Samstag, April 28, 2007

Die Paar Probleme (VII)

Coras pflaumenfarbenen Augen glänzen feucht, als sie Jens stumm, fast wehrlos das Wortfeld überlässt. Ihre Lippen eng aufeinander gepresst, leicht bibbernd.. Sie verharrt, fast wie gelähmt, zuckt zweimal kurz, als schwebe ihr ein Wort auf den Lippen, als wolle sie seinen Monolog unterbrechen, doch bleibt reglos, blass. Ihre Hände umklammern kreideweiß die Zigarettenschachtel. Die Schultern, die im Brast eben noch energisch vorragten, hängen nurmehr schlaff. Und auch Jens hält – vom Vorpreschen, von der eigenen Courage, dem eigenen Gefühlsausbruch scheinbar überrascht – inne, glättet die Schöße seiner blauen Strickjacke, die er verkrampft zwischen den übereinander geschlagenen Beinen eingeklemmt hatte. Fast scheint es, als hätte sein glänzendes Beispiel, sein verbaler Schachzug, die von langer Hand vorbereitete Pointe, sich zum Hinterausgang getrollt, sich irgendwo im zerebralen Ganggewirr verirrt oder sei auf dem kraftstrotzenden Weg zur Zunge erschöpft und konditionell entkräftet zusammengebrochen.

Jens räuspert sich, die Stirn in Falten geworfen, die Schläfen straff, der Blick streng und suchend. Wie ein Witzeerzähler, der im geschwinden Spurt zur Pointe hin vergessen hat, wie sie lautet. Wie ein Fußballstürmer, der sich im Konter den Ball weit vorlegt, ihm wild hinterherstürmt und urplötzlich zögert, schüchtern verzagt und fast unmerklich abbremst, sodass der Ball ins Aus trudelt. Chance vertan. Ohne Einwirkung des Gegners. Schweißperlen glitzern auf seiner Stirn. Er reibt sich hinter dem linken Ohr, schweigt, blickt auf die eckige Tischplatte vor sich, dann hinauf zum unbeirrt kreiselnden Ventilator an der Decke, weicht Coras Blicken aus. Und dann, nach quälenden Sekunden, ja vielleicht Minuten des beiderseitigen Schweigens fragt Cora mit zittriger Stimme:

