Erinnerungen einer Reise ins Elsass (IV)
Vor lauter Heimlichkeit leise kichernd versteckt sich am Rande der Straße auch Zellenberg - das Dorf, das ich so gern beschmunzelt habe, da seine Türmchen und Häuschen wie eine zottelige Mütze gezogen sind auf die Kuppe eines Berges, der eher einer umgestülpten Suppenschüssel ähnelt. Zu seinen Füßen kräuselt sich auch die Fecht heute fast lautlos durch die Weiße Suppe – der kleine Fluss, der das fruchtbare Tal durchnässt und der an vielen Stellen so schmal ist, dass man einen Hund hinüberwerfen könnte, wenn man denn einen hätte und man wollte.
Zunächst brummen wir in die nächstgrößere Stadt, nach Colmar. Malerische Ecken und Fassaden, Holzschweine in Restaurantschaufenstern, Chansons von Charles Trenet, die aus grün umglasten Luftschächten des Parkhauses unter der Place Rapp ihren Weg aufwärts säuseln, der Issenheimer Altar im Musée Unterlinden, Brotmülleimer, in denen Brot für die Welt gesammelt werden soll, die aber vollgestopft sind mit Coladosen, Döner-Alufolie und Kippenschachteln, ein maghrebinischer HipHopper, der sich überlegt hat, dass er mir eigentlich mal meine Kamera wegnehmen könnte und frustriert und fluchend von dannen zieht, als er merkt, dass ich seltsamerweise dagegen bin und meinen Besitzanspruch kraftvoll geltend mache.
Zaghaft nehmen die Nebelschwaden ihren flauschigen Hut und überlassen der Sonne den Staffelstab. Den unsrigen nehmen auch wir nach einem Café crème im aus ungeklärten Gründen berühmten "Leffe", um uns auf dem Rückweg durch das steile Gehügel der Vogesen zu schlängeln. Stauwarnungen auf der Route National, verbunden mit der wieder aufblühenden Erkenntnis, das ein deutscher Stau in Frankreich sinngemäß ein "Stöpsel" oder "Korken" ist.
Fast einhundertfünfzig kleine Pferde sind unter der Motorhaube unseres bulligen Land Rovers eingesperrt. Sie wiehern, grollen und röhren, während sie das schwarze Gefährt zwischen den steilen Felsstürzen und waldüberwucherten Hängen bergauf treiben. Während wir uns die Serpentinen hinaufschrauben, ereilt meinen Magen mit jeder neuen Kurve ein kribbeliges Schleudertrauma und die Erkenntnis, dass mich - ganz im Gegensatz zum begeisterten Erkunden von weiblichen Rundungen und Kurven, in deren direkter Nähe ich liebend gern lebe und mich aufhalte - inmitten schlängelnder Steingebirgskurven auf Dauer doch ein schleichender Drehschwindel befällt, der das Hirn nach geraumer Zeit in flauen Dämmer versetzt.
Regelmäßig die Nase zuhalten und den Druck ausgleichen, bloß nicht lesen und schreiben. Höhenangst habe und hatte ich nie, aber sobald ich mich zu lange und schnell im Kreise drehe, wird mir ganz schalou und blümerant. Gerade, wenn man im Tal kurvt, verstellen die Berge auch auf unverschämte Weise den Blick zum Horizont und sorgen dafür, dass Luftlinienstrecken von anderthalb Kilometern in Drehwurmfahrten von schlappen fünfzehn Kilometer münden.
Wer oben auf der Passhöhe oder in einer der an den Hang gekrallten Hütten hoch über dem quirlig sprudelnden Tal wohnt, sollte schauen, dass er seinen Einkaufszettel nicht vergisst und alles sauber abhakt, wenn er ins Dorf hinunter zum Einkaufen fährt. Doch das Panorama im silbrigsanft glitzernden Herbstlicht auf der Passhöhe entschädigt für Vieles und nach einiger Zeit und viel frischer Luft, schleicht sich auch wieder das spiralige Schwindelschwirren in meinen Hirnwindungen.
