Ein leises Adieu
Viele liebevolle Anrufe folgen. Glückwunsch um Glückwunsch perlt aus dem Hörer. Die besten Freundinnen trudeln zum Brunch ein, der Geschenketisch füllt sich mit Köstlichkeiten und schönen Dingen. Die muntere Plauschrunde wird ein ums andere Mal kurz unterbrochen von weiteren Gratulanten, die den Telefonhörer heißglühen lassen. Just beim Tee-Nachschenken klingelt es erneut. Eine brüchige Frauenstimme zittert am anderen Ende, stockt. Ihr Name? Keinem von uns bekannt. Ein Irrtum? Die Hoffnung flackert kurz und zerbirst doch in tausende Scherben. Was sie sagt, scheint so unglaublich, so unfassbar. „Onkel Holger ist tot.“ Wahrscheinlich Herzversagen. Scherzanrufe klingen anders, und mit dem Tod treibt man keinen Schabernack. Das eben noch warme Herz jetzt plötzlich eisig kalt.
Ungreifbare Verwirrung, Entsetzen, dass sich noch nicht setzen kann, verwirrte, haltlose Trauer, die noch gar nichts recht begreifen kann, sie stürzen über die geburtstäglichen Freuden. Der zarte Lachs, der eben noch dem Gaumen schmeichelte, schwillt im Hals zum Kloß. Es sind die Momente, in denen sich die Welt verändert, die sich in Dein Gedächtnis fressen. Ich erfahre erst etwas später davon, bin soeben vom Bahnhof abgeholt worden, sitze mit meinem Vater im Restaurant, um ein wenig zu Mittag zu essen: So haben wir noch ein wenig Zeit füreinander und stören die feiernden Frauen nicht. Mein Handy klingelt, meine Mutter verlangt nach meinem Vater, ihre Stimme erschrickt mich, ich reiche sie weiter, sehe sein Gesicht, höre, was er sagt, ahne Schlimmes. Kurz später sagt er es mir.
Das Hirn bestätigt die Ankunft der Information, doch das Herz zuckt mit den Schultern. „Kann nicht sein, Unfug!“, kräht es. Doch ahnt das Herz bereits sein dunkles Irren. Gewissheit ist es inzwischen, Gott hat meinen Onkel zu sich genommen. Ganz plötzlich, ohne Bescheid zu sagen. Viel zu viel ist ungesagt geblieben. Und so lose der Kontakt zuweilen war: Es schmerzt, die Chancen zuletzt vertrödelt zu haben, die Bande wieder fester zu zurren. Noch immer nicht finde ich mich innerlich ab damit, ihn nun nie wieder zu sehen.
Nur noch im Erinnern werde ich über seine holprigen Witze lachen können, gerührt staunen über seine liebevolle Großzügigkeit - trotz des wenigen Geldes, das er besaß. Er, dem ich gern in vielen Dingen mehr Glück gewünscht hätte. Er, der vor zig Jahren urplötzlich und unerwartet an meinem Geburtstag mit seinem klapprigen Wohnmobil aufkreuzte und mich zum ersten Mal in ein Fußballstadion einlud. Er, der die Eisenbahn und die Peanuts liebte und in mir dieselben Seiten weckte, er, der sich oft zurückzog, viele Jahre allein lebte und von dem ich viel zu wenig wusste. Er, mit dem ich später auch die gemeinsame Liebe zur Musik entdeckte und der mich auch hier reich beschenkte. Er, der alleine die Welt um sich herum bereiste und nie die Neugier an Neuem verlor. In meinem Herzen lebt er weiter. Dort, wo er jetzt ist, geht es ihm hoffentlich gut.
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P.S.: Zu seinem Angedenken lege ich hier noch einige Tage Pause ein.
P.P.S.: Ich hoffe, Ihr allesamt hattet freudvolle Feiertage voll von gemütlichen Stunden und glücklichen Momenten.
P.P.P.S.: Euch allen wünsche ich einen guten Rutsch in ein hoffentlich glückliches, gesundes und positiv überraschendes neues Jahr.
52 Wortmeldung(en):
Laß dich drücken.
28/12/06 19:58
Zeilen, in denen mehr Herzblut steckt, als ich es jemals zum Ausdruck bringen konnte..
Auch mein aufrichtiges Beileid, Ole!
28/12/06 21:21
Auch mein Beileid. Nimm Dir die Zeit, die Du brauchst.
29/12/06 12:51
Hey Krümel.
Was soll ich sagen? Weißt ja.
29/12/06 16:36
Mein Beileid.
Aber: Schreiben ist Balsam für die Seele. Also nach dem Angedenken bald wiederkommen, ja?
29/12/06 23:40
Behalte ihn gut in Erinnerung, dann stirbt er niemals ganz. Und wenn da ne Träne rauswill, dann laß sie auch raus.
30/12/06 08:57
Ich bin oft komplett weg von solchen Gedanken, aber gerade wünsche ich mir (und besonders dir), dass er das lesen kann.
Ein stiller Gruß an dich, lieber Ole.
30/12/06 09:23
Zum Leben gehört auch der Abschied. Aber die Erinnerung bewahre uns ihre Gegenwart.
30/12/06 12:56
man kann den tod auch hochstilisieren und zum öffentlichen anlass machen, um mitleid zu erheischen. so ist man selbst dann der, der mitbetrauert wird an stelle des toten.
30/12/06 15:23
Auf den Tod ist man nie vorbereitet, der kommt plötzlich, selbst wenn man ihn erwartet.
Nutz den Anlass, um Dich daran zu erinnern und vielleicht mit ein paar Menschen anders umzugehen als bisher. Dicker Knuddler!
30/12/06 15:36
@anonym: Man kann eine Menge.
Erstens Gesicht zeigen und nicht maskiert moppern.
Zweitens mehr Fingerspitzengefühl beweisen als es Axel Schulz mit angelegten Boxhandschuhen besitzt.
Drittens kann man in meinem Text sehen, was man möchte. Ich kann andere Augen nicht in ihrer Blickrichtung steuern. Aber die sublime Unterstellung eines Beileidheischens, die ich in Deiner Anmerkung zu entdecken meine, ließe mich Dir vor Wut einen Vorschlaghammer gegen den Schädel deppern, stündest Du mir direkt gegenüber und würdest so einen Scheiß behaupten. Doch da sind wir wieder bei Punkt eins.
30/12/06 16:58
@alle anderen: Vielen lieben Dank!
30/12/06 16:59
onkels, die sich oft zurückziehen und die peanuts mögen.. können nur gute sein.
30/12/06 17:33
@anonym
was bist denn du für`n vollpfosten? das ist hier ole`s blog und nicht die dpa. genauer äußere ich mich nicht dazu, außer, dass ich finde, dass du unglaublich stolz darauf sein kannst, diesen hämischen schwachsinn noch nicht mal unterzeichnet zu haben.
@ole
mein beileid.
30/12/06 18:52
betr. anonymus
Bismarck sagte einmal: "Was kümmerts mich, wenn Dackel an mein Denkmal pinkeln"
Ich würde anonymus durchaus mit dem Tier und seiner Tätigkeit vergleichen.
30/12/06 20:46
eine durchaus nicht anonyme person, die dich genau vor einem jahr kennenlernen und in ihrer bescheidenen behausung beherbergen durfte, schickt gänzlich unanonyme und weihnachtsüberdrüssige beileidsgrüße. wir hatten an den feiertagen auch einen todesfallim freundeskreis (Jg. 1970, krebs), so dass ich in gedanken besonders nah bei den trauernden bin.
31/12/06 01:00
Niemand kennt den Tod und niemand weiß, ob er nicht vielleicht das größte Gut für den Menschen ist, und sie fürchten ihn, als wenn sie gewiss wüssten, dass er das größte Übel sei. (Platon)
Aus deiner Beschreibung spricht viel Lebenslust, Spontaneität und Warmherzigkeit; dein Onkel erscheint als jemand, der sich ein Leben von Wert geschaffen hat. Und wohl auch viel davon an dich weitergegeben hat. Ich bin sicher, ihm geht es gut (da oben). Vermute ihn in einer Parallelwelt und sei sicher, er findet sich mit seinem positiven Wesen schnell dort zurecht. Erhalte dir die schönen Erinnerungen, so wird er weiter bei dir bleiben.
Trotzdem wünsche ich dir einen guten Jahresübergang mit den allerbesten Wünschen für 2007 - auch wenn dieses Sylvester sicher etwas verhaltener ausfallen wird.
31/12/06 02:08
...ich kann das nicht gut, trotzdem: mein Beileid.
Die Guten bleiben immer im Herzen!
31/12/06 02:37
Das ist der Nachteil der Bloggerei.
Aber ich denke, wir sollten das hier nicht weiterführen. Manchmal verschlägt es sogar mir die Sprache.
31/12/06 09:06
Mein Mitgefühl für dich.
31/12/06 13:05
ole, es ist (immer mal wieder) zeit danke zu sagen. für deine texte und gedanken. was kann deinem onkel besseres passieren, als ein kleines beschreibendes denkmal zu bekommen?
für die trauer hast du hoffentlich genug vertraute um dich.
31/12/06 14:13
Oh. Irgendwie kommt mir das Ganze zu sehr bekannt vor. Irgendwie erschreckend. Alles Gute.