„Dein Beispiel… Du wolltest doch… wolltest Du nicht? Dein Beispiel, Jens?“
„Ach ja… nun… ja… also… wie fange ich an?"
Jens stottert beinahe, besinnt sich aber und holt tief Luft. "Also gut... ein Mann, der in seiner Firma eine neue Stellung erhalten hatte und nun oft bis tief in die Abendstunden hinein arbeiten musste, hatte seiner Frau für den Tag das Auto überlassen, die mit den Kindern zur Großmutter fahren wollte. Es war zuletzt zu kleineren Missstimmungen zwischen ihnen gekommen, weil seine Frau – ohne es zu wollen – plötzlich zweifelte, ob er wirklich nur wegen der neuen Aufgaben derart spät nach Hause kam. Alle seine Freunde, die sie heimlich behelligte und subtil befragte, versicherten glaubhaft, dass sie keinerlei Anzeichen wahrgenommen hätten, dass irgendetwas Heimliches im Gange sei. Alle bekräftigten, wie liebevoll und begeistert er immer noch von ihr spräche, und dass es wahrlich keinen Grund gäbe, sich Sorgen zu machen. Die Frau hatte sich hierauf beruhigt, und doch war es, als hätten diese Zweifel ihr leise Gift ins Ohr geträufelt, das die Sinne schärfte, ihre Vertrauensfestigkeit innerlich allmählich zersetzte und wie ein Tumor den Argwohn in ihr streuen und wuchern ließen. Sie bemerkte an sich, wie viel aufmerksamer sie plötzlich auf seinen Stimmfall achtete, wie viel genauer sie auf seine Hände sah, während er, meist von der Arbeit müde, sprach. Teilweise fühlte sie sich wie ein Geheimdetektiv auf Spurensuche, überzeugt davon, dass eine akribische Untersuchung tatsächlich etwas Skandalöses hervorbringen würde, und dann schämte sie sich wieder, weil er sich eigentlich verhielt wie immer. Und doch… warum guckst Du plötzlich so…?“
„Wie gucke ich denn?“
„Naja… ich weiß nicht. Undurchdringlich?“
„Wie kann man denn undurchdringlich gucken?“
„Ich weiß nicht. Aber irgendwie…“
„Du wolltest Deine Geschichte erzählen. Nun bring sie auch zu Ende!“
„Ja… stimmt… also… irgendwelche Zweifel blieben der Frau, auch wenn sie selbst nicht genau benennen konnte, was diese eigentlich nährte. An diesem Tag war sie nun samt Kindern mit dem Auto zu den Großeltern gefahren und saß am Abend, die Kinder hatte sie schon zu Bett gebracht, vor dem Fernseher. Sie hätte ihren Mann mit dem Auto von der Arbeit abholen können, aber sie scheute davor zurück, etwas entdecken zu können, was sie gar nicht wissen wollte und was zu erfahren sie trotzdem brennend drängte. Der Mann wiederum – arglos – spazierte nach Feierabend, diesmal schon etwas früher als sonst, zu Fuß nach Hause und kam an einem Blumengeschäft vorbei, was just im Schließen begriffen war. Spontan sprang er noch in den Laden, flehte die Verkäuferin an, noch nicht zu schließen und ihm noch das gesamte Kontingent roter Rosen zu verkaufen, die sie noch in ihren grünen Plastikvasen stehen hatte. Es waren nur noch neun, ein eher kümmerlicher Strauß, aber es ging bei allem ja um die Geste. Eine Freude machen wollte er seiner Frau und ihr noch einmal zeigen, wie ernst es ihm um sie war, nachdem er zuletzt das Gefühl hatte, sie misstraue ihm plötzlich ein wenig. Und so ging er mit dem kleinen Rosenstrauß durch die dunklen Straßen heim. Zu Hause angekommen, lächelte er seine Frau an, die Rosen noch hinter dem Rücken verborgen, küsste sie (sie küsste nur spitz und mit festen Lippen kurz zurück) und holte dann den kleinen Rosenstrauß hervor, streckte ihr die Rosen freudig entgegen und sagte: ‚Für Dich Schatz, weil ich Dich liebe.’ Die Frau, überrumpelt und verdattert, hörte sich aber selbst daraufhin nur fragen: ‚Wofür denn das? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?’, und insgeheim dachte sie: Der schenkt mir doch nicht ohne Grund einfach Rosen, und warum sagt er exakt in diesem Moment, dass er mich liebt? Er hat womöglich doch etwas zu verbergen und will mich ruhig stellen, ablenken, damit ich seine heimlichen Machenschaften nicht durchschaue. Und so nahm sie ihm die Rosen beinahe ruppig ab, zog eine schnippische Flunsch, zischte ‚Danke’ und eilte energisch in die Küche. Der Mann – völlig verwirrt – schritt ihr hinterher und fragte: ‚Ist alles in Ordnung? Hab ich irgendwas falsch gemacht? Hab ich was Falsches gesagt? Hätte ich Dir keine Rosen mitbringen sollen?’ Sie aber knurrte nur, während sie Wasser aus dem Spülkran in eine Vase füllte, ‚Doch! Alles bestens!’ Sie blieb den Rest des Abends auf Abstand, von stärkeren Zweifeln dunkel durchflutet. Sie schliefen weit voneinander entfernt ein. Der Mann wusste nicht, was los war, mutmaßte aber, die Geste sei vielleicht übertrieben gewesen, schlief still ein und nahm sich vor, es am nächsten Tag anders zu machen. Als er diesmal nach der Arbeit heimkam, hatte er keine Blumen dabei, sagte, als er die Wohnung betrat, nur ‚Hallo’, lächelte flüchtig und ging ins Bad, um sich umzuziehen. Die Frau wurde hierüber aber noch misstrauischer. ‚Es muss gestern eine Finte gewesen sein. Wenn er gestern gesagt hat, er liebt mich und Blumen mitbringt und heute nur kurz angebunden herein kommt, dann muss das einen Grund haben. Warum sagt er das heute nicht? Hat er innerlich schon mit mir abgeschlossen? Sein Herz schon ganz auf eine andere Schnepfe ausgerichtet? Will er mir nur zeigen, wie verzichtbar ich bin, dieser Schuft?“


Plötzlich fällt Cora Jens ins Wort. Ihr Gesicht hat während seines Monologs eine fast puterrote Farbe angenommen. Die Haut wirkt papiern, fast meint man, sie wütend rascheln und knistern zu hören. Ihre Pflaumenaugen schießen giftige Blitze, sie schnaubt Tabakrauchwolken aus den Nüstern und herrscht ihn an: „Scheißkerl!“
„Wer?“
„Du!“

to be continued...

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27 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Aus irgendeinem Grund musste ich beim Lesen an Helge Schneiders "Eine Rose ist eine Rose ist..." denken...
Und: Ich war Erste :) Hihi....

28/4/07 23:03

 
Blogger creezy meint...

