Kunst kann auch sein, wo Du nichts siehst
An dieser Stelle soll sich laut Skulpturenstadtplan das Werk des Polen Pawel Althamer befinden. Sie wirft abermals kritische Blicke durch ihre Nickelbrille. Doch nichts ragt hier aus dem Gras auf. Ein paar Bäume zucken schüchtern mit den Ästen, kein Schild findet sich, das erklären könnte, was hier zu finden sein soll. Ein paar Dutzend Meter weiter kraxeln Besucher über einen Hügel, doch das ist - auch laut Plan - ein ganz anderes Kunstwerk. Dort hat Guillaume Bijl eine fiktive Grabung installiert, bei der eine Kirchturmspitze aus einem metertiefen Loch ragt. Kritik am Kulturtourismus will Bijl hiermit angeblich üben. Hier bisse sich die Katze ein wenig in den Schwanz, ist doch Bijls Werk selbst eins zu einem der Ziele für das geworden, was er kritisiert.
Die amerikanische Dame steht mit zerfurchter Stirn da, brauengerunzelten Blickes, die Hände in die vergoldeten Hüften gestemmt. Sie erspäht noch immer nicht, was sie sucht. Man muss schon sehr genau hinsehen. Vielleicht auch gleich sämtliche althergebrachten Vorstellungen dessen, was man bislang für Kunst und Skulptur gehalten hat, in eine der kleinen Mülltonnen am Wegesrand stopfen. Pawel Althamers Beitrag ist nicht mehr (oder weniger) als ein matschpfütziger Trampelpfad, der sich schnurgerade durch eine der wildwüchsigen Aaseewiesen fräst, geteerte Wege quert, mitten in ein Gerstenfeld führt, hinunter in das "Gievenbecker Tal" und weiter über eine windschief aus Astbruch zusammengerumpelte Holzbrücke. Da niemand zurzeit das Kunstwerk begeht, fällt es nicht auf. Und wohin das Kunstwerk führt, ist von hier aus nicht zu ersehen.
"Es geht darum, die eingefahrenen und ausgetretenen Wege zu verlassen, mal wieder querfeldein zu gehen und zu denken, nicht nur den befestigten Pfaden zu folgen, sondern einfach mal mitten über Stock und Stein, Baum und Borke zu hüpfen", erklärt ein knorriger Herr mit altersfleckengesprenkeltem Antlitz, dessen schlohweiße Haare sich unter einer Baseballkappe im Wind wiegen. "Dann muss das Kunstwerk ohne mich auskommen. Ich bin gekommen, um mir Skulpturen anzusehen, nicht, um auf Stöckelschuhen durch Schlamm zu staksen. Das ist doch keine Kunst mehr! Ich habe doch keine paar tausend Dollar geblecht, um hier in die Wildnis zu tapern! Bei der letzten Ausstellung vor zehn Jahren wusste man gar nicht, wohin man zuerst gucken sollte, diesmal findet man die Kunstwerke ja nichtmal mehr!" Spricht's, rümpft die Nase und wackelt entrüstet von dannen.
Labels: Skulptur Projekte 07
18 Wortmeldung(en):
Also den Denkanstoß des polnischen Künstlers finde ich gut. Allerindgs kann ich die Frau auch verstehen. Wer Skulpturen sucht, will nicht Querfeldeinwege ins Kornfeld finden. Vielleicht hätte sie sich vorher mal im Netzt informieren sollen. (sillerbertachter)
30/6/07 19:40
Schade. Ich hatte auf ein unsichtbares Kunstwerk gehofft. Aber das hier hat natürlich sehr viel mehr Bedeutung.
30/6/07 22:36
Abwarten... abwarten... es kommen auch noch unsichtbarere. :)
30/6/07 22:37
@sillerin: Ich fand es, bevor ich erfuhr, worum es geht, auch ein wenig Banane, finde es seitdem zwar simpel aber durchaus originell. Ich mag's auch.
30/6/07 22:38
alles ist kunst.
ohne erklaerung erst.
recht.
auch nicht selbst wenn.
nath
1/7/07 02:55
Vor allem Damen aus Oklahoma auf Stöckelsockeln sind Kunst.
1/7/07 08:07
Kunst heisst die Schönheit erkennen zu können. Auch "nichts" kann schön sein.
1/7/07 12:44
Wie heißt es bei Kafka: Dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Da hätte sie auch mit Stöckelschuhen durchgehen können ...
Note to self: Dekontextualisierung als Türhüter gegenwärtiger Kunst?
1/7/07 12:44
gute ideen müssen ja nicht immer sofort kunst sein. und es gibt eine menge gute ideen, die besser sind als gute kunst. wobei mir das unentwegte überprüfen von sehgewohnheiten langsam auf den zeiger geht, gähn. die dame aus oklahoma soll einfach eine flachware von dem althammer kaufen, und gut is.
1/7/07 18:13
"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" Karl Valentin
1/7/07 21:13
Die Oma aus Oklahoma hat immerhin Temperament; man muss sich ja nicht gleich mit jeder Matschpfütze anfreunden.
2/7/07 00:42
wer den pfad vor lauten trittspuren nichts ehen kann, muss ja zwangsweise auf die schiefe bahn gelangen, oder querfeldein gehen. ich gehe selten querfeldein. es gibt hier einfach zu wenig felder durch die quer gehen könnte. außerdem habe ich angst vor zecken. die lauern nämlich da. und von kunst versteh ich mur die bohne (arabica).
2/7/07 12:10
Tja, es kann nicht immer etwas für jeden dabeisein. Wobei das mit den Pfaden schon stimmt. Es genügt manchmal schon in der Mittagspause die angestammten Pfade zu verlassen und woanders hinzuschlendern, um neue Einsichten zu gewinnen.
#****#
Achtung: # # Kunst ;-)
#****#
2/7/07 13:01
Vergoldete Hüften sind ein heimlicher Wunsch von mir. Aber sie rufen mich nie an!
2/7/07 18:37
Erinnert mich an Yasmina Rezas' Stück "Kunst"
"ES IST EINE WEISSE SCHEISSE!!!"
4/7/07 14:22
sehr guter Beitrag
16/11/12 15:58
guter Kommentar
14/3/13 10:38
guter Kommentar
14/3/13 10:39
Kommentar veröffentlichen
<< Home