Dienstag, Mai 02, 2006

Verliebt in Kalbfleischschnipsel

Tzatziki klebte klecksweise zwischen Vikkes hellblonden Bartstoppeln auf beiden Seiten seiner malmenden Backen. Jonas saß ihm gegenüber und starrte gedankenverloren aus dem verschlierten großen Schaufenster. Der Nachmittagsregen ergoss sich gelangweilt auf das Trottoir. Auf der anderen Straßenseite trugen Afrikaner Keyboards, Gitarren und Congas aus dem Hintereingang einer Baptistenkirche in einen Lieferwagen. Zwei von ihnen tanzten eine halbe Minute im kalten Regen, nachdem sie eingeladen hatten und schlurften dann zurück ins Kirchengebäude. Sie lachten. Schultern hochgezogen.

Krack.
Knusprig krachte es, als Vikke seine strahlend weißen Zähne ein weiteres Mal ins aufgebackene Fladenbrotviertel seines Döners hackte und den mächtigen Bissen verschlang. Kurz baumelte ein halber Zwiebelring noch aus dem Mundwinkel, wurde aber flugs durch die hinterhergeschlürft. Vikke grinste schräg, als Jonas schmunzelnd dessen Kaubewegungen beobachtete. Nahezu niemanden kannte Jonas, der eine so liebevolle und zärtliche Leidenschaft für Döner entwickelt hatte wie Vikke. Halb angetrunken konnte er Stunden mit wachsender Begeisterung im Internet zubringen, um dort Dönerfotos zu vergleichen und bewerten. Über seinem Schreibtisch klebte die Speisekarte seines Lieblingsdönerladens, dem „Aleppo Grill“ an der Steinfurter Straße. Fast verliebt glitzerten seine Augen beim Blick auf die kleinen Fotos mit den Besitzern hinter ihrem Tresen, das Messer am Grillspieß. Als er kürzlich umzog, war die künftige Distanz zum Aleppo Grill tatsächlich auch ein gewichtiger Faktor für die Auswahl der neuen Wohnung. Neben einem Metropolis-Poster hing über seinem Bett auch eine Döner-Flagge, die er spätnachts einmal dank Räuberleiter in der Nähe des Bahnhofs geklaut hatte.

„Ber iff wirkliff bar miff fo flefft“, mümmelte Vikke, noch mit dicken Backen. „Bitte?“ Vikke schluckte hastig. „Der ist wirklich gar nicht so schlecht.“ Ein Freund eines Freundes hatte den beiden empfohlen, doch mal diesen Dönerladen auszuprobieren, bei dem es angeblich noch weitaus besser schmecke als beim Aleppo Grill. „Aber… jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen.“ „Wieso das denn?“ „Naja, es ist ja schon ein wenig wie Fremdgehen. Wie absichtliches, hochbewusstes Fremdgehen.“ „Äh… was?“ „Weißt Du, wenn mich der Dönerhunger überfällt, kann es natürlich schon mal vorkommen, dass ich spontan in die nächstgelegene Dönerbude hüpfe, um mir dort einen Döner zu kaufen. Das ist dann vielleicht wie spontan besoffen rumknutschen auf einer Party, wenn man schon gar nicht mehr merkt, was man da gerade tut, und was auch gar nichts zu sagen hat. Aber das hier… ich habe vorher genau geplant hierhin zu fahren und bei einer fremden Dönerbude einen Döner zu essen. Ich werde meiner festen Stammdönerbude hoch bewusst untreu.“ Jonas kräuselte die Stirn und lachte. „Spinner! Und überleg mal: So viel Döner Du auch isst, nur von Dir könnte der Aleppo Grill doch auch nicht überleben. Die verkaufen ja auch anderen Menschen als Dir Döner.“ „Naja, aber meine Döner sind sicher mit viel mehr Liebe gemacht.“ „Möglich. Das ist dann aber fast so, als wenn Du mit einer Prostituierten liiert wärst.“ Vikke verschluckte sich fast. Entrüstet glupschten seine Augen fast aus ihren Höhlen. „Wie bitte?“ „Naja, nehmen wir an, Du wärst mit einer Prostituierten zusammen. Da weißt Du auch ganz genau, mit wie vielen Männern sie Tag für Tag schläft oder schlafen muss, und das einzige, was Dich vor zu viel Eifersucht rettet, ist, dass Du Dir einredet, dass sie mit Dir viel liebevoller schläft und sich nur Dir leidenschaftlich hingibt, während der Rest gleichgültiges, Geld bringendes Pflichtgeruckel ist.“ „Und das heißt im Umkehrschluss?“

Vikke versuchte, seine Tzatzikiflecken von der Backe zu lecken, verschmierte sie aber eher. „Soll das heißen, wenn ich eine Freundin im horizontalen Gewerbe habe, die von Berufs wegen her mit anderen Männern schläft oder schlafen muss, dass ich dann auch einfach mit anderen Frauen schlafen darf, geplantermaßen sogar?“ Jonas kratzte sich am Kinn und zog die Schultern hoch. Schweigen fiel zwischen die beiden. Stumm kauten sie an ihren Dönern herum. Die Afrikaner hatten inzwischen ihren Lieferwagen fertig beladen und verabschiedeten sich von einem schwarz gewandeten Mann, der der Pastor sein konnte. Der Regen war schwächer geworden. Dann murmelte Vikke: „Aber Tobi hatte recht, der Döner hier ist gut. Wirklich gut. Der zweitbeste Döner, den ich hier bisher gegessen habe. Nach dem Aleppo Grill.“

20 Wortmeldung(en):

Blogger Lundi meint...