Is ja wieder grandios! uff, und jetzt wieder solange warten auf die Fortsetzung ;-(

28/4/07 23:30

 
Blogger Johnny3000 meint...

Wir leben ja zählerisch im Dezimalsystem. Wenn der Typ seiner Frau nur zehn Rosen gibt, dann muss die freilich mutmaßen, dass eine fehlt, nämlich die, die er liebesgeständlicherisch seiner Sekretärin oder der Floristin überreicht hat. Eine rote Rose ist mehr wert als ein unvollständiger Strauß.
Hat Scheißkerl Jens seiner Cora neulich auch nur neun Blumen gegeben und nun weiß sie, dass er zur Ausrede gerade eine feine Parabel fabuliert hat, um sie ruhig zu stellen, weil er eine Nebenfrau hat? Oder hält sie aus Israel und Ecuador eingeflogene Rosen für ökologisch bedenklich?

29/4/07 11:46

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Guten Tach, Frau H. :)

Helge habe ich ebensowenig wie Gertrude Stein im Kopf, aber beim Schreiben waren beide eigentlich eher schweigsam und unbeteiligt.

Und: Gratuliere. :)

29/4/07 12:04

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@creezy: Schaunmermal. Et kütt wie (und wann) et kütt. Muss nicht unbedingt so lange dauern. :)

29/4/07 12:05

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@jök: Eine einzelne Rose wäre eher Minimalsystem, oder? Aber: Interessante These! :)

29/4/07 12:05

 
Anonymous Anonym meint...

huihui, cora fühlt sich ertappt? hat sie bereits spioniert?

aber was bringt der depp von ehemann denn ausserhalb der reihe blumen mit. er muss doch wissen, dass die trulla von ehefrau ausflippen wird. vor allem wenn er sowieso schon bemerkt hat, dass sie ihm misstraut.

im übrigen: blumen mitbringen ... wie einfallslos! eine dose bier, eine autofelge oder ihr lieblingsschnitzel - das ist unauffällig und genau so einfallslos, wie man es den männern zutraut! :)

29/4/07 13:24

 
Anonymous Anonym meint...

Oh man. Nervenkitzel pur.

29/4/07 17:32

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Eine Autofelge ist mindestens das Liebevollste und Originellste, was man seinem geliebten Partner nur mitbringen kann, Zoeee! Ich staune immer noch. Herrlich. :)

(Ich persönlich hätte kein Auto zum Dranmontieren und würde persönlich eher das Lieblingsschnitzel bevorzugen. Aber das nur nebenbei... :)

30/4/07 00:07

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@dolcevita: Any "downers" necessary?

30/4/07 00:08

 
Blogger samoafex meint...

Jessas. So was Ähnliches hatte ich auch mal. Nur dass es sich um eine männliche Cora drehte.

30/4/07 11:20

 
Blogger Galen meint...

Man sollte eigentlich immer ungerade Anzahlen an Rosen schenken (außer zu geraden Jubiläen), dass hat der Herr schon richtig gemacht. Hab ich zumindest so gelernt (als Sohn eines Gärtners). Aber außer der Reihe einen größeren Strauß mitbringen weckt auch nur den Verdacht des Gegenübers. Dann doch nur eine einzelne, denn manchmal ist weniger wirklich mehr.

30/4/07 12:23

 
Anonymous Anonym meint...

Aaah spannend... dieses to be continued immer...
Aaalso: um auf dein liebes Kommentar zu sprechen zu kommen (merci dafür): Böhmisch Watten ist ein Kartenspiel, eine Abwandlung vom normalen Bayerischen Watten(siehe z.B. Wikipedia). Der Unterschied ist, dass man beim Böhmisch Watten eine Karte aufdeckt, sodass die Farbe angesagt ist - der Trumpf für dieses Spiel. Schlag zählt nicht. Und hierbei muss man sowohl Schlag als auch Farbe zugegeben sowie Stechen wenn man kann. Ist alles ein bisschen seltsam zu "erklärtippen", aber eigentlich ganz einfach. Lernen bayerische Kinder wie die Preussen MauMau oder whatever (heißt hier eh Neunerln). Bei Fragen einfach nochmal melden ;) Ich würd ja gern mal ne Runde mit dir wagen, aber ich fürchte, geographische Differenzen könnten uns davon abhalten ;)

30/4/07 13:25

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@besserwisserin: Danke für die Infos. Vorerst bleib ich bei Skat und Doppelkopf. Aber wer weiß...

