Donnerstag, Oktober 13, 2005

Sick of Sick

Um Zeit zu sparen, hatte Ada ihre zwei Scheiben Mehrkornbrot schon vor dem Gang ins Bad in den Toaster gesteckt, auf dass er die Beiden schnurrend knusprig röstete, während sie sich unter der Duschbrause erfrischte. Erst einmal in der milchverglasten Kabine mochte sie sich gar nicht mehr recht trennen vom wohligwarmen Tröpfchenregen, spielte an der Mischbatterie, drehte warmes Wasser nach. Fast eine halbe Stunde lang. Von Zeitersparnis konnte keine Rede mehr sein.

Jetzt befühlte sie die zwischenzeitlich knusprigen Brotscheiben. Schlapp wie kalte Pappe. Klack. Schnurr noch mal für mich, Toaster. Währenddessen zündete sie sich ihre Guten-Morgen-Zigarette an, sog daran, lehnte sich entspannt zurück und ließ ihre Rauchwolken im milden Herbstlicht tanzen, das schräg durch das Küchenfenster hereintropfte.

Zu viel Stress in der letzten Zeit. Allen alles recht machen zu wollen, war ein Himmelfahrtskommando. Bis übermorgen abend musste sie noch ihren Essay über „Die Fotografie im Lichte Walter Benjamins“ eingereicht haben. Doch die turbulenten letzten Wochen hatten sie ausgelaugt, Erschöpfung hatte sich wie eine dicke, schlafende Katze auf ihren Kopf gelegt und ihre sonstige Spritzigkeit in dumpfem Dämmer ertrinken lassen. Ihr Ideenfluss war ausgetrocknet wie ein Wadi in der Wüste.

Mehrfach hatte sie in den Tagen zuvor angesetzt zu schreiben, doch die Worte waren blass geblieben wie Bluterkranke, trübschlaff und lustlos reihten sich die Sätze aneinander. Der wahnsinnige Professor Doktor Stress hatte sie überfallen, in sein Labor gezerrt, sie zum Aderlass gebeten, ihre Fantasie zerrieben, bis sie in winzige Krümel zerbröselt war. Ihre Sprache war seitdem an den Nahtstellen abgeschabt, war bis auf das knöcherne Gerippe abgemagert. Sie holperte unbeholfen umher, beinahe leblos, mit trockenem Mund, leerem Blick, verwaschen und ausgeblichen.

Klack. Der Toaster warf die Brotscheiben hoch, die nun zwar bretthart, aber immerhin knusprig waren. Ada quetschte ihre Zigarette im überfüllten Ascher aus. Einige Ascheflocken lösten sich von der Glut, segelten noch einige Momente im Gegenlicht und legten sich dann auf der Tischplatte schlafen. Sie warf das Brot auf den flachen Frühstücksteller, schnitt mit dem Messer durch die Butter, rührte in der Marmelade, schmierte beides darauf und biss kräftig hinein.

Nebenbei blätterte sie gedankenverloren im Kulturspiegel. Irgendwo aus der Mitte des Heftes drang Genörgel. Ein oberlehrerhafter Zeigefinger wedelte zwischen den Heftseiten hervor. Verächtliche Überheblichkeit quoll hinterher. Sie blätterte schneller, um den Ursprung dieses seltsamen Treibens aufzudecken. Als sie ihr Ziel erreicht hatte, gähnte Ada laut. Der neueste „Zwiebelfisch“. Bastian Sick, der Sprachpolizist, hatte sich neue Opfer gesucht und verteilte hektisch Strafzettel wegen Verstößen gegen das strikte Regelwerk der deutschen Sprache.

„Wie öde wäre die Sprache wohl, wenn alle so sprächen wie Sick? Keine Ecken, keine Kanten. Angetreten in Reih’ und Glied! Bei Sick ist die deutsche Sprache wie ein Stadtpark, in dem das Betreten der Grünflächen verboten ist“, wuselte es durch Adas Kopf. Blitzsaubere, blütenrein gewaschene Sätze wie schüchterne Kinder, die sich mit akkurat gekämmtem Seitenscheitel, sauber manikürten Fingernägeln und geschniegelten Bügelfaltenhosen kerzengerade an den Tisch setzen, denen es verboten ist, zu spielen oder selbst zu denken, und die erst sprechen dürfen, nach denen Papa ihnen das Wort erteilt hat. Eiskalt und sentenziös. So lebendig und munter wie der Linoleumfußboden im Katasteramt. Vive la bureaucratie!

Alles hat seine Ordnung, die gilt jetzt und immerdar, hat eingehalten zu werden, und wer gegen die Hausregeln verstößt, wird mit dem Lineal auf den Handrücken in die Büßer-Ecke gestellt oder mit Zimmerarrest weggeschlossen, bis er reumütig winselt und mit Tränen in den Augen gelobt, nie wieder dem Dativ statt des Genitivs zu benutzen, nur weil er grad schneller zur Hand war.

Wir haben ja nichts gegen originelle Ideen, aber bitte nur dann, wenn sie nicht gegen unsere strikten Vorgaben verstoßen. Vorher die Schuhe ausziehen, nur die Spiele aus dem linken Regal benutzen, alle Teile danach wieder einordnen und den Karton zurückräumen, und nach Feierabend ist spielen generell verboten. Fantasie ist nicht dringend notwendig, wichtig ist Kenntnis und ausnahmsloses Befolgen des deontologisch festliegenden Grammatik-Katalogs. Lieber eine Sprache, die so dürr und staubig ist wie ein Trockenfurz, als dass wir uns von bunten, lauten, krähenden Wörtern auf der Nase rumtanzen lassen, wir sind doch nicht im Kindergarten! Anarchie ist etwas für den Pöbel. Wir sind zivilisiert. Wir bevorzugen tonlose, schlichte, fade Farben, aufgeräumte und entschlackte Sätze mit der Sterilität eines Notizzettels, antiseptisch, klinisch rein, unbeweglich, starr und herzlos. Ansonsten könnte man sich ja noch anstecken, und man weiß ja, wohin das führt, man selbst und die Sprache wird krank.

Die heimtückischen Viren beißen sich fest in der Sprache, verseuchen sie mit ungebührlichen Wortverwendungen, werfen im Wohnzimmer der Worte die Schränke um, reißen Schubladen auseinander, lassen die stinkenden Socken mitten auf dem Teppich liegen, räumen ihr Geschirr nicht weg, kleckern beim Trinken und waschen sich nicht. Und nach kurzem ist das Haus der Sprache ein Saustall, verwüstet, unordentlich, ein Chaos, indem man sich nicht mehr zurecht findet, ein lärmender Moloch voller unziemlicher Banausen. Das ist es, worauf wir zusteuern, Meine Damen und Herren, und deswegen habe ich auch mein zweites Buch auf den Markt gebracht, das sie bitte allesamt kaufen und dessen Weisungen Sie bitte alle Folge leisten, sonst setzt es was.

„Meine Herren, geh’ kacken, Du besserwisserischer Breitmaulfrosch, Du ewiggleicher bürokratischer Schablonenscheißer, Du Johann Joseph Fux der Alltagssprache, Deine Sprache ist wie ungewürztes Essen“, erzürnte sich Ada, als sie die Zwiebelfischkolumne mit ihrem Blick weiter durchschnitt. Und plötzlich spürte sie, wie ihre abgeschabte Sprache sich aufbäumte, das Leben in ihr schon aus sträubendem Widerwillen gegen den sick’schen Regelkatalog wieder zu sprudeln begann

16 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Von morgen an ist Ole übrigens für eine Woche verreist. Es geht nach Frankreich. Aber er wird wiederkommen, prompt danach.

13/10/05 14:51

 
Blogger undundund meint...

näh. ick les mir sonne blättchen erst ma gar nich. der spiejel, wa, dit ist ma ne janz ausjefuchste dings, is ditte. ick saare ma, imma schön die waare halten, wa. die joldene mitte, die isset, die et oosmacht mit die rejeln und die übaschreitung.

und det mit die stadtpark, dit hamse schön jesaacht, hamse dit.

13/10/05 15:08

 
Blogger undundund meint...

und: bong wojahsch!

13/10/05 15:10

 
Anonymous Anonym meint...

OK, ich bin selber so ein CleverShitter, aber ich bin schon der Meinung, dass man, um kreativ mit den Regeln umgehen zu können, die Regeln erstmal kennen und beherrschen sollte. Denn was vom vielkritisierten Zwiebelfisch angeprangert wird, ist nicht übermässige Kreativität im Umgang mit Sprache, sondern eigentlich das Gegenteil: Nachlässigkeit und Denkfaulheit.

13/10/05 15:49

 
Anonymous Anonym meint...

Ein Wespennest. Du hast dich mitten reingesetzt. Du wirst sehen!

13/10/05 16:31

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Gottseidank habe ich keine Wespenstichallergie, Opa. :)

Merssie bokuh, und³ und muchas gracias, senor mayer! Leider wird's aus Zeitgründen nur das Elsass und nicht Avignon. :( Aber immerhin!

Völlige Sprachanarchie finde ich ja im Übrigen selbst blöde, aber wenn die Sprache voller lebendiger Bilder und gelungener Ideen steckt, lese ich sie trotzdem liebend gern, auch wenn die Regeln auf dem Weg irgendwo versehentlich liegen gelassen wurden.

13/10/05 18:37

 
Anonymous Anonym meint...

ich dachte erst, ich sei ada wegen vollkornbrotes im toaster. aber nein, dass konnte ich nicht sein, bei mir brennen keine zigaretten. höchst vorzüglich geschrieben, ole!

13/10/05 23:38

 
Anonymous Anonym meint...

den sprachzorn spüren,
wallen lassen..

dummerweise kenn ich diese zwiebelfisch-kolummne nicht.
ist zwar in aller munde, aber allein das macht es ja (leider) schon verdächtig, im deutschen literaturkackbetrieb.

14/10/05 13:39

 
Anonymous Anonym meint...

Mein Auszug aus der deutschen Mediengesellschaft macht sich auch hier segensreich bemerkbar: ich habe tatsächlich noch nichts von diesem Herrn gelesen.

Viel Spaß auch in Frankreich, Herr Ole.

14/10/05 14:29

 
Anonymous Anonym meint...

vergessen wir herrn sick, was macht ada?
urlaubsvertretung?

so denn, schöne reise

14/10/05 15:42

 
Anonymous Anonym meint...

Moin Ole. Ich muß unbedingt etwas loswerden, auch wenn - oder vielleicht auch gerade weil - Du nicht da bist und Dich vorerst nicht wehren kannst.
Nun hab ich mich nach langer Zeit mal wieder auf Deine Seite verirrt und sofort erwacht in mir der spitzfindige Scheißer, der eine korinthenkackerische Frage stellen muß, weil er nicht anders kann:
Glaubst Du wirklich, daß orientalische Schlachter, Schlächter, Metzger, Fleischhauer etc. auch nur die Nähe von Schweinefleisch ertragen würden?
Die örtliche Auffassung von Transzendenz (Islam) verbietet den Verzehr von Schweinefleisch, da dies als unrein betrachtet wird. Ähnlich wie die Juden sind Schweine einfach unkoschere Tiere, die man besser nicht zu sich nimmt.
Wie dem auch sei, Du hättest vielleicht besser paranoide Verschwörungstheorien zum Besten geben sollen. Etwas in der Art: Da sitzen irgendwelche islamistische Schläfer, die an der FH-Münster einem unauffälligen Dasein als Maschinenbaustudenten nachgehen, vor ihrem Glas Tee am schäbigen Küchentisch, von dem kein Schweineblut trofft, und planen einen Anschlag auf den BWL/Jura-Teil der studentischen Population der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster mithilfe einer über das per W-lan beim Nachbarn angezapfte Internet beschafften Bauanleitung für eine Bombe, die man mit Schweinenitrid herstellt. Beim einem solchen Szenario hättest Du glaubhaft Deine Beunruhigung zum Ausdruck bringen können.

15/10/05 12:17

 
Anonymous Anonym meint...

..abgefahren hier. Der Sick hat im Übrigen mit einigen Manierismen schon meinen Nerv getroffen. Die Leute schreiben ja nicht wild, weil sie kreativ sind, sonder weil sie deppert sind. Glaube nicht, dass der Bastian dir an den Karrn fahren würde.

16/10/05 19:50

 
Anonymous Anonym meint...

Juden als unkoschere Tiere zu bezeichnen, Herr Dirk,

scheint mir doch etwas gewagt, auch wenn ich mit Ihnen dahingehend übereinstimme, daß man sie besser nicht verzehren sollte.

Das führt mich direkt zu Herrn Sicks rechtschreiberischer Kolumne. Sich auf Gedeih und Verderb an orthografische Vorschriften zu halten ist nicht alles. Es ist aber gut, wenn man sich darüber im klaren ist, wie der Leser Geschriebenes auffassen wird. Dafür hilft es schon sehr, wenn man die Regeln kennt.

17/10/05 18:56

 
Anonymous Anonym meint...

Ich lasse dir einfach mal wieder liebe Grüße hier und hoffe, du hattest eine schöne Zeit in Frankreich. Alles Liebe dir von moonlight.

19/10/05 20:36

 
Blogger asd n asd meint...

ich mag die kolumne eigentlich sehr, weil sick ziemlich bissig schreiben kann. allerdings wird er dann manchmal echt zum sprachpreußen.

25/10/05 12:57

 
Blogger asd n asd meint...

Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

25/10/05 12:57

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home