Donnerstag, Mai 04, 2006
Rußfilter fangen Feuer im zerknirschten Gelächter der Nacht. Reingewaschene und überpinselte Masken staksen auf hohen Hacken über den Prachtboulevard. Frühlingsgefühle wölben sich unter knapp dekolletierten Brüsten. Staub rollt hinter dem Fernseher zu einsamen Fusseln zusammen, unbemerkt und nicht beachtet. Der Abglanz der Mattscheibe flackert an der posterbeklebten Rückwand. Ein Hauch von Nichts durchweht das Etwas. Ein Türsteher schnäuzt sich in ein besticktes Stofftaschentuch. Vor der Westfalen-Tanke kauert ein leer getrunkenes Bierflaschentrio ohne Zukunftsvorstellung. Speichelbefeuchtete Lippen saugen lustberstend aneinander. Der Nachtbusfahrer steht rauchend neben dem großen Aschenbecher an der Haltestelle und tritt seine Kippe auf dem Gehsteig aus. Sterne durchglitzern das samtschwarze Firmament. Von niemandem gesehen hoppeln wilde Kaninchen zwischen letzten Osterglocken über das grasbewucherte Rund des Verkehrskreisels. Die Nachtschwester auf der Neurologie gießt sich Kaffee nach, um den tauben Müdigkeitsschleier zu verjagen, der sie in ihrer ereignislosen Einsamkeit umfängt. Ein Taxifahrer kreuzt auf menschenleerer Straße das Haus seiner Ex-Frau und bekommt für einen Moment feuchte Augen und das Bedürfnis sie anzurufen. Sein Fahrgast kurbelt plötzlich das Fenster herunter, hält seinen Kopf bei voller Fahrt hinaus und übergibt sich. Ein Baseballkappenträger kramt die letzte Fruchtgummigurke aus der zerknitterten Papierspitztüte vom Kiosk und starrt den blassen Lichtschein der Straßenlaterne über sich an. Ein schmerbäuchiger Fettberg mit Halbglatze torkelt aus seiner Stammkneipe, lacht kurz und wirft ein abgegrabbeltes Skatblatt in einen wildfremden Briefkasten. Der wird Augen machen, der das morgen findet. Eine verschnupfte Gärtnerin wird vom Laufradgeratter ihrer Rennmäuse wach, windet sich entnervt unter ihrer Decke und trägt den Mausekäfig irgendwann entnervt ins Badezimmer, ehe sie endlich wieder einschlummert. Sie träumt von einem unglaublich gut aussehenden Dracula. Ein Ringelpulliträger mit frappierender Jesus-Ähnlichkeit schiebt sein plattes Fahrrad dem Morgenrot entgegen.
26 Wortmeldung(en):
"Das leergetrunkene Bierflaschentrio ohne Zukunftsvorstellung" ist literaturpreisverdächtig :-)
Ansprechender Text Ole!
4/5/06 13:17
bitte nicht persönlich nehmen: das ist eine schöne geschichte - aber für meinen geschmack etwas metaphernüberfrachtet. man hat das eine bild noch nicht erfasst, da liest man schon das nächste. im kopf entsteht dann kein kino, sondern ein lsd-trip. aber der soll ja auch ganz nett sein...
4/5/06 14:36
Es ist ja - streng genommen - nicht einmal eine Geschichte. :)
Ich war zwar nie im Magic Bus mit Dr. Timothy Leary unterwegs, halte mich, was bewusstseinserweiternde Mittel angeht, abstinent, aber soll ja ganz nett sein, sowas.
Und für Kritik sind Kommentarfenster ja schließlich auch da. :)
4/5/06 14:43
Ein Super Text, alles andere als ein LSD-Trip, und ich weiß, wovon ich rede.
Ein Konzentrat, natürlich, aber ich stehe wie vor einem Gemälde von deja-vus, nicht vor einer Metaphernsammlung. Ich sehe eigentlich keine einzige.
Das perfekt beobachtete und genial beschriebene Bild muß man allerdings wirken lassen, im Überflug erfaßt man es nicht.
4/5/06 15:40
"Ein Hauch von Nichts durchweht das Etwas"... Klingt traurig, wie in "Extrem laut und unglaublich laut" von J.S.Foer.
Waschsalon, da muss ich dir widersprechen - für mich (wohlgemerkt) ist das Ganze ein großes Bild, zwar bestehend aus vielen einzelnen, aber eben nicht jedes für sich stehend. Erst, wenn man alles gelesen hat, ergibt sich ein Gesamtmosaik. Stimme also dem Wanderer zu. (Okay, okay, ich gebs zu, man sollte erst alle Kommentare lesen. Erst fragen, dann schlagen ;) )
4/5/06 18:09
@wanderopa: Ich lüfte meinen Hut mit gesteigerter Gesichtsdurchblutung. Danke.
