Sonntag, Mai 20, 2007

Der Hofhund (I)


Nichts liebte Strolch so sehr wie die Treckerfahrten zum Melkstand auf dem Weideland am Zementwerk - etwa anderthalb Kilometer vom Hof entfernt. Auf unserem alten Güldtner erstreckte sich zwischen den Kotflügeln hinter dem Fahrersitz eine Holzbank, auf die er von der Hängerkupplung aus klettern konnte. Und so sauste er, sobald meine Eltern auch nur die schwere Brandschutztür von der Waschküche zur Scheune aufwuchteten, auf seinen kurzen Beinen an ihnen vorbei, peste über die Diele, an den Futtersäcken vorbei, umkurvte in Höchstgeschwindigkeit eine umherstehende Forke oder eine Schubkarre und raste zum Trecker, um sich seinen Mitfahrplatz zu sichern. Nicht selten auch dann, wenn niemand überhaupt zum Melken fahren wollte. Mit Knurren quittierte er, wenn außer ihm sich niemand dem alten, wuppernden Dieselross näherte, um es für die Melkfahrt in Gang zu bringen.

Ungeduldiger wurde er aber gar, wenn es wirklich an die Abfahrtvorbereitungen ging. Er winselte, während mein Vater den kleinen Anhänger mit dem Melktank ankuppelte und die Eimer mit Waschwasser füllte. Nicht selten knurrte er, wenn mein Vater allzu gemütlich vorging, sich erst – beinahe in Zeitlupe - die speckige Schirmmütze aus der Stirn schob, noch etwas zerstreut seine schlafzerzausten Haare richtete, die Unterlippe vorschob und mit der Zunge einen Schwarzbrotkrümel aus seinem Schnurrbart bugsierte. Oder wenn er zunächst noch mit der alten rostigen Kanne Öl nachfüllte, am Verteilerkasten herumschraubte oder den Keilriemen neu spannen musste.

Doch wie glänzten seine Augen, wie japste er vor Glück, wenn mein Vater den Treckermotor in Gang brachte, wenn die selbst noch verschlafenen Ventile sich erst träge und dann immer schneller bewegten, der Motor mit einem tiefen Grummeln in Schwung kam und zu kötteln, wuppern, tuckern und rappeln begann, wenn Rußwolken aus dem Auspuff stoben. Jetzt wusste Strolch: Die nächste große Fahrt steht bevor.

Und vorfreudig baute er sich auf, wuchs mit jeder Minute, stellte sich in Positur – mit den Hinterpfoten auf der Holzbank, mit den Vorderpfoten auf dem Kotflügel. Plötzlich schwang sich der sonst so kleine, kugelige Hund mit seinen kurzen Beinen, mit den halb zugewachsenen Augen und dem Schlappohr auf zum mutigsten Hund im Umkreis. Mit der Nase im Fahrtwind und hoch über dem Erdboden kläffte er energisch auf sämtliche Hofhunde der Nachbarschaft herab, vor denen er sonst eher den Schwanz einkniff. Auf dem Trecker wurde er zum König.

Und der König war sich für Arbeit nicht zu schade. So sprang er, just wenn wir angekommen waren und mein Vater die noch schläfrig im betauten Gras dämmernden Kühe zur Melkmaschine in den Anbindestand rief, vom Trecker, flitzte feurig zu den trägen Schwarzbunten hinüber und biss ihnen in die Hacken, um sie anzutreiben. Dies sorgte indes zumeist nur dafür, dass die Kühe verwirrt und panisch durcheinander stoben und manchmal dabei sogar umknickten. Mein Vater gönnte Strolch seine Freude, und doch verknöcherte sich sein wohlwollendes Lächeln, wenn er dem wuselnden Hofhund dabei zusah, wie er im frühmorgendlichen Gras umherjagte, um die Kühe gen Melkstand zu treiben.

Denn zumeist mussten ich und mein Vater die Kühe dann einzeln wieder einfangen und beruhigen. Und so kam der Tag, an dem Strolch frühmorgens nurmehr einen strengen Blick erntete, ich nur hilflos mit den Schultern zucken konnte und angewiesen wurde, die Stalltür geschlossen zu halten, damit er sich auf keinen Fall durchschlängeln konnte. Strolch durfte nicht mehr mit zum Melken fahren. Einige Hinterläufe der Kühe hatten sich ob seiner Bisse entzündet. Tieftraurig fiepte er, blickte sehnsüchtig und beinahe schuldbewusst zwischen dem struppigen Fellgekräusel über seinen Augen hindurch und musste traurig, gesenkten Schwanzes, zurückbleiben.

to be continued

Labels:

20 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

oh ja, kuh- und hundegeschichten. von denen gibt es definitiv zu wenig!

21/5/07 04:06

 
Blogger mq meint...

Klingt nach Terrier. (Und als solcher hätte er den Beruf des Hütehundes tatsächlich verfehlt.)

21/5/07 16:53

 
Anonymous Anonym meint...

Also an diese Trecker erinnere ich mich auch noch...auch wenn die bei uns Bulldogs genamt wurden...aber herrlich wars, das Mitfahren! Ich kann den Hund verstehen....

21/5/07 20:06

 
Anonymous Anonym meint...

