Donnerstag, August 16, 2007

Fokko und Meta (I)


Die anderen Kühe blicken nicht mehr auf, sie rupfen und mampfen gemütlich ihr Gras. Fokko kommt schließlich täglich, meist mit seinen lehmverklebten Gummistiefeln (auch im Sommer), einer schmuddeligen Jeans, bei der er allzu oft den Hosenstall weit offen stehen lässt (er schiebt es auf den defekten Reißverschluss) und mit seinem neuen Schnurrbart (er ist inzwischen schließlich ein Mann, und das soll die Welt ruhig sehen). Seit die Kühe auf dem Hof sind und so lange sie zurückdenken können, kommt Fokko, um Meta Gassi zu führen - insoweit sie überhaupt nachdenken, zumal darüber. Meta ist eine wulstige Schwarzbunte und von Kälberbeinen an seine große Liebe.

Irgendwann nach dem Mittagessen klappt die kleine dunkelgrüne Tür in der Scheunenrückwand auf, die Scharniere knirschen und Fokko schlurft heraus. Seit er vor vier Wochen ein Päckchen „Schwarzer Krauser“ am Wegrand fand, hat er mit dem Rauchen begonnen. Es schmeckt ihm nicht. Aber es macht ihn mehr zu einem Mann. Hat er sich gesagt. Und ein Mann muss tun, was ihn zu einem Mann macht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Und so friemelt er krautige Tabakbröckchen in einen Papierschnipsel, um daraus eine windschiefe Zigarette zu drehen, bevor er am dampfenden Misthaufen vorbei und an der Flanke vom Schweinekoben entlang zur Weide schlurft. Selbstumwölkt. Manchmal grunzt er noch ein paar Mal und grüßt die Schweine. Die wühlen derweil weiter im Matsch nach Äpfeln, suhlen sich in Pfützen oder schubbern ihre Leiber an Holzpfählen. Fokko ist ihnen reichlich egal, ob er nun raucht oder nicht.

Fast immer pfeift Fokko ein Lied, während er das rostige Tor zur Weide entsichert, sich hindurch windet und zur verstreut grasenden Herde hinüber schlendert, meistens flötet er „Movie star“ von Harpo. Das ist sein Lieblingslied. Über die Schulter baumelt dann der große Gurt, den er Meta anlegt. Er hat ihn selbst gebastelt. Aus zusammengedrehter Silofolie, Teppichklebeband und einer alten Hundeleine. Mit Edding hat er in fetten Lettern „META“ darauf gekritzelt – damit die Leute, die ihm entgegen kommen nicht immer fragen, wie die Kuh wohl heißt. Sie stellen sowieso zu viele Fragen. Als Besonderheit hat Fokko noch eine Hundemarke an das Kuh-Halfter geklebt. Auch die hat er vor Monaten einmal am Wegrand gefunden. Nur wenige Meter entfernt von der Stelle, wo unlängst der Tabakbeutel lag. Meta kommt ihm nie entgegen, wenn er nach ihr ruft. Sie bleibt, wo sie grast. Manchmal verscheucht sie mit ihrem Schwanz ein paar Fliegenschwärme, die um ihr Hinterteil schwirren. Fokko schlägt das Herz dann höher. Denn wenn Hunde sich freuen, wedeln sie mit dem Schwanz. Warum sollten Kühe das nicht tun?

to be continued…

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Sonntag, Mai 20, 2007

Der Hofhund (I)


Nichts liebte Strolch so sehr wie die Treckerfahrten zum Melkstand auf dem Weideland am Zementwerk - etwa anderthalb Kilometer vom Hof entfernt. Auf unserem alten Güldtner erstreckte sich zwischen den Kotflügeln hinter dem Fahrersitz eine Holzbank, auf die er von der Hängerkupplung aus klettern konnte. Und so sauste er, sobald meine Eltern auch nur die schwere Brandschutztür von der Waschküche zur Scheune aufwuchteten, auf seinen kurzen Beinen an ihnen vorbei, peste über die Diele, an den Futtersäcken vorbei, umkurvte in Höchstgeschwindigkeit eine umherstehende Forke oder eine Schubkarre und raste zum Trecker, um sich seinen Mitfahrplatz zu sichern. Nicht selten auch dann, wenn niemand überhaupt zum Melken fahren wollte. Mit Knurren quittierte er, wenn außer ihm sich niemand dem alten, wuppernden Dieselross näherte, um es für die Melkfahrt in Gang zu bringen.