31/12/06 14:53
@50OBeine: Wahrscheinlich. Oft zumindest.
31/12/06 15:16
@viktor: Danke. Wobei mich tendenziell sogar interessieren würde, was die dpa in diesem Falle denn geschrieben hätte. :)
31/12/06 15:19
@ulf: Richtig. Der nächste Regen spült das stinkwarme Gepiesel weg. Insofern... :)
31/12/06 15:21
@saoirse: Scheiße, das ist (zu) jung. Und so gehen von mir umgekehrt auch tröstende Grüße zurück. Mein gänzlich unanonymes Beileid.
31/12/06 15:24
@frollein: Weise Worte. Ich habe auch vor, es genauso zu halten. Und wo immer er ist, wird es ihm hoffentlich gut und vielleicht sogar noch etwas besser gehen als hier. Und das tolle neue Jahr, den guten Rutsch und so weiter wünsche ich Dir ebenfalls. Gefeiert wird etwas dezenter als letztes Jahr, das hat aber nicht allein hiermit zu tun. Dass wir uns in Trauer vergraben und vor Schock erstarrt allen Lebensfreuden entsagen wäre auch nicht die Form von Andenken und Wertschätzung, die sich mein Onkel gewünscht hätte, glaube ich. An ihn denken kann und werde ich ja trotzdem.
31/12/06 15:33
@opa: Und das soll was heißen. Ich habe keine gesteigerte Lust, mich mit anonymen Pöbeleien zu befassen. Die Zeit, die ich mich drüber ärgern würde allein wäre schon komplett verschwendet.
31/12/06 15:37
@mrbrightside: wirklich? manchmal ergeben sich erschreckende parallelen. das leben ist zuweilen ein seltsames, und nicht selten absurd.
31/12/06 15:42
@sabbeljan: Herzlichsten Dank. Es zeigt und freut, dass die eigentliche Idee des Textes - nicht mehr und nicht weniger als ein kleines Andenken an und für meinen Onkel zu sein - durchaus erkennbar bleibt. Und ich bin und werde im Kreise meiner Freunde und der Familie sehr gut aufgehoben und aufgefangen.
31/12/06 15:48
... etwas dezenter als letztes Jahr. Jetzt kenn ich diese Ereignisse ja nur vom Hörensagen, aber selbst das reicht mir zu denken, dass du auch wirklich gut dran tust, wenns diesmal ... ach, vergessen wirs... ;-)
Guten Rutsch!
31/12/06 17:08
2006 ist bei mir generell ein Ausnahmejahr gewesen, extremer als alle vorherigen - im Positiven wie Negativen. Das hat mit dem Hineinrutschen bereits begonnen, das mit Sicherheit auch eins der Eigenartigsten meines Lebens gewesen ist. Das muss hier nicht weiter vertieft werden. Aber heute abend wird es vermutlich zwar sehr nett - aber sehr ruhig. Mir ist grad eh mal nach etwas mehr Ruhe in mir selbst und um mich herum. Zu viel Achterbahn macht schwindelig.
31/12/06 17:49
lieber ole, du bist der beste! alles liebe und gute für das Neue Jahr!
31/12/06 20:51
lieber ole, my heart goes out to you. dein beitrag ist ein denkmal. und der anonyme wichser, der keinen schimmer hat von gefühlen und dem ausdruck derselben in worten, soll sich gehackt legen.
1/1/07 14:05
bitts: Nicht übertreiben. Aber ich wünsch Dir dasselbe. :)
1/1/07 15:05
@glam: Allein, um "gehackt legen" zu lesen hat sich der Rutsch ins neue Jahr schon gelohnt, das auch für Dich hoffentlich ein richtig tolles wird.
1/1/07 15:06
Hey Ole, das mit deinem Onkel Holger tut mir sehr leid! Ich bin sehr ergriffen von deinem Text und kann in vielen Zeilen manches wiederfinden, was mich bewegt. Lass dich drücken!
Und lass dir auch ein Frohes Neues Jahr wünschen!
Viele Grüße
Anke
1/1/07 15:53
Herzliches Beileid, lieber Ole. Einen wunderschönen Text hast Du im Angedenken an Deinen Onkel Holger geschrieben, vielen Dank dafür. Leider kann ich recht gut nachvollziehen, wie es Dir in den letzten Tagen ergangen ist, vor einigen Jahren haben wir zu Weihnachten drei liebe Menschen gehen lassen müssen.
Fühl Dich umärmelt - ich denke an Dich.
2/1/07 08:09
Auch mein herzliches Beileid, lieber Ole.
Und trotz allem ein frohes Neues Jahr!