Stimme FrauH. zu und erinnere mich - mangels Hund - an den Bulldogg unserer Nachbarn. Bei denen gabs übrigens auch keinen Hund, was angesichts deiner Geschichte vielleicht gar nicht so unclever war. Die hatten nämlich auch Kühe.

21/5/07 23:32

 
Blogger frech'n'nett meint...

go strolch go ahead...

21/5/07 23:45

 
Anonymous Anonym meint...

Tolles Bild!

22/5/07 10:15

 
Blogger Etosha meint...

Jeder Hund hat so seine eigene Leidenschaft. Und man sieht ihn richtig vor sich in deiner Geschichte. Schön!

22/5/07 16:17

 
Blogger kein einzelfall meint...

Animal Farm reloaded ;-)

22/5/07 20:53

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@k.e.: Ich frage mich ja immer, wie man Filme oder generell Geschichten denn eigentlich wieder auflädt. Sind das in Wirklichkeit heimliche Akkus? Gibt es dafür spezielle Ladegeräte? :)

22/5/07 21:03

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@mch: Ich habe sie nie gezählt, aber meistens freu ich mich, wenn ich welchen begegne...

22/5/07 21:04

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@mq: Ich glaube, es hat immerhin ein Terrier mit reingemendelt. Ich frage an den entsprechenden Stellen mal nach (dies hier sind zwar meine Worte, aber es ist nicht meine Geschichte). :)

22/5/07 21:04

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@frauh: Ich glaube, was Sie meinen, sind die Bulldogs von Lanz. Die alten Rußschleudern sind ja meist noch ältere Wuppermaschinen. Der, den ich meinte, sieht recht genau so aus. Vielleicht meinten sie aber auch genau so einen?!

22/5/07 21:07

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@ratze: Auf nem alten Lanz hätte der Hund a) schlecht mitfahren können, da die - soweit ich weiß - keine Bank irgendwo und auch nur selten überhaupt Kotflügel hatten und b) hätte er wahrscheinlich schon rasch einen üblen Gehörschaden erlitten, so laut wie die Viecher sind. Egal, wie viele Kühe die hatten. :)

22/5/07 21:20

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@frech'n'nett: He will, anytime soon...

22/5/07 21:20

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@helga: Danke. Ist auf der "Gaste", alten Weidefeldern schräg hinter unserem Haus in der ostfriesischen Heimat...

22/5/07 21:21

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@etosha: Ich kenne mich da nur bedingt aus. Wir selbst hatten immer nur Kater zu Hause. Aber generell hat ja beinahe jedes Wesen seine speziellen Spleens und kruden Leidenschaften, das stimmt. :)

22/5/07 21:22

 
Anonymous Anonym meint...

Genau SO einen meine ich!!! Und rot war er auch...aber er hatte Ein Dach aus Plane...
In Bayern heißen übrigens alle Trecker Bulldog(g) ;) Synonym, sozusagen. Hatten Sie denn wenigstens selbst 'mal das Vergnügen???? Wenn es schon nicht Ihre Geschichte ist? Hach!

(zu der Geschichte oben kann ich erst 'mal nix sagen...die verdaue ich schon seit Stunden und mir scheint, ich bin nicht die Einzige....)

22/5/07 21:39

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@frauH: Ich hab ihn leider nie gefahren, denn er stand auf dem Hof in Amerika, wo meine Mutter geboren ist, von der auch die Geschichte stammt, deren ersten Teil es hier gibt. Ich habe den Güldner noch erlebt, aber ich war, glaube ich, sechs oder sieben, als er endgültig in Rostrente ging.

Was den obigen Text betrifft: Lassen Sie sich Zeit. Oder sagen Sie nichts. Die Fortsetzungen werden auch weniger traurig. Aber die Geschichte an sich ist es nunmal schon, und trotz allem, finde ich, wert, erzählt zu werden.

22/5/07 21:47

 
Anonymous Anonym meint...

Jetzt sagen Sie bloß, diesen Ort gibt es wirklich??? Es gab das mal so einen Film, ein Restaurant in Amerika geerbt und so.... Ich dachte immer, der Ort wäre eine Fiktion.... Sie haben Ihre Wurzeln in einer Fiktion ;) Das passt!
Und selbst fahren durfte ich den Bulldog(g) leider auch nie, dafür um so öfter mitfahren ;)

22/5/07 22:09

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@FrauH: Diesen Ort gibt es wirklich. Obwohl es eigentlich auch nur ein Ortsteil ist. Hier ist ein Link zur Dorfgeschichte, derzufolge Amerika als Kolonie außerhalb des Dorfes Hesel (heute zu Friedeburg gehörig, was nicht allzu weit von Wittmund und etwa auf zwei Dritteln der Strecke von Leer nach Wilhelmshaven liegt) 1824 erstmals erwähnt wurde und damals noch aus nur fünf Häusern bestand. Heute sind es mehr. Dafür fehlt ständig das Ortsschild, das sensationslüsterne Nasen nachts immer wieder gerne abmontieren und einsacken. Russland ist auch wiederum ein Ortsteil von Friedeburg. Hier wird sogar eine größere Radtour angeboten, die unter anderem die beiden obskuren Ortsteilchen durchquert. Wurzeln in einer Fiktion habe ich bei allem wahrscheinlich trotzdem. :)

23/5/07 03:27

 

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