Donnerstag, April 27, 2006

Richard legt los

„Es ist schon unglaublich, was für menschliches Kroppzeug auf Fahrgäste in der Deutschen Bahn losgejagt wird“, knirscht Richard P., der angeblich in Amerika lebt und sich soeben mit dem Schaffner angelegt hat, als er sich unter großem Ächzen und Schnaufen wieder in seine Sitzbank quetscht. „Der Junge soll bloß Anzeige erstatten. Mein Anwalt würde ihm dasselbe raten. Den kennst Du sicher, oder? Gossi?“ Szoltan zuckt verlegen mit den Schultern. Inzwischen hat er seinen Laptop aus der flachen schwarzen Tasche auf seine Oberschenkel bugsiert und rührt mit dem Zeigefinger über das Touchpad.

„Naja, ist ja auch egal“, zwitschert Richard P. „Oh, Laptops brauche ich auch viel; darüber bekomme ich meine gesamten Aufträge.“ „Aha?“ „Ja, weißt Du? Ich bin Bodyguard.“ Plötzlich zückt Richard P., der angeblich in Amerika lebt und anscheinend als Leibwächter arbeitet, seinen amerikanischen Akzent und spricht, als habe er eine kochend heiße Kartoffel im Mundinnenraum, die den Gaumen nicht berühren darf. Szoltan sagt: „Oh.“ „Tjaha, Peter Maffay, Michael Douglas, für die habe ich schon gearbeitet. Die kenne ich auch persönlich… um die halbe Welt reise ich und schütze das Leben von Prominenten.“ Szoltan erkennt, dass sein Laptop ein ebenso schlechtes Versteck wie seine Nooteboom-Lektüre ist vor den aufdringlichen Kommunikationsofferten von Richard P., der angeblich in Amerika lebt und als Leibwächter für Peter Maffay oder Michael Douglas gearbeitet hat, klappt den Bildschirm hinab und hört, halb genervt halb neugierig, zu. „Ich mach das nun schon gut fünfzehn Jahre. Hab damals die Ausbildung in Israel gemacht. Die Firma gehörte heimlich zum Mossad. Mossad kennst Du, oder?“ „Israelischer Geheimdienst“, knarzt Szoltan. „Richtig. Schlauer Bengel biste. Studierst Du?“ „Ja, Germanistik.“ „Was? Ballistik? Waffen und so?“ „Nein, Germanistik. Deutsche Literatur.“ „Achso. Was ich mag ist Geschichte. Altertümliche Geschichte…. (er schnäuzt sich in den Jackenärmel, Szoltan verdreht die Augen, bemüht sich aber, unbeeindruckt zu wirken) Jedenfalls… Zwanzigtausend Mark hat die Ausbildung damals gekostet. Hat meine Mama mir vorgestreckt, dafür habe ich dann später… später… später…“

Plötzlich schießen salzige Tränenrinnsale aus seinen Augenwinkeln, seine harten Gesichtszüge verkrampfen. Richard P., der angeblich in Amerika lebt, als Leibwächter für Peter Maffay und Michael Douglas gearbeitet hat und angeblich in einem Seitenarm-Unternehmen des israelischen Geheimdienstes für 20.000 DM seine Ausbildung absolviert hat, die seine Mutter vorfinanziert hat, schlägt die Hände vors Gesicht und beginnt, bitterlich zu weinen. „Und jetzt… (es tropft aus seiner Nase in den Schnurrbart)… tot… Herzschlag. Rummsbumms. Tot. Einfach so. Und ich bin grad auf dem Broadway, als mein Handy klingelt. Meine Tochter sagt: ‚Papa, Oma ist tot’.“ Und jetzt komme ich gerade aus Grimersum, wo wir sie auf dem winzigen Dorffriedhof beerdigt haben.“ Richard P., der scheinbar auf dem Broadway via Handy vom Tod seiner Mutter erfahren hat und jetzt allem Anschein nach auf dem Rückweg von der Beerdigung ist, wirft seinen massigen Leib um die verdatterten, knöchrigen Schultern von Szoltan und bebt und schüttelt ihn, während sich eine feuchtkalte Tränenschwemme von Richards Wangen in Szoltans Nacken ergießt. Irgendetwas riecht nach Patschuli.

to be continued

15 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Patschulitränen. Kenn ich. Das ist die schlimmste Sorte. Der Richard ist eklig, aber nett. Interessant nennt man das heutzutage, glaub ich.

27/4/06 15:16

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Interessant zu sein, ist nicht immer tröstlich - aber auch nicht das Schlimmste. :)

27/4/06 16:58

 
Anonymous Anonym meint...

patchouli - muss man davon nicht niesen? ole, pass auf die allergie auf!

27/4/06 17:41

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

keine Ahnung. Von einer Patschuli-Allergie bei mir weiß ich (noch) nichts. ;)

27/4/06 17:43

 
Anonymous Anonym meint...

a propos bodyguard. da muss ich dir demnächst mal eine türsteher- geschichte zum besten geben. :) wenn man sich doch nur mal wieder... *seufz*

27/4/06 21:34

 
Anonymous Anonym meint...

armes Würmchen, geltungssüchtig und dann stirbt auch noch die Ommi ...

Stoe.

28/4/06 07:56

 
Anonymous Anonym meint...

Chapeau!..., verdammt hoher olfaktorischer Faktor...,da steh ich drauf!!
Liegt was in der Luft? Oder segelt hier der FALKE des Herrn Burnston durch die blaue Bloggbucht...?

"Odeur" scheint die Parole...mal sehen...,ob's weiter riecht!

28/4/06 10:19

 
Anonymous Anonym meint...

WÄÄÄÄÄÄÄH P A T S C H U L I Pfui deibel.....

schöne Charktere in der Geschichte....

28/4/06 10:46

 
Anonymous Anonym meint...

jetzt musste ich doch gerade mal meine vinyl-sammlung inspizieren, und, ja. auch ca 15 jahre nach der veröffentlichung duftet madonnas "like a prayer" noch nach patschuli. (be)merke: patschuli hält länger vor als madonna!

28/4/06 12:40

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@estherli: flitzebogengespannt bin ich. :)

28/4/06 13:09

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@donna vivace: Warum wer wie riecht, weiß man ja auch nicht immer. :))

28/4/06 13:14

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@glam: Wie lange Madonnas Duft anhält, habe ich noch nie getestet. Wie riecht die denn generell? :)

28/4/06 13:16

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Dr. Schein: Duftend geht die Welt zu Grunde. :)

28/4/06 13:17

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@stoertebeker: So kommt's manchmal. Aber Mammi war's. :)

28/4/06 13:18

 
Blogger samoafex meint...

Ole, ein Kompliment - du bringst es immer wieder fertig, Wörter und Wortkombinationen zu benutzen, die ich am liebsten sammeln würde, wäre ich nicht ein so untalentierter Sammler (sprich: faul).

Hier z.B.: Kommunikationsofferten. Großartig!

Und dann noch: Ich stehe auf diese Zuggeschichte!

29/4/06 10:25

 

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