande! Undankbares Kackbratzenpack!" Wulnikowskis Blut wallt, brodelt, köchelt, kocht, siedet, lässt seine Schläfen vor Wut puckern. Emotionale Feuersbrunst bricht in ihm aus, prasselt, verkohlt ihn von innen, hinterlässt beißenden Gestank, zähklebrig verkohlte, bitterschmeckende Gefühls-Asche.

Doch kein Feuerlöscher ist greifbar.

"Wenn ich dieses verfluchte Scheißgeschöpf noch einmal erwische, diese spitzohrige Bratpfannennase, ich reiß ihr die schillernden Augen raus, zerquetsche sie und spring mit meinen Gummistiefeln auf ihrem triefenden Matsch herum, zerfetze ihr die Eingeweide, rupfe ihr jede Kralle einzeln aus, verbrenne ihr Fell in lodernden Flammen, sprenge ihr die Beine kaputt, breche ihr jeden Knochen einzeln und ramme sie unangespitzt in Marmorsteinboden!"

Er blickt an der Tischkante vorbei auf seinen verbunden Fuß und beginnt zu schluchzen. Tief vergräbt er sein Gesicht in Händen. Tränen kullern in Bächen seine Wangen hinab.

Hätte er "Lulu" doch nur nie zu sich gelassen. Als er vom Einkaufen wiederkam, hatte sie ihn am Zebrastreifen umschnurrt. Er wartete auf ein bremsendes Auto. Mit ihren schneeschmelzenden Augen hatte sie ihn voll aufrichtiger Trauer angeblinzelt, herzzereißend süß gemaunzt und ihr struppiges Fell an seiner Hose geschubbert. Sofort hatte er sie ins Herz geschlossen. Völlig ausgemergelt war sie. Aufpäppeln wollte er sie. Und das hatte er auch getan. Er hatte sie mit zu sich nach Hause genommen, für sie gesorgt, sie gestreichelt, gefüttert, beschmust.

Und dann kam der verhängnisvolle Morgen. Er hatte ihnen beiden Frühstück bereitet im Garten. Zu schön und zu sonnig war der Tag, als dass sie in der schnöden Küche frühstücken sollten. Dies sollte ein Festtag werden. Und Frau Poes, die Vermieterin, überließ ihm den Garten großzügig. Barfuß hatte er duftenden Kaffee, knusprige Brötchen, Marmelade, Käse, Wurst nach unten geschleppt. Für "Lulu" sogar extra ein Stück Räuchermakrele vom Fischhändler um die Ecke geholt. So saßen und genossen sie im tanzenden Herbstmorgenlicht. "Lulu" verschlang begeistert ihre Makrele, während Wulnikowski mit mangelnder Schnittfestigkeit seines Camemberts kämpfte.

Als sich Lulu nun das Fell und die Hinterpfoten mit der rauhen Zunge leckte, passierte es.

Wulnikowski entglitt das scharfe Käsemesser! Es sauste abwärts und - zack! - durchschnitt es seinen bloßen rechten Fuß, trennte eine Zehe ab. Vor Schock und Schmerz schrie Wulnikowski auf, vom spritzenden Blut wurde ihm dämmrig. Und im Nebel seines Unbewusstseins sah er Lulu nur noch, wie sie davonstob. Mit etwas Länglichrundem im Maul.

Es war sein Zeh. Lulu hatte ihn verschleppt.


Das Blut perlte in dunklen Strömen auf die gepflasterte Terasse. Er humpelte benommen hinterher. Er holte sie nicht ein. Sie huschte ins Dickicht von Stechginster, Rhododendron und Fliederbüschen und verschwand in die verblätterte Unsichtbarkeit. Er fand sie nicht. Alles Rufen half nicht. Man hätte den Zeh wieder annähen können. Doch "Lulu" ist fortgeblieben. Und einen Zeh, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist, kann man nicht annähen. Inzwischen ist es zu spät, die Hoffnung aufgegeben, die Enttäuschung doppelt bitter. Der Fuß zuckt und puckert vor Pein. Vor allem der Zeh, der nicht mehr da ist. Elende Phantomschmerzen.

"Auf den Mond mit Dir! Und mit dem verdammten Käsemesser gleich mit", flucht Wulnikowski und liest gedankenverloren mit seinem Zeigefinger einige Krümel neben der Keksschale auf.

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Donnerstag, November 03, 2005

Es gnurpst, klötert und rattert durch meinen Fußboden. Ein kaum mehr endendes Getöse. Ich glaube, der orientalische Schlachter im Erdgeschoss hat einen neuen, extra lauten Fleischwolf gekauft.

