Figyelem! Budapest! (I)
Vom wuseligen und authentischen Treiben in der wunderschönen Jugendstil-Markthalle schwärmt der Reiseführer. Und wirklich ist der wuchtige Bau eine Augenweide mit den verspielten Giebelwinkeln und dem buntgemusterten Ziegeldach. Doch viel zu aufgeräumt und ordentlich ist das Innenleben. Künstlich bereinigt und mit dem Zollstock arrangiert wirkt der Trubel. Eher wie eine Schauspiel-Aufführung mit einheimischen Statisten für Busladungen voller Fremder. Trachtenbehemdete Grauherren zupfen auf hochtraditionellen ungarischen Zittern. Aus einem Automaten klötern Plastikbecher mit Pulvercappuccino. Geschenkbereit und feinsäuberlich ringeln sich Paprikaschoten zu Halsketten auf billiges Band. Honigtöpfe tragen verkaufsträchtige Stoffmützen mit mehrsprachigen Aufklebern. Gewürztütchen glänzen keck. Zu echt und zu einheimisch gerieren sich die Stände. Urtümlichkeit verrät ihre Maske und verzerrt sich teils fast zur Fratze. Wenn auch nur fast. Hausfrauen stehen mitten im Gang und verkaufen köstliche Obst- und Krautwickel. Ein authentischer und lukullischer Lichtblick.Doch hat das Marketing den Markt erfasst und, scheint's, bereinigt.
Riesige Fische haben ihren letzten Kiemenzug getan. Wurstketten knoten sich zu dickfleischigen Knäueln. "Ihr taucht uns in völlig unvorteilhaftes Licht! Viel zu blass!", keifen mächtige Schinkenspeckschwarten die Neonröhren in den Auslagen an. Die verschiedenen Stämme des Paprikavolkes haben die Außenbezirke besetzt und sich zu vitaminhaltigen Mittelgebirgen zusammengedrängt.
Bananen beflunkern die Äpfel mit Seemannsgarn aus Übersee. Stofftücher mit Klöppelspitzen hängen stramm, bemühen sich um einen urtümlichen Gesichtsausdruck und bereiten sich auf ihre Auslandsreise auf noch unbekannte Wohnzimmertische geschmacksverirrter Touristengruppen vor. Bekringelte Püppchen langweilen die landesfarbigen Wappen und Aufnäher. Steingutbecher würden sich an den Stellen, an denen die Preisschilder pappen, gern kratzen. Der Kleber juckt, doch scheitern sie an ihren anatomischen Möglichkeiten. Fast entschuldigend blicken sie drein. Sie selbst können nichts für die lieblose Hässlichkeit ihrer Aufdrucke und die Wucherbeträge, die die Fremden für sie berappen sollen. Wir kaufen nur am Rand, dort, wo das Gemüse nicht zirkelgeschichtet und glanzpoliert ist, ein paar Paprikas und verlassen die wuselige Schauspielbühne lieber durch den Haupteingang. Es gibt noch so viel mehr zu entdecken. Jenseits der Masken.
9 Wortmeldung(en):
Du wärst kein schlechter Seemann geworden ...
6/10/06 10:30
Wenn man davon absieht, dass ich dann wahrscheinlich mehr Ehrgeiz in meine Schwimmabzeichen hätte investieren müssen und nicht einfach bei "Seepferdchen" aufgehört haben dürfte... :)
6/10/06 11:22
Das ist ja witzig. Auf Mallorca gibt es die gleiche Markthalle, und zwar in Felanitx. Ein Dimensionstor?
Aber im Ernst, das Prinzip dort war haargenau das gleiche. Aber ich habe keine Paprika gekauft. :-)
6/10/06 15:15
Irgendeinen Unterschied musste es doch geben. Dafür gab's in Budapest keinen Sangria, keine Crema Catalana und wahrscheinlich schon noch mehr Wurst. :)
6/10/06 15:22
Wenn die Markthalle schon zu einem Touristenpark geworden ist, wie geht es den wunderbaren, stimmungsvollen Bädern ? Doch nicht etwas zu glattpolierten, aller Patina beraubten Wellnesscentern umgebaut ? Ole, übernehmen Sie !
6/10/06 16:08
Geduld, Herr Lundi. Dies ist doch erst die Anfangs-Episode. :)
6/10/06 16:23
wann dürfen wir dich wieder in deutschland begrüssen, ole?
wieder ein schöner reisebericht, du weisst ja, wie gern ich die lese!
6/10/06 19:59
ich bin doch schon wieder da. :)
6/10/06 20:13
Man kann sich nur wünschen, dass du noch viele Reisen unternimmst und dabei die Lust am Schreiben nicht verlierst.
7/10/06 18:22
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