Samstag, Januar 29, 2005

Winteridyll

Weiß glitzert der Schnee im Glanze der strahlenden Wintersonne. Die Luft ist kalt. Ein einzelner Rabe kauert im Geäst der Linde gegenüber. Er ist nicht in den Süden geflogen. Eng aneinandergekuschelt schieben sich Pärchen über den Wochenmarkt auf dem Domplatz, die Gesichter oft halb von selbstgestrickten Schals verdeckt. Einige Männer schützen ihre Halbglatze mit selten modischen Mützen vor dem Einfrieren.

Das überfrorene Kopfsteinpflaster stellt das Schuhwerk der Damen und deren Gleichgewicht auf eine harte Probe. Nicht wegrutschen. Schon zum dritten Mal innerhalb von fünf Minuten hält sich die krummnasige Marktverkäuferin am Gemüsestand ihre Hände vors Gesicht und haucht in die Innenflächen, um die Finger nicht steif werden zu lassen. Auf der Außenhaut der Melonen zeichnet sich ein leichter Hauch von Raureif ab. eine große, frierende Menge drängt vor der Kaffee-Bude. Auch ich.

Vor mir lässt ein knorriger, alter Mann mit fusseligem Vollbart und verwuscheltem Haupthaar einen seiner Handschuhe fallen, als er den dampfenden Kaffeebecher in Empfang nehmen will. Ich bücke mich, um den Handschuh aufzuheben, gebe ihn zurück. Die dunklen, feuchten Augen des Greises funkeln glücklich, er öffnet den Mund für ein beinahe zahnloses Lächeln und sagt "danke". Nur zwei helle Stumpen im Oberkiefer setzen sich vom Dunkel seiner Mundhöhle ab. Daneben klaffende Leere.

"Was kostet heutzutage wohl ein komplett neues Gebiss?", denke ich, als auch ich an der Reihe bin und mir einen Kaffee bestelle. Der Gedanke huscht so flink wieder fort, wie er gekommen war, als ich die Hände um den dünnen Pappbecher klammere. Eine wohlige Wärme klettert über die Arme in meinen Körper zurück, durchströmt mich von innen nach dem ersten Schluck. Das trübbraune Gebräu ist mein kleiner, persönlicher Geysir im isländischen Frost. Zitternd tritt tritt die Blumenverkäuferin von einem Bein aufs andere, verschränkt die Arme vor der Brust. Ihre Nase ist von der Kälte gerötet. Ein dunkelhäutiger Herr mit silbergrauen Schläfen und Pockennarben auf den Wangen kauft seiner Begleiterin zwei weiße Rosen.

Mit einer Seelenruhe schaufelt der türkische Schnauzbartträger eingelegte Oliven in eine durchsichtige Plastiktüte. Unter seiner Schürze erkennt man schemenhaft seinen Wohlstandsbauch. Der französische Pastetenbäcker plaudert mit einer Studentin über den beißend kalten Wind und angemessene Winterkleidung. Eine krummbucklige, alte Frau in grünem Filzmantel hat ihren Korb vollpacken lassen mit Rotkohl. Gebeugt schiebt sie sich vorwärts. Alle paar Meter muss sie den Korb absetzen.

Die Sonne scheint unablässig. Sie stört sich nicht daran, dass sie kaum eine andere Wahl hat. Ich blinzle schräg an ihr vorbei und meine, über den fernen Stratus- und Cirrus-Wolken zwei Kondensstreifen von Düsenflugzeugen zu erkennen. Verblüffend schnell wird der Kaffee kalt.

Ich stürze die übrig gebliebenen Schlücke hinunter, kaufe etwas Käse, drei Orangen, Zimt und Tomaten. Gemütlich schlurfe ich zurück zu meinem Fahrrad. Vier betagtere Herren knien neben einer ältlichen Frau im Nerzmantel. Sie ist mit ihren Stöckelschuhen auf dem glattgefrorenen Kopfsteinpflaster ausgerutscht und gestürzt. Sie helfen ihr auf. Ein Schneeball saust durch die Luft, verfehlt sie um Haaresbreite. Eine kurzhaarige Jeansjackenträgerin mit randloser Nickelbrille blickt auf den Nerz, verfinstert ihren Blick und zischt: "Mörderin!" Dann geht sie schnell weiter. Sie hat keine Stöckelschuhe. Sie rutscht nicht.

Auf der anderen Straßenseite hebt jemand seinen Arm - der weißhaarige Greis winkt mir noch einmal mit seiner behandschuhten Hand. Er lächelt mir beinahe zahnlos nach, als ich aufsteige, um den Heimweg anzutreten.

3 Wortmeldung(en):

Anonymous Anonym meint...

"Das trübbraune Gebräu ist mein kleiner, persönlicher Geysir im isländischen Frost."

--> das muss ich mir merken,wenn ich nach island fliege!!

30/1/05 16:20

 
Blogger Oles wirre Welt meint...

Wann geht's denn los?

1/2/05 16:13

 
Blogger die-kleine-anja meint...

ich hoffe bald :-)
wenn ich glück hab,was ich -glaub ich- hab,dann in 4 wochen !

3/2/05 13:35

 

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