Gegen Abend krabbelt die Sonne wieder hinter die Berghänge, um sich schlafen zu legen. Gespenstisch bleicher Dunst verdickt sich zu neuerlichen Nebelschwaden, schwebt wieder aus den Wiesen und betaut und verschluckt die Welt unter sich. Wir klettern zurück ins wohlig warme Heim, am Herd prasselt und brutzelt es, mit formidablem Abendessen beginnt der gemütlichste Teil des gemütlichen Tages, ehe die Dunkelheit der Nacht und die Schwere der Augenlider uns in Richtung Traum sinken lassen.
30 Wortmeldung(en):
Chapeau - ein anmutiger Bericht, der nicht durch Zwischenrufe gestört werden sollte.
Ich frag' auch nur ganz kurz: Der Löffel auf dem Bild mit den blauen Blubberblasen ... O2 can do, das ist bekannt. Aber jetzt auch Besteck? Oder war das die Zusatzgabe für einen smart gebuchten 3 €-Tarif?
31/10/05 19:32
merk würdig, wenn man ein foto sieht auf dem haargenau die zwei tassen zu sehen sind aus denen man selbst eine weile kaffee gesoffen hat zu zweit äh ja olè.
31/10/05 19:43
Ich glaub, das Besteck gibt es bei IKEA. Inwieweit sich die "Joa is denn hoat scho Woahnachtn"-Fraktion an der Produktionskosten beteiligt, weiß ich nicht. :)
31/10/05 20:07
500beine beweisen enormen Porzellangeschmack! :)
31/10/05 21:21
colmar hat mir seinerzeit auch juti gefallen (ich war neunzehnfünfundneunzig mal eine woche da herunten). seid ihr auch mal an saint odile vorbeigefahren und habt gleichnamigen schnappes gekostet?
31/10/05 21:30
Ja, ein sehr schöner Bericht. :) Aber "...einen Hund hinüberwerfen..." - wie kommt man auf so einen Gedanken ? Ich meine, ich weiß, was ein Hund wiegt, und habe schon öfters einen herumgetragen, aber deswegen würde ich noch nicht auf die Idee kommen, Entfernungen in Hundewerfeinheiten zu berechnen. Da würden mich tiefenpsychologische Deutungen aber interessieren...! Liebe Grüße ! ;-)
31/10/05 23:57
Was ich an dir mag, Ole:
Du nimmst die Dinge überwiegend mit einer positivistischen Konnotation wahr. Ich bin mir sicher, diverse Blogger hätten aus deinen Urlaubserinnerungen schwarze Schwaden aus Fernweh und Perspektivenlosigkeit gestrickt. Du aber siehst mit den Augen eines staunenden Besuchers. Und das tust du nicht nur im Urlaub. Bleib so wie du bist. Dieses Land schreit nach Hellsehern wie dir!
1/11/05 01:04
Vorbei gekommen sind wir an St. Odile. Schnappes mit dem Namen ist meine Perle nicht hinuntergedampft. :)
1/11/05 03:26
Burnse: Ich fand den Urlaub klasse. Insofern seh ich gar keinen Grund für Perspektivlosigkeit. Selbst wenn ich sicherlich noch lieber mit einer bezaubernden Frau tête à tête im Urlaub gewesen wäre. :) Trübsal blasen ist momentan eh beinahe eine Modeerscheinung, der ich mich nicht recht anschließen mag. Egal welche Perspektiven die Zukunft mir selbst zudenken wird... :)
1/11/05 03:29
@anonym: Nur weil noch nicht so viele Menschen vor mir in Hundewerfdistanzen gerechnet haben, hält mich das noch lange nicht ab, das zu ändern. Ich gestehe: Ich habe noch nie einen Hund irgendwohin geworfen. Aber, wie Karlsson vom Dach sagen würde: Das stört keinen großen Geist. :)
1/11/05 03:31
Wo Karlsson vom Dach recht hat, hat er recht. ;-) Und aus lauter Erleichterung über Dein Geständnis wünsch ich Dir auch viele leckere Fleischklößchen. Sag mal, wie lange wart ihr denn im Elsaß - will heißen: wieviele nette Geschichten kommen wohl noch ?
1/11/05 08:06
jetzt trink ich aber seit
ein, zwei jahren aus einer
bart simpson tasse mit runter
gelassener hose.
