Donnerstag, Dezember 28, 2006

Ein leises Adieu

Der Glückwunschreigen beginnt früh. Draußen kleben die Reste des nächtlichen Dunkels am Himmel. Der Frühstücks-Espresso dampft noch aus den Bechern auf den Nachttischen meiner Eltern. Die Schlafkrümel sind soeben erst aus den Augenwinkeln gerieben, als das Telefon erstmals schellt. Am anderen Ende der Leitung steckt Onkel Holger – er ist der erste, der am Tag vor Heiligabend unsere Nummer wählt, um meiner Mutter zum Geburtstag zu gratulieren. Putzmunter und vergnügt überbringt er die guten, herzenswarmen Wünsche, witzelt ein wenig und lässt seine wonnevolle Vorfreude auf die herrlichen Rouladen beim gemeinsamen Familientreffen aufblitzen.

Viele liebevolle Anrufe folgen. Glückwunsch um Glückwunsch perlt aus dem Hörer. Die besten Freundinnen trudeln zum Brunch ein, der Geschenketisch füllt sich mit Köstlichkeiten und schönen Dingen. Die muntere Plauschrunde wird ein ums andere Mal kurz unterbrochen von weiteren Gratulanten, die den Telefonhörer heißglühen lassen. Just beim Tee-Nachschenken klingelt es erneut. Eine brüchige Frauenstimme zittert am anderen Ende, stockt. Ihr Name? Keinem von uns bekannt. Ein Irrtum? Die Hoffnung flackert kurz und zerbirst doch in tausende Scherben. Was sie sagt, scheint so unglaublich, so unfassbar. „Onkel Holger ist tot.“ Wahrscheinlich Herzversagen. Scherzanrufe klingen anders, und mit dem Tod treibt man keinen Schabernack. Das eben noch warme Herz jetzt plötzlich eisig kalt.

Ungreifbare Verwirrung, Entsetzen, dass sich noch nicht setzen kann, verwirrte, haltlose Trauer, die noch gar nichts recht begreifen kann, sie stürzen über die geburtstäglichen Freuden. Der zarte Lachs, der eben noch dem Gaumen schmeichelte, schwillt im Hals zum Kloß. Es sind die Momente, in denen sich die Welt verändert, die sich in Dein Gedächtnis fressen. Ich erfahre erst etwas später davon, bin soeben vom Bahnhof abgeholt worden, sitze mit meinem Vater im Restaurant, um ein wenig zu Mittag zu essen: So haben wir noch ein wenig Zeit füreinander und stören die feiernden Frauen nicht. Mein Handy klingelt, meine Mutter verlangt nach meinem Vater, ihre Stimme erschrickt mich, ich reiche sie weiter, sehe sein Gesicht, höre, was er sagt, ahne Schlimmes. Kurz später sagt er es mir.

Das Hirn bestätigt die Ankunft der Information, doch das Herz zuckt mit den Schultern. „Kann nicht sein, Unfug!“, kräht es. Doch ahnt das Herz bereits sein dunkles Irren. Gewissheit ist es inzwischen, Gott hat meinen Onkel zu sich genommen. Ganz plötzlich, ohne Bescheid zu sagen. Viel zu viel ist ungesagt geblieben. Und so lose der Kontakt zuweilen war: Es schmerzt, die Chancen zuletzt vertrödelt zu haben, die Bande wieder fester zu zurren. Noch immer nicht finde ich mich innerlich ab damit, ihn nun nie wieder zu sehen.

Nur noch im Erinnern werde ich über seine holprigen Witze lachen können, gerührt staunen über seine liebevolle Großzügigkeit - trotz des wenigen Geldes, das er besaß. Er, dem ich gern in vielen Dingen mehr Glück gewünscht hätte. Er, der vor zig Jahren urplötzlich und unerwartet an meinem Geburtstag mit seinem klapprigen Wohnmobil aufkreuzte und mich zum ersten Mal in ein Fußballstadion einlud. Er, der die Eisenbahn und die Peanuts liebte und in mir dieselben Seiten weckte, er, der sich oft zurückzog, viele Jahre allein lebte und von dem ich viel zu wenig wusste. Er, mit dem ich später auch die gemeinsame Liebe zur Musik entdeckte und der mich auch hier reich beschenkte. Er, der alleine die Welt um sich herum bereiste und nie die Neugier an Neuem verlor. In meinem Herzen lebt er weiter. Dort, wo er jetzt ist, geht es ihm hoffentlich gut.

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P.S.: Zu seinem Angedenken lege ich hier noch einige Tage Pause ein.
P.P.S.: Ich hoffe, Ihr allesamt hattet freudvolle Feiertage voll von gemütlichen Stunden und glücklichen Momenten.
P.P.P.S.: Euch allen wünsche ich einen guten Rutsch in ein hoffentlich glückliches, gesundes und positiv überraschendes neues Jahr.

Samstag, Dezember 23, 2006

Klare Wasser sind still


Erst vor wenigen Tagen habe ich "Palo santo" von Shearwater zu meinem Album des Jahres gekürt. Nun findet man sie bei Daytrotter in der Donnerstags-Session mit erhellenden Infos, einem feinen Interview, vor allem aber mit wunderschönen kostenlosen Exklusiv-Songs zum Runterladen, Reinhören, Liebhaben.

Tipp: Nebenan bei Interesse zum Runterladen mit der linken (!) Maustaste auf die Songs klicken. Dann öffnet sich ein extra Fenster.


Dank an The incredible Uli für den Tipp.

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Freitag, Dezember 22, 2006

My beloved monsters and me

Vielleicht haben manche Menschen mehr Mut hinausposaunt in die Welt als ich. Posaunen ist nicht meine Tasse Tee, und eine Schissbüx war ich trotzdem nie. Ich habe nie unter Bettdecken gebibbert, wenn meine Eltern die Gutenachtgeschichte zu Ende erzählt hatten, die Dämmerung sich senkte, und ich allein, von der Dunkelheit umhüllt im Bett lag. Und wenn tatsächlich ein schrumpelnasiger, fieser Kobold, ein fratzgesichtiger Gnom oder ein gehässig kichernder, warzenwangiger Stollentroll unter meinem Bett kauerte, haben wir uns lustige Geschichten erzählt und die Dunkelheit weggeflachst. Ich hatte schon immer ein Herz für Monster. Und so habe ich mich auch prompt in Stefan G. Buchers tägliche Monster verguckt. Tag für Tag zaubert er schrullig-obskure Wesen aus zufällig übers Blatt gepusteten Tintetentakeln und geschickt drumherum tanzenden Eddingstrichen.

Entdeckt habe ich sie auf Maltes feiner Seite.

