Oberhalb von Raufasern
Holzbohlen knirschten draußen im Treppenhaus, doch niemand klingelte. Blattlose Zweige raschelten vor dem Fenster. Ein Weberknecht kraxelte über den Schminkspiegel.Im Mülleimer darunter lag ihr Mascara-Flacon. Das ganze Wochenende hatte er offen dagelegen und war darüber ausgetrocknet, während Ada sich gläserweise Gin genehmigt hatte, wenige Straßen weiter in einer Kneipe, deren Name ihr entfallen war. Irgendwer neben ihr hatte nach Patschuli gerochen, daran erinnerte sie sich, aber sein Gesicht war ihrer Erinnerung entronnen. Das Négligé raschelte, als Ada sich aus den Kissen drückte, eine Zigarette anzündete und Rauchkringel in Richtung der beschlagenen Fensterscheiben blies. Wäre er nicht gegangen, hätten sie vielleicht Fratzen mit den Zeigefingerspitzen darauf gemalt, und die Sonnenstrahlen hätte sich am nächsten Morgen in den Schlieren gebrochen, noch bevor beide die Augen geöffnet und sich den ersten sanften Kuss des Tages gegeben hätten. Wie viel schöner wäre es gewesen, ein Loch in der Zimmerdecke zu haben, gemeinsam ins Nachtdunkel zu blicken, um neue Sternbilder zu erfinden.
Existiert hatte es nie, und doch hatte er Ada eines Abends glauben gemacht, es gäbe dieses Loch, hatte das Licht gelöscht, seinen Blick nach oben durch die Zimmerdecke geschickt und ihr Geschichten aus dem eisigen Weltraum erzählt, und sie hatte hingesehen und plötzlich auch durch alle oberen Etagen hindurch nach draußen schauen können in die klare Kälte des tiefschwarzen Nachthimmels. Gemeinsam hatten sie aus Rauchwolken eine eigene Milchstraße über die Köpfe gehaucht, unweit voneinander, zwei Milchstraßen sogar, die sich trafen und umspielten. Ada seufzte.
Er war nicht da. Und auch sonst niemand, der versehentlich Rotwein vor dem Fernseher verschüttete, wonach sie beide gemeinsam Salz auf die Teppichwunde kippen könnten, um mit Schultern, die sich wie zufällig berührten, den Fleck hinwegzuschrubben, nahen Nasenspitzen, die den warmen Atem des Anderen am Hals spüren ließen und ein Kribbeln den Nacken hinabschickten. Keine Schultern in der Nähe, der Teppich fleckenfrei und kein Loch in der Decke. Die Sterne mochten draußen funkeln, heute nacht blieb der Blick in Raufasern hängen.
15 Wortmeldung(en):
un- auf- ge- regt - schoen
nath
11/1/08 07:57
Also stimmt es doch: Allein ist nicht immer einsam.
11/1/08 14:31
Ich möchte auch ein Loch in der Zimmerdecke...und alles was dazugehört...bin 'etzt ganz sentimental..schnüff, schnüff...na ja, gleich kommt der Elektriker und macht mir wenigstens ein Loch in die Wand. Dann kann ich verträumt auf Kabel starren, das ist auch schön...
(Und grüßen Sie die Sau von mir! Und keinen Zucker füttern, hören Sie!)
11/1/08 15:29
Mir ist gerade so adaesk oder besser adoesk zumute....
11/1/08 20:38
Federleicht, werter Herr Ole, in den Winter getupft.
Chapeau
Ihr Erdge Schoss
12/1/08 11:10
wunderbarer Gedanke
13/1/08 12:49
@nath: freut - mich.
13/1/08 16:30
@neobazi: das steht zu hoffen.
13/1/08 16:31
@frauh: Das ist doch schonmal ein Anfang. Die Grüße richte ich sehr gern aus, auch wenn das abgebildete Viech ein Eber, genauer: ein Pietrain-Eber ist, wie ich herausgefunden habe, als ich es nachrecherchieren musste. :)
13/1/08 16:32
@michael: dir ist so gardinig zumute? ado ist doch die firma mit den gardinen mit der goldkante, oder? :)
13/1/08 16:33
@monsieur tiré: merci bien!
13/1/08 16:33
@blue sky: ein bisschen durch durchaus auch, aber. danke. :)
13/1/08 17:07
@Ole
Stimmt ja! In meiner Bude gibt's nämlich nicht einen einzigen Stofflappen vor den Fenstern...
13/1/08 20:43
Rauhfaser ist auch eine Art Firmament.
13/1/08 23:18
Lieber Ole, das ist ein ganz wunderbar gelungener Text.
25/1/08 20:05
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