Tüteninferno (1/2)
"Ist sowas zu fassen? Ich frage Dich: Hat man sowas schon einmal gehört? Es ist so... so..."
Susanne raufte sich die dunklen Locken, fuchtelte mit ihren Armen umher. Nervöse Flecken sprenkelten ihre Wangen. Jessica, einigermaßen überrumpelt, kräuselte die Stirn fragend.
"Nun mal ganz langsam. Lass mich doch erstmal die Jacke ablegen. Was um alles in der Welt ist denn eigentlich los? Du warst am Telefon schon so... Atme erstmal tief durch. Hier, ich habe uns ne Flasche Rotwein mitgebracht."
Jessica reichte ihr die Flasche, Susanne drehte sich erst zweimal verwirrt auf der Stelle, wuselte dann in die Küche und begann hektisch, die Küchenschubladen nach dem Korkenzieher zu durchwühlen. Gefunden. Entkorkt. Gläser unter hektischem Klirren aus dem Schrank geklaubt. Dann in Susannes Zimmer. Noch immer wirkte sie wie ein Hochdruckkessel, rannte ziellos hin und her, wurde mal blass wie Muschelkalk, ehe eine verschämte Pfirsichröte darüber spielte, wieder verschwand, sie wütend errötete. Im Sekundentakt wechselten ihre Gesichtsausdrücke, verschwommen ineinander. Und Jessica saß verwundert daneben. Hatte sie ihre Freundin doch nahezu noch nie so außer sich gesehen. Dann plötzlich japste Susanne, halb außer Atem, von Neuem:
"Es war so... so... was ist mir nur eingefallen ein derartiges Schwein, einen so unverfrorenen Perversen, einen solch kackdreisten Kranken süß zu finden? Und ihn sogar noch einzuladen, mit zu mir nach Hause zu kommen?"
"Wer denn überhaupt? Wovon redest Du?"
"Kornelius heißt der Schuft."
"Äh... erfahre ich auch noch etwas mehr?"
"Der... herrje.. aber wie großartig war die Nacht selbst. Er konnte keine zwei Schritte mehr geradeaus gehen, aber er selbst im tiefsten Suff wusste er... hach, Jessi, er wusste genau, wie er mich berühren muss. Alles in mir hat gebibbert, gezittert, pulsiert, mein Blut hat gebebt, meine Synapsen sprangen einen Flicflac nach dem anderen, so wild und aufregend war es noch nie..."
Wonnig glitzerten Susis Augen, deren Blicke vor Sekunden noch fast vor Abscheu barsten. Sie und Jessica saßen inzwischen gemeinsam auf dem Bett, von wo aus das Grauen seinen Lauf nahm, schwigen nun kurz. Beide nippten (beinahe synchron) an ihrem Glas mit Rotwein. Über Susis Bett hing ein Poster mit van Goghs Nachtcafé.
"Wann denn überhaupt? Und wer zum Henker ist Kornelius?", fragte Jessica nach einem Moment.
"Der... ach... Samstag. Du weiß doch. Auf der Mojowax-Nacht..."
"Warst Du völlig stramm."
"Ja... okay... das auch", murmelte Susanne verlegen. "Nachdem Ihr so früh gegangen seid, bin ich ja noch geblieben..."
"Schätzchen, wir sind um halb vier gegangen, das ist doch nicht früh."
"Naja... ich bin - wie Du Dich erinnerst - noch da geblieben. Und irgendwann... ja... irgendwann... ich weiß es nicht mehr genau. Jedenfalls war ich auf der Tanzfläche... und dann haben wir uns geküsst."
"Du und..."
"Kornelius, ja."
"Einfach so?"
"Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam."
"Und wieso ist er jetzt so ein Arsch?"
"Naja... wir sind dann irgendwann beide aufgebrochen, hatten beide Hunger und sind gemeinsam noch einen Döner essen gegangen. Und während wir auf den Döner warteten, haben wir uns plötzlich wieder geküsst. Mein Gott, konnte er küssen, der verdammte Vollpfosten!"
"Ja, aber was hat er denn getan?"
"Nun, völlig berauscht von seinen Küssen, habe ich ihn nach dem Essen noch mit zu mir eingeladen."
"Und?"
"Erst war es mir peinlich, denn - Du weißt ja, wie unsere Wohnung zurzeit aussieht, aber er hat sich gar nicht groß drum geschert. Wir sind gleich in mein Zimmer und sofort übereinander hergefallen."
"Das klingt ja furchtbar."
"Ja. Nein. Das nicht. Das war unglaublich. Toll. Der Wahnsinn."
"Aber?"
