Dienstag, April 25, 2006

Schaffner gibt's

Es zischt. Schlagartig brüllt das Räderrattern umso lauter, hämmert mit metallischen Schlägen auf die Schläfen. Die Verbindungstür zwischen den Waggons hat sich geöffnet. Der Schaffner betritt das Abteil. „Zugestiegene, die Fahrkarten bitte.“ In der Sitzgruppe neben Szoltan und Richard P., der in Amerika zu leben vorgibt, sitzt ein Mittzwanziger mit schlaffen Mundwinkeln und gläsernem Blick. Den linken Arm winkelt er verkrampft an, die Finger teils übereinander geschoben. „Hallo! Können Sie mich verstehen!“, bölkt ihn der Schaffner an. „Ihre Fahrkarte! Na wird’s bald?“

Angestrengt zerrt der Beschimpfte seine Karte hervor. Einen Schwerstbehindertenausweis. „Tja, mein Lieber“, feixt der Schaffner, dessen Augen hämisch funkeln, „da werden wohl vierzig Euro wegen Schwarzfahrens fällig. Auf Deinem Ausweis hier (sobald er gemerkt hat, dass der Fahrgast behindert ist, fällt der Schaffner vom Sie ins Du) steht keine Fahrstrecke drauf. Damit ist der ungültig. Das macht vierzig Euro plus die Fahrtstrecke nach… wo willst Du hin?“ „Leverkusen.“ „Aha. Leverkusen. Wohnste neben der Bayer-Fabrik? Kähähähä. Haben Sie ne EC-Karte, hach nein, ich meine Bahn-Card. Naja, mit Deiner EC-Karte könnte ich mir einen umso schöneren Tag machen. Meine Frau wünscht sich noch ein Kleid, weißt Du? Das macht dann… 58,90 €. Zu zahlen sofort.“

„Aber mein Ausweis gilt doch für ganz Deutschland. Deswegen steht da nichts drauf“, entgegnet der inzwischen mehlbleiche (Type 405) Fahrgast mit dem Behindertenausweis.

„Papperlapapp. Wenn das bei allen so wäre, säßen unsere Züge ja bald nur noch voller Mongos. Geh zu Deiner Anstalt und sag denen, sie sollen Dir ne Strecke draufdrucken, dann darfste damit auch fahren. Meine Tochter sagt immer: ‚Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.’ Und die studiert Jura. Das hier ist Strafgesetzbuch § 263, Erschleichung von Leistungen und Betrug. Ich würde an Deiner Stelle auch flott überweisen. Sonst sehen wir uns in Leverkusen vor Gericht. Du blutest umso heftiger und ich mach mir nen tollen Tag.“

Richard P. schnaubt, wiegt seinen bulligen Oberkörper, drückt sich mit den muskulösen Oberarmen hoch und schiebt seine massige Gestalt schnaufend in Richtung Schaffner. Er tippt im auf den Rücken; erschrocken fährt der fipsige kleine Bahnbeamte herum und kräht: "Sie, was wollen Sie? Ich bin beschäftigt."

Mit enorm bestimmter Seelenruhe brummt Richard, während er auf den zwei Köpfe kleineren Schaffner herabblickt "Ich wollte nicht mit Ihnen sprechen. Menschen wie Ihnen habe ich nicht viel zu sagen. Ich möchte nur meinem Mitfahrgast, den Sie hier aufs Übelste beleidigen und schikanieren, versichern, dass er auf mich und den Herrn mir gegenüber zählen kann als Zeugen in einer Verleumdungsklage, die er hoffentlich anstreben wird. Und ich werde ihm abraten, das Geld zu überweisen, was Sie ihm hier aus scheinbar purem Abscheu und eigennütziger Boshaftigkeit abknöpfen wollen. Mein Bruder ist ebenfalls schwerstbehindert, er hat ebenfalls einen entsprechenden Ausweis und wenn darauf keine Strecke gedruckt steht, bedeutet das, er darf im gesamten Bundesgebiet fahren." "Aber, aber. aber... nu hör'nse Mal...", fiepste der froschgrün angelaufene Schaffnerzwerg. "Mach Dich vom Acker und schäm Dich in Grund und Boden... und wehe, ich bekomme mit, wie Du noch mehr Leuten unschuldig und haarsträubend pingelig Geld aus der Tasche ziehst. Das widert mich an." Dann nahm Richard dem Schaffner die gerade ausgestellten Bußgeldbescheide aus der Hand, zerriss sie und wies ihm mit dem Finger den Weg durch den Gang in Richtung des nächsten Waggons. Der Schaffner zitterte, wollte zu einem Satz anheben und eilte dann zischelnd von dannen.

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16 Wortmeldung(en):

Blogger Galen meint...

Recht so... so sollte man auch mit den Klappspatenverfahren, die sich hier in der Mensa unbegründeterweise an die für Behinderte reservierten Tische setzen... und es seelenruhig ignorieren, sollte da mal jemand an den Tisch wollen... wobei zu sagen ist, dass sie natürlich außen sitzen, und zwar so, dass da kein Rolli mehr durch kann...
Klarer Fall von Sozialbehinderung!

25/4/06 15:52

 
Anonymous Anonym meint...

Leider ein Märchen, die Geschichte. Aber ein schönes.

25/4/06 16:00

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@opa: Mindestens ein Fünckchen Wahrheit steckt aber drin. :)

25/4/06 16:10

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@galen: quod erat expectandum...

25/4/06 16:10

 
Anonymous Anonym meint...

Wir brauchen dringend mehr Richards. Prima erzählt!

25/4/06 20:36

 
Anonymous Anonym meint...

Zugfahren hat auf Dauer noch Keinen kaltgelassen :-)
Eine schöne Geschichte. Kommen noch mehr Episoden mit dem feinen Intro-Foto?

25/4/06 20:37

 
Blogger 1 meint...

Zivilcourage ist ein rares Gut.

26/4/06 10:41

 
Anonymous Anonym meint...

Aha, das nächste Mal also Bahn statt Flugzeug. Ich möchte mal so einen froschgrünen Schaffnerzwerg sehen ;-)

26/4/06 11:33

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@dolce vita: Froschgrüne Stewardessen wären aber ja vielleicht auch in irgendeiner Form bestaunenswert. :)

26/4/06 12:39

 
Blogger Pe Pe meint...

wie immer ein Genuss - vielen Dank dafür.

26/4/06 12:40

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@pepe: Gern.

26/4/06 12:42

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@michael: Worauf Du einen lassen kannst! ;)

26/4/06 12:42

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@rabe: Kommt bei allem, manchmal, schon auf den Richard an, oder? :)

26/4/06 12:43

 
Blogger Lucky meint...

das mit dem "Sie" und "Du" stimmt wirklich! Ein wahres Märchen!

26/4/06 23:37

 
Anonymous Anonym meint...

Der ist ja lieb. :)

27/4/06 15:11

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Man mag ihn nicht wirklich um sich haben, möchte ihn aber beinah herzen. ;)

27/4/06 17:07

 

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