Dienstag, Dezember 19, 2006

Das gefühlte Mahl

"Schafskäse? Heute fühle ich mich eher fischig."
"Du erstaunst mich immer wieder."
"Nur, weil ich keinen Schafskäse bestelle?"
"Das weniger. Aber fischig haben sich noch nicht viele Menschen in meiner Gegenwart gefühlt."
"Schön, dass Du meine Gefühlswelt sofort auf Dich beziehst."
"Sollte ich etwa nicht?"
"Nein. Ich fühle mich wohl in Deiner Gegenwart. Und dass ich mich 'fischig' fühle sollte nur umschreiben, dass ich heute eher Hunger auf Fisch habe."
"Man fühlt sich also wie das, worauf man Hunger hat?"
"Als ich das letzte Mal Gulasch gekocht habe, habe ich mich nicht sehr fleischig gefühlt."
"Hmmmm... auch nicht paprikaesk?"
"Paprikaesk?"
"Ja... kann man sich wie eine Paprika fühlen?"
"Wahrscheinlich macht es einen Launeunterschied, ob man eine rote, eine gelbe oder eine grüne Papika ist. Schafskäsig habe ich mich jedenfalls auch noch nie gefühlt, auch wenn ich ja bekanntermaßen ein großer Fetafreund bin."
"Stattdessen fühlst Du Dich fischig. Wegen mir."
"Killefitt. Nicht wegen Dir. Ich habe nur Hunger auf Fisch."
"Wegen mir."
"Nein."
"Und Du willst wirklich Fisch auf Deiner Pizza essen?"
"Ja. Tintenfisch."
"Tittenfisch?"
"Mach keine blöden Witze. Hier geht's um Tinte, nicht um Titten."
"Wieso, auf Latein heißt er doch auch Octopussy. Ein Fisch mit weiblichen Reizen. Ohne Brüste, aber mit Tentakeln."
"Red' keinen Tinnef. Octopussy ist ein Bond-Film."
"Isst Bond denn keinen Fisch?"

Montag, Dezember 18, 2006

Gewusst?

Man sah ihn erst im Dunkel zwischen Säulen wandeln. Die langen Fusselhaare standen ab. Dann setzte er sich auf die kleine Bühne zum Interview. Peter Sloterdijk. Mit Denis Scheck durfte er über sein neues Buch sprechen, "Zorn und Zeit". Der Zorn sei der Ursprung der abendländischen Kultur, ließ er uns wissen, während er breitbeinig da saß und seine Hand wirkte, als könne sie sich nur schwerlich verkneifen, seinen Sack zu kratzen. Zugleich blickte er bedeutungsschwanger aus seinen winzigen Augen, striegelte seinen verunglückten Schnurrbart, während an mir vielmehr der Zorn der Zeit nagte, die ich diesem Geschwurbel widmete. Beinahe verlegen gab er zu, dass ihm beim Autofahren manchmal auch eine leise Unflat entweiche, sollten die Vorausfahrenden nicht seinen insgeheimen Geschwindigkeitswünschen gemäß operieren. Und manchmal, aber nur manchmal fluche er auch zu Hause. Sonst aber nicht in der Öffentlichkeit. Es wirkt, als habe er einen Muskelkrampf in den Schulterblättern. Ich wertschätze, wenn kluge Menschen kluge Sätze sagen. Aber es lässt mich innerlich ein wenig aufkochen, wenn kluge Menschen sich in unnütz kryptische und fremdwortschwangere Luftblasen flüchten. Das klingt hochgebildet, und weil es keiner versteht, braucht man ja nicht zu fürchten, dass jemand nachfragt. Denn niemand möchte sich die Blöße geben, aufscheinen zu lassen, dass er solche Wörter nicht kennt oder den Aussageninhalt dieses bekannten Philosophen sich nicht hat erschließen können. Ich frage aber dennoch. Was bitte, Herr Sloterdijk, wollten Sie uns mitteilen, als sie mit tiefsinnigem Blick und voller Ernst Sätze formulierten Sätzen wie: "Wir befinden uns in einer Tradition (Sloterdijksches Augenbrauenhochziehen) einer subterranen Dimension (bedeutungsschwangere Pause), die gewusst wird?"

Samstag, Dezember 16, 2006

Sahnestücke 2006 (Teil 1)

Das Jahr zerfällt in seine Einzelteile, nur noch wenige Wochen, dann wird es auslaufen. Zeit, einmal mehr zurück zu blicken, was die vergangenen zwölf Monate an neuer großartiger Musik an die Strände neugieriger Ohren gespült haben. Es gab eine Menge toller Scheiben und mitreißender Songs. Und so präsentiere ich hier die ersten zehn meiner insgesamt etwa zwanzig ausgewählten "besten Platten 2006". Komplett flippersfrei und radikal subjektiv.

1) Shearwater – Palo santo
Fast keiner hat es gemerkt. Kaum jemand hat darüber berichtet. Und so ist die Welt noch jetzt weitgehend ahnungslos, was für ein fantastisches Album ihrer Aufmerksamkeit durch die Lappen gegangen ist. Ein paar Kostproben gibt es hier, ausführlicher über dies großartige Album lesen könnt Ihr wiederum hier.


2) Portugal. The Man – Waiter: You Vultures!
Herrliche Melodien, seltsamer Falsett-Gesang, äußerst einfallsreiche Arrangements, hochkreatives Augenzwinkern von den vier Spinnern aus Alaska. Bereits mehrfach hier bejubelt. Spannend, mitreißend, toll.



3) Tarantula A.D. – Book of sands
Das Unerhörte ist beinahe unbeschreiblich. Irgendwo zwischen Sandalenfilm-Epos, spätromantischer Sinfonik, zarten Gebirgsblumen und malmendem Wüstenrock. Irrsinnig intensiv, zugleich packend, irritierend und traumschön. Hier habe ich versucht, präzisere Worte dafür zu finden. Ein gnadenloses, wahnsinniges und fantastisches Werk.


4) Arctic Monkeys – Whatever people say I am, that’s what I’m not
Der New Wave of New Wave haben sie grob gemahlenen Pfeffer in den Hintern geblasen, den Postpunk abgestaubt, als Frosch erkannt und gegen die Wand geditscht. Alles Mörder, keine Füller. Einer der wenigen berechtigten Hypes des Jahres.



5) Joanna Newsom - Ys
Alles nur geträumt? Die Feuilletons schlagen Purzelbäume vor Begeisterung, und auch meine Ohren sind verzaubert. Harfenklänge, säuselnde Streicher, zarte Bläser und eine Stimme, als sei Björk in einen Jungbrunnen gefallen. Fünf Songs, die sich eine knappe Stunde Zeit nehmen, um über verwunschene Waldlichtungen zu schleichen, aus bergkristallklaren Melodiebächen zu trinken und mit Berggnomen, Feen und anderen Fabelwesen zu plauschen. Famose Musik, jenseits aller Klischees - ein nostalgischer Fingerzeig in die Zukunft. Märchenhaft.

