Spät, irgendwann nach Mitternacht, stand er plötzlich vor der Tür. Hatte an der Wohnung geklingelt, irgendeiner der Partygäste hatte ihm geöffnet. Er sagte Hallo. Mehr nicht. Doch wie selbstverständlich kam er herein, ging in die Küche, griff sich eine Weißbrotscheibe, tunkte sie in die Schale mit Hummus und goss sich ein Mango-Lassi ein. Dann irrte er mit seinen Blicken durch
den Raum, blieb kurz am Chat-Noir-Poster hängen, schlängelte seine Blicke darüber. Wir kannten uns nicht; er begann,
unvermittelt zu erzählen, übersprang das Kennenlernprozedere, kein
wieheißtduwasmachstduwokommstduherstudierstduauchundwasliestdugerne. Er
erzählte. Seine Stimme war dünn wie zu kurz gezogener Tee, erinnere ich
mich. Er sammle leidenschaftlich, sagte er. Herumliegende Dinge, die er
auf der Straße fände. Oder in Gebüschen am Gehsteigrand. Kassenbons und
Studiennotizen und abgebrochene Stöckelschuhabsätze. Einmal habe er
Glasscherben aus einem zerplitterten Autofenster gebrochen und eine
Kette daraus gemacht, sagte er. Fast hätte er sich dabei geschnitten,
erinnere ich mich, sagte er.
Er meinte, das seien
Großstadtdiamanten und fügte an, selbst in einer leeren Cola-Dose stecke
Poesie. Er habe eine große Vitrine gebastelt, sagte er, erinnere ich
mich, und darin habe er eine Reihe benutzter Spritzen aufgestellt, die
direkt Gitterzaun hinter dem Spielplatz am Kösliner Ring gelegen hätten.
Daneben hätten Kinder gespielt. Und eins habe gesagt: "Guck mal, wir
haben ein riesiges Loch gebuddelt." Und da habe er gestaunt, denn es sei
ein sehr großes Loch gewesen. Gerne hätte er es mitgenommen. Aber es
sei kein Platz in seiner Wohnung für ein Sandkastenloch gewesen.
Und
wenn er etwas nicht mit nach Hause nehmen konnte, habe er sich
davorgekniet, es fotografiert und die Aufnahmen liebevoll in Fotoalben
geklebt. Eine Wasserwaage benutze er dafür sogar, sagte er, erinnere ich
mich. Man solle Fotos nie schief einkleben.
Er trank sein Lassi leer, blassgelbe Tropfen aus seinem fusseligen Bart leckend. Er erzählte, er sei
ein Archäologe der Gegenwart, lachte darüber und schnippte Asche in den nun leeren Plastikbecher. "Findest Du das seltsam?", fragte er. Fast flüsternd.
"Ich
mag so etwas", entgegnete ich und dann lächelte ich. "Das ist selten", sagte
er und erhob seine Hand wie zum Gruße, erinnere ich mich, ehe er sich umdrehte und verschwand, ohne sich von mir und den restlichen Gästen zu
verabschieden. Still. Fast unhörbar schloss er die Tür. Erst als er fort
war, fiel mir ein, dass er mir seinen Namen gar nicht verraten hatte,
erinnere ich mich. Und staunend musste ich feststellen, dass auch kein
anderer der Gäste ihn wusste. Niemand hatte ihn zuvor gesehen. Doch womöglich ist auch dieser Abend nun Teil seiner Sammlung.