Kurzer Tiger
Es nieselt, der schwarze Himmel ist wolkenverhangen, die Jacke ist klamm. Leise Flüche über das nasskalte Wetter huschen durch den Herbstwind und werden davongetragen. Mit halbstündiger Verspätung – wie geplant – schlurfen wir um halb zehn die schrubbeligen Betontreppen aufwärts und in den Club. Niemand spielt. Das eingeweihte Publikum steht, trinkt, raucht, quasselt. Haben wir die Vorband etwa doch nicht verpasst? Wenige Schlücke frischen Pilseners sind erst unsere Kehlen hinabgeperlt, da wuppert uns die erste Basslinie entgegen. Sind das etwa schon? Ja, sind sie. Huch, die Meister geben sich unerwartet früh die Ehre. Das war knapp. Was auch immer mit der Vorband passiert sein mag, gespielt haben sie nicht. Es kümmert uns nicht weiter, schließlich bekommen wir jetzt, weswegen wir gekommen sind. „Until I’m there“. Sie sind da, wir sind da, alles gut.
Alsbald schnappen uns Rasmus Kellerman und seine Jungs. Sie zupfen uns auf ihren fluffig groovenden, fliegenden Musikteppich und sausen mit uns los. Mal lockerleicht beschwingt mit Schalala- und Heyheyschubiduwah-Refrains, mal kullern ein paar wehmütige Tränen, zuweilen erschüttern Rockgewitter den Teppichflug und bringen ihn zum Beben. Müsste man dem Schubladendenker eine maßgeschneiderte Lade schreinern, könnte man „Esco“ drauf schreiben – eine Mischung aus Emo und Disco. Flugs zeigt sich das typische Zweitalbum-Livephänomen: Mit „Sell out“ wird der bislang größte Hit des Vorgängeralbums schon früh ins Publikum geschmettert. Das jubelt auf, beklatscht den Song und sein eigenes Gedächtnis. Ein bunter Reigen aus überwiegend neuen Songs mit eingestreuten älteren Sachen erwartet uns. Knackig gespielt, schmissig vorgetragen. Gut gelaunt hüpfen die Melodien ins Ohr, veranlassen zum mitsummen und –singen.
Und doch: Das Publikum zeigt sich sehr angetan, aber so beweglich wie ein Germknödel. Rhythmisches Kopfnicken scheint beim Gros das höchste der Gefühle. Vielleicht auch, weil der leise Eindruck bleibt, dass Kellerman & Co. es eilig haben, wieder von der Bühne zu kommen. Sie bieten ein bravouröses Set, routinierte Feinkost, aber es ist wie im Nobel-Restaurant: Was auf den Teller kommt, ist exquisit aber sehr überschaubar. Nach einer guten Dreiviertelstunde zucken wir zusammen? Wie „our last Song“? Ihr habt doch grad erst zu spielen begonnen und mit „Oh Horatio“ noch nicht mal den besten Song der Vorgängerplatte gespielt!
So nicht, Jungs!
Braver Zugabenforderungsapplaus. Und so zeigen sich Tiger Lou auch brav. Horatio begegnet uns doch noch. Fast am Ende. Spät. Und doch eigentlich noch viel zu früh. Diesmal ist er - kleine Publikumsanbiederung - nicht auf dem Weg nach München sondern nach Münster. Wippen im Takt, verhaltenes Mitsingen. Stilles Glück. Zwei kurze, halbakustische Songs später ist dann trotzdem Schluss. Wir möchten doch ihre noble Geste zu schätzen wissen, dass sie wenigstens noch drei Zugaben gegeben haben. Wissen wir auch. Aber weil’s doch durchweg sehr schön war, hätt’s auch gern noch ne Ecke länger sein können. Zumal die Vorband ausgefallen ist. Was uns hingegen ja wenig gekümmert hat.
Labels: Oles Musiktipps
3 Wortmeldung(en):
Feiner Report, Herr Cordsen. Ich geh heute zu Tiger Lous Ehefrau, der guten Firefox. Schaumermal..
3/11/05 13:18
Oh! Viel Spaß! Herr Mayer!
3/11/05 13:21
Hier gibt es übrigens eine alternative Sicht desselben Konzerts mit einem ebenfalls höchst gelungenen Text, wie ich finde.
4/11/05 17:50
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