6) Seachange – On fire, with love

Erst sperrte sie sich ein wenig, dann wurde sie zu einer meiner liebsten Scheiben. Diese Platte zündet, wenn man ihr Zeit für den zweiten Funken gibt. Äußerst vielseitig, zart, wüst, klar, verdreht. Tolle Songs, pfiffige Instrumentierungen, charmante Stolperfallen. Hier vielleicht ein Ohr riskieren.


7) And You Will Know Us By The Trail Of Dead – So divided
Sie sind vielleicht die Größenwahnsinnigsten im Rockzirkus. Auch auf ihrer neuesten Scheibe zelebrieren sie die Symbiose von Pomp und Punk, krallen sich mit zwingenden Melodien in den Ohren fest, reißen Dich mit ihrer Wucht vom Hocker, zünden den Pathosvulkan, schleudern Dich heraus, um Dich direkt danach sanft auf frisch gepflückten Streicherblumensträußen zu betten. Etwas geradliniger und kompakter sausen sie diesmal auf die Zielgerade, bleiben aber immer noch erstaunlich.

8) Tool – 10.000 Days
Die Zeiten, da man zu Tool noch zu den Krachern ihres Geniestreiches "Aenema" ekstatisch wie ein Derwisch über die Tanzfläche der Heimatdisco rockte, die Schweißperlen im Takt kullerten und man Breaks mitwirbelte, sie sind vorbei. Was sich schon bei der letzten Scheibe andeutete, wird gewisser: Ruhiger sind sie geworden, beinahe noch rätselhafter, gerade Takte kann man an zwei Händen abzählen. Sie verschieben munter, klettern durch ihre mystischen Sphären, explodieren, betören und begeistern immer noch. Hochkomplex und doch nicht überfordernd, mitreißend und doch immer wieder schmeichelnd. Sie werden neue Rätsel um sich spinnen und die Legenden um sich weiterstricken, ihrer eigenen Legende haben sie ein weiteres Meisterstück hinzugefügt.

8) Thom Yorke – The eraser
Klangflächen sirren, in der Ferne stolpern unglücklich verliebte Roboterminiaturen über herumliegende Rhythmusfetzen. Klavierakkorde flattern mit ihren Flügeln und heben langsam ab. Der Bass zupft hypnotische Linien. Das Meisterhirn von Radiohead geht auf seinem ersten Solowerk den Doppelweg seiner Stammband weiter - zwischen melancholischer Melodieseligkeit über schillernden Akkorden einerseits und fraktalen Klangcollagen, Lust an experimentellen Instrumentierungen und dezent pluckernder Elektronik andererseits. Ein faszinierendes, dunkles Album, das seine Zeit braucht, die es aber wirklich lohnt.

9 ) Two Gallants - What the toll tells
Großartige Songs zwischen Blues, Country und ruhigem Punkrock mit whiskeyzerschmirgelter Stimme und schepperndem Schlagzeug. Hier wird nichts "on the rocks" getrunken, hier wird nicht verwässert, das hier ist pur. Ungekünstelt. Trifft direkt. So zartbesaitet wie Raubeine sein können. Strubbelwangenpoesie vom Feinsten.

10) We Are Scientists – With love and squalor
Nur eine gute halbe Stunde dauert das Feuerwerk. Aber in dieser knappen Spanne fetzt ein Tanzflächenbrecher nach dem nächsten aus den Boxen. Die Kniescheibe zuckt, die Füße wippen, die Mundwinkel schnellen nach oben. Vergnügt tanzende Rhythmen, gelenkige Basslinien, schmissige Gitarrenriffs und Melodien mit geschickt platzierten Widerhaken. Hierzu was Ausführlicheres lesen? Bittersehr.

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Freitag, Dezember 15, 2006

Der Bart ist ab?!

Die verblüffend einfachen Lösungen liegen oft derart nah, dass man sie beinahe übersieht. Wie glücklich sind die seltenen Momente, in denen hellsichtige Gestalten mit ihren Argusaugen aber doch eine solche Lösung erspähen und am Schlawickel packen. Kurt Beck hat genau hingeschaut und erkannt: Es lag alles nur an der Hygiene. Die Gesellschaft sollte mehr Duschgel, Waschlauge, Naturschwämme und Rasierklingen verbrauchen. Die Arbeitslosigkeit ist lediglich gewachsen, weil immer mehr Bärte gesprossen und Duschen trocken geblieben sind. Die Konjunktur hat nicht stagniert, sie war nur schmutzig. Erste Putzkolonnen sollen dies schleunigst bereinigen. Der Bundestag wird schon in Kürze über zwei Gesetzesnovellen abstimmen müssen: Das Verbot jeglicher Gesichtsbehaarung und die Einführung eines gesetzlichen Waschzwangs. Dies gilt umso mehr für die bislang noch arbeitslose Bevölkerung im Alter von über vierzig Jahren.

Die erfolgreiche Durchsetzung beider Regularien verspricht einen Quantensprung hinsichtlich der Beschäftigungslage. Dass mit einem Gesichtsbehaarungsverbot neue Konflikte mit kulturellen Kreisen riskiert, in denen die Bartpracht noch in hoher Gunst stehen, ist in Anbetracht der sensationellen Erfolgsaussichten auf dem Arbeitsmarkt verschmerzbar. Zu befürchten steht auch, dass durch diese zwei Gesetzesmaßnahmen die Preise für Rasierutensilien und die Wasserpreise überproportional steigen werden. Die Mehrausgaben werden durch die endlich wiedererlangten Arbeitseinkünfte mindestens aufgefangen - dank Kurt. Wie es um die ureigenen Waschgewohnheiten von Herrn Beck bestellt ist, darüber möchte ich weder mutmaßen noch mir ein Urteil erlauben. Jedoch: Der Mann trägt selbst Bart. Einen hervorragenden Job hat er trotzdem. Es ist was faul im Staate...

Mittwoch, Dezember 13, 2006

Zu Besuch im Paralleluniversum - Ole wagt sich in ein Konzert der Flippers (III)

Bildquelle: www.sonybmg.de
Sie haben schon eine Menge gezeigt. Aber in der zweiten Konzerthälfte legen sie erst richtig los. Musikalisch bleibt nichts anders, aber modisch haben sie noch eine Schippe draufgelegt und beweisen, dass ihnen in puncto schillernder Geschmacksfragwürdigkeit so schnell keiner die Butter von der Schrippe schrappt. Bewegen sich die Flippers musikalisch auch auf routiniertem Terrain - was textile Wagnisse angeht, untermauern sie ihre Spitzenreiterambitionen.

