Freitag, Juli 28, 2006

Wenn der Drescher mäht

Schwarz wölbt die Nacht sich über Baum und Borke, raschelnd wie ein feines Seidentuch. Inmitten des Dunkels, während Du an den weit geschwungenen Weizenfeldern vorbeikurvst, werfen reglose Riesenaugen grell gleißende Lichtkegel. Wie gefräßige Riesenkäfer malmen sich Mähdrescher dumpf dröhnend durch die dicht gedrängten Halme. Vorwärts. Langsam. Unaufhaltsam. Bahn um Bahn, Feld um Feld, Stunde um Stunde. Erbarmungslos und ohne Rast keilen ihre Messer wie Mandibeln tausende Halme nieder, saugen die Mahd in ihr Inneres. Hinten stoßen sie gewaltige Staubwolken aus ihrem stählernen Abdomen, die in den stumpfen Lichtkegeln der nachtuckernden Trecker wie Feenstaub glitzern. Ein leichter Schauder rieselt Deinen Rücken hinab. Etwas Unheimliches hat sie, die nächtliche Getreideernte. Immer wieder scheint es, als starrten Dich die pupillenlosen Scheinwerferaugen direkt an. Sie blenden Dich. Richten ihren leeren, weißen Blick minutenlang auf Dich, als wollten sie Dich ausleuchten, röntgen, Dein Innerstes herauskehren. Dabei mähen sie doch nur. Und sie starren auch nicht Dich an, sie beleuchten das Feld vor den Messern, um sehen zu können, wo der Stand der Halme endet. Dieselruß liegt in der Luft, hier in der Feldeinsamkeit, hinausgeschleudert von riesigen Motoren. Du ziehst vorbei, doch immer wieder fangen Dich die gleißenden Blicke ein. Immer wieder krabbeln die monströsen Käfer über die Felder links und rechts der Straße. „Fast wie eine nützliche Heuschreckenplage“, denkst Du und musst kurz schmunzeln. Eine Ampel mitten auf dem Land. Sie steht auf rot, Du wartest, da rattert und knarzt es hinter Dir, und unter schwerem Ächzen schiebt sich solch ein Riesenkoloss auf die Straße, just hinter Dich. Im Radio sägen schrille Dissonanzen, werden durchdringender, bohren sich in die Hirnrinde. Ligetis „Atmosphères“. Der Magen windet sich. Von hinten blenden Dich kleine Teleskopaugen über den Messern unerbittlich durch den Seitenspiegel. Fast winzig kommst Du Dir vor. Du bist der Zwerg, hinter Dir schnauft der Riese. Doch Du bist schneller. Die Ampel springt auf grün. Du trittst aufs Gas, entsaust dem schwer röchelnden Berg. Es wird der letzte gewesen sein, dem Du heute nacht begegnet bist.

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18 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Das Oberkieferwort ist mir Jahre nicht unter die Augen gekommen.
Schee!
Auch die Hoffnung auf den Herbst, der sich mit den Ungetümen ankündigt.

28/7/06 14:24

 
Anonymous Anonym meint...

Die Riesenheuschrecken mähdreschen nicht nur Getreide, sondern auch Rehkitze.
Und zwischendurch explodieren sie, weil der Getreidestaub in der Hitze irgendwie elektrostatisch...dings.

28/7/06 15:28

 
Blogger mq meint...

Man müsste so ein Ding mal zum fliegen bringen. Wäre bestimmt ein beeindruckendes Bild am Himmel.

Sehr bild- und tonhafter Text, man kann Ligeti förmlich hören.

28/7/06 21:47

 
Anonymous Anonym meint...

Unmittelbar hinter dem Mähdrescher, inmitten seiner Staubwolke, konnte ich auf dem Feld hinter unserem Haus zwei Falken beobachten, wie sie mit blitzschnellen Manövern die plötzlich der Sichtbarkeit preisgegebenen Mäuse erjagen.

29/7/06 10:46

 
Anonymous Anonym meint...

Wahnsinnstext. Poetisch, obwohl nicht gereimt. Blogging zum Anfassen (auch wenns nur um Agrarfahrzeuge geht).

Der Titel hat etwas von "Saug mal bitte Staub!" an sich.

29/7/06 14:13

 
Blogger kein einzelfall meint...

"Abgedroschen" völlig neu definiert. Stilbildend!

29/7/06 20:52

 
Anonymous Anonym meint...

Mandibeln - oh Mann, Ole, was man bei dir immer alles lernt. Hammer.

30/7/06 00:47

 
Blogger viktorhaase meint...

oh, ich hatte das wochenende bedauerlicherweise nur kleine ungetüme. die spurteten aber mit vehemenz die weinberge hoch und versprühten gift. diese dämlacks. und da wundern sie sich, warum ihnen der breisgau qualitativ die hacken zeigt.

30/7/06 14:50

 
Anonymous Anonym meint...

Ich muss auch immer an Heuschrecken denken, bei diesen Kolossen.
Beeindruckend diese Maschinen, und ja wirklich besonders in der Nacht wenn sie wie riesige Monsterinsekten über die Felder ziehen...

*schauder*

30/7/06 18:34

 
Anonymous Anonym meint...

Der Stoff, aus dem Horrorromane gemacht sind.

31/7/06 09:37

 
Anonymous Anonym meint...

Wie kann man solch einen Inhalt nur so grossartig umschreiben? Kompliment fuer die Wortfindung...wie eigentlich immer...

31/7/06 13:34

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@omegauntiefe: Hier bauen sich auch schon erste ungestüme Ungetüme auf. :)

31/7/06 21:45

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@nachtschwester: Potzblumenbeet, welch erfrischend/erschreckend wahre Worte! :)

31/7/06 21:46

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@etosha: Gerissene Viecher!

31/7/06 21:46

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@markus: Wahrscheinlich braucht man dafür dann drei Hektar große Rotorblätter. :)

31/7/06 21:47

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@nakry: Danke! Aber nicht in die Messer fassen! :)

31/7/06 21:47

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@viktor: In welche Giftmischerprovinz bist Du denn getapert?

31/7/06 21:48

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@blue sky: Schwarze Seide?

31/7/06 22:24

 

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