Höllehöllehöllehölle
Der schale Dunst von ausgeschwitztem Alkohol, nicht nur aus den Polstern: Der Frauenkegelklub „Fall um“ aus Bottropp auf dem Rückweg von Norderney in die Heimat. Eine heftige Wolke. Apfelkorn- und Geneverflaschen machen die Runde, lallendgrölende Wort- und Lautfetzen verknoten sich im Abteil zu einem fiebriglärmenden Knäuel.
Staubkörnchen tanzen vor meinen Augen. Puterrote Tanten, den schnaufenden Kopf auf den ausladenden Busen gesenkt, schütteln sich kurz. Verschleierte Blicke aus betrunkentrüben Augen eiern ziellos durch die schlierigen Scheiben. Heidrun gibt einen Witz zum Besten. Die Pointe heißt "sein Pimmel". Schrillkreischendes Gejohle. Hände klatschen voller Übermut auf breiige Oberschenkel. Wilma, die sich ihre fettglitzernde Stirn getupft hat, schnaubt ein eckiges Lachen in ihr Taschentuch. Schweißflecken durchnässen die Achselbereiche der Blusen, kleben fest wie geschmolzenes Vanille-Eis. Ein fleischgewordener Haufen von Titeltranspirantinnen. Speckige Wülste und Zwei-Etagen-Busen in viel zu enge Tops gequetscht. Auf den Schweißperlen ihrer Stirn glänzt im bierfarbenen Licht der Vorabend.
Die dunkelblauen Flecken der Sitzpolsterbezüge tanzen in der Hitze vor meinen Augen. Der Dampf der Ausdünstungen schlägt sich in dicken Tropfen an den Scheiben nieder und kullert in Schlangenlinien abwärts. Ich ziehe das Fenster auf. Ein frischer Wind kitzelt die Nase. Ein Hauch von Erlösung.
Gerhild versucht zu stricken, doch der Schwipps-Pegel leiert ihre Bewegungen aus, die Nadeln torkeln aneinander vorbei. Sie stopft das Strickzeug zurück in den Jutebeutel. Gudrun reicht ihr den Apfelkorn unter sonnenstichigem Gegacker. Prohost. Der Ghettoblaster wird ausgepackt. Höllehöllehöllehölle. Wolle Petry bis zum Anschlag, rasant gefolgt von Viva Colonia und gekeuchtem „Uh! Ah!“-Zwischengebölke zu DJ Ötzi.
Heidrun bringt Nachschub. Hat im Nachbarabteil eine Dutzendschaft „Kleiner Feigling“-Fläschchen aufgetrieben. Hektisches Klopfen, Köpfe werden in den Nacken geworfen, das milchige Gesöff perlt die Kehlen hinunter. Der Lärmpegel steigt. Fluchtgedanken begehren auf in meinem Hinterkopf. Ich fühlefühlefühlefühle mich zunehmend unwohl. Lingen. Erst die halbe Strecke geschafft. Doch der Zug ist zu voll. Ich sinke tiefer in meinen schweißverklebten Sitz, sehne die Ankunft herbei. Immerhin lassen sie mich in Ruhe. Nur noch eine Stunde.
Sonntägliche Zugfahrten nach Münster.
Labels: In vollen Zügen
12 Wortmeldung(en):
Das kann man doch nicht erfinden, nicht wahr? Ich wäre schlagartig schwul geworden, und das auf meine alten Tage!
20/6/05 11:55
Wäre ich nicht felsenfest in meiner Heterosexualität verankert, ich hätte auch in meinen Festen geschwankt. Es war schon nicht grad lecker. Eher so gar nicht. Noch habe ich die Hoffnung, dass alles besser sein wird, wenn ich mitte 40 sein werde... ich zweifle aber, dass die Hoffnung begründet ist. :)
20/6/05 11:57
... in solchen Momenten muß ich immer an Wiglaf Drostes "Ein Frauenausflug" (zu hören auf: "Ich schulde einem Lokführer eine Geburt") denken
20/6/05 14:17
Wiglaf... ein großer Mann, der weise Worte spricht.
20/6/05 16:36
Hölle! Die Fußballjungs vom SV Hemelingen am Sonntag Abend im Zug nach Oldenburch waren ähnlich anrührend/nervig. Wenigstens ging da die Klimaanlage! Da fällt mir immer wieder das Daniel-Gent´sche Postulat ein: "Muss Menschheit vernichten!"
20/6/05 23:51
Einfach nur *lol*
Ähnlich, wenn auch anders, das Ruhrgebiet nach Fussballspielen - am besten dann, wenn alle Ruhri-Mannschaften jeweils daheim gespielt haben. Uuuuunerträglich! Dabei mag ich Fussball sogar!
21/6/05 00:49
Vielleicht könnte man für solche Clubs doch ganze Waggons reservieren. Das hätte was von Ausschluss und Quarantäne, aber die haben dort ihren Spaß und der Rest ne entspanntere Reise. :)
21/6/05 14:06
man riecht es, leider. man sieht es, leider.
sie baden ja regelrecht in adjektiven. sie sind so dicht an einander, wie die scchweissfüße an der socke. mieten sie doch ein auto. da riecht man nur die klimaanlage und den kunststoff des wagens. danke für den schwarz auf weiss-link. das ist viel angenehmer.
fein. fein.
23/6/05 14:01
Ich hoffe, die Adjektive kleistern nicht alles zu? Manchmal schlüpfen mir ja schon so einige in den Satz.
23/6/05 16:54
Lieber Ole,
Du bist einfach zu (gelsenkirchener?) barock. Diese schützenswerte Verbenminderheit ist dem Ansturm der wonneproppigen Adjektive nicht gewachsen. Finde ich jedenfalls. Und jetz ma nix gegen Bottrop, nä. Sonz krisse mittem Mottek. Die andan Ichnoranten auch. Schüss, Ursel
24/6/05 14:42
Nu pass ma Obacht, Kleiner, sonst kommt Oppa mitte Motorsäge und geht bei Dich bei! :))
24/6/05 14:56
Abgesehen davon Herr Ursula, steht es 45:40 für die Verben gegen die Adjektive. Ich habe nachgezählt. :)
24/6/05 15:01
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