Verblüffte Bernd zuvor noch mit seinem kreischroten Schlafanzug, tänzelt er nun mit einer buttermilchorangenen Bügelfaltenstoffhose auf die Bühne. Von seinem Oberkörper fräst sich ein lachshellblaubeigeorangen appliziertes Glitzerjackett direkt in die Netzhaut und sorgt beinahe für optischen Gefrierbrand. Mit dieser von innen kommenden Heiterkeit, diesem Sinn für das harmonische, fröhliche, innige Füreinander, drängen die hellen Kleiderfarben sein Erscheinungsbild dennoch in Richtung Milchsemmel. Oder, wie Tante Hedwig einst auf der Zugfahrt nach Ahlbeck zu Mutters 70. Geburtstag kurz vor der Kurve von Holzhausen zu Renate Lohse sagte: "Schade, es macht Dich so blass."

Olaf glitzert nun in Ganzkörperapricot (die Hose karottig geschnitten) und genehmigt sich - mit Dank an die Fans - noch einen Schluck aus einer geschenkten Sektbuddel. Der Manfred hat sein Funkeln von Aralblau auf Karminrot umgestellt. Ansonsten wuppert der Schunkelexpress munter weiter. Das Weltklassepublikum schwankt inzwischen etwas betüterter zwischen den Sitzreihen. Der glasiger werdende Blick lässt die Augen noch heller strahlen. Die Menge hat Spaß. Und das verbindet sie allem Anschein nach mit ihren Vortänzern. Denn so auswendig gelernt das Set sein mag, so durchgebimst und vorkalkuliert die Gesten und Posen, das Lächeln und die Hüftschwünge sein mögen: Die quietschbunt alternden Boys, die "auch mit 80, 90 noch auf der Bühne stehen" wollen, augenbezwinkern sich selbst und schaffen es bei aller völligen Reproduktion des Ewiggleichen tatsächlich noch, den Eindruck zu erwecken, sie hätten Spaß an der Sache. Der Manfred klöppelt vergnügt auf seine elektrischen Bratpfannen, hört dann mitten im Stück auf, um sich mit seinem Schlagzeuger und unterhalten, während die Hitlawine munter weiterrollt: Er ist ja nicht angeschlossen.

Bildung kommt auch nicht zu kurz bei den drei lustigen Zweien: Mal erhellen sie die italienische Klassik rund um das liebevolle Treiben des Giacomo Casanova (1725 - 1798), dann zitieren sie Friedrich Nietzsche ("Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.") oder Mark Twain ("Gib jedem Tag die Chance, der schönste Deines Lebens zu werden."). Natürlich immer eingeflochten in die Flippers-Geschichtsstunden und wortgewandten Überleitungen von Stück zu Stück. Doch genug der Theorie. Schauen wir uns das einmal in der Praxis an. Ich habe stenografiert.

Der letzte Akkord des vorangegangenen Schlagers ist verklungen. Venezianische Karnevalsmasken erscheinen auf der Videoleinwand. Olaf ergreift erst das Mikro und dann die Menge. Er raunt mit meilentiefer, lasziver Stimme.

"Man sagt ja schnell, wir würden nur Masken tragen als Schlagersänger und uns verkleiden, dabei kommt unsere Musik von Herzen. Auch wenn wir den Karneval lieben. Vor allem den in Venedig. So wunderschön sind die Kostüme dort, und nirgends auf der Welt werdet Ihr solch eine sensationelle Stimmung erleben wie dort - sie wird nur noch übertroffen von Flipperskonzerten. (Brüller sitzt, Menge bejubelt den Helden und sich selbst, der Held grinst schlingelig) Ich habe dieses Jahr auch wieder Karneval gefeiert. Nicht in Venedig, in Knittlingen. Und da habe ich mit Sonja überlegt, wie wir uns denn verkleiden. 'Nicht als Flipper, als Delfin', habe ich mir gedacht. Denn dann erkennt Dich jeder. Und wenn Du auch die andern Mädels mal umarmen willst, wollen sie gleich Autogramme. Und so habe ich zu Sonja gesagt: 'Schatz, Hase, kauf Du diesmal die Kostüme.' Und sie rennt also zu Hertie und kommt spät am Nachmittag heim. Sie drückt mir eine Tüte in die Hand und sagt: 'Schatz, Hase, da ist Dein Kostüm.' Ich schaue so in die Tüte rein und werde blass. (Der Held spielt Entsetzen) 'Schatz... das...das... ist ja... wieso willst Du, dass ich mich als Pferd verkleide?' Sie antwortet nur: 'Tja mein Lieber - ich fand das super. Denn Pferde saufen nur Wasser.'"

Die Menge kreischt. Die Band legt mit los mit "In Venedig ist Maskenball". Kurz später darf auch Bernd nochmal. Erst sinniert er von Herzen und völlig ironiefrei darüber, wie schön es doch noch immer ist, verliebt zu sein und gleichzeitig verheiratet. In die selbe Frau, natürlich. Auch im hohen Alter noch Schmetterlinge im Bauch zu haben. Seine Frau ist, seit die Kinder aus dem Haus sind, immer dabei auf Tour. Sie pflegt ihn auch. Und dabei fällt ihm ein: "In jeder Stadt, in der wir spielen, in JEDER Stadt, in der wir mit unseren tollen Fans feiern dürfen, kenne ich genau drei Orte. Genau drei. Den Veranstaltungsort. Das Hotel. Und die Apotheken. Denn wir Sänger müssen ja auf unsere Stimme acht geben und brauchen immer wieder mal was zum Lutschen. Und so war ich auch gestern in einer Apotheke. Ich betrete sie. Vor mir wartet ein älterer Herr und wirkt verärgert. Ich frage: 'Was haben Sie denn?' Er sagt: 'Ich bin hierhergekommen, um Zäpfchen zu kaufen. Aber es sind schon alle ausverkauft. Sogar seit den Morgenstunden schon.' Ich frage: 'Wie kann denn das passieren?' Er sagt: 'Hier stürmen sie alle hin, denn hier verkaufen sie die Zäpfchen noch zum Einführungspreis.' (Menge tobt ob schlechten Kalauers) Ich kaufe dann doch nur eine Packung Salbeibonbons. Doch dann entdecke ich: Sie verkaufen sogar Flohpuder." Hernach ertönt die Anfangsfanfare, und es folgt "Der Floh in meinem Herzen".

Und so lauert das K immer wieder unter, neben und auf der Bühne. Die Damenherzen schmelzen, die Herren johlen pilsbeduselt mit (sehnen sich allerdings sporadisch nach der Theke), und kurz vor dem Ende brechen alle Dämme. Auf Kommando dürfen sie alle nach vorne stürmen, direkt vor die Bühne, in Handkussweite vom Olaf, dem Bernd und dem Manfred. Und hier tanzen sie, hier winken sie ihren Helden zu, die Damen. Nahezu ausschließlich. Hier zeigen sie ihren Göttern ihre neuen Frisuren und das frisch erstandene Kleid. Noch zehn Minuten dürfen sie ihren Schwärmen, den schrill schillernden Werkzeugmachern, dem singenden Reisebüro, entgegenklatschen, sie anlächeln und sich mit ihnen hinfortträumen an mild besonnte Strände. Zehn Minuten noch. Wir verdrücken uns während des Zugabenmedleys. Es ist hier auch ohne uns "alles La Paloma".

