Ein Schleier des Schweigens umhüllt die Gesichter. Wünsche, die verschluckt wurden, Sehnsüchte, nicht in Worte gekleidet, Positionen, die heimlich geblieben sind. Mangels Eindeutigkeit vielleicht auch vom Radar der anderen falsch erfasst. Konflikte, die totgeschwiegen wurden mit leisen Seufzern in einsamen Momenten, mit aufeinander gepressten Lippen. Stillschweigende Sündenregister. Es gärt im Verborgenen. Sie öffnen Münder, doch bleibt vieles unausgesprochen, oftmals das Wesentliche. Die Beziehungen: verkantet. Kaum ein Wort. Schmurgeln im eigenen Sud. Flügellahm ist die Neugier geworden, die Lust, zuzuhören, das Werden und Wandeln des Partners zu entdecken, begleiten, als spannend zu begreifen. Aber wer öffnet schon den Mund, wenn er vorab ahnt, dass, was er sagt, beiläufig versickert oder missverstanden wird? Sich lieber verschließen, bevor frustkalter Wind das Herz durchzuckt. Offen ausgetragen wird hier fast nichts.
Wehmut, eine nüchterne Tristesse umflort die Kurzgeschichten von Judith Hermann. Sachliche Romanzen. Das nahende Scheitern. Zerbrechlichkeit, poetisch eingefangen, nüchtern seziert, scharfsinnig beobachtet, mit sanft skurrilen Momenten garniert. Fünf von Hermanns bitterschönen Skizzen hat Martin Gypkens nun in seinem wunderbaren Episodenfilm „Nichts als Gespenster“ gegeneinander montiert. Geschichten, die quer über den Globus spielen – in der Wüste Nevadas, im klirrend kalten Island, in Venedig, auf Jamaika und in und um Leipzig. Menschen auf Reisen, auf der Suche nach Liebe, vielleicht auch auf der Flucht vor sich selbst, vor Entscheidungen, vor Klarung des trüben Nebels.
Ellen und Felix durchkurven die zerklüfteten Canyons in der amerikanischen Steinwüste, halten sich nurmehr zähneknirschend aus. Ihre wechselseitige Entfremdung bricht offen hervor. Die Luft knistert gefährlich, Nerven zum Zerreißen gespannt. An jedem „Scenic view“ will Ellen aussteigen, lässt die Autotür offen stehen und zückt ihre kleine Kamera, um die Panorama-Aussicht zu knipsen. Auch wenn Millionen Touristen vor ihr dieselben Motive heimgebracht haben. Aber wie sollen die Freunde zu Hause sonst nachvollziehen können, wie es war, wo sie war? Felix grummelt in sich hinein, möchte unkonventionellere Blicke erhaschen, sich nicht von Verkehrsschildern vorschreiben lassen, wie er zu schauen hat. Meter voneinander entfernt laufen sie, meilenweit klaffen ihre Wünsche auseinander.
Nie sind sich Caro und Ruth bei Männern ins Gehege gekommen, haben als beste Busenfreundinnen keine Geheimnisse voreinander gehabt und zusammen gewohnt, bis Ruth für ein Schauspiel-Engagement vor Kurzem nach Leipzig gezogen ist. <
Nun schwärmt die weiche, überaus gefühlvolle Mimin von ihrer neuen, kribbelnden Beziehung zu einem Kollegen, den Caro beim Besuch unbedingt begutachten soll. Doch zeigen sich schon erste Risse. Und es kommt, wie es nicht kommen sollte.
In die klirrende Kälte Islands sind Irene und ihr bester Freund Jonas ausgebüxt, um Ablenkung zu finden nach zerborstenen Beziehungen. In der Einöde wird das ungleiche Gespann – zu Gast bei Freunden – plötzlich wild aufeinander. Doch scheint auch die Gastgeberin mehr für Jonas zu empfinden und sich heimlich zu wünschen, mit ihm in stiller Heimlichkeit und knisternder Glut auszubrechen.
Marion ist allein in Venedig, frisch von ihrem Freund getrennt, traurig, allein schlurft sie durch die engen Gassen der Lagunenstadt, wird von einem rätselhaften Fremden verfolgt und trifft ihre Eltern. Doch niemand hört ihr zu, vorgefertigte Bilder, selbsterfülltes Wortsprudeln der Mutter, Sensibilität eines Betonblocks. Marion ist da und kommt doch nicht vor.
Ein Hurrikan braut sich über Jamaika zusammen, wo Nora ihren ausgewanderten Ex-Freund gemeinsam mit ihrer besten Freundin besucht. Doch ist nichts mehr wie früher, der Spalt zwischen den ehemals Liebenden klafft weit, stattdessen verlieren und verlieben sich Herzen über Kreuz, mit stillen Verwicklungen und offensichtlichen Heimlichkeiten.
Die Karibik-Episode stammt aus Hermanns Überraschungs-Erfolg „Sommerhaus, später“ – die anderen vier aus dem Nachfolger „Nichts als Gespenster“. Behutsam und mit geschickten Schnitten führt Gypkens die Geschichten parallel, verleiht den Bildern jeder Episode eigene, charakteristische Farbtönungen. Der eisige Blaustich auf Island, sanfte Sepia-Körnung in Leipzig, entsättigte, blasse Farben in Venedig, Gelb- und Rotfilter in Nevada und auf Jamaika. Hitze und Kälte, Südsee, Eisgletscher, Wüste, europäische Hochkultur und deutsche Provinz stehen nebeneinander. Gemeinsam ist ihnen die gefühlte Verlorenheit, das zarte Sehnen. Zart und nüchtern zeichnet Gypkens die Figuren nach, ohne falsches Pathos, ohne Gefühlsduselei. Und ihm gelingt es, die prominente Schauspieler-Riege mit Jessica Schwarz über August Diehl, Fritzi Haberland, Maria Simon oder Stipe Erceg zu berückend intimer Intensität im Spiel zu treiben. „Nichts als Gespenster“ widerlegt die Unverfilmbarkeit von Kurzgeschichtenbänden, liefert einen der schönsten und berückendsten Filme seit Langem. Eine nachdenkliche Reise voll poetischer Tristesse und aufblitzendem stillem Witz, klar beobachtet, in traumschöne Bilder eingefangen. Ein klitzekleines Wunder.
© für alle Bilder: Senator Film AG