"Es war so wunderschön. Irgendwann sind wir völlig erschöpft zusammengesunken, haben uns aneinander gekuschelt (Du weißt, wie sehr mir das fehlt, es ist immerhin schon vier Monate her, seit ich das letzte Mal...). Wie dem auch sei. Ich bin selig eingeschlafen in seinen Armen. Dann wache ich morgens auf, und..."
Susanne erbleichte, schluckte. Nippte am Wein, sprach mit beinahe erstickter Stimme weiter.
"Dieses Schwein... dieses... hach, ich könnte ihn... ich dachte, er findet mich auch toll, aber stattdessen... und wie ich ihn angeschmachtet habe... und dann das! Wie kann man sowas tun?"
"Ja was denn nun? Verrätst Du's auch?"
"Nun, als ich aufwachte... war er einfach weg. Ohne ein Wort zu sagen. Ich habe ihn in der ganzen Wohnung gesucht. Nichts. Spurlos verschwunden. Wobei, nein. Nicht spurlos. Ganz im Gegenteil. Er hatte einen Brief auf dem Tisch hinterlassen. Wie unglaublich zynisch dieser Kerl gewesen ist. In honigsüßen Tönen hat er von der Nacht geschwärmt und bedauert, dass er so abrupt weggemusst hätte..."
"Na, dann ist er doch aber kein so großer Arsch."
"Das ist ja nicht alles. Denn da war noch... noch... ich kann es nicht sagen, mir wird jetzt noch davon übel!"
Fortsetzung folgt.
Labels: Paar Probleme
18 Wortmeldung(en):
die geschichte kenn ich doch aus einer anderen perspektive??!! ;-)
bin gespannt wie es weitergeht!
grüße aus amsterdam!
19/4/07 00:43
Lass Dich überraschen. Aber wenn tatsächlich mehrere die Geschichte kennen, gibt es leisen Grund an der Zuverlässigkeit der Quelle zu hegen, die mir vor geraumer Zeit diese Geschichte (die von mir bewusst leicht variiert wurde) als Malheur im Freundeskreis unterschob. :)
19/4/07 00:50
er hat ihre aussteuer mitgehen lassen? in der toilette nicht abgezogen? die letzte milch ausgetrunken und die leere packung im kühlschrank gelassen? die telefonnummer der anonymen alkoholiker mit lippenstift auf den badezimmerspiegel geschrieben?
ich hasse diese fortsetzungsdramen, herr ole! :)
19/4/07 06:15
Na, 50 € hab ich halt dazugepackt, so wie immer.
19/4/07 07:24
Ich kann mir gut vorstellen, welche Rolle Tüten in dieser Nacht gespielt haben. Dennoch stellt sich natürlich die Frage, wie das im Titel angedeutete Inferno aussieht. Auflösung im zweiten Teil?
19/4/07 09:50
@kreuzberger: Jepp. Dies wird kein Cliffhanger-Inferno wie die Paar-Problem-Sache. Der Text war nur zu lang, um ihn in einem Rutsch reinzusetzen. Und dann doch lieber in zwei verdaulichen Happen als die Leserschaft mit epischen Pottwalen von Texten schon vorab zu erschlagen. :)
19/4/07 09:54
@opa: Ich (der ich den Ausgang der Geschichte kenne) bin gespannt, wohin genau Du die gelegt hast. :)
19/4/07 09:55
@zoeee: Wie schon beim Kreuzberger geschrieben - datt wär doch sonst viel zu lang geworden. Und auf Nachrichtenkürze beschnitten, wär' der Pfiff futsch. :)
19/4/07 09:56
"vollpfosten" - sehr schön!;-)
19/4/07 10:02
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
19/4/07 12:03
haha, jetzt weiß ich auch wieder woher ich die story kenne! aber das verrate ich jetzt nicht, sonst können alle nachgucken und sehen wie es ausgeht, das wär ja blöd...aber wie gesagt, ich bin auf die andere seite gespannt!
19/4/07 12:06
Ich kenne sie nicht aus dem Netz, soviel dazu. Aber vorab verraten gilt nicht, sonst ist für alle, die sie nicht kennen der Spaß ja zu früh vorbei. :)
19/4/07 12:10
hat das ende im weitesten sinne mit sanitäreinrichtung zu tun?
19/4/07 13:12
@marlow: Warte das Ende ab, und Du wirst lesen. :)
19/4/07 13:53
Es wurde schon gesagt, aber auch ich pfeife auf den Pfiff, lieber Ole, und will das dicke Ende wissen! Die Geschichte hat die Form eines Koitus Interruptus, der dem anscheinend gelungenen Koitus im Inhalt nicht gerecht wird.
19/4/07 15:56
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
20/4/07 15:46
Prächtiges Gefühl, wenn man weiß, dass der zweite Teil schon publiziert ist, während man noch den ersten liest :)
20/4/07 15:47
Auf spannende Weise entspannend, nicht? :)
20/4/07 15:49
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