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Dienstag, Dezember 12, 2006

Winternacht

Rund und buttergelb ging der Mond auf über dem schwarzen, gezackten Relief des Waldes am Horizont. Eine Frau blickte ihm mit gläsernen Augen nach. Still. Starr. Sie saß, in schwarze Tücher gehüllt, am Rande einer Feldwegkreuzung auf einer Bank unterhalb einer Zwillingseiche, deren eng verzweigte Baumkrone wie ein schwarzer, löchriger Vorhang immer wieder den ungetrübten Blick durchbrach.

Die Äcker ringsum lagen tief und festgefroren unter einer dicken Schneeschicht. Die Schwarze stand auf. Um einen freieren Blick nach oben zu haben, entfernte sie sich ein Stück von Bank und Baum, kletterte über vereisten Stacheldraht und wanderte mitten auf ein Feld. Eiskristalle überglitzerten eine Viehtränke zu ihren Füßen. Bei jedem Schritt knirschte der Schnee leise. Sie legte ihren Kopf in den Nacken, stumm, wortlos betrachtend. Inzwischen hatte der Mond die Waldwipfel weit hinter sich gelassen, erschien weiß glänzend am leeren Himmel und erhellte ihn. Endlich verlangsamte er seinen Lauf und warf einen großen Fleck auf den halbüberfrorenen Fluss, der eine Unzahl von Sternen bildete.

Dieser Silberglanz schien sich bis auf den Grund hinabzuwinden wie eine Schlange ohne Kopf, bedeckt mit leuchtenden Schuppen aus geschmolzenen Diamanttropfen. Die kalte Nacht breitete sich um sie aus. Die Schatten der Eiche lagen auf dem Schnee wie dunkle Tücher. Sie atmete mit halb geschlossenen Augen in vollen Zügen den frischen Wind ein, der sie umwehte. Alte Erinnerungen kletterten ihr ins Gedächtnis. Die Zärtlichkeit vergangener Tage durchfloss ihr Herz wie ein bittersüßer Strom. Sie schlich zurück. Zögernd legte sie sich unter der Zwillingseiche nieder. Sie seufzte, den Blick starr nach oben gerichtet. Ihre Kleidung, verschmolz mit den wehmütigen Schatten der Eiche. Sie selbst flog zu den Sternen.

Sonntag, Dezember 10, 2006

Zu Besuch im Paralleluniversum - Ole wagt sich in ein Konzert der Flippers (II)

Bildquelle: www.sonybmg.de
Eine synthetische Fanfare knattert aus den Boxen, und unter streicherschwangerem Getöse springt die riesige Videoleinwand an. Ein Kamerateam stolpert durch weißgetünchte Katakomben. Und da, plötzlich: Ein Flippers-Zettel an einer Tür. Sie öffnet sich für uns. Dahinter steht er, der Bernd. Seine Frau richtet ihm noch die Föhnwelle hinter den Ohren, schrägt die Haarspraydose und lässt noch etwas Festiger auf die güldengraue Haarpracht zischen. Bernd lächelt ins Objektiv, winkt und zupft die Bügelfalten seines kreischroten Anzugs mit den asiatischen Goldapplikationen glatt. Ein wenig wirkt er wie der roylose Siegfried aus Las Vegas nur ohne weiße Tiger und ohne operative Liftungsstraffungen. Ein winziges Doppelkinn baumelt vor seinem Kehlkopf.

Doch wir verlassen Bernd schon wieder und kurven zur Kabine nebenan. Tür auf. Guck an. Der Manfred. Er streichelt seinen Bauch, rückt die Aufschläge seines aralblauen Glitzerpaillettenjacketts, winkt und telefoniert noch. Und auch den Olaf holen wir noch ab. Der tuschelt noch ein wenig mit seiner Sonja und funkelt uns in silberner Paillettenjacke entgegen. Fast will dank der Kamera-Einblicke leise Boxkampf-Atmosphäre aufkommen. Nur dass die Protagonisten nicht zwei sondern drei sind und dass sie keine Gegner schlagen sondern uns mit Schlagern begegnen wollen.

Jetzt geht's lohoos...

Die drei lustigen Zwei folgen unserer Kamera dann beschwingten Schrittes durchs Ganggewirr irgendwo in den Gebäudekomplexen, bekommen noch "a Glaserl Sekt", mit dem sie anstoßen, sich und uns einen wunderschönen Abend mit herrlicher Musik wünschen und an dem sie noch einmal kurz nippen, ehe sie in einem blauen Vorhang verschwinden. Und der führt direkt auf die Bühne. Auch die Hüftsteifsten hält es nun nicht mehr auf den Sitzen. Riesige Jubelwellen branden und brechen sich am Bühnenrand. Die füllige Dame vor mir quiekt noch vergnügter und fuchtelt ekstatisch mit ihrem Blinkflipper.

"Hallo Münster. Welt-klas-se! Ihr seid immer noch das tollste Publikum der ganzen Republik!", jubelt der Olaf. Die Menge glaubt ihm und legt noch eine Jubelschippe drauf. Auch die drei Begleitmusiker haben inzwischen Platz genommen. Ein schmächtiger Fratz hinter der Schießbude, der dem Manfred die lästige Rhythmusarbeit abnimmt, lugt zwischen seinen Plastikbecken hindurch. Der junge Herr am "Frontkeyboard" heißt Holger, hat einen Kinnbart, sehr lange Haare und trägt ein "Nightwish"-T-Shirt. Und der legt mit seinem Kumpan am Hinterkeyboard (Name ist der Redaktion entfallen) gleich los. Glockenhelle Keyboardzuckerwürfel purzeln aus den Boxen, das Schlagzeug wuppert mit dem lebendigen Schwung eines Plastikblumenstraußes hinterher. Dumm - tschack - dumm - tschack. Synthieschwaden glänzen hochpoliert, naturidentische Trompeten-Aromen werden zackig eingestreut. Der Manfred klöppelt auf seine beiden Frisbeescheiben ein. Den Takt halten muss er gottseidank nicht, es ist die Geste die zählt, seine Fans lieben ihn auch, ohne dass man sein Getrommel hört. Olaf schringelt eifrig auf der Gitarre. Was er spielt, weiß nur er selbst, schließlich gibt es keine Gitarren im Song. Zwischendurch unterbricht der Manfred sein Geklöppel, grinst in die Menge, demonstriert seinen geschmeidigen Hüftschwung, zeigt mit seinem Schlagzeugstock auf eine dauergewellte Dame und winkt ihr. Die fällt fast vom Hocker. Manfred hat auf sie gezeigt.