2/1/07 12:32
hallo ole. vor ein paar tagen ist ein arbeitskollege gestorben. ich kannte ihn noch nicht lange, aber was das ganze schlimmer machte als andere todesfälle, war dieses gefühl: eben war er noch da, und so lebendig. das schockierte mich. mein beileid, und auf dass du deinen onkel in guter erinnerung behältst.
2/1/07 14:15
Ich hatte den Gorecki vor wenigen Monaten auch schon drauf. Wunderschön, aber laß ihn nicht zu lange drehen.
2/1/07 20:08
Lieber Ole,
lese erst jetzt, dass Du einen lieben Menschen verloren hast. Das tut sehr weh. Mein herzliches Beileid!
Für 2007 wünsche ich Dir alles Gute und viele glückliche Momente. Und natürlich weiterhin wunderbare Geschichten hier in Absurdistan.
2/1/07 20:55
so, wie du ihn beschreibst, war er einer von den richtig guten. die fehlen am meisten.
ich wünsch dir sonne, in so zeiten.
3/1/07 08:42
lieber ole, meinen opa hat es damals an einem 22. dezember getroffen, ich war acht und hatte nur weihnachten im kopf. statt weihnachtsfeier hatten wir dann aussegnungsgottesdient, statt zu den geschenken ins wohnzimmer zu stolpern hab ich dem hinausfahrenden sarg zugeguckt, anstatt zu jubeln geweint. ich kann dir gut nachfühlen, es ist ein furchtbares gefühl, v.a. im kontrast zu den freudenfeierlichkeiten.
manchmal machen sich die lieben so still und leise davon, man erwartet es nicht und hätte noch soviel zu sagen gehabt. aber sie sind nur tot, sie sind trotzdem noch da, weil sie in unseren herzen weiterleben. wenn ich male, schiebt sich hin und wieder das gesicht meines opas zwischen mich und das bild, denn mit ihm habe als kind immer gemalt. was uns einmal verbunden hat, wird uns immer verbinden. und irgendwann sehen wir uns dann sowieso wieder.
3/1/07 13:45
Mein herzliches Beileid!
So schnell ist sowas Schreckliches passiert und man kann es überhaupt nicht fassen. Nur langsam kommt dann die Wahrheit durch und der Stich im Herzen wird immer schmerzhafter.
Vorwürfe darfst du dir jedoch keineswegs machen, es kommt alles so wie es kommen muss und es würde nur noch mehr schmerzen.
Ich wünsche Dir ganz viel Kraft für die nächste Zeit.
Miriam
3/1/07 14:12
@opa: Keine Sorge. Herr Górecki und ich kennen uns seit Jahren und ich weiß um seine Wirkung. In manchen Momenten ist seine klangliche Nähe wohltuend und passend, über längere Zeit tut er nicht unbedingt gut. Insofern ist seine Anwesenheit auf meinem Plattenteller auch schon wieder vertagt. :)
3/1/07 19:26
@pringle: Es ist schon erschreckend irgendwie. Es erscheint so surreal und doch ist es wohl weit realer als man sich glauben machen mag. danke in jedem Fall.
3/1/07 19:28
@morphin: Das klingt fast noch weitaus schlimmer als der Fall hier gelegen hat, so traurig er ist. Wahrscheinlich spielen mein Onkel und Dein Opa jetzt hoch oben Skat und trinken gemeinsam auf das Leben. :)
3/1/07 19:29
@miriam: Danke. Und: Vorwürfe mache ich mir auch keine ernsthaften. Aber erst wenn die Chance nicht mehr besteht, wird sie einem ja manchmal noch einmal klar und es wird bewusst, wie einfach es gewesen wäre, sie öfter wahrzunehmen. :)
3/1/07 19:30
@lu: Noch regnet's hier. Das aber vor allem draußen. Hier drinnen ist es warm, Kerzen flackern gemütlich und es ist zwar traurig, doch auch mein Onkel hätte kaum gewollt, dass nun nur noch gramverhangene, finstere Schleier das Dasein verfinstern. Der Verlustschmerz legt sich sanft, auch wenn zwischendurch immer wieder sehnsüchtige Wellen aufzucken. Das ist aber ja auch normal, wenn gute, liebe Menschen plötzlich von uns gehen.
3/1/07 19:32
@rabe: Herzlichsten Dank. Geschichten wird's hier auch in diesem Jahr wieder geben. Auch wenn ich bis Ende Februar tendenziell kürzer treten muss, schließlich wollen die mündlichen Magisterprüfungen auch bestanden werden. :)
3/1/07 19:37
@narana: Gleich drei? Donnerknispel. Das ist fast noch um ein Vielfaches bitterer, auch wenn beim Tod keine Verhältnismäßigkeitsrechnungen angestellt werden sollten. Danke auch Dir herzlichst.
3/1/07 19:50
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