Ungeduldiger wurde er aber gar, wenn es wirklich an die Abfahrtvorbereitungen ging. Er winselte, während mein Vater den kleinen Anhänger mit dem Melktank ankuppelte und die Eimer mit Waschwasser füllte. Nicht selten knurrte er, wenn mein Vater allzu gemütlich vorging, sich erst – beinahe in Zeitlupe - die speckige Schirmmütze aus der Stirn schob, noch etwas zerstreut seine schlafzerzausten Haare richtete, die Unterlippe vorschob und mit der Zunge einen Schwarzbrotkrümel aus seinem Schnurrbart bugsierte. Oder wenn er zunächst noch mit der alten rostigen Kanne Öl nachfüllte, am Verteilerkasten herumschraubte oder den Keilriemen neu spannen musste.

Doch wie glänzten seine Augen, wie japste er vor Glück, wenn mein Vater den Treckermotor in Gang brachte, wenn die selbst noch verschlafenen Ventile sich erst träge und dann immer schneller bewegten, der Motor mit einem tiefen Grummeln in Schwung kam und zu kötteln, wuppern, tuckern und rappeln begann, wenn Rußwolken aus dem Auspuff stoben. Jetzt wusste Strolch: Die nächste große Fahrt steht bevor.

Und vorfreudig baute er sich auf, wuchs mit jeder Minute, stellte sich in Positur – mit den Hinterpfoten auf der Holzbank, mit den Vorderpfoten auf dem Kotflügel. Plötzlich schwang sich der sonst so kleine, kugelige Hund mit seinen kurzen Beinen, mit den halb zugewachsenen Augen und dem Schlappohr auf zum mutigsten Hund im Umkreis. Mit der Nase im Fahrtwind und hoch über dem Erdboden kläffte er energisch auf sämtliche Hofhunde der Nachbarschaft herab, vor denen er sonst eher den Schwanz einkniff. Auf dem Trecker wurde er zum König.

Und der König war sich für Arbeit nicht zu schade. So sprang er, just wenn wir angekommen waren und mein Vater die noch schläfrig im betauten Gras dämmernden Kühe zur Melkmaschine in den Anbindestand rief, vom Trecker, flitzte feurig zu den trägen Schwarzbunten hinüber und biss ihnen in die Hacken, um sie anzutreiben. Dies sorgte indes zumeist nur dafür, dass die Kühe verwirrt und panisch durcheinander stoben und manchmal dabei sogar umknickten. Mein Vater gönnte Strolch seine Freude, und doch verknöcherte sich sein wohlwollendes Lächeln, wenn er dem wuselnden Hofhund dabei zusah, wie er im frühmorgendlichen Gras umherjagte, um die Kühe gen Melkstand zu treiben.

Denn zumeist mussten ich und mein Vater die Kühe dann einzeln wieder einfangen und beruhigen. Und so kam der Tag, an dem Strolch frühmorgens nurmehr einen strengen Blick erntete, ich nur hilflos mit den Schultern zucken konnte und angewiesen wurde, die Stalltür geschlossen zu halten, damit er sich auf keinen Fall durchschlängeln konnte. Strolch durfte nicht mehr mit zum Melken fahren. Einige Hinterläufe der Kühe hatten sich ob seiner Bisse entzündet. Tieftraurig fiepte er, blickte sehnsüchtig und beinahe schuldbewusst zwischen dem struppigen Fellgekräusel über seinen Augen hindurch und musste traurig, gesenkten Schwanzes, zurückbleiben.

to be continued

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