Dienstag, Juli 15, 2008

Zu Gast bei (leicht siffigen) Freunden


Staub- und Rußpartikel, tausendfach aufgewirbelt, haben sich an der Außenseite des Zimmerfensters im Caledonian Backpackers Hostel niedergelassen, und der Regen hat sie dort festgeklebt. Beinahe blind sind die Scheiben. Auch wenn der Nebel sich allmählich auflöst, der Blick nach draußen bleibt trübe. Das Licht der Straßenlaternen, der Front- und Heckscheinwerfer und der Kneipenschriftzüge bricht sich im Dreck, als ich hinausschaue, bevor ich mich auf die speckige Matratze werfe zum Schlafen. Das Laken verrät, dass ich nicht der Erste bin, der sich hier bettet. Ein Rudel blonder Locken kräuselt sich, aschgraue Strähnen dämmern daneben, und auch ein paar schwarze Stoppeln bevölkern das graue Tuch. Allzu häufiges Wechseln und Waschen wird überbewertet und schadet dem Stoff. Müde schlurfe ich zuvor noch in Richtung Toilette, bestaune die kunstvollen, leuchtend bunten Wandbemalungen in den Fluren des einst prachtvollen Bürgerhauses.





Ein halbnackter Greis mit zottigem Rauschebart humpelt aus dem Nachbarzimmer. Mühsam hält er zwei Handtuchzipfel hinter dem Rücken zusammen. Sein Zimmergenosse grüßt mich. Erzählt, dass der Nebel in der Stadt erst am späten Nachmittag aufgezogen sei und es vorher klar und freundlich war, blickt inmitten des Gesprächs durch seine riesige Hornbrille auf geschwungene Kringel in seinem Tagebuch. Dort hat er die Wetterentwicklung feinsäuberlich notiert. Auch die Aussichten. Morgen solle es besser werden, sagt er, lacht und bleckt freundlich seine bernsteinfarbenen Schneidezähne.



Das Klo im Trakt lässt sich nicht abschließen, belohnt indes mit einer mittig durchgebrochenen Klobrille. Das macht neugierig. Ob es auch irgendwo ein größeres Bad mit Dusche gibt? Ich nehme einen tiefen Zug des süßlichscharfen Dufts im Flur, bestaune die hellrosafarbenen Flecken im blauen Teppich und bin verblüfft, welch spannende Farbwandlungen scharfe Reinigungsmittel wohl bewirken können. Alle paar Meter hängen staubbefluste Feuerlöscher, und an jeder Flurtür hängen Schilder, die eindringlich mahnen, wohin man rennen solle, wenn es brennt im Haus.

Zwei Spanier hocken an vor flimmernden Laptopschirmen im Schneidersitz auf dem Boden. Sie weisen mir den Weg zum eigentlichen Bad. Schimmelgesprenkelte Tapeten wellen sich darin von der Decke. Motten flattern gegen staubige Glühbirnen. Die Glastüren der Nasszellen sind mit blauer Farbe blickdicht geschmiert worden. Die Wasserleitung hustet kurz Rost, ehe das kühle Nass herausspritzt. Ich putze meine Zähne, schlurfe über den Fleckenteppich zurück und kuschle mich an fremde Locken auf dem Laken, um zum ersten Mal eine Nacht in Edinburgh zu durchträumen.

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18 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Sie sind ein Magier, Herr Au-lait! Ich hab solche Angst vor süßlichscharfen Düften.

16/7/08 09:49

 
Anonymous Anonym meint...

Dein makellosmagischer Text erinnert mich an ein Londoner Hostel. Das dort für mich und die Liebste gebuchte Doppelzimmer hatte leider kein klassisches Doppel- sondern nur ein abgeranztes Etagenbett. Aber immerhin lagen keine fremden Haare darin.

16/7/08 13:57

 
Blogger mq meint...

Immerhin wurde vorbildlich gegen Feuer auf der Damentoilette vorgesorgt.

16/7/08 16:03

 
Blogger Unknown meint...

Upps. Darum bevorzugte ich ein B&B, nicht ganz neu, aber sauber und doch noch stattnah.

17/7/08 08:51

 
Anonymous Anonym meint...

In das Bett hätte ich mich wohl nicht gelegt... Erinnert mich irgendwie an meine Klassenfahrt nach England in der 10. Da fielen die Kakerlaken reihenweise von der Decke...

17/7/08 09:00

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@MC: Ich hab bei "eBay" einen Angsthemmer für süßlichscharfe Düfte ersteigert. Kam von irgendnem Zauberstab-Versand. Klappt blendend. :)

17/7/08 10:49

 
Anonymous Anonym meint...

Erinnert mich an Fiffi Kronsbeins Jugendherberge in Berlin anno 1981. Da gab's aber kaum Feuerlöscher und schon gar keine Beschriftungen

17/7/08 11:13

 
Anonymous Anonym meint...

Eine traditionelle Seefahrernation. Nur die Filzläuse fehlen.

17/7/08 17:34

 
Blogger Unknown meint...

Wer die Muße aufbringt, das Leben in seiner detailreichen Fülle so zu rezipieren wie du, Ole, dem darf eigentlich nur Gutes wiederfahren. Ungeduldige Ignoranten wie ich werden zurecht mit Verbitterung bestraft.

PS: Too Late To Be Saved heisst ein anderer Hit von den Tremeloes;)

18/7/08 10:39

 
Anonymous Anonym meint...

Mann-o-Mann

18/7/08 16:41

 
Anonymous Anonym meint...

Fremdlocken sind absolut im Trend!

20/7/08 12:41

 
Anonymous Anonym meint...

Da ziehe ich mein Zelt mit Schlafsack doch vor. Gerade Schotland lädt zum campen ein... vor allem das Wetter ;)

22/7/08 13:38

 
Anonymous Anonym meint...

A hahahaha - in dem Hostel war ich auch schon vor 3 Jahren. Wie "schön" dass sich nichts groß ändert. Zum Glück gibt es Whisky - und die Stadt an sich entschädigt für vieles.

Wenn Du das genaue Gegenteil diese siffigen Hostels sehen möchtest, fahr auf die kleine Insel IONA! Das Hostel ist echt super.

Grüße

Jörg

22/7/08 15:50

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@kopffüßler: wer hat ihn eigentlich begründet? :)

7/8/08 08:45

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@mq: das mag schon manches leben gerettet haben. :)

7/8/08 08:49

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@kreuzberger: Es gibt so viele dieser seltsamen Etablissements auf den britischen (Festlands-)Inseln, die sich ähneln. Ein irritierender Trend.

7/8/08 08:56

 
Anonymous gutscheine zum ausdrucken meint...

sehr guter Beitrag

19/12/12 13:46

 
Anonymous gutscheine zum ausdrucken meint...

sehr guter Beitrag

28/4/13 14:28

 

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