Mittwoch, April 11, 2007

Paaksterfüür

Aschgraue Nebelschwaden verkleben die Abendluft. Dicker Rauch verschluckt die mageren Birken im Moor, die überstrüppten Wallhecken, die Äcker, die ehemaligen Torfkanäle, die winzigen Bauernhöfe mit ihren kärglichen Vorgärten. Blühende Ginsterbüsche keuchen, Amseln durchwühlen ihr Nest nach Schutzmasken. Nur selten dreht der Wind kurz und fächelt etwas Frischluft in die feinverstaubten Lungen. Es ist der Vorosterabend, und überall in Ostfriesland brennt es. Alte Äste, Tannengrün, Buschwerk, übrig gebliebene Laubhaufen aus dem letzten Herbst oder Stumpen entwurzelter Bäume sind seit Wochen und Monaten auf den Feldern zusammengekarrt und aufgetürmt worden, auf Rasenflächen hinter den Häusern oder auf öffentlichen Plätzen. Und nun, einen Abend vor Christi Wiedergeburt, wird ein Haufen nach dem nächsten entflammt, ehe tausende Flammen prasseln. Äste knacken, Laub knistert, während die Feuerzungen sie glutheiß umlecken und allmählich einäschern. Osterfeuer.

Drumherum scharen sich die Nachbarschaften. Bei größeren Feuern ganze Dörfer. In Gummistiefeln und Trainingsanzügen. Schnurrbärte und Dauerwellen werden hier nie aus der Mode geraten und werden schon in jungen Jahren sorgsam gezüchtet. Schluck um Schluck werden Pinneken gekippt. Die Augen trüben sich vom Klaren. Bei den Harten (die in den Garten kommen wollen) entschuldigt nur der Tod den Verzicht auf den nächsten Schnaps. Kruiden1 um Kruiden rötet die Backen - literweise rinnt das scharfe, dunkle Gesöff die Kehlen hinab. Bierfass um Bierfass wird in den Buden nachgefüllt und in Windeseile leergetrunken. Dickspeckige Mittvierziger mit fettigen Fingern baggern drallbusige Teenager mit wasserstoffweißer Knittereisenhaarpracht an, während ihre Ehefrauen quietschvergnügt auf der holprigen Wiese rund um die Bierbude Polonäse tanzen und mit dem Kommando "Ruut ut' Wech, anners göbeln wi jo vull!"2 auf Schockeffekt und Ekelfaktor zu setzen, um sich eine Schneise durch die Menschenmengen zu bahnen.

Der Wind hat gedreht, der Rauch zieht nun flach gen Bratwurststand. Augen brennen, wüstes Husten, Hände fächeln. Milchglasig dreinblickende Milchschnurrbartträger wanken, um den Zapfer in der Bierbude strumpelduun3 anzubölken: "Diäau mi man noch eeihm tweei Meters Charly!"4. Anschließend torkeln sie in weiten Bögen zu ihren Vereinskameraden zurück. Die Kinder, die sich noch nicht betten mussten, turnen abseits ihrer schluckspechtigen Eltern im flackernden Schein um den Feuerrand, halten Äste mit Teigwickeln in die Glut, um sich Stockbrot zu backen oder werfen Zweige in die Flammen. Schiefe Gebisse zerkauen Bratwürste, inzwischen wieder ohne Hustenattacken (der Wind hat wieder gedreht), das ungeröstete, weiße Toastbrot pappt am Gaumen, die Pappschälchen landen in den Flammen oder neben der Mülltonne (es ist zu spät zum Zielen). Der Vizepräsident des Kegelclubs bietet seiner Nachbarin an, seine Hasenpfote zu kraulen. Sie schüttelt sich, schüttet sich vor Lachen aus und nennt ihn einen Schlingel. Mit jeder halben Stunde müssen die Schritte vorwärts sorgsamer einzeln geplant werden, verschwimmt der Blick, wackelt der Horizont stärker, schläft das Gleichgewicht tiefer seinen Rausch aus, so dass sich die torkelnden Horden bald wie Fleischlawinen über den Platz walzen, jeden, der nicht schnell genug aus dem Weg springen kann, anrempeln, Bier und Schnaps verschütten, an anderen Lawinen hängen bleiben.

