Kölle, wir kommen (Teil I)
Geglaubt haben wir es kaum.
Doch wir sind gerüstet.
Auch wenn wir gleich viermal vergessen haben, das Mixtape rechtzeitig zur Stauschau aus dem Schacht hüpfen zu lassen.
Abgebrochene Strommasten, Hunderttausende bibbern in der nächtlichen Finsternis des Münsterlands ohne Strom, Heizung und Warmwasser. Wir hatten selbst nur aus den Nachrichten davon erfahren. Zwar war auch Münster in über 30 Zentimetern eisigweißer Glitzerpracht versunken, die Heizung ausgefallen ist aber nur im Studentenwohnheim Böselager Straße. Die Autos schlichen schlitternd im Schneckentempo über die glitschigen Fahrbahnen, die Regionalzüge hissten die schneeweiße Fahne,und auch die Busse gaben am Freitag abend den Geist auf. Wildfremde Menschen pfefferten sich kichernd lockerflockige Kugeln um die Ohren. Mitten in der Nacht bappten plötzlich edelweiße S(chn)eepferdchen an Laternenmasten, eine großbusige, kugelige Schneemäusekönigin thronte im Schlossgarten. Ein Kaninchen knabberte, vor Kälte zitternd, an der heruntergefallenen Karotte eines umgefallenen Schneemanns.
Fast ein Wahnsinn, bei solcher Witterung zum "Visions Anniversary Festival" nach Köln zu fahren, oder? Die Frage bohrt, doch die musikalische Leidenschaft obsiegt. Schließlich haben wir schon Eintrittskarten. Das Geld verfallen lassen, die Konzerte verpassen? Nix da. Zumal: Nun, am Sonntag, scheint alles halb so wild. Anruf in Köln: "Nöö, hier ist alles frei." Blick aus dem Fenster: Straßen hervorragend befahrbar. Also fahren wir. Ein kleiner, türkiser Polo ohne Wumms unter der Haube aber mit Winterreifen macht sich auf den Weg.
Und tatsächlich!
Geglaubt haben wir es kaum.
Doch wir sind gerüstet.
Auch wenn wir gleich viermal vergessen haben, das Mixtape rechtzeitig zur Stauschau aus dem Schacht hüpfen zu lassen.
Aus dem Radio knödeln frierende Münsterländer aus Ochtrup und moppern über den opportunistischen Ministerpräsidenten, der den Strom auch nicht wieder anschalten kann, aber plötzlich mit großen Gesten in ihrer Winzstadt auftaucht, in die er sonst nie gefahren wäre. Kein Strom, nix warm, ratternde Generatoren, Erbsensuppe in Turnhallen, tuckernde THW-Diesel, mit Megafonen auf dem Dach, um die Bürger zu informieren. Aber jetzt rücken alle näher zusammen. Nun endlich die Stauschau. Mehrere Kilometer Schneegestöberstau dank chaotischer Witterung bei Wuppertal, dem wir uns langsam nähern. So'n Quatsch! Hier ist doch nix! Und nur soweit ist es dahin auch nicht mehr!
Und tatsächlich!
Geglaubt haben wir es kaum.
Doch wir sind gerüstet.
Auch wenn wir gleich viermal vergessen haben, das Mixtape rechtzeitig zur Stauschau aus dem Schacht hüpfen zu lassen.
Plötzlich flockt es. Immer wilder. Eisige Sturmböen schleudern butterweiche, eisige Massen herab. Die Raststätte zur Rechten versinkt in weißem Aufgetürm. Wir überschlittern die nächste Bergkuppe. Da ist schon der Stau. Rien ne va plus. Aussteigen, Schneeballschlacht. Wenn wir hier stecken bleiben: Wir haben doppelte Socken, Handschuhe, nen zweiten Pulli, Wolldecken, Grillkohle, ne Kiste Wein, warmen Pfefferminztee und zuckerfreie Karamellbonbons. Was kann uns schon passieren?
Es matscht beim Spurwechsel. Die Blechschneelawine eiert in Zeitlupe durch die Kurve. Wir passieren "Schloss Burg". Immer wieder einen Schmunzler wert. Jochen kitzelt Britta. Lieber nicht zu lang. Schließlich fährt sie. Steffis Hanuta krümelt. Nervöse Blicke auf die Uhr. Noch zwanzig Kilometer. Noch eine Stunde bis zum Konzertbeginn. Was sollen wir hier im Schnee bei Remscheid? So wird das nix. Egal, wird schon. Wir nehmen, was kommt. Die Decemberists krähen vom Mixtape. Dann walzt der Korso wieder schneller. Wir nehmen Fahrt auf, Kölle wir kommen, und scheinbar doch nicht einmal zu spät.