Das Publikumsblut gerät in Wallung, die füllige Dame vor mir schwingt die Hüften, versucht, den Takt nachzuklatschen, entscheidet sich aber bald für die vergleichsweise einfachere Aufgabe, mit ihrem Blinkdelfin zu wedeln. Mutter und Tochter daneben versuchen sich an die Discofox-Schrittfolge zu erinnern. Olaf schäkert mit den Frauen in der ersten Reihe. Die werden ganz rot, wenn er ihnen zuzwinkert. Die Videokamera verfolgt alles Treiben auf der Bühne und projiziert es in Großaufnahme auf die Riesenleinwand, so dass Oma Bilsenkötter aus Billerbeck neben der Hornbrille nicht auch noch ein Fernglas braucht, um ihre Lieblinge zu sehen. Das Live-Bild wird perfekt eigefasst von digitalen Bilderrahmen aus dem Computer, so dass je nach Song herrliche Herzen am Rand entlangschweben, Blumen erblühen, hübsche Damen sich räkeln oder Sonnenuntergänge schimmern.

Man muss schon sehr genau hinhören...


Gleich mehrfach nacheinander spielen die Flippers denselben Song. Scheint es. Er heißt nur immer ein wenig anders. Wobei: Irgendwas mit "Liebe", "Herzen", "Traum", "Rose" oder "Insel" ist immer im Titel. Ich bewundere einige Damen im Publikum, die jede Textzeile des gesamten Abends auswendig mitsingen. Eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe, bedenkt man den Detailteufel, dass nicht nur die Musik sondern auch die Texte den Regeln der "Minimal music" gehorchen: Permanente Reproduktion des Ewiggleichen mit klitzekleinen Variationen im Detail. Man muss schon sehr genau hinhören.

Zwischen den Songs halten die funkelnden Glitterboys auf der Bühne immer wieder Geschichts-Stunde. Dass sie gerne nach der Show nen Absacker trinken, erzählt Bernd, der blonde Engel. Er ist das ironiefreie Drittel der Truppe, der perfekte Schwiegersohn, der brave Pathosjünger mit dem reinen Herzen, dem es ein inneres Anliegen ist, mit seiner Musik Freude zu schenken. Und der Bernd verträgt nicht viel Alkohol, verrät er uns. So auch gestern. Und dann ist er nach dem Absacker nämlich betrunken vom Stuhl gefallen. Das Publikum johlt. Und dann haben der Manfred und der Olaf auf ihn gezeigt und gesagt: "Schau, der Olaf weiß immer, wann er genug hat."

Alle Hits spielen sie. Ihren ersten Oberkracher "Weine nicht kleine Eva" von 1969, der schon genauso klingt wie alles, was sie danach komponiert haben, natürlich auch "Die rote Sonne von Barbados". Wer Barbados war, kann die Dame schräg vor mir auf Nachfrage nicht beantworten, aber Schweißperlen purer Freude überglitzern ihr Antlitz. Und auch die Damen hinter uns sind ganz aus dem Häuschen. "Hey junger, schicker Mann", tippt mich die Mittvierzigerin mit der Ilona-Christen-Gedächtnisbrille hinter mir an und scheint meine Verkleidung ehrlich toll zu finden, "schunkeln sie ein bisschen mit mir?" Ich lasse mich beknien, habe aber in der Folge das Problem, mein Taktgefühl auszuschalten und den unberechenbaren Schunkelrhythmus der musikbezauberten Dame zu erahnen. Keine leichte Aufgabe.

Und plötzlich häufen sich die Tüten...

Einige geschliffen schillernde Schlagerdiamanten später ereignet sich dann tatsächlich, wovon man mir im Vorfeld bereits zugeraunt hatte. Eine Dame mit altmodischer Kurzhaarfrisur, zu Ehren des Abends in ein goldenes Kostüm gewandet, schiebt sich aus der Tiefe des Raumes mit drei goldenen Taschen und Freudentränen in den Augen an uns vorbei. Sie stöckelt vor zum rechten Bühnenrand, wird dann aber prompt aufgehalten von einem geldschrankigen Security-Guard. Sie muss die Taschen auspacken. Man muss vorsichtig sein in terrorverdächtigen Zeiten. Aber es ist alles ganz harmlos. Hervor zaubert sie drei goldene Oscar-Figuren. Aus jeder Tüte eine. Und das passt doppelt. Einerseits zu ihrem feschen Goldkleid, andererseits zum Titel des neuen Albums: "Du bist der Oscar meines Herzens". Mit Sicherheit haben die Figuren ein Heidengeld gekostet. Aber die Flippers sind ihrem Publikum eine Menge wert. Plötzlich hält der glitzernde Schlagerreigen inne, und es ist Bescherungszeit. Ganz hibbelig vor Freude, zitternd, darf sie dem Olaf, dem Manfred und dem Bernd ihre Geschenke überreichen.

Und plötzlich brechen die Dämme. Erst eine, dann zwei, dann wird es wuselig. Gleich eine Hundertschaft begeisterter Damen stürmt nach vorne. Alle haben sie Geschenke dabei. Niemand wirft Schlüpfer, kaum jemand bringt Teddies, aber sie haben stundenlang zu Hause Weihnachtsplätzchen gebacken, haben frisches Tannengrün gepflückt, sich für teuren Rotwein ins Zeug gelegt, haben voller Liebe und Zuneigung selbst Strohsterne gebastelt, Schneekugeln gekauft, Schokonikoläuse erstanden und Bilder gemalt. "Das ist auf jedem Konzert so", erfahre ich. Kurz vor der Halbzeitpause des Konzertes ist Bescherung. "Wir freuen uns, denen was zu schenken und die freuen sich, von ihren treuen Fans etwas geschenkt zu bekommen." So einfach ist das.

Die drei heiligen Knittlinger schütteln brav Hände, haben die dankbare, gerührte Maske angelegt und nehmen die Schenkungen entgegen. "Der Peter", seines Zeichens glatzkahler Bühnenroadie, hat alle Hände voll zu tun, den Geschenkeberg zu ordnen. "Endlich wieder Eierlikör!", jubelt der Manfred. "Und sogar selbstgemachter." Die Schenkerin errötet. Der Manfred hat einmal in einem Interview auf die Frage, was er sich am Meisten wünsche, gesagt: "Eine neue Leber." Natürlich mit seinem berühmten Augenzwinkern. Der Manfred ist ein Schelm. Ob in einer der glänzenden Papiertüten auch eine solche steckte, bleibt geheim. Im Hintergrund wird der Mob ungeduldig und skandiert "Wir.... wolln.... die.... Flippers seh'n, wir wolln die Flippers sehn..." Mit beschwichtigenden Gesten beruhigen die glitzernden Helden ihre Anhängerschaft. Und nachdem "der Peter" alle Geschenketüten geordnet hat, gibt es noch zwei weitere Hits, ehe die drei Schlagergötter weiter an ihrem Sekt nippen können und sich das gemeine Volk Pils und Bratwurst gönnen oder am Merchandise-Stand noch eine Kuscheldecke für unterm Weihnachtsbaum kaufen kann.

