Ein Held seiner Zeit
Hier der gesittete, fleißige und hochanständige Schriftsteller, dessen Ideenrepertoire seit einiger Zeit aber so karg und verlassen ist wie verwitterte Bergbaugeisterstädte in nordrussischen Polarkreisgegenden. Dort der schelmische Rumtreiberling, der quirlige Quell verrückter Abenteuer-Ideen, ein verschmitzter Bohème, voll obskurer Vorhaben - genussfreudig, verrückt und arbeitsfeindlich.
Beide ergänzen einander wie Ying und Yang. Der eine ist die Faust, der andere das Auge. Passt perfekt. Alter und ego, zu zweit und doch eins. Und so rotten sie sich zusammen. Der eine erzählt und erflunkert funkelnde Erlebnisberichte, der andere schreibt eifrig mit. Und so durchtanzen sie in der Erinnerung fast anderthalb Dutzend verblüffender Geschichten. Abstruse Vorkommnisse bei Zugfahrten ins Ausland, Ausflüge in die Stadt, in der immer die Wahrheit gesagt wird, sie streifen das nichttsnutzige Treiben bohèmer Schlauschwätzer in gemütlichen Kaffeehäusern, tauchen ein in das irisierende Flair von Budapest, verprassen irrsinnige Erbsummen, begegnen Universitäts-Präsidenten, der nichts besser kann als bei öffentlichen Anlässen durch seliges Schlummern zu glänzen.
Noch einiges mehr gibt es zu entdecken, zu beschmunzeln, lustvoll zu durchstöbern in diesem gleichermaßen spannenden wie vergnüglichen Roman voller Leben, dessen Sprachwitz und Blickschärfe auch heute ungetrübt strahlen; In Dezső Kosztolányis großartigem Werk "Ein Held seiner Zeit. Die Bekenntnisse des Kornél Esti.", das in Ende der Zwanziger entstand, jedoch erst vor knapp zwei Jahren auch auf deutsch erschien. Nachwievor ist Kosztolányi kaum bekannt, nurmehr siedend heißer Geheimtipp hierzulande. "Ein Held..." ist weniger ein stringenter Roman als ein augenzwinkerndes Sammelsurium von Geschichten ist es, aber jede einzelne davon umhüllt ein eigener Zauber, ein verblüffender Clou, bestechende Atmosphäre, Sinnlichkeit ohne Süßlichkeit, Esprit und Witz ohne Platitüden, feinstrichige Skizzen ohne sich im Detail zu verlieren, Intelligenz ohne Besserwisserei.
Thomas Mann war einer der großen Verehrer von Kosztolányi, für Peter Eszterhazy ist er "der größte ungarische Schriftsteller", Sándor Márai sah in ihm sein Idol. Seltsamerweise ist er noch heute kaum jemandem ein Begriff. Doch die, die ihn kennen, schwärmen und bleiben mehrheitlich. Bei seiner Wiederentdeckung vor wenigen Jahren schrieb der Rezensent der Süddeutschen Zeitung gar: "Desző Kosztolányi war ein Genie, vielleicht auch ein Gott." Ich will hier keinen Jubelbabelturm bauen, aber jedem Einzelnen hier diesen Roman wärmstens ans Herz legen.
Vor Freude fast geplatzt bin ich gestern als ich zufällig entdeckte, dass es noch weitere, bislang verloren geglaubte Novellen rund um Kornél Esti gibt, die jüngst erschienen sind. Ich habe ohne zu Zögern zugeschlagen. Die Leselampe neben meinem Kopfkissen wird in den nächsten Tagen länger brennen, ich durchstreife neue Eugenspiegeleien, lasse mich wieder treiben auf dem glitzernden Sprachfluss eines meiner Lieblingsautoren. Für mich die Entdeckung der letzten Jahre.
Also, losrennen und besorgen! Verschlingt ihn. Lacht, dass sich Balken biegen und brechen. Badet in der fast schon erstaunlichen Sprach-Eleganz! Bestaunt die süffisante Hintersinnigkeit. Vielleicht wird's ja auch für Euch vielleicht auch eine heiße Entdeckung? Wen's interessiert, der findet hier weitere Stimmen.
19 Wortmeldung(en):
Gute Bücher braucht die Welt. Lese mich momentan an Jonathan Franzen fest, habe aber noch einen großen Stapel Bücher, die ich alle unbedingt gelesen haben will ... aber den Buchtipp merke ich mir.
17/1/06 17:18
Franzens "27ste Stadt" habe ich als Hörbuch durchgeackert, die "Korrekturen" sind bei mir noch in dem großen Stapel der Bücher, die ich alle unbedingt gelesen haben will. Buch um Buch arbeite ich mich durch, momentan haben einige Romane aber noch Optionsscheine, die frühere Vorzugsbehandlung garantieren. :)
17/1/06 18:37
Oh, ich liebe ihn. Danke, dass Sie an diesen in seiner Eleganz, seiner kapriziösen Verspieltheit singulären Autