Freitag, Mai 04, 2007

Ein paar Körnchen fallen zwischen meine Beine



Der Vollmond ist in Buttermilch getüncht. Tief hängt er, doch er fällt nicht auf den dunkel verhangenen Horizont. Windräder zerschneiden seinen Schimmer sekundenweise. Dann scheinen die schwarzen Silhouetten von Baumkronen an seinem Kinn zu nagen, hungrige Scherenschnitte, doch sie gleiten ab, rauschen vorbei. Aus dem Blick gerissen durch den Vorwärtsschwung des Lieferwagens. Leitlinien huschen wie weiße Würmer durch den Scheinwerferkegel. Die Nacht hat die Rapsfelder abgeschminkt, wie mit dunklen Tupfern den goldgelben Glanz des Tages verwischt. Matt liegen sie da, aus zweiter Hand buttermilchblass beschienen. Leise lechzen Felder nach Wasser. Die Straße ist verwaist. Wer hier sonst fährt, liegt längst unter Decken gekuschelt mit geschlossenen Lidern und taucht vielleicht in tiefen Träumen, wovon auch immer. Es mag eine Viertelstunde her sein, dass die letzten Räder über den Asphalt gerollt sind, vielleicht länger. Ampeln wechseln von niemandem beachtet ihre Farben. Jetzt, in der Nacht, ist der heiße Wind abgekühlt.

Dort, wo tagsüber, von der Sonne hervorgelockt, die Luft voller Brüste hängt und die lüsternen Augen ihre Blicke hinter verspiegelten Brillengläsern tarnen, wehen nur ein paar Staubkörner umher. Niemand lacht. Nur ein einzelner Betrunkener torkelt mit henkellosen Papptüten in den Händen dem Morgen entgegen. Eine Schnapsflasche lugt heraus. Irgendwo, vielleicht zu Hause, wird er sich schlafen legen, und er wird nicht mehr viel wissen vom Ende des Abends, und davon, wie er vor der Drogerie stehen blieb, um gegen das Schaufenster zu pinkeln. Vielleicht aus heimlichem Protest, vielleicht aber auch nur, weil es nun einmal sein musste, und wenn nicht hier, wo dann? Bis morgen früh ist es ja getrocknet, und dann werden dort, wo jetzt die Lache auseinanderfließt und sich winzige gelbe Rinnsale durch die Bordsteinritzen schlängeln, wieder Blechkästen aufgebaut sein, in denen schon in den frühen Stunden des Tages, noch bevor die Luft wieder voll Brüsten hängen wird, Spülmittel, Toilettenpapier oder Sandförmchen aus Plastik feilgeboten werden. Doch jetzt ist dort nur die Lache und wenige windschiefe Meter torkelt der Betrunkene. Vielleicht mit Ziel, vielleicht ohne.

Das Rauschen und Brummen der Stadt, das vielstrophige Lied aus Gesprächen und Geräuschen, aus Murmeln und Absatzklappern, aus Türenschlagen und Fahrradklingeln, aus Eis-Bestellungen und Müllsackrascheln, aus Mittagsschlafschnarchen und Motorgrollen ist beinahe verstummt. Nur noch leises Windwispern zittert durch die Zweige der Linden am Straßenrand. Zwei Kartons mit Windeln für inkontinente Männer und drei Medikamentenwannen trage ich in den dunklen Keller. Die Treppe ist steil, schnell kann man hier stolpern. Es ist die drittletzte Apotheke. Noch zwei Mal werde ich mit dem riesigen Schlüsselbund klimpern, während ich die Anhängeschildchen nach dem richtigen Namen durchsuche, um auch dort die Bestellungen einzulagern. Dann werde ich mich auf den Rückweg machen. Über weit geschwungene Landstraßen, nur ich, die Straße, die flackernden Leitlinien und die Musik aus den Lautsprechern. Der Mond hat seine Buttermilchtinktur inzwischen abgewaschen, ist höher in den Himmel geklettert, strahlt quecksilbern und klar. Die Rapsfelder werden in Kürze erwachen und bereiten sich darauf vor, neuen goldgelben Putz für den neuen Tag aufzutragen. Doch noch liegt alles im Dunklen, und nur sekundenweise werden kleine Flecken von den Scheinwerfern meines Lieferwagens aus dem dunklen Dämmer gerissen, in den sie just danach zurückfallen. Ich beiße in mein Mohnbrötchen, den letzten Rest meiner Wegzehrung. Ein paar Körnchen fallen zwischen meine Beine. Wenn ich zurück in der Halle sein werde, werde ich sie herunter wischen, bevor ich nach Hause radele.

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23 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Ich möchte gerne den Rapsfeldern ihre Schminke stehlen, eitle Gecken, legen sich ins Zeug, für was nur, für was? Ein Kleid aus ihren aufdringlichen Aftershave weben sie, für was nur?

Eine schöne Fahrt hier durch die Nacht, die solche Fragen überflüssig werden läßt.

4/5/07 20:00

 
Anonymous Anonym meint...

Arbeiterdichtung vom Feinsten wollte ich heute nachmittag sagen, als ich diese Zeilen las.

Doch das ist es nicht. Hier spricht ein Dichter, der arbeitet.

4/5/07 22:35

 
Anonymous Anonym meint...