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Samstag, Dezember 09, 2006

Zu Besuch im Paralleluniversum - Ole wagt sich in ein Konzert der Flippers (I)

Bildquelle: www.sonybmg.de

Wüst peitschen Orkanböen über den weiten Platz vor der Halle Münsterland. Mehrere Dutzend Reisebusse parken am Rand. Mit Plastiktüten versuchen einige Damen ihre Frisur zu retten. Schließlich haben sie sich extra fein gemacht für ihre glitzernden Helden, haben den Toupierkamm ins Schwitzen gebracht oder Stunden mit Lockenwicklern unter der Trockenhaube gesessen. Ich selbst habe mich auch vorbereitet. Zwei Pils sind bereits meine Kehle hinabgeperlt, um leichter ertragen zu können, was kommen wird: Mein erstes Konzert mit dem "singenden Reisebüro" (Harald Schmidt).

Sogar optisch habe ich mich vorbereitet: Man sagt mir, die Flippers selbst und auch die Fans trügen zumeist extravagante Hawaiihemden und Glitzeranzüge. Glitzeranzüge und Hawaiihemden besitze ich nicht, eine Neuanschaffung wäre zuviel der Geschmacksverirrung, aber es gelingt mir, bei einem meiner besten Freunde ein karamellfarbenes Hemd mit Palmen darauf aufzutreiben. Dies ziehe ich unter leichter Selbstbefremdung an und muss entgeistert schmunzeln, als ich im Spiegel betrachte, das es mir mit einem Riesenklumpen Gel und einer Haarbürste gelungen ist, meinen Wuschelschopf in eine aalglatte Schlagersängerfrisur zu verwandeln. Mich fröstelt ein wenig vor meinem "Method-acting".

Und das morbide Schaudern kribbelt um so wiggeliger über meinen Rücken, als wir die Pressekarten am Vorverkaufsschalter abholen. Es gibt kein Zurück mehr. Es heißt Eintauchen in ein paralleles Universum, dessen Bewohner sich für Dinge begeistern, die mir fremd sind, ein Terrain, das ich nie zuvor betreten habe. Eine andere Welt, irritierend und auf verstörende Weise seltsam.

Wir sind spät dran. Einige letzte Fans drängen sich um den Merchandise-Stand. "Hier können sie sich stilgerecht eindecken", denke ich noch, als ich bemerke, dass einer der zentralen Fanartikel neben CDs, Shirts, Postern und blinkenden Plastikdelfinen eine exklusive Flippers-Kuscheldecke aus Fleecestoff ist. So wird den Fans nicht nur warm ums Herz sondern auch um die Hüften. Wir betreten die Halle. Annähernd dreitausend Menschen hocken vorfreudig auf ihren Stühlen und warten auf ihre Knittlinger Helden. Die toupierten Föhnfrisuren und Dauerwellen vom Eingang finden sich hier zighundertfach. Überwiegend sprießen sie aus Köpfen, die schon mehr als fünfzig Winter erlebt haben. Auch Jungvolk ist anwesend, wenngleich in recht kleiner Zahl. Ein paar Kegelklubs grölen bierbefeuert. Hawaiihemden finden sich wenige, dafür sehr viele quergestreifte Strickpullover.

Quer durch die Halle blinken überall die vergnügt geschwenkten Plastikflipper mit ihren Glasfaserkabelflossen. Wir sitzen am rechten Rand von Reihe sechs in der Premiumkategorie auf den teuersten Plätzen mit perfektem Blick auf die Bretter, die die Schlagerwelt bedeuten. Ein Pappmachée-Delfin taucht am rechten Bühnenrand in den Boden und am linken wieder auf. Gleich zwei Keyboards stehen in unterschiedlichen Ebenen hintereinander. Und - oh Wunder - sogar ein echtes Drumset versteckt sich im linken Bühnenhintergrund. Wer es wohl bedienen mag? Mittig auf der leuchtenden Showtreppe steht dennoch das Markenzeichen der Band: die zwei elektrischen Bratpfannen, auf denen Manfred, der "Schlagzeuger", zuweilen herumklöppelt.

Dieser Manfred ist, wie ich belehrt werde, der letztverbliebene Manfred der Band. Früher waren sie zu sechst, und der Manfred-Anteil betrug 50%. Doch schon seit etwa 25 Jahren ist er auf ein Drittel geschrumpft, da nur halb so viele Glitzeranzüge unter Flipperflagge durch die Republik kreuzen. Wie das Programmheft verrät, eint die Flippers aber ein anderer Umstand: Alle drei haben ursprünglich irgendwo im Schwäbischen eine Werkzeugmacherlehre absolviert, ehe sie begannen Schlager zusammenzuschrauben und Liebe, Sonnenuntergänge hinter fremdländischen Inseln, Rosen und Träume in butterweichen Melodien aufzulösen.

"Sind Sie auch so aufgeregt?", fragt die füllige Dame vor mir, rutscht auf ihrem Stuhl umher als handele sich um eine heiße Herdplatte und wedelt vorfreudig mit ihrem blinkenden Delfin. Viele der Zuschauer haben riesige Rucksäcke zwischen ihren Beinen verstaut. Urplötzlich senkt sich das Licht. Die Dame vor mir quiekt und hibbelt auf ihrem Stuhl. Nicht nur sie ist aufgeregt und gespannt, wie wohl werden mag, was uns direkt bevorsteht.

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Freitag, Dezember 08, 2006

Ich habe meinen Mut zusammen genommen. Ich bin bereit für das Äußerste. Ich habe die Chance bekommen, nun werde ich sie nutzen. Ich werde mich in Abgründe wagen, die sich keiner meiner Freunde je zu betreten gewagt hat. Ich werde etwas tun, was eine Menge Mut erfordert. Keiner wird mir glauben mögen. Ich gehe aus freien Stücken, auch wenn keiner es mir zutrauen würde. Vielleicht werde ich Qualen durchleiden. Vielleicht werde ich zittern und bibbern. Vielleicht werde ich nach heute Nacht einige Dinge anders sehen. Vielleicht werden sich meine schlimmsten Vorstellungen bewahrheiten. Heute nacht werde ich mehr wissen. Ich gehe zu einem Flippers-Konzert. Heute.

