Donnerstag, September 07, 2006

Ma vue subjective sur la Provence (II)

Die Zunge durchturnt den Gaumen; die Mundwinkel zucken verhalten. Der erste Rotwein unter provençalischem Himmel ist überraschend sauer, mit faltigschlaffem Bouquet und mattem Abgang. Wir fläzen uns gemûtlich in Aurora-Monoblocksessel vor der Campingplatz-Gaststätte. Der Wind dreht sich leicht im Kreis. Zuweilen umwehen herbe Brisen aus den ansonsten sauberen Sanitärräumen unsere Nasen; teils umhüllen uns die betörend süssen Parfumwolken der zehn drallen deutschen Frisösen aus Leipzig, die mit grell geschminkten Lippen an riesigen Desperadosflaschen nuckeln,

um für den letzten Abend ihrer Abschlussfahrt auf Betriebstemperatur zu kommen. Sie wetteifern, wer denn bislang mit der grössten Geschwindigkeitsüberschreitung geblitzt worden ist, wer das meiste Geld für verchromte Auspuffkrümmer ausgegeben hat, vergleichen die Ergebnisse ihrer Volumenföhnbestrebungen und zählen einander die Kondome vor, die sie gekauft haben: "Denn was wäre der letzte Abend, ohne auch nur einen niedlichen Franzosen gevögelt zu haben?", fragt Jenny, und der Hühnerhaufen explodiert vor Jubelgegacker. "Gern auch mal aufm Klo", schiebt Maggy hinterher. Gackerwellen branden erneut.

Ich bemühe mich um einen unbeteiligten Blick und verberge mein heimliches Vergnügen; lasse sie nicht zwissen, dass ich alles verstehe. Soeben hat Sidney Gouvou das 3:1 gegen Italien erzielt. Nun explodiert die Gaststätte und die etwa fünfzehn Franzosen entfachen ein blaues Fahnenfeuerwerk. Vor Begeisterung reisst Virginie ihr Bier um. Tausende Scherben zersplittern umschäumt auf staubigem Stein.

Mit finsterem Todesblick stampft der stiernackige Sicherheitsbulle heran und zieht zwei kleine Teenager mit sich, die er hinter dem Rezeptionshäuschen beim Kiffen erwischt hat. Er staucht sie zusammen, pfeffert sie auf zwei der Plastiksessel und lässt die Eltern herantelefonieren. Kurz später huschen die Schatten der Mutter durch kaltes Neongeflacker. Sie schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, als sie das Karrée vor dem Bistro erreicht, kriecht demütig vor dem Stiernacken zu Staube, krallt sich dann ihre backfischigen Spösslinge und beschämt jeden Rohrspatz mit ihrer Schimpftirade.

Die zehn blonden (und noch nicht nackten) Frisösen zwitschern stöckelnd in die Nacht; um ihre körbchengrossen Angeln nach schnuckeligen Franzosen auszuwerfen. Ich schlendere vom Platz an die Rhône; lehne mich auf eine Bank und verliere mich in Träumen, während der protzige Palais du Pape sich im Spiegel der sanft dahinsprudelnden Rhône abschminkt und bettfertig macht.

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11 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

das in der provence so die post abgeht, hätte ich nicht gedacht!

ole, was ist ein Aurora-Monoblocksessel, bitte?

7/9/06 13:20

 
Blogger Lenny_und_Karl meint...

Ja, was ein richtiger Blogger ist, kann vom Bloggen einfach keinen Urlaub machen. Der Drang Erlebnisse zu teilen ist scheinbar zu groß.

7/9/06 13:46

 
Anonymous Anonym meint...

Jenny, Maggy, Virginie - welcher Name wohl den größeren Teil meiner Sympathie erheischt?

7/9/06 18:17

 
Blogger Lundi meint...

Das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten, aber man muss sie dann auch so schön zu "Papier" bringen.

7/9/06 21:51

 
Blogger mq meint...

Sündenpfuhl Provence. Ich habe es immer geahnt, auch wenn sich mir dieser Landstrich damals als die Unschuld vom Lande verkaufen wollte.

8/9/06 15:15

 
Anonymous Anonym meint...

Dafür, dass du solche Bedenken hattest kommen die Geschichten aber noch locker aus der Hüfte. Aber solche Erlebnisse sind auch Elfmeter für Blogger.

8/9/06 18:40

 
Anonymous Anonym meint...

Ein echt schönes Bild!

9/9/06 08:54

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@lennyundkarl: Es war weit mehr die Fabulierlust, die mich im Kerzenschein vor dem Wohnwagen packte und zwischendurch eine halbe Stunde ins Internetcafé speingen liess. Drang und Druck sind zu Hause geblieben. :)

9/9/06 13:34

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@bsc: dazu gibt es einen herrlichen Artikel von Max Goldt, aus dem ich auch den Namen kenne. Das sind die ineinander stapelbaren Plastikbilligstühle in Restaurants oder auch gern auf urdeutschen Terassen.:)

9/9/06 13:35

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@philsen: ich bin locker, daher wahrscheinlich auch die ebenso entspannten Geschichten. :)

9/9/06 13:36

 
Anonymous Anonym meint...

Warum steht mir der Sinn nun so sehr nach der Ferne??????

10/9/06 13:08

 

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