Wunderbare Dönerphilosophie ! Mir sind allerdings die unbekannten Bestandteile des Dönerfleisch (?) zu suspekt, ich esse lieber Falafel o.ä.

2/5/06 11:32

 
Anonymous Anonym meint...

hihi... sehr schön. lass das aber mal keinen dönerstandbesitzer wissen, dass du seinen service mit dem einer prostituierten vergleichst. sonst landest du als menschenfleischschnipsel im nächsten fladenbrot. ;)

2/5/06 11:36

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Morphin: Ich werde vorsichtshalber in den Untergrund abtauchen. :)

2/5/06 11:37

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@Lundi: In dubio pro Falafelo?! :)

2/5/06 11:38

 
Anonymous Anonym meint...

...hat Appetit gemacht. In der Mittagspause werde ich erstmalig den Imbiss frequentieren, der auf der anderen Strassenseite vor der Stiftung steht...und offensichtlich auch im Netz präsent ist...http://www.doener-king.com/

2/5/06 12:28

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

In Münster gibt es, Absurdistan berichtete bereits vor über einem Jahr, rund um den Bahnhof allein ca. 20 Dönerbuden, worunter sich sowohl ein "Döner King" als auch ein "King Döner" finden... :)

Ich hoffe im Übrigen, das olfaktorische Fehlen ist Ihnen nicht aufgestoßen. :)

2/5/06 12:54

 
Anonymous Anonym meint...

sehr leckerer text.

2/5/06 12:57

 
Blogger Pe Pe meint...

Jetzt habe ich ordentlich Appetit bekommen und ertrinke fast am eigenen Speichel.
Werde wohl den nächstbesten Dönerladen stürmen müssen.

2/5/06 13:41

 
Anonymous Anonym meint...

Ich kanns jetzt nicht 100pro belegen, aber irgendwie scheinen mir Essensreste in Bartstoppeln ein Leitmotiv bei dir zu sein, mein Teuerster.

2/5/06 13:55

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@burns: Bist Du nebenberuflich Leitmotivforscher?

2/5/06 14:14

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@pepe: Guten Hunger!

2/5/06 14:14

 
Anonymous Anonym meint...

Na wundervoll. Da kommt man grade vom Mittagessen (das man natürlich ausgehungertst zu sich genommen hat), und dann das - leider habe ich jetzt keine einzige Ausrede, um zum Dönermann zu gehen und einen Lamaccun mit Döner (die ich im Übrigen präferiere) zu holen. Herzlichen Glückwunsch...

2/5/06 14:17

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Morgen ist doch ein neuer Tag für Lahmacun, oder? :)

2/5/06 14:21

 
Anonymous Anonym meint...

Oh... Wie immer man das schreibt :)
Ja, morgen ist wohl auch ein Tag, aber leider keine Zeit... So ein Käse. Schafskäse.

2/5/06 21:57

 
Anonymous Anonym meint...

Es ist fett, es ist widerlich - und ich hab jetzt HUNGER AUF DÖNER. Verführung unschuldiger Mägen nennt man das. Sollte unter Strafe stehen.

3/5/06 11:04

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Leser werden zu willenlosen Opfern ihrer Gelüste infolge von Texten. Die Medienwirkungsforschung erhält neue Nahrung. ;)

3/5/06 12:37

 
Anonymous Anonym meint...

Unglaublich. Da gab es Lahmacun zum Abendessen, und ich hab nicht mal alles geschafft. Egal, jetzt gibts wenigstens n Mittagessen morgen :)

3/5/06 19:18

 
Anonymous Anonym meint...

PS: Allerdings war es kein Kalb, sondern astreines deutsches Hähnchen - trotzdem gehen wir nächstes Mal in eine andere Bude. Wenn ich den Döner ohne Zatziki und ohne Tomate/Gurke will, und ihn aber NUR ohne Zatziki kriege... Böse.

3/5/06 19:26

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

An einer vor kurzem frequentierten Münsteraner Dönerklitsche gab's Ketchup-Remouladen-Cocktailsoße statt Tzatziki dazu. Das war üärgs!

4/5/06 12:07

 
Anonymous Anonym meint...

Ich bin meiner Prostituierten treu.
Es gibt in diesem Feld keine andere für mich!

:)

10/5/06 17:45

 

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