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Dienstag, Dezember 05, 2006

Krümel, Hack und Pappteller


„Es ist schon seltsam.“
„Was?“
„Ich bin in einer Glaubenskrise.“
„An wen hast Du denn geglaubt?“
„Ich selbst glaube auch immer noch.“
„An wen?“
„An mich. Es ist mehr eine Fremdglaubenskrise.“
„Was soll das denn sein?“
„Man glaubt mir nicht.“
„Wer ist denn man?“
„Na, fast alle.“
„Auch die, die Dich gar nicht kennen?“
„Mit denen habe ich noch nicht gesprochen.“
„Aber alle anderen?“
„Ich fürchte.“
„Und was glauben sie Dir nicht?“
„Dass ich eine eigene Kirche gegründet habe.“
„Du hast eine Kirche gegründet?“
„Ja. Ganz allein.“
„Kaum zu glauben. Und Du glaubst, es werden Leute kommen und ihr beitreten?“
„Ich weiß nicht. Aber ich hoffe. Und ich glaube, es könnte sein.“
„Was ist denn anders bei Dir als in anderen Kirchen?“
„Es gibt Spekulatius im Gottesdienst. Auf Papptellern, dann raschelt es nicht die ganze Zeit.“
„Auch im Frühling?“
„Ja… nein. Vielleicht besser nicht. Aber dann könnte es Mettbrötchen geben.“
„Warum ausgerechnet Mett?“
„Ich mag Mett. Und es steckt auch in Christ-Mett-e drin. Und Weihnachten ist schließlich das schönste Fest des Jahres.“
„Herrje. Und statt des Christuskreuzes wird bei Dir ein Mettbrötchen zum allumfassenden Symbol des Glaubens, das Deine Jünger an Ketten um den Hals tragen?“
„Wieso nicht?“
„Aber dann werden keine Vegetarier eintreten.“
„Wegen Mettbrötchen?“
„Ja.“
„Vielleicht sollte ich auch Käsebrötchen anbieten?“
„Lactose-Allergiker sind ja bislang noch in der Unterzahl. Viele mögen Käse.“
„Deswegen. Das ist ein Plan.“
„Aber was ist denn neu und anders an Deiner Kirche?“
„Ich dachte, ich fange erstmal vorsichtig mit Spekulatius an und arbeite mich dann vor.“
„Achso. Dann bist Du also neben der Glaubenskrise auch noch in einer Visionskrise?“
„Ein wenig.“
„Eine Kirche ohne Glauben ist aber wie Regen ohne Wasser. Unglaubwürdig.“
„Aber es war doch immer so: Erst gab es die Kirche, dann gab es den Glauben an das, was die Kirche verkündete.“
„Und was verkündest Du? Wie steht es um Deine Heilsversprechen?“
„Nach Spekulatius oder Mettbrötchen geht es mir meistens besser. Das ist schon mal ein Anfang.“
„Ich weiß ja nicht.“
„Du sollst ja auch nicht wissen, sondern glauben. Das ist das Prinzip von Kirche.“
„Aber Kirche ist auch Gemeinschaft. Und bislang scheint bei Dir die Gemeinde aus Dir und potenziellen Ich-Abspaltungen Deiner selbst zu bestehen.“
„Ich bin das Huhn und das Ei und das Leben. Irgendwie muss man doch beginnen.“
„Da hast Du schon recht.“
„Also glaubst Du mir?“
„Dir glaube ich, an Dich glaube ich nicht.“
"Mist."

Montag, Dezember 04, 2006

Musica advenit

Noch nadelt er nicht, der Adventskranz und thront frisch verzweigt und grün auf der Wohnzimmertischdecke. Die erste Kerze ist angezündet, die ersten Türchen im Adventskalender sind leergefuttert. Doch es gibt auch Adventskalender, die lassen sich leerhören. Und zwar hier. Jeden Tag ein neuer Song, einer kostbarer und kostenloser als der andere, lädt zum Entdecken ein. Bis Weihnachten könnt Ihr so dreiundzwanzig neue Songs und Bands für Euch entdecken. Bislang ist schon eine Menge Großartiges dabei und verheißt, dass auch weiterhin Großes kommen mag und wird.

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Sonntag, Dezember 03, 2006

Stöpselwünsche der Ikonen, Blumensträuße, Birnenkuchen

Ihre grauen Locken zittern im Wind, ihre Hände schicken das heranströmende Blut zurück in wärmere Bereiche des Körpers zum Schutze, doch in ihren Augen leuchtet eine traurige Wärme. Wie eine Boje steht sie im Menschenstrom, der die U-Bahn-Treppen herauf- und hinabschwemmt, an- und abschwillt und die Fußgängerzone durchfließt. Die dünne Jacke ist selbstgestrickt. Durch die Maschen beißen die Böen. In ihren klammen Händen hält sie zwei Stücke selbstgebackenen Birnenkuchen, von der Hoffnung beseelt, dass vielleicht jemand vorbeikommt, der auch Birnenkuchen mag und ihr vielleicht ein paar Forint dafür in die klammen Hände drückt. Wenige Meter weiter kauert eine Alte traurig neben einem Zeitschriftenkiosk. Sie hat zwei Sträuße Feldblumen gepflückt. Vielleicht die letzten in diesem Jahr. Fast alle hetzen an ihr vorbei. Sie verliert ihr Lächeln dennoch nicht, selbst wenn zwei Zähne fehlen.

Jeden Tag aufs Neue krümmt sich ein Christ inmitten der Lärmbrause des Ferenciek tere auf einem Campingstuhl gen Aufgangsmauer der U-Bahnstation. Verhärmt wirkt er, auch wenn man sein Gesicht kaum sieht. Er verbirgt es hinter einem Gesangbuch, aus dem er litaneiartig und starren Blickes Choräle kräht. Windschief, in Endlosschleife. Die Muttergottes auf dem Ikonenbild, das er anblökt, bemüht sich um einen gerührten Gesichtsausdruck. Sein krächzendes Flehen nach Erbarmen lässt in ihr indes den Wunsch nach Gleichberechtigung auflodern. Auf dass er sich auch ihrer erbarme und den Gesang sein lasse. Sie wünscht sich auch heimlich, endlich wieder einen anderen Ort als den ewiggleichen, verkehrslärmzerbrüllten Platz zu sehen, an dem er sie ankräht. Dankbar wäre sie ansonsten auch für ein paar Ohrenstöpsel.

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Samstag, Dezember 02, 2006

Die Woche war hart, doch es hat sich gelohnt. Nach tagelanger Urnenbewachung und Wahlzettelauszählungen bis tief in die Nacht gilt heute: Ausspannen, Beine hochlegen, mir selbst was gönnen. Das werde ich nun tun. Ausführlicheres gibt es schon sehr bald wieder. Vorerst muss aber der Akku wieder in die Ladestation.