Und nächstes Mal schreibe ich zur Abwechslung mal wieder "Fortsetzung folgt" - es sei denn, die nächste Folge ist die letzte der Reihe... :)

30/4/07 15:05

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@samoafex: Es rennen scheinbar mehr beziehungsschwierige Gestalten über die Welt, als man zunächst meinen mag. :)

30/4/07 15:05

 
Blogger Johnny3000 meint...

@galen. Hab Dank für die Auskunft zu gärtnerischen Konventionen. Trotzdem glaube ich weiter an meine Dezimalsystemthese. Das Zehnersystem ist so fest in unseren Köpfen verankert, dass Cora in emotional gespannten Situationen gewiss nicht darüber nachdenkt, was der Gärtner sagen würde, sondern sich auf ihr spontanes Gefühl verlässt.

30/4/07 15:47

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@galen: Darüber hatte ich, ehrlich gesagt, gar nicht näher nachgedacht. Aber schön, wenn sich zumindest in Teilen die Geschichte mit gärtnerischen Gepflogenheiten deckt. Ansonsten stimme ich Jök voll zu. :)

30/4/07 15:55

 
Anonymous Anonym meint...

wenn Gesten nur noch falsch verstanden werden, sollte man sich am besten die Hände tranchieren lassen, nur um alle Irrtümern Vorschub zu leisten. DAS ist Liebe! (evtl. ein wenig radikal)

Mir gefällt -neben den Buchstaben hier- ihre Playlist. Endlich mal jemand der mit neutral milk Hotel etwas anfangen kann und für das Verpassen des Aereogramme Konzertes kann ich mir jetzt noch..)

30/4/07 19:17

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Dann müsste man sich gewissermaßen aber doch beinahe auch noch die Gesichtsmuskulatur mit Botox lahmspritzen, oder?

Auch nicht das Erstrebenswerteste. Eher weniger. Apart from that: Danke für die Blumen. Auch umgekehrt schön, noch weitere Liebhaber von Neutral Milk Hotel zu wissen. Und auch ich könnte mich sonstwohin beißen, dass ich Ende Februar nicht nach Köln konnte, um sie zu sehen. Immerhin auf dem Hurricane. Da aber wahrscheinlich irgendwann im Nachmittagsprogramm. Leider, aber immerhin.

30/4/07 19:24

 
Anonymous Anonym meint...

Wer pflaumenfarbene Augen hat, darf auch Scheißkerl sagen. Bin ganz Coras Meinung.

1/5/07 21:23

 
Blogger mq meint...

Gegen den Tumor der Argwohn hilft Chemo nur bedingt, meistens muss aufgeschnitten werden.

1/5/07 21:48

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@frauvonwelt: mindestens ein bisschen scheiße sind ja beide - kerl und perle, wenn man die vorgeschichte betrachtet. ;)

2/5/07 14:17

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@markus: nicht selten auch abgeschnitten, bzw. der abschnitt gewechselt bzw. der lebensabschnittspartner ausgewechselt. :)

2/5/07 14:18

 
Blogger Scheibster meint...

Ah, habe ich fast die Fortsetzung verpasst. Kaum ist man ein paar Tage nicht in der Blogosphäre...

Bin gespannt, warum er denn jetzt ein Scheißkerl ist... Hat er ihr demletzt Rosen geschenkt? Oder gar keine?

3/5/07 11:45

 
Anonymous Anonym meint...

Ich glaube, diese Frau hätte ich längst abgeschossen oder ordentlich gehauen.

Würde mir ja tierisch auf die Nerven gehen sowas, was die ganze Zeit nur das negative in den Taten sucht.

Die scheint seine Qualitäten scheinbar nur im Bett zu schätzen zu wissen.

Rein vom Verhalten der Frau hätte ich niemals gedacht, dass die irgendwie in der Lage dazu wäre, zu studieren.
Hätte die so als Verkäuferin im Klamottengeschäft eingesetzt, mehr Intelligenz scheint sie nicht zu besitzen.

Und der Mann ist so gutmütig, dass es schon nicht mehr logisch ist bei so einem Benehmen der Partnerin.
Ein Amoklauf hätte mich weniger verwundert als dieses 'Du kritisierst mich zwar den ganzen Tag und nervst mich schon seit wir dieses scheiß Café betreten haben, aber ich liebe dich trotzdem, warum auch immer'-Betragen.

Da hat er sich ja sowas geangelt, was man umganssprachlich als 'Hausdrachen' bezeichnet...

17/5/07 17:31

 
Anonymous gutscheine zum ausdrucken meint...

guter Kommentar

23/12/12 14:39

 
Anonymous gutscheine zum ausdrucken meint...

guter Kommentar

27/2/13 17:14

 

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