Kurzer Tiger

Horatio begegnet uns doch noch. Fast am Ende. Spät. Und doch eigentlich noch viel zu früh. Der Abend hätte gern noch weitaus länger werden können. Nur wenige Minuten später verhallt der endgültige Schlussakkord. Rasmus winkt freundlich zum Abschied, kündigt an, sich gleich noch unters Volk mischen zu wollen. Wir gehen trotzdem. Mit Zugaben nur eine geschlagene Stunde Konzert. Knackig, gut aber kurz. Unsere ausgeklügelte Vermeidungstaktik wäre insofern beinahe ins Auge gegangen. Schlau gehört hatten wir uns im Vorfeld, hatten die Titel von „Rupesh Cartel“ für furchtbar befunden und uns dafür entschieden, beim Konzert von „Tiger Lou“ im Gleis 22 auf die Vorband zu verzichten. Der Sinn stand uns nach vielem, nicht aber nach elektrifiziertem Schweinepop mit vergangenheitsverhafteter 80er-Jahre-Attitüde.

Es nieselt, der schwarze Himmel ist wolkenverhangen, die Jacke ist klamm. Leise Flüche über das nasskalte Wetter huschen durch den Herbstwind und werden davongetragen. Mit halbstündiger Verspätung – wie geplant – schlurfen wir um halb zehn die schrubbeligen Betontreppen aufwärts und in den Club. Niemand spielt. Das eingeweihte Publikum steht, trinkt, raucht, quasselt. Haben wir die Vorband etwa doch nicht verpasst? Wenige Schlücke frischen Pilseners sind erst unsere Kehlen hinabgeperlt, da wuppert uns die erste Basslinie entgegen. Sind das etwa schon? Ja, sind sie. Huch, die Meister geben sich unerwartet früh die Ehre. Das war knapp. Was auch immer mit der Vorband passiert sein mag, gespielt haben sie nicht. Es kümmert uns nicht weiter, schließlich bekommen wir jetzt, weswegen wir gekommen sind. „Until I’m there“. Sie sind da, wir sind da, alles gut.

Alsbald schnappen uns Rasmus Kellerman und seine Jungs. Sie zupfen uns auf ihren fluffig groovenden, fliegenden Musikteppich und sausen mit uns los. Mal lockerleicht beschwingt mit Schalala- und Heyheyschubiduwah-Refrains, mal kullern ein paar wehmütige Tränen, zuweilen erschüttern Rockgewitter den Teppichflug und bringen ihn zum Beben. Müsste man dem Schubladendenker eine maßgeschneiderte Lade schreinern, könnte man „Esco“ drauf schreiben – eine Mischung aus Emo und Disco. Flugs zeigt sich das typische Zweitalbum-Livephänomen: Mit „Sell out“ wird der bislang größte Hit des Vorgängeralbums schon früh ins Publikum geschmettert. Das jubelt auf, beklatscht den Song und sein eigenes Gedächtnis. Ein bunter Reigen aus überwiegend neuen Songs mit eingestreuten älteren Sachen erwartet uns. Knackig gespielt, schmissig vorgetragen. Gut gelaunt hüpfen die Melodien ins Ohr, veranlassen zum mitsummen und –singen.

Und doch: Das Publikum zeigt sich sehr angetan, aber so beweglich wie ein Germknödel. Rhythmisches Kopfnicken scheint beim Gros das höchste der Gefühle. Vielleicht auch, weil der leise Eindruck bleibt, dass Kellerman & Co. es eilig haben, wieder von der Bühne zu kommen. Sie bieten ein bravouröses Set, routinierte Feinkost, aber es ist wie im Nobel-Restaurant: Was auf den Teller kommt, ist exquisit aber sehr überschaubar. Nach einer guten Dreiviertelstunde zucken wir zusammen? Wie „our last Song“? Ihr habt doch grad erst zu spielen begonnen und mit „Oh Horatio“ noch nicht mal den besten Song der Vorgängerplatte gespielt!

So nicht, Jungs!

Braver Zugabenforderungsapplaus. Und so zeigen sich Tiger Lou auch brav. Horatio begegnet uns doch noch. Fast am Ende. Spät. Und doch eigentlich noch viel zu früh. Diesmal ist er - kleine Publikumsanbiederung - nicht auf dem Weg nach München sondern nach Münster. Wippen im Takt, verhaltenes Mitsingen. Stilles Glück. Zwei kurze, halbakustische Songs später ist dann trotzdem Schluss. Wir möchten doch ihre noble Geste zu schätzen wissen, dass sie wenigstens noch drei Zugaben gegeben haben. Wissen wir auch. Aber weil’s doch durchweg sehr schön war, hätt’s auch gern noch ne Ecke länger sein können. Zumal die Vorband ausgefallen ist. Was uns hingegen ja wenig gekümmert hat.

