Montag, Juli 18, 2005

Wiedersehen mit Wulnikowski

Oft schwang in Wulnikowskis Nasenatmen etwas mit, als ob kranke Vögel zwitscherten. Zynische Zungen behaupteten, in seinen ausladenden Nasenhaaren würden Zwergspatzen brüten. Stets schlidderte Wulnikowski von Erkältung zu Erkältung, so verließ ihn seine zwitschernde Nasenatmung auch nur selten. Gegen sein Leiden trank er Tee aus Brennesseln, die er selbst am Wegrand schnitt und zum Trocknen auf seinen Dachboden hängte - falls seine gerade aktuelle Wohnung einen besaß. Sonst drapierte er die Strünke in Büscheln anstelle der Küchenfenstervorhänge an der Gardinenstange. Sein Gesicht durchschimmerte eine Khakiblässe, der Vollbart struppte graumeliert. Die Blässe sah er als Zeichen für Gesundheit, auch wenn er ständig erkältet war. Hier Zusammenhänge zu suchen? Welch ketzerischer Gedanke! Denn neben seinen schlängelnden Kriechtieren hatte er eine weitere Passion: Ernährung. Sobald das Gespräch dieses Thema streifte, sprühten Wulnikowskis Augen Funken. Ein Hauch von Wahnsinn begann aus ihm herauszulodern wie eine Stichflamme.

"Mit Gewürzen zu kochen ist Frevel, Lästerung am Wohlgeschmack von Gottes Schöpfung", keifte er gern ereifert. "Ich verzichte seit Jahren auf Gewürze, auch auf Salz und Pfeffer. Und erst dann lernt man den wahren Geschmack der Welt", verkündete er unablässig mit leicht gen Himmel gereckter Nase. Er war überzeugter Frutarier und sein Denken hatte Wohnung bezogen in den Ideologiegebäuden des Rohkostpioniers Wandmaker. Er wetterte gegen die Leichengifte im Fleisch und die dumpfbackige Menschheit, die ihren frugivoren Ursprung leugnete.

Nie kochte er, wenn überhaupt garte er schonend. Nie mit mehr als 50°C. Da niemandem sonst schmeckte, was er kochte, aß er immer allein. Das Kopfschütteln, was er erntete war ihm nur Bestätigung in der Scheuklappigkeit der Menschheit. Die Welt war noch nicht reif für seine Weisheit, aber dafür würde sie an ihrem Essgebahren zugrunde gehen. Gerüchte gehen, er habe sich auch einer frutarisch orientierten Sekte angeschlossen. Mehrfach wurde er in der Innenstadt gesehen, wo er Passanten ihren Irrglauben austreiben und ihnen die pure Frucht seiner Weisheit eingeben wollte, um sie von ihrer Torheit zu entfesseln.

Man erzählt sich, Wulnikowski sei früher verheiratet gewesen, wenn auch nur knapp ein Jahr. Über seine Frau weiß man wenig, nur dass er immer allein in Urlaub gefahren sei - an den Bálaton. Von dort schrieb er zwar Karten nach Hause, aber nie an seine Frau, sondern immer an seine Schäferhündin "Medusa". In aller Regel war der einzige Satz an seine Frau auf solchen Karten: "Lies die Karte Medusa bitte laut vor." Davor stand zumeist: "Hallo, mein geliebter Hund. Ich bin gerade in Keszthely und esse einen Apfel. Nächste Woche bin ich wieder da."

Irgendwann war Wulnikowskis Frau die Demütigungen Leid, verließ ihn und die Wohnung entnervt. Er nahm die Trennung gelassen hin, entdeckte stattdessen sein Interesse für Schlangentiere. Er baute sich ein Liegerad mit einem schlagfesten PVC-Terrarium hinter der Sitzfläche und kurvte von nun an in der Abenddämmerung durch Biotope, um heimlich Exemplare für sein wissenschaftlicher werdendes Forschungsinteresse zu sammeln.

4 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

der wunderbare wulnikowski ist nicht nur den früchtchen sondern auch der kultursodomie erlegen. wie schön.

18/7/05 16:18

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Wie wahr, man staunt, aber es scheint zu stimmen. :)

18/7/05 16:24

 
Blogger F meint...

Ich fühle mich auch wie er. Ich werde gehen. =)

18/7/05 17:16

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Schon ne Idee, wohin?

18/7/05 17:20

 

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