Wasserzeichen
Das Wasserglas neben ihrem Kaffeebecher. Da regt sich was. Bläschen blubbern, kleine Strudel beginnen zu wirbeln, das Glas zittert. Klappert auf der Tischplatte. Krack! Es birst. Die Masse murmelt. Flüstert. Verdickt sich zu gallertartigem Gelee. Formt sich zu einem Klumpen.
"Huh! Ada!", raunt sie.
Ada verschluckt sich an ihrem Zigarettenrauch und hustet staubig.
"Ich bin's, der Wasserstrolch."
Ada fängt sich wieder.
"Und? Das ist noch lange kein Grund, mein Wasserglas kaputtzudeppern, den ganzen Schreibtisch nass zu machen und mich in meiner wohlverdienten Nachmittagsruhe zu stören!"
"Nachmittagsruhe? Hihi. Die Zeit. Die Zeit. Sie rennt Dir weg. Und Du schlurfst mit Engelsmiene hinter ihr her als sei sie eine Napfschnecke!"
"Wenn ich mit jemandem über meine Zeit philosophieren möchte, mach ich das im Seminar. Wozu studier' ich denn Philo?"
"Was Du scheinbar nicht wusstest, ist, dass alldiejenigen, die ihre teure Lebenszeit dauerhaft vermplempern statt sie sinnvoll zu nutzen, von mir heimgesucht werden. Von mir, dem hurtigen, halszuschnürend hurgelnden, gurgelnden Wasserstrolch. Ich umfließe und umschließe Euch! Zerre Euch mit wild wirbelnden Wasserwogen hinab in mein feuchtes Reich, durchwühle Euch mit eiskalten Fluten, durchspüle Euch mit salzigem Nass, schleudere Euch durch meine finstere Grotte, wo Ihr Euch die Barfüße an winzigen Stalagtiten aufschlitzt, wo Ihr nach Luft ringt. Ich bin die Rache der missachteten Zeit."
Ada schluckt. Blitzschnell schnappt sie nach einer neuen Zigarette und bringt sie hektisch zum Glühen. Das geht jetzt deutlich an die Nerven. Wird sie gar verrückt? Völlig plemplem?
Doch das triefend glitschglupschige Gebilde raunt wieder mit pergamentpapierzerknitterndem Timbre: "Ich bin der Wasserstrolch!"
Ada friemelt beherzt ein großes Taschentuch aus ihrer Handtasche und presst es mit Schmackes auf den Wasserstrolch. Es zuppelt und zappelt. Erst wütend und lebendig. Dann nur noch schwach. Irgendwann endet es. Sie trägt das vollgesogene Taschentuch in die Küche und wringt es über der Spüle aus. "Heim in Dein Reich mit Dir, Wasserstrolch!", zischt sie, holt sich noch einen Becher Kaffee, legt sich mitsamt ihrem Aschenbecher aufs Bett, raucht und kratzt sich am grazilen Kinn.
14 Wortmeldung(en):
Time is Money.
Allerdings heißt es auch: Eile mit Weile. Denn alles hat seine Zeit. Und natürlich: Kommt Zeit, kommt Rat, denn: Andere Zeiten, andere Sitten.
Ne?
Hermann ist leider kein Hund, sondern eine tote Bisamratte. Aber nah dran.
13/11/05 19:45
Einer toten Bisamratte steht der Name "Hermann" noch weitaus besser zu Gesicht. Memo an mich selbst: Kein Hund ist eine tote Bisamratte. :)
13/11/05 19:59
Ich gebe zu: mit der Wendung hatte ich bei den Ada Chroniken jetzt nicht gerechnet. Ist der Wasserstrolch so eine Burroughs Kreatur wie aus Naked Lunch? Nimmst du Drogen mein Junge?
13/11/05 23:04
Danke, jetzt weiss ich endlich wer meinen Schreibtisch gestern so nass gemacht hat...
13/11/05 23:09
Bisher bin ich nur mit völlig unmagischen Bussen gefahren und bin mit Timothy Learys Erben klar per Sie. :) Bewusstseinsverändernde Substanzen sind - abgesehen von kühlem Pils oder gutem Wein in Maßen - nicht in meiner Bude vorrätig. :)
Bis gestern hatte ich mit der Wendung in den Ada-Chroniken selbst nicht gerechnet, Burns. Aber allzuoft weiß man vorher ja selten, was plötzlich passiert. Vor weiteren obskuren oder gar nachvollziehbaren Wendungen wird man auch in Zukunft kaum gefeit sein. :)
Was "Naked Lunch" betrifft... ich hatte es gestern noch aus meinem Bücherregal geholt, wo es seit einem Jahr ungelesen steht, habe mich dann aber doch erstmal wieder Frau Morrison zugewandt und kann über das obskure Figurenkabinett da nix aus eigener Beobachtung sagen. ;)
14/11/05 01:55
blame it on the wasserstrolch, frau dolce vita! :)
14/11/05 01:55
sie soll doch nicht mit kippe ins bett gehen! naja, hoffentlich ist der wasserstrolch dann zur stelle und löscht den brand. wäre ja noch schöner, wenn nicht!
14/11/05 10:32
@Bittersweetbrandschutz: Recht haste. Aber groß zu kümmern scheint's sie ja nicht. Und wo sie den Wasserstrolch schon plattgemacht hat, soll sie sehen, wie sie sich hilft, wenn was passiert. :)
14/11/05 10:38
Also ich finds jedenfalls sympathisch, dass sie die Kekse in den Kaffee tunkt.
14/11/05 11:54
Wie befindet sich so ein wässriger Strolch eigentlich bei Minustemperaturen?
14/11/05 18:59
Er wirkt sehr starr, verhält sich sehr steif und kalt, verharrt fest auf seiner Position. :)
14/11/05 19:24
Nun, lieber Ole, da bin ich aber ganz froh, dass Du nur Bier und Wein... nicht auszumalen, was der Wasserstrolch sonst noch alles angestellt hätte. Dann wäre er vielleicht nicht so der friedliche 'he ich sag mal: memento mori'-Kollegentyp gewesen. Hat mir sehr gefallen!
15/11/05 23:10
freut mich, Monsieur. :)
15/11/05 23:20
Oh nein, ich kann ihn schon sehen, den ersten Strudel in meinem Wasserglas...wenn da mal kein Sturm mit dranhängendem Wasserstrolch draus wird !
Sehr schöne Geschichte. Merci, Ole !
Besonders angsteinflößend: die Foltergrotte für die Barfüßchen. Die armen Dinger klingen schon so verletzlich, selbst ohne -chen... Besonders innovativ: glitschglupschig. Tolles Wort. (NB: Unbedingt beim nächsten Seifeeinkauf verwenden.)
Jedenfalls aufrüttelnde Story. Aber ob wohl jeder so geistesgegenwärtig-kaltblütig reagieren würde wie Ada ? Bleibt abzuwarten, entscheidet
french kiss ;-)
16/11/05 00:13
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