Freche Jungs reißen einem verrucht geschminkten Mädchen mit gigantischen Silberklunkern an den Ohren die Buchse runter. Die Menge grölt. Sie steht betreten, betrunken und unter der Gürtellinie nackt da und zieht die Hosenbeine verschämt wieder hoch, fängt vor Wut zu heulen an. Der Trainer der Alten Herren grinst gelb und zahnlückig unter seinem Schnurrbart hindurch, packt ihr mit festen Pranken auf die Schulter und raunt "Maak Di d'r nix van! Hier... ick geev Di'n Kur ut un denn is't ook weer giäaud, hör?"5 Sie schnieft, nickt stumm, sucht nach ihren Zigaretten, findet nur noch eine leere Schachtel, wirft sie frustriert zu Boden und folgt ihrem angegrauten Gönner zur Theke. Die Flammen werden langsam kleiner, die Rauchschwaden dünner. Die Nacht rückt tiefer, Ostern rückt näher. Doch hier ist noch lange nicht Schluss. Egal, wie doppet man sieht und wie viel länger der Heimweg durch Torkelumwege wird - was zählt, ist Durst. Und der ist noch massig vorhanden an den Osterfeuern meiner Heimat.
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1 Kruiden ist (abgesehen von Tee) das ostfriesische Nationalgetränk, ein besonderer kastanienbrauner, scharfer Kräuterschnaps mit geheimer Zusammensetzung
2 "Raus aus dem Weg, andernfalls werden wir uns auf Euch übergeben!"
3 sturzbetrunken
4 wortwörtlich: "Tu mir mal noch eben zwei Meter Charly" --> Gib mir doch bitte noch zwei Meter (~15 Becher) Charly (stark dosierte Cola-Weinbrandmischung, oftmals mit "Landrat Melchers" zubereitet).
5 "Mach Dir nichts draus. Hier... ich geb Dir nen Schnaps aus und dann ist es auch wieder gut, hörst Du?"

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18 Wortmeldung(en):

Blogger Oles wirre Welt meint...

Nun endlich hat es auch funktioniert. Euch allen nachträglich nochmals "Frohe Ostern gehabt zu haben"!

11/4/07 19:35

 
Blogger amadea's world meint...

Wunderbar hast du das geschrieben. Ostfriesland - kenn ich nur vom Namen nach. Obwohl Ihr Nachbarn seid, wir Österreicher kennen so wenig von Eurem Land.

11/4/07 21:08

 
Blogger Narana meint...

Wunderschön beschrieben, so dass ich denk', ich bin dabei gewesen.

12/4/07 06:54

 
Blogger Schnitzel meint...

Das Gefühl, dabeigewesen zu sein, habe ich auch. Allerdings wurde bei meinem Osterfeuer das "Diäau" wohl eher wie "Doh" ausgesprochen und das "giäaud" eher wie "gouhd". Aber das Leeraner Platt ist halt ein wenig anders. Schön war es trotzdem am Samstag, leider hab ich vergessen das Badezimmerfenster zu schließen und so stinkt die Bude heute noch nach den Feuern.
Munterhollen.