(Teil II folgt)
21 Wortmeldung(en):
Wieso denn Schnee? Der Weltjugendtag war doch im Sommer?! ;)
29/11/05 12:38
Zum Weltjugendtag hatte ich ja auch Harald Schmidt als Vertretung geschickt. :)
Hier ging's um echte Rockmusik. Gab's sowas auf dem Weltjugendtag auch?
29/11/05 12:40
An meiner Statt war das geistige Oberhaupt aus Rom dort, kann ich zur Musik also leider nichts sagen. Zumal "echte Rockmusik" doch das ist, wobei die jungen Leute so einen Heidenlärm machen, ist es nicht?
29/11/05 12:51
Es ist. Aber Lärm - in ansprechende Melodiegewänder gekleidet und geschickt strukturiert - hat seinen mitreißenden Reiz. Durchaus. :)
29/11/05 12:53
ich bitte um erklärung des folgenden satzes :-) "Wir passieren "Schloss Burg". Immer wieder einen Schmunzler wert."
i'm not amused!
29/11/05 13:04
er meint wermelskirchen. schmunzeln würde ich da auch nicht unbedingt, aber mich an einige richtig schöne motorradtouren erinnern...
29/11/05 13:52
wo Schloss burg" ist, weiß ich auch! ich wohn ja schließlich quasi um die ecke! nur wo ist die stelle zum schmunzeln? ich will mitlachen, sofort!
29/11/05 14:02
absurdistan goes sächsisch/to saxony wäre doch eindeutig der bessere plan gewesen wenn man das so liest...aber ich habe geduld :-)
29/11/05 14:12
Was haben die Decemberists gekräht? "I'm An Engine Driver"?
Und seit wann krähen die denn?
29/11/05 14:25
Sehr cool deine Winterbeschreibungen. Insbesondere mit Blick auf den humorlosen Himmel vor meinem Fenster. Kein Körnchen Schnee in der Stadt!
29/11/05 15:01
schloss burg, EINEN SCHMUNZLER WERT??!
es handelt sich dabei um einen historischen stadtteil
meiner heimatstadt solingen. und hier haben fremde nichts zum schmunzeln.
29/11/05 15:30
Den Schmunzler, auch wenn Fremde hier eigentlich nur heimlich und von Einheimischen unbemerkt schmunzeln dürfen, löste bei "Schloss Burg" die beinahe Dopplung aus. Meist hat man ja ein Schloss oder eine Burg. Oder ein Burgschloss. Selten aber Schloss Burg. Das mag beschmunzelnswert finden wer mag (und darf), oder eben auch nicht.
29/11/05 15:57
@burnster: Ich glaube, ja. Kann aber auch "This sporting life" oder "Infanta" gewesen sein. Gekräht hat nicht die Band selbst, sondern der Lautsprecher der schäbbigen Polo-Boxen. :)
29/11/05 15:58
Werte Agathe, kommt Zeit, kommt Sachsen. :) Ich hatte es - ehrlich gesagt - schon wieder vergessen. In Bälde aber mehr.
29/11/05 15:59
Schmunzeln...wer tut das eigentlich noch außerhalb einer Buchstabenwelt ? Außer dem Schmunzelhasen ?
29/11/05 17:56
Ich würde sagen: ich. Ich sage es in diesem Fall aber innerhalb der Buchstabenwelt und führe mich selbst ad absurdum. Was in diesem Theater hier aber auch fast schon zum guten Ton gehört. :)
29/11/05 18:18
Eigentlich schmunzelten für mich (vielleicht wegen der lautmalerischen Ähnlichkeit des Wortes mit den Gesichtsfalten unserer älteren Zeitgenossen (hallo, Opa ?)) bisher nur wohlwollende, ältere Herren...aber ich bin ja Neuem gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen...;-)
29/11/05 20:18
...und ich habe mal wieder keine ahnung, wer da singt :(
was mich aber bewegt ist das mixtape. das es sowas noch gibt. tape! nicht cdr! ich bin begeistert :)
29/11/05 21:16
@rOssi: Kommt wahrscheinlich morgen. Bin ziemlich übernächtigt und gestresst grad. :)
29/11/05 23:27
Grüßen Sie mir den Dom, Ole!
Bin am 17.12. auch wieder in der Stadt.
Und überhaupt: HANUTA?
Nie wieder hanuta!!!
30/11/05 16:05
Ich hab den Dom gar nicht zu sehen bekommen. Wir sind von der A1 direkt auf die A3, Köln-Dellbrück runter, rechts auf die Bergisch-Gladbacher-Straße, unter der Bahn durch, wieder rechts und dann waren wir, wohin wir wollten. :)
30/11/05 16:19
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