Sonntag, Juni 12, 2005

Herr es ist Zeit, der Sommer war sehr groß - oder: eine späte Ode

Wie ein Derwisch sprang er im Kreis herum vor uns. Die Haare ragten steil und wirr von seinem Kopf ab, als habe er sich mit einem Katzenschwanz gekämmt. Draußen knallte die Hochsommersonne sengend auf das Trottoir.

"Kaum wird das Wetter heiß, triefen sie hier taubtrüb und träge von den Tischen wie zähfließender Zuckerrübensirup. Da kann ich ja gleich in ein Schwimmbad mit Honig springen", seufzte er.

Verrrwaschnes wie an einer Kinderrrschürrrze, Nichtmehrgetrrragnes, dem nichts mehr geschieht! Pathos. Die große Geste. Rilke im Hochsommer.

Wuchtig krachte sein Arm an die Tafel, stieß weiß auf dunkelgrün. Mit energischem Schwung und mit riesigen, ausholenden Bewegungen schmetterte er die Kreide dagegen. Schon beim ersten Bogen aufwärts brach die Kreide ab, quietschte auf der Tafel wie Ferkel. Neuer Ansatz, neues Stück Kreide. Dasselbe Ergebnis. Kurz später vollbracht: Wild über die Fläche gerissene Kringel, blitzschnell gezogenes Kreidekrickelgewirr das Ergebnis, graphologische Studien zum Dechiffrieren die zwingende Folge. Die Lesbarkeit von Texten beginnt bei ihrem optischen Erscheinungsbild. Ratlose Gesichter. Seinerseits ein verschämtes Schmunzeln.

"Tut mir Leid. Ich glaube, ich esse zu viel Müsli."

Okka gähnte.

"Okka, sie reißen ihren Schlund derart weit auf - es fehlt nicht viel, dann kann ich ihrer Magensäure beim Blubbern zusehen! Doch nun zum Gedicht, wenden wir uns endlich der Analyse zu!"

Imke meldet sich.

"Ja? Imke?"

"Das Gedicht beginnt mit einer Einleitung..."

"NEIN!NEIN!NEIN!"


Wie Rumpelstilzchen sprang er auf, sein Kopf roter als ein Feuerwehrauto.

"Das akzeptiere ich nicht! Alles wird eingeleitet! Gülle wird eingeleitet..."

Kurze Zeit später schloss er sich im Klassenschrank ein und kam erst beim Klingeln wieder heraus. Wenn irgendetwas aus meiner Schulzeit hängen geblieben ist, waren es die enorm lehrreichen, humorvollen und immer wieder ganz besonderen Deutschstunden bei Alf H.. Selten, seltsam, groß.

8 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Geile Frisur, der Mann!

12/6/05 12:59

 
Anonymous Anonym meint...

Hihi. Schade, dass ich ihn nie im Unterricht erleben durfte.
Aber der Nils Wilke darf auch nicht vergessen werden: "Ihr seid doch durch und durch kriminell, ihr Primitivlinge!"

12/6/05 23:02

 
Anonymous Anonym meint...

Mein ehemaliger Deutschlehrer und Rockplattenpapst Josef R. hat mal gesagt: Wenn du zehn Dinge an einer Frau schätzt und du findest eine, die nur vier von den zehn Eigenschaften hat, heirate sie auf der Stelle, denn was besseres kommt nicht mehr. ja, sie haben uns geprägt, unsere lehrkörper.

12/6/05 23:15

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Ist Dein Deutschlehrer irgendwann Papst geworden? :)

12/6/05 23:34

 
Anonymous Anonym meint...

Beeindruckende Persönlichkeiten, solche Lehrer. Mir fällt nur mein Lateinlehrer Herr Braun ein, der immer, wenn jemand nach krankheitsbedingter Abwesenheit zurückkam, den-/diejenige begrüsste mit "Na, noch'n bisschen nass um die Blase? Äh, ich meine natürlich, blass und die Nase."

....
drum ist aus mir nix geworden.

"Kind! Iß, damitte was wirst. Nix biste schon!"

12/6/05 23:46

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

was nicht ist, kann doch noch werden! und selbst wenn man nix ist, was Du nicht bist, ist das immer noch mehr als gar nix oder gar überhaupt nix! :)

13/6/05 00:08

 
Anonymous Anonym meint...

ggg
stand der klassenschrank im süden?
"gib ihnen noch zwei südlichere tage"...
damit müssen lehrer wie herr hase gemeint sein.
;)

klasse erzählt!
lg,
kathrin

15/6/05 23:23

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Danke! :)

16/6/05 00:23

 

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