12/4/07 07:58

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@schnitzel: Das Leeraner Platt selbst sagt auch eher "doh" und "goud" - zumal, wenn nüchtern. Doch wenn der Fehntjer (ich war ja am Vorostersamstag zu Besuch auf dem Fehn) erstmal betrunken ist, spricht er mit ähnlichen Vokalachterbahnen (ieääaou statt o) wie vor allem die rheiderländische Bevölkerung auf den Poldern kurz vor der niederländischen Grenze. :)

12/4/07 09:41

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@amadea: Umgekehrt kenn ich nahezu alles aus Österreich auch nur aus Büchern und dem Fernsehen. Und Ostfriesland ist ja zwar der Nabel der Welt - aber einer der unbekanntesten, weshalb auch sonst viele Menschen der Reublik diesen eminent großartigen Landstrich nicht kennen. :)

12/4/07 09:43

 
Anonymous Anonym meint...

ui ha...mit dem gelbgrinsenden, zahnlückigen, schnauzbärtigen mann wäre ich glaub ich nicht mitgegangen...
aber es klingt, als wären wir auf demselben osterfeuer gewesen! =)

12/4/07 14:30

 
Anonymous Anonym meint...

also nach diesem kruiden scheint ja ein ganzer kulturkalender ausgerichtet zu sein. der war doch auch schon beim bosseln dabei. aber sag das mit den osterfeuern nicht so laut - die umwelt-co2-debatte! ;-) naja, wenn die welt mal untergeht, wärmen wir uns eben mit kruiden.

12/4/07 14:36

 
Anonymous Anonym meint...

Wann gehts denn mit den Paar Problemen weiter? *ungeduldig mit dem Finger auf den Tisch klopf*

12/4/07 16:14

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@dolce vita: Bald. Keine Sorge. :)

12/4/07 16:37

 
Blogger Mephistascripts meint...

Ist doch echt immer dasselbe...der Pott bot auch wieder einige Knaller, Gottlob bin ich dieses Jahr wenigstens um die Feuerscheiße drumrumgekommen. Ich bin gleich in den Jägerhof. Und YEAH - es HAT einen Grund, so was nur zweimal im Jahr zu machen:)))

12/4/07 19:59

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@inferno: Wenn, hab ich Dich nicht erkannt. Aber wie auch? :)

Ich war zu Besuch bei'ner Freundin in Moormerland und da am Osterfeuer des Schützenvereins an der Siebrandstraße...

12/4/07 21:35

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@rulla: Kruiden trinkt der Ostfriese ganzjährig gern und oft dann, wenn es schon zu spät für Tee ist (manchmal auch schon früher)... ich selbst kann das Zeug nicht haben, aber das darf ich nicht zu laut sagen. :)

12/4/07 21:36

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@mephista: Wortspielhalber wollte ich erst schreiben "Pottasche auf Dein Haupt", aber das macht von vorn bis hinten null Sinn. :)

Jedenfalls sollte man mit solchen Heimaterlebnissen nicht zu inflationär umgehen, sonst verliert man womöglich den Spaß dran. ZU oft brauch ich's nicht...

12/4/07 21:38

 
Anonymous Anonym meint...

wie sagt man hier
im bergischen - "durst ist schlimmer als
heimweh.."

13/4/07 10:56

 
Blogger Wattfisch meint...

Egal wie tief ich in den Weiten meines Plattdeutschs suche, das Wort Paakster finde ich nicht, kommt das wieder vom Westfriesischen rübergeweht, oder wie?
Eine wichtige Zutat hast Du beim Feuerlegen allerdings vergessen: Die nichthölzernen Zutaten brennen beim Osterfeuer bekanntlich am besten! Und da die auch weg müssen und es bis zur Sondermülldeponie immer zu weit ist, ist am Ostersamstag an der Küste die größte Giftmüllverbrennungsparty der Welt. Und hat's jemandem geschadet? Nö. So geiht dat bestens. Munter blieven!

13/4/07 13:02

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Im Twixland nennen sie's Paaksterfüür. :)

Dass gern auch Haarspraydosen in den Feuern explodieren oder anderer Schund in Flammen aufgeht, stimmt. Allerdings war das diesmal nicht der Fall, auf dem Osterfeuer, wo ich war. As ook jümmers... holl Di fuchtich!

13/4/07 13:11

 
Blogger mq meint...

Ostfriesland. Eine einzige Orgie. Ich bin entsetzt.

13/4/07 23:52

 

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