... und einer, der einen seine Sachen mitnehmen lässt. Ich hab das neulich schon so empfunden, dieses Teilen durchs Mitteilen. Immer noch ein Stückchen, dass man sich abbrechen kann und an den eigenen Nachthimmel kleben. Ein Buttermilchmond - was für eine Idee!

5/5/07 01:20

 
Anonymous Anonym meint...

Ach ja, die Poesie und der leidige Brotberuf ..
Schön, wenn man sich den Blick aufs Wesentliche auch im profanen Berufsalltag bewahren kann. Kompliment, wieder mal.

5/5/07 09:15

 
Anonymous Anonym meint...

...die Luft voller Brüste hängt?!?

5/5/07 15:37

 
Blogger mkh meint...

Da klickt man eben mal einen seiner Blognachbarn an, welchen man viel zu selten trifft, und was darf man vorfinden: ...

Mir fehlen gerade die Worte. Ein wunderschöner Text!

***

Erinnert mich ein bisschen an Zivildienstzeiten. Manche Alltagsarbeiten können sich ungeheuerlich auf den kreativen Drang auswirken...

ahikn, ich habe gesprochen.




***

(ahikn ist übrigens das Kennwort, das ich gleich hier reingebe.)

5/5/07 17:08

 
Anonymous Anonym meint...

nachts beruflich mit dem wagen unterwegs sein, das ist das beste, was einer kreativen seele passieren kann. klasse, ein text wie kefir!

5/5/07 22:00

 
Anonymous Anonym meint...

....und schon wieder einer dieser Texte, die mich erst ein 'mal sprachlos zurücklassen und zu denen mir partout kein blöder Kommentar einfallen will....

Auch nach dem dritten Lesen noch nicht.

Danke?

6/5/07 10:21

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Opa: Ganz ohne Arbeit wird dem Dichter ja auch fad. Und er kann seine eigenen Gedanken nicht mehr recht hören, weil er nichts hat, wovon er sich was zu essen kaufen und so seinen Hunger stillen könnte. :)

6/5/07 16:22

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@joppi: Am Ende wohl für den Mähdrescher, oder? :)

6/5/07 16:23

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@ratze: Das beruht ja auf Gegenseitigkeit, Blutsbruder.

6/5/07 16:23

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@nömix: Der Job ist ja durchaus ein netter. Nachts Auto fahren, zwischendurch aussteigen und ein paar Kisten schleppen, vor allem aber über Land kurven und neu erworbene oder seit langem lieb gewonnene Lieblings-CDs hören... oder Hörspiele... man wird nicht reich dabei, aber es ist an sich sehr angenehm.

6/5/07 16:25

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@frauh: Hier zeigt sich dann wohl die Crux der wechselseitigen Wahrnehmungsbedingen bzw. - beschränkungen dieses Mediums. Immer muss man irgendwas eintippen, möchte man wahrgenommen werden. Und selbst wenn man nur sprachlos lächelt - keiner kann es hier mitbekommen, wenn man es nicht verbalisiert. Was manchmal durchaus blöd ist. :)

6/5/07 16:44

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@dolcevita: So steht es dort, ja. :)

6/5/07 16:44

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@nömix: Freut mich. Und wie viel öder wäre so ein Nebenberuf, wenn man ihm nicht wenigstens irgendwie spannende Seiten abgewinnen könnte?

6/5/07 16:45

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@mkh: Das freut mich. Sehr wahr.

6/5/07 16:46

 
Anonymous Anonym meint...

Ich kann mich nur bedanken, dass sie uns ein Stück des Weges ihrer Nachtarbeit mitgenommen haben.
Ich liebe solche Nächte...

6/5/07 22:28

 
Blogger Scheibster meint...

Nachtarbeit an sich ist ja doof. Aber wenn so etwas dabei herauskommt...

Wie stets sehr schön beobachtet und noch viel besser in Worte gefasst. Animiert, weniger stumpfsinnig und gedankenlos durch die Gegend zu schlendern, fahren, eiern.

Und auch wenn es profan ist: Wo ist der magische Ort, an dem die Luft voller Brüste ist? ;o)

7/5/07 12:11

 
Blogger mq meint...

Filigran gedrechselter Text! Ich gebe nur zu bedenken, dass Mohnbrötchen um diese Uhrzeit meines Wissens in manchen Bundesländern unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.

7/5/07 22:45

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@markus: Ich habe einen Freund, der vor einigen Jahren angehalten wurde und beim Urintest wegen zu viel verzehrtem Mohnkuchen des Opiumgebrauchs angeklagt wurde. Seine Klage gegen seine Anklage führte damals dazu, dass der Grenzwert hierfür hochgesetzt wurde. Eine wahre Geschichte. :)

7/5/07 23:09

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@scheibster: In den letzten Wochen war nahezu ganz Deutschland dieser Ort. Gedacht habe ich beim Schreiben an Ennigerloh, obwohl ich dort noch nie tagsüber war. Inzwischen hängen die Brüste wieder drinnen. :)

7/5/07 23:10

 
Blogger Etosha meint...

Wunderbar! :)

'Nur noch leises Windwispern zittert durch die Zweige der Linden am Straßenrand.' Ob du diesen Satz bei einer Lesung stolperfrei rausbrächtest?

10/5/07 22:24

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Bislang ist ja noch keine neue Lesung mit mir als Lesendem in Sicht. Insofern bin ich da voerst völlig entspannt. :)

11/5/07 03:03

 

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