1/11/05 09:11
das nächste mal komme ich mit in den wohnwagen! so schön.
ole, du musst reisejournalist werden!
1/11/05 09:52
Fragt sich nur noch, wer jetzt die Hosen runtergelassen hat. Eat my shorts! ;)
1/11/05 13:01
Hier kann, wer nicht warten möchte, bis sie die Texte flankieren, übrigens die kompletten Urlaubsfotos aus dem Elsass sehen.
1/11/05 13:23
Eine wirklich ansehnliche Sorte von flankierenden Maßnahmen!
1/11/05 13:41
Oh! Ein großer, flankierender Dank! :)
1/11/05 13:52
@ BSC:
Er würde dem gesamten Berufsstand zur Ehre gereichen. Zieh dir mal hier seine Rezensionen rein:
http://www.3sat.de/denkmal/
(Bei "Volltext Recherche" Ole Cordsen eingeben.
Hauptsache, er schreibt weiter!
1/11/05 14:04
Mein Gott, Opa. Du machst mich ganz verlegen.
Bei 3Sat wird's in diesem Jahr nichts Neues mehr geben von mir. Aber Anfang nächsten Jahres wieder. Bei Plattentests müste die Tage wieder Neues (allerdings nix Weltbewegendes) kommen.
1/11/05 14:10
Jedem Berufsstand gereiche ich im Übrigen sicher nicht zur Ehre. Auf dem Politiksektor in journalistischer Hinsicht gibt's unendlich viel bewandertere Menschen als mich, bei Wirtschaft genauso. Als Synchronschwimmer oder tapferes Schneiderlein würde man mich auch fix wieder feuern. :)
1/11/05 14:14
Mit Sicherheit aber nicht im Ein-Mann-Synchronschwimmen.
1/11/05 14:42
Ich war auch mal im Elsass. Da ist mir ein Tausendsassa erschienen. Heisser als der Wüstensand in Westhessen. Ich glaub ich geh jetzt mal was essen.
1/11/05 15:45
Lass es Dir schmecken, Fonse. :)
1/11/05 16:46
@kein einzelfall: Ich kann NUR Ein-Mann-Synchronschwimmen. Sobald ich beim Schwimmen irgendwen anders als mich selbst synchronisieren soll, wird's mehr als tricky. :)
1/11/05 16:46
Ole, ich wollte nicht übertreiben, ich sprach nicht von jedem Berufsstand, sondern vom gesamten Berufsstand und meinte die Journalisten, weil BSC dir den Reisejournalismus nahelegte.
Dieser Berufsstand hatte eine Qualitätsauffrischung auch immer schon dringend nötig, schau mal:
Weise erdenken neue Gedanken und Narren verbreiten sie (Heinrich Heine).
... die Pest unserer Zeit! Blödsinnige Bilder mit noch läppischerem Text: es gibt nichts Verächtlicheres als Jounalisten, die ihren Beruf lieben (Arno Schmidt)
Der Journalismus ist ein Terminhandel, bei dem das Getreide auch in der Idee nicht vorhanden ist, aber effektives Stroh gedroschen wird (Karl Kraus)
Und wenn ich sage Journalist, dann meine ich Drecksau. Das ist der richtige Name, für das, was ihr tut (Louis Aragon)
Gottfried Benn hatten wir schon undundund...
Laß Opa ruhig mal ein bißchen schleimen, ihr kriegt auch euer Fett, wenn ihr's verdient, ganz sicher.
1/11/05 16:59
Ich verspeise grad meine selbst gemachten Spinat-Tomaten-Feta-Blätterteigtaschen und fürchte, dass die womöglich auch recht fett sind. Aber schweinelecker.
1/11/05 17:02
Pfui Teufel!
gohadua
1/11/05 19:02
Nicht Deine Tasse Tee?
dikpfft
1/11/05 19:11
Meine Tasse Tee wär das durchaus...aber für Kochen bleibt im Moment leider keine Zeit. :-(.
Wannanders wieder ! Wünsche wohl gespeist zu haben. :-)
1/11/05 19:15
sehr guter Beitrag
10/11/12 14:30
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