4/5/06 20:29
@katze: Foers Erstling steht seit Monaten in meinem Regal und harrt der Lektüre, den Zweitling wollte ich mir für nach dem Erstling aufsparen. :)
4/5/06 20:31
auch das ist ja jedem unbenommen das anders zu sehen. und es ist auch nicht so, dass ich die geschichten hier nicht schätzen würde. im gegenteil, beim betrachten dieser komposition ward es MIR dann nur irgendwann zu bunt. aber das ist wirklich nur eine geschmacksfrage. es lebe die vielfalt!
4/5/06 22:41
ich möchte opa zustimmen.
5/5/06 02:43
öh. also, das "möchte" streichen.
5/5/06 02:43
obwohl. hört sich ja komisch an, dann.
;)
5/5/06 02:44
sehr geil.
5/5/06 06:54
volle Kann ot, aber eilig.
http://mitfahrgelegenheit.de/o/ala.php?PHPSESSID=465c3ac240da891691260e82a25dd2f4&von=M%FCnster&nach=Hamburg&zr=1&tag=5&monat=5&jahr=2006&tol=0&x=8&y=4
12-15 Öre oneway. Und jetzt möchte ich eine wirklich gute Ausrede hören, warum Du morgen nicht nach Hamburg kommst.
5/5/06 10:54
@ waschsalon
Natürlich ist Vielfalt geradezu eine Voraussetzung für den Wert des Lebens wie des Lesens überhaupt. Ein Grund übrigens, warum ich gerade dieses Blog so häufig besuche.
Und selbstverständlich enthalten Kommentare immer die Meinung des jeweiligen Autors, subjektiv oder objektiv. Ich habe mir abgewöhnt, das jedesmal zu betonen.
Was mich jedoch interessieren würde: bitte nennen Sie doch ein paar Beispiele für verwendete Metaphern dieses Beitrags und was glauben Sie, wofür sie stehen?
5/5/06 11:06
Schöne Beobachtung. Und gutes Foto, ich kann kaum wegsehen.
5/5/06 11:43
Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben eines Stallknechts, das verschissene Stroh der Metaphern so lange mit seiner Mistgabel zu wenden, bis er eine trockene Stelle findet...
5/5/06 13:22
@britbee: Like I said, es ist nicht allein das Geld. Zum Einen ist es mehr als dringlich, meine Magisterarbeit voranzutreiben, da ich pollenverschrubbelt momentan kaum geradeaus denken kann, mir aber die Zeit davon rennt. Zumal ich über Pfingsten nach Berlin kommen werde, und an zwei weiteren Wochenenden im Juni ebenfalls unterwegs bin. Und ich kann nicht Wochenende um Wochenende drangeben. Pflichten und so. Zum Zweiten kommt mein Vater an diesem Wochenende nach Münster, und wie blöde wäre es, käme er, ohne dass ich da bin. Zum dritten gibt es einen weiteren wichtigen privaten Grund, bei dem meine Anwesenheit vor Ort momentan wichtig ist, den ich aber nicht öffentlich diskutieren werde. Ich find's ja wahrlich schade-
5/5/06 13:37
@opa: Ich persönlich habe eigentlich auch keine Metaphern entdecken können, aber manches sieht derjenige, der schreibt, was er schreibt, ja auch nicht immer. Meinen manche. Oder so. :)
5/5/06 13:58
leute, leute... ruhig bleiben :-) metapher dies metapher das metapher doof metapher gar nicht anwesend... - dabei weiß doch, wer "uns Ole" kennt, dass man seine meinung bei ihm auch nur anbringen und stehenlassen darf :-)
5/5/06 14:05
Jetzt fühl ich mich fast wie Seeler. :)
5/5/06 14:08
seelig sozusagen :-)
neenee, das musste ich jetzt einfach mal loswerden. hast ja sehr treue und liebe anhänger - auch schön :-)
5/5/06 14:09
Scha-de! Sehr. Vielleicht mal ein Bierchen in Berlin? Dann steh Deine Termine tapfer durch. Und try Eigentbluttherapie:-) Hat bei mir jeholfen.
5/5/06 14:39
@britt:
1.: Sehr gerne.
2.: Ich werd mal schauen. :)
5/5/06 14:56
spät gelesen, den text, schande. denn: so und nicht anders spielt es sich ab, jede nacht in jeder mittleren metropole.
9/5/06 08:33
Och... Schande? Übertrieben. :) Zumal: Abgewendet!
9/5/06 12:46
Die Nacht kann so dunkel sein...
Manchmal wundert man sich, dass trotzdem noch jeden Tag in dieser Welt die Sonne aufgeht....
10/5/06 17:41
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