Freitag, August 25, 2006

Murphyesken und Musik

Scharen weißer Möwen zersplittern das Grau des Himmels. Kalte Tropfenkaskaden stürzen – von meinem Unwillen unberührt - auf mich herab, kleben Haare in die Stirn, bilden eisige Rinnsale, die den Rücken hinabkullern. Ein kleiner Blondschopf wirft ein selbstgefaltetes Papierboot in den Liffey. Doch der Regen durchnässt es noch im Abwärtsflug. Es kentert, sobald es das Wasser erreicht hat und versinkt in graugemütlichen Fluten. Ich schlage den Mantelkragen enger um den Hals, schlendere ein Stück flussaufwärts und biege in eine schmale Kopfsteinpflastergasse Richtung Temple Bar. Zwei uniformierte Schuljungen üben in einer Seitengasse Schwertkampf mit ihren Hurlingschlägern. Eine abgewetzte Schöne mit rübenfarbenen Locken lehnt vor dem Auld Dubliner und raucht. Trotz des Eisregens trägt sie Minirock. Ihre bloßen Beine zittern leicht. Sie ist nicht die Einzige, die hier frierend vor den Pubs steht und raucht – trotz Wintereinbruch in knappsten Klamotten. Vielleicht nur privat, vielleicht auch mit geschäftlichen Absichten?

Drinnen hocken drei Kavenzmänner am Tresen und verflüssigen ihren Wochenlohn. Auch ich gönne mir ein Guinness, nehme einen kräftigen Schluck und lecke den torfigen Schaum aus den Mundwinkeln. Ein besonderes Verhältnis scheinen Iren indes zum Körperduft zu pflegen. Denn an die Wand der Herrentoilette geschraubt, hängt „Rent-a-scent“. Ein Blechkasten mit einem Münzschlitz und vier Knöpfen, die von unzähligen Daumen glatt poliert glänzen. Darunter vier stählerne Zerstäuberdüsen. So kann, wer den Pub direkt auf dem Heimweg ansteuert, noch flink den Geruch des Alltags überdecken und sich in süßere Wolken hüllen, falls plötzlich die Frau der Träume erscheint.
Nach einem Pint lege ich zwei Münzen auf den Tresen und ziehe weiter. So kräftig das Wetter manche Fassaden zerschlissen und abgewetzt hat, so freudig sich die Regenwolkentürme hier entladen, nachdem sie kilometerweit zuvor nur ins Wasser regnen konnten, so grau und düster das Licht erscheint: Die Stadt sie lebt, sie singt und tanzt. Gegenüber dem Auld Dubliner schrabbelt ein vollbärtiger Schmerbauch Tenacious Ds „Fuck her gently“. Ein blasser Zwerg begleitet ihn als Schlagzeuger auf einer indischen Teekiste. Zwei der Minirockdamen singen mit und tanzen mit Stöckelschuhen über das verregnete Kopfsteinpflaster. Und nicht nur hier. Ich schlurfe weiter in Richtung Grafton Street und wundere mich, ob sich auch in Deutschland ein Versicherungsbüro namens „Murphy Insurances“ etablieren könnte ohne beargwöhnt zu werden. Eine Ecke weiter krümmt sich eine alte Vettel in einem schwarzen Umhang auf einem Klappschemel. „Miss Murphy – Fortune teller“ prangt auf einem handgemalten Schild über ihr. Die Sorge, dass schief gehen könnte, was sie mir prophezeit, hält mich von ihrem Blick in meine Zukunft ab.

Ich lasse die Murphys hinter mir und erreiche die Dubliner Einlaufsmeile, behängt mit geschwungenem Tannengrün. Übermorgen ist der zweite Advent. Ein schiefäugiger Herr mit einem Gesicht wie ein beleidigter Engel verkauft Marienbilder aus seinem Bauchladen. Sie finden reißenden Absatz. Einige Meter weiter wieder Musik. Drei junge Wilde schmettern alte irische Gassenhauer, turnen und hüpfen über die Straße, fetzen über ihre abgegriffenen Instrumente. Schnell bildet sich ein Schaulustigenkreis. In dessen Mitte torkelt ein Greis. Schlaff hängen seine Gesichtszüge, sein Teint erinnert an schales Porter. Doch er lacht. Von seinen Zähnen sind nur Stumpen geblieben, doch er lacht. Seine Augen funkeln vor Glück. Und plötzlich beginnt er, der kleine Greis, zu tanzen. Und er singt. Eher lallt er. Unmengen von „des Teufels Buttermilch“ müssen seine Kehle zuvor hinab geflossen sein. Aber er tanzt. Sturzbetrunkenes Glück. Der Pulk um den Alten wächst und schart sich enger um ihn. Er freut sich, posiert, tanzt, winkt mit den Armen, um die Menge anzufeuern. Er torkelt, fällt fast. Aber ein anderer Herr fängt ihn auf, hakt sich ein und tanzt mit ihm zusammen. Eine Dame in grünem Samtkleid schmeißt ihre Schuhe beiseite und springt hinzu. Binnen Minuten tanzt auf fünfzig Metern die ganze Innenstadt, singt, nimmt sich in den Arm und schunkelt. Mitten unter grauen Wolken, überschüttet von eiskaltem Regen pulsiert das Leben. Mag sich der Himmel auch verdüstern, machen wir einfach das Beste daraus. Das Volk zeigt dem Mistwetter die kalte Schulter und feiert trotzig eine Viertelstunde lang. Dann zerfasert die Menge wieder und läuft mit einem Lächeln auseinander. Die magischsten Momente erwischen Dich ohne Vorwarnung.

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8 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

Eine frühe Vorahnung, die mich ebenso unvorbereitet erfaßt. Wie schnell ist dieses Jahr doch dahin.

25/8/06 23:42

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Das ereilte mich auch vorhin. Erstaunlich. Und fast ein wenig erschreckend. :)

26/8/06 15:42

 
Blogger mq meint...

Herrlich gemaltes Stimmungsbild einer gleichzeitig unwirschen und herzlichen Stadt. Meine nachhaltigste Erinnerung sind die blechernen Pissrinnen in den Pubs.

26/8/06 19:18

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Die erinnern mich eher an Grundschule früher. Aber in einigen waren sie auch in Dublin, stimmt. Und Döner für 9,90€. Dafür bekommt man in einigen Ecken Berlins mindestens sechs Stück. Und selbst in Münster vier. :)

26/8/06 20:04

 
Anonymous Anonym meint...

Danke für das Mitnehmen auf diesen wunderbaren Spaziergang. Schön geschrieben, der Funke springt rüber.

27/8/06 13:05

 
Blogger viktorhaase meint...

waren sie in der buchhandlung direkt am liffey (schreibt mand en so, bin zu faul nachzusehen?) und ahben eine tasse tee dort getrunken und ein paar scones verdrückt?

feine text. macht mal wieder lust auf irland.

27/8/06 20:35

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@rabe: Spaziergänge sind, gerade an gemütlichen Tagen, schließlich auch ne sehr vergnügliche Option. :)

28/8/06 10:12

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

@victoire: In irgendeiner Buchhandlung da war ich. Tee und Butterscones gab's dann weiter stadteinwärts, unweit vom Theater. Hab auch schon wieder Lust auf Irland...

28/8/06 10:13

 

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