Sonntag, September 03, 2006

Musikalische Ausgrabungsfelder

Die Reifen quietschen. Der Zeitgeist knattert in halsbrecherischen Tempi vorwärts und überschlägt sich mit in Kurven, die er ungebremst ansteuert. Manches, das einst knackfrisch und brandheiß war, wird oft nur kurz von den Rädern des Zeitgeistes hochgeschleudert und erkaltet allzu schnell. Und so versinkt viel Wertvolles unter den Staubwolken, die der fortrasende Zeitgeist aufwirbelt. Dass dabei nicht nur viel Hervorragendes von der großen Menge unentdeckt bleibt, sondern selbst Entdecktes wieder in Vergessenheit versinkt, ist enorm bedauerlich.

Erfreulich ist aber, wenn beispielsweise musikalische Archäologen mit Baggern, Spaten, Pinseln und intuitivem Gespür ausrücken, um nach Spuren längst vergessener Perlen zu suchen und sie Erstaunliches wieder zu Tage fördern. Zu solchen tapferen Buddelkönigen gehören die Betreiber von Soulshower. Längst verstaubte Platten aus den Siebzigern, seltenste Sonderpressungen, Stücke aus Archivbeständen, deren Originale bei Bränden zerschmolzen sind, für immer verloren geglaubte und beinahe unfindbare Raritäten aus dem Soul- und Funksektor werden hier kostenlos - oft nur für kurze Zeit - zum Kennenlernen und Wiederentdecken angeboten.

Die überwiegenden Goldkrümel stammen aus der Zeit, als die kräusellockigen Haarhelme noch bis zu einem halben Meter vom Ohrläppchen abstanden, die Koteletten an den Schläfen fast so groß wie Rahsegel eines Windjammers wucherten, Schnurrbärte die Lippen überstrüppten, das strahlende Glitzern der Discokugeln noch unverbraucht war und gelenkige Menschen in seltsamen Anzügen über die Tanzflächen turnten: aus den Siebzigern. Hier erwachen verloren geglaubte Basslinien von Arthur Lee wieder zum Leben, zucken die Grooves Arthur Conley durchs Tabzbein, kitzelt die Stimme von Roberta Flack die Gänsehaut und erstaunen Dutzende von Bands, denen man nie auch nur den Hauch einer Existenz zugetraut hätte. Hier lohnt es sich, am (Mirror-)Ball zu bleiben und die Ausgrabungen zu durchstöbern (gerade, weil die Songs selten lange im Netz bleiben). Vieles in dieser besonderen Musikschatzkiste, was glänzt, ist wirklich Gold. Gerade für Fans des frühen Soul und Funk, für Neugierige und Seltenheitenforscher ist die "Seelendusche" ein kleines Paradies.

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6 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

das ist ein wertvoller hinweis, lieber ole. funk and soul sind nicht nur ursprung vieler musikrichtungen von heute, sie sind einfach nicht zu übertreffen, finde ich.

3/9/06 15:43

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

So eindeutig lege ich mich bei Musik sehr ungern fest, da es enorm Großartiges in allen möglichen Stilrichtungen gibt. Ich versuche da, meine Scheuklappen so klein wie möglich zu halten und regelmäßig zu stutzen. Ich mag vieles von den musikalischen Wurzeln und eine Menge der neue(re)n Ableger, mir gefällt eine Menge quer durch die Bank, ohne dass es beliebig wäre.

3/9/06 15:55

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@sillerbetrachter: Herzlichsten Dank!

3/9/06 15:55

 
Anonymous Anonym meint...

Haach, das ist Balsam für die Seele! Vielen Dank. Übrigens ist dein Header bewundernswert. Wie auch der Inhalt. Noch nen Schüler mehr als Leser gewonnen :)

3/9/06 18:20

 
Anonymous Anonym meint...

Du legst aber jetzt auch dieses Jetzt-Tempo vor, hab ich recht?

4/9/06 01:49

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Findeste? Allzuviel hat sich an meinem Quantum doch eigentlich nicht verändert?! Die ungefähre Täglichkeit hatte ich doch auch vorher. Das wird ab übermorgen ja eh anders, wenn ich nach Südfrankreich abreise...

4/9/06 01:53

 

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