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Dienstag, November 01, 2005

Klangherbst
















Die Abende werden minütlich länger. Nur noch kurz, dann kommen die Wolken. Vollgesogen mit eiskalten Fluten, vorangepeitscht von grimmigem Sturm schicken sie die Sonne in Urlaub und tünchen den Himmel in blasses grau. Die Blätter, die noch tapfer an den Ästen schaukeln, werden sich alsbald resigniert ergeben und sich reihenweise abwärts stürzen wie Lemminge von der Klippe, werden raschelnd über die Kreuzung geschleudert, überfahren, weitergejagt. Bald werden sie zu Matsch zertreten sein, dann saugen die Schuhe sich vom Regenwasser voll und schlurpsen bei jedem Schritt, während endlose Kaskaden von Wassertropfen gegen die Scheiben prasseln wie zerplatzende Erbsen.Glasflaschen am Straßenrand fallen um. Der Wind umgreift sie und rollt sie klöternd durch die Gegend, ehe sie an einem Laternenpfahl zerschellen. Ein Plastikmülleimer wird von der Wand gerissen, überschlägt sich zigfach. Ihm ist schwindelig. Fenster schlagen von selbst zu, Gardinen werden an die Kippspalte gesogen. Leise Wehmut und Trübsal mischt sich in die Tageslaune. Der Herbst. Doch wie gemütlich ist es, sitzt man drinnen im Warmen. Vor einem dampft der Tee im matten Schein weniger Kerzen, aus der Knitterpapierlampe tanzt sanftwarmes Licht auf die Buchseiten, durch die man sich blättert. Die Beine sind in eine Wolldecke eingeschlagen. Kekse werden in den Tee gestippt, brechen ab, werden mit dem Löffel wieder herausgeschöpft. Und aus der Anlage klingen leise, zerbrechliche Akkorde, brüchige Stimmen und der wohlige Hauch der Vergänglichkeit. Ich finde, es ist Zeit, einen Herbstsampler zusammenzustellen. Mein Vorschlag folgt gleich. Wie klingt Euer Herbst?

1. Jacques Brel – Jojo
2. Kevin Devine – Haircut
3. Kristofer Aström & Hidden truck – What I came here for
4. Eels – Somebody loves you
5. Mark Eitzel – My pet rat St. Michael
6. Nick Cave & The Bad Seeds feat. PJ Harvey – Henry lee
7. dEUS – Serpentine
8. Kaizers Orchestra – Christiania
9. The Decemberists – From my own true love (lost at sea)
10. Weakerthans – Pamphleteer
11. Ryan Adams – Call me on my way back home
12. Damien Rice – Older chests
13. Ben Folds Five – Evaporated
14. Okkervil River – A Stone
15. Sufjan Stevens – John Wayne Gacy Jr.
16. Radiohead – Fog (again)
17. Ben Kweller – Living life
18. I am Kloot - Twist
19. Bright Eyes – We are nowhere and it’s now
20. Juliette Gréco – Feuilles mortes

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Schlupp

Gewisse ausgestopfte Hunde ahmen in verblüffend vollkommener Weise lebendige Hunde nach. Adas Hund "Schlupp" ahmte in verblüffend vollkommener Weise einen ausgestopften Hund nach. Eine wuschelige Franse troddelte vor seiner Stirn, verbarg geschickt den Umstand, dass der Hund auch zwei schwarzglänzende Augen hatte und offenbarte darwinistisch die Überflüssigkeit des Sehens, durch die Gewohnheit, von einem fremden Willen und an einer Leine geführt zu werden. Streichelte man ihn, musste man fürchten, dass ein Haar seines schlammbraunen Fells einen in den Finger stach. Er war klein, fast in die Tasche zu stecken, entzückend dumm und besaß den Bewegungsdrang eines Germknödels. Bequemte er sich seltenenfalls tatsächlich einmal von seinem ewigen Liegeplatz auf dem rostroten Cord-Sofa zum Fressnapf, hatte man trotz allem selbst in diesen Fällen das Gefühl, dass er sich dabei nicht einmal bewegt habe. Bei aufmerksamer Untersuchung konnte man sogar erkennen, an welcher Seite der Kopf und an welcher Seite der Schwanz war.