Die unbeschriebenen Bereiche des Ziels
Wir flogen nicht nach Ägypten. Und trotz leise pochender Skepsis purzelte auch unser Gepäck in Ferihegy II, dem Flughafen vor den Toren von Budapest, aus der Gepäckluke aufs Gummifließband. Ägypten konnten wir nun also abhaken. Erstmals in unserem Leben ungarischen Boden unter den Füßen. Er roch nach Scheuermittel. Wenige Minuten später und nach dem Geldtausch in Besitz von einigen zerknitterten Forint-Scheinen, kletterten wir in den Bus, der uns der Innenstadt näher bringen sollte.
Einen ersten Blick auf die traumschöne Stadt konnten wir schon aus dem Flieger erhaschen. Doch erst jetzt allmählich begann die Transformation. Der Wandel, wenn Angelesenes zu Gesehenem wird, wenn Fotos zum Leben erwachen, das Starre sich plötzlich bewegt, das Stumme plötzlich klingt, das Reglose plötzlich riecht, berührt und erlebt werden kann und Du Deinen eigenen Blick gewinnst auf das vorher stillgestellte Panorama. Zunächst jedoch erlebst Du das Unbeschriebene, das Verschwiegene der Reiseführer, den zerbröselnden Tellerrand.
Du durchkurvst die grauen, kamerascheuen Vororte mit ihren flachen Blechhütten, die im Schatten der gigantischen T-Mobile-Plakatwände dem Abend entgegendämmern, die rostenden Schrottplätze, die Betonburgen und kargen Plattenklötze, die von monströsen Ausfallstraßen zersägt werden. Schlaglöcher langweilen sich in unbevölkerten Gehwegen am Straßenrand. Riesige Industriehallen wärmen ihr Blech in der Feierabendsonne. "Rossmann" steht daran. Und "dm". Schon wieder saust ein grellpinkes Plakat der Deutschen Telekom am Fenster vorbei und schlägt Dir Dinge in umlautlastigen Worten vor, die Du nicht entziffern kannst. Die Globalen spielen nun auch in Ungarn, scheint's. Irgendwann steigst Du um in die U-Bahn, immer noch fernab der Innenstadt. Noch immer bist Du ein Stück weit entfernt von den zauberhaften Gegenden, von denen Du gelesen hast.
Hier hat niemand geputzt, gestrichen und glänzend poliert, nur weil Du kommen könntest. Hier scheint wenig anders als es ist. Zerknitterte Arbeiter rauchen aus schmutzigen Gesichtern und warten auf den Bus nach Hause. Von den Kiosken blättert Farbe ab. Einige betteln unter zerrostenden Stahlträgern im Inneren, andere kaufen Wurst. Manche Frauen tragen Trainingsanzüge, Abreisende winken einem Taxi, um zum Flughafen zu gelangen. Wir erstottern uns Tickets zur Stadt und nähern uns langsam den beschriebenen Bereichen der wunderbaren Stadt, die wir bislang nur aus Büchern kennen: Budapest.
13 Wortmeldung(en):
Ich war noch nie da. Aber ich bin dabei, fast körperlich, und ich werde da gewesen sein. Wunderbare Schreibe.
12/10/06 20:09
Ferien auf Absurdistan lautet der Slogan meines Reisebüros.
Wenn die Bäume auf dem ersten Bild nicht wären, könnte man meinen, es handele sich um einen Spiegel im Spiegel.
12/10/06 21:15
Genau, das ist Michael Ende.
12/10/06 23:04
Bin gespannt auf die Fortsetzung (die hoffentlich folgt !). Das letze Mal als ich in Budapest war gab es noch den Ostblock...
12/10/06 23:38
/Opa: bzw. Astrid Lindgren.
13/10/06 12:04
@opa: Dann lass Dich einfach mitnehmen. Mach ich mit den Überseereisen bei Dir ja jenauso. :)
13/10/06 12:15
@markus: Gibt's da auch Last Minute-Angebote? :)
13/10/06 12:18
@markus, die zweite: Habe gestern nen Hund gesehen, der sah aus wie Bootsmann. Nur etwas fleckiger.
13/10/06 12:19
Das Gute daran ist, dass man jederzeit und weltweit dort vorbeischauen kann, da kommt es auf eine letzte Minute mehr oder weniger gar nicht an.
Dieser Bootsmann: ein gigantisches Sabbelmonster. Die Größenunterschiede zwischen den verschiedenen Hunderassen ... immer wieder beeindruckend.
13/10/06 15:40
ein SabbeRmonster noch obendrein. :)
13/10/06 15:43
Oh ja, Budapest - faszinierende Stadt! Selten in einer Stadt soviele Cafés und Restaurants mit unglaublich toll designter Innenausstattung gesehen. Und gleich daneben bodenlose Armut. Bin gespannt auf die Fortsetzung.
13/10/06 15:55
Unpolierte und beschriebene Bereiche einer Stadt sind mir die liebsten.
14/10/06 03:04
Hm.. äußerst interessant. Ich bin schon fast ein wenig schockiert, welche fernen Wege das große T für sich beansprucht.
Obwohl es mit Sicherheit auch etwas heimisches an sich hat, an vertrauten Marktlogos vorbeizufahren.... ;)
14/10/06 12:50
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