Nightswimming in Edinburgh (I)
Zwischen den gusseisernen Zäunen an Princes Street führt eine Kopfsteinpflastertreppe durch den Nebel hinab in ein schwummriges Dunkel zu Füßen der St. Josephs Church. Ein Uhu flüstert, und ich steige über verwitterte Grabplatten. Fledermäuse flattern über meinen Kopf hinweg, während ich die Kamera aus der Tasche zerre, um aus der Düsternis heraus die Burg ins Bild zu bannen. Sind es mächtige Scheinwerfer, die sie grünlich anstrahlen? Oder sind es nicht doch die misstrauischen Augen einer riesenhaften Katze, auf deren Buckel die Burg und ein Teil der Altstadt sich niederlassen? Es dröhnt und grollt tief, die Grabplatten auf denen ich stehe, zittern. Noch weiß ich nicht, dass in einer schmalen Furche unterhalb des steilen Burgfelsens Dieseltriebwagen der schottischen Eisenbahn rollen. Allem Grollen zum Trotz hält die Katze still, blickt stoisch durch das milchige Dunkel, springt nicht fort – die kostbaren alten Gebäude der Altstadt abwerfend.
Ich klettere wieder hinauf und spaziere unter dem Blütengewirr der Kirschbäume hindurch, die am Rande Spalier stehen, gehe an den massiven Säulen der Nationalgalerie vorbei und die Straße hinauf, die sich in die Altstadt windet. „Look right“ ist mit dicker weißer Farbe auf die Fahrbahnen an den Ampeln getüncht. Und von rechts rumpelt ein schwarzes Taxi durch die feuchtklebrige Nacht. Wie ausgestorben wirkt die „Royal mile“, die berühmteste Kopfsteinpflasterstraße der Stadt, die sich vom Burgvorhof sanft absinkend bis zum königlichen Palast erstreckt. Noch sind es nur lose Wahrnehmungsfetzen. Jeder Augenblick prägt sich ein, als seien die Augenlider weggeschnitten, hinterlässt Spuren, Einzelflicken reihen sich, formen sich ganz langsam, ehe sie – weit später – zu einem klareren Bild zusammenwachsen. Erst allmählich ziehe ich meine unsichtbaren Fäden in der neuen Stadt, verwandeln sich beschreibende Schriftzeichen im Reiseführer in eigene Wahrnehmungen.
Kaum Touristen bummeln durch das neblige Dunkel. Warmes Licht schimmert durch wenige Vorhänge in den oberen Stockwerken, die meisten Fenster schlafen. Die Innenhöfe gestehen dem Himmel ihre Leere. Niemand nimmt die engen, verwinkelten Stiegen zwischen den steil aufragenden Häusern. Aus einem offenen Flur riecht es nach Kühle und schalem Bier. Motten schwirren im buttermilchigen Licht der Straßenlaternen. Ein paar Geister umspuken lautlos die St. Giles-Kathedrale mit ihren rußschwarzen Zinnen, huschen um die Statue des großen Denkers David Hume und verschwinden wieder – zu wenig Gesichter, die sich erschrecken ließen.
Ich schlendere allmählich die Flaniermeile hinab. In polierten Restaurants sitzen einsame Nachtschwärmer und lassen ihren Cocktail schal werden, während sie in ihrem Handy das Adressbuch durchforsten, um am Ende doch niemanden anzurufen und ihr Telefon seufzend wieder auf den Tisch zu legen und die Decke anzustarren. Spielautomaten blinken, an denen niemand sitzt. Eine Alte hockt geduckt an einer Mauer, der Nebel verdeckt den kleinen Hut und das Pappschild, die vor ihr auf dem Boden liegen. Ihr Gesicht lässt sich zusammenziehen wie der Balg einer Zieharmonika. Alle Augenblicke legt eine weinerliche Grimasse diese Zieharmonika in tausend Querfalten, als eine kleine Münze von mir in ihrem Hut landet, zieht das dankbare Erstaunen die Zieharmonika wieder auseinander, glättet die Falten, enthüllt die Schlitze der winzigen Augen und das feuchte Zahnfleisch mit den gelben Zähnen unter der fleischigen Oberlippe.
11 Wortmeldung(en):
Wunderschön. Harmonisch fließend, Fotos und Text werden ihr gerecht, dieser wunderschönen Stadt. Kirschblüten kann ich mir dort gar nicht vorstellen, ich war im Winter dort - Hogmanay! :)
9/6/08 23:36
Fernweh nach (dem mir unbekannten) Edinburgh - hätte nicht gedacht, dass ich das mal erlebe.
10/6/08 17:31
I think I am Scottish... (Aber so detailliert hätten Sie mich nun wirklich nicht beschreiben müssen!)
Wunderbar geschrieben!
10/6/08 22:40
Ja, der Ole spielt Ziehharmonika wie früher ...
11/6/08 09:07
@opa: Er gibt sich durchaus Mühe. :) Wobei, wenn man es allzu wörtlich nimmt, habe ich ja nur als kleines Kind die Quetschkommode unseres alten Nachbarn malträtiert. Ansonsten habe ich ja eigentlich immer nur schifferfreies Klavier gespielt.
11/6/08 09:15
@etosha: Es hatte fast einen Hauch von Japan. Mitten in Schottland. Aber nur ein bisschen. Denn an der nächsten Ecke stand der nächste Dudelsack. :)
13/6/08 16:56
@kreuzberger: Des echte Edinburgh lohnt sich. Und ist noch weit erlebnisreicher als ein paar verwaschene Zeilen hier. :)
13/6/08 17:27
@FrauH: Sowas. Aber danke. :)
13/6/08 17:27
Also wer diese Atmosphäre im guten, alten Edinbrra schätzt, sollte doch unbedingt einen Besuch in den Mary King's Close wagen (zu finden auf der Royal Mile). Für mich war das eine der interessantesten Erlebnisse in dieser Stadt. Vor allem, weil mir nachher klar war, dass dieser Teil der Stadt einfach über die andere gebaut worden ist und diese sommerlich-hübsche Blumenwiese zu Füßen der Burg das Norloch war, welches aufgrund der zahlreichen versenkten Kadaver und Kriminellen irgendwann trocken gelegt war...
Cheerio!
17/6/08 11:18
hui. schöne bilder. schöner text. schöne stadt.
17/6/08 13:35
Japan? Gibts denn dort auch eine Kirschblüte? Ich kenn mich in Asien nicht aus! ;)
19/6/08 08:28
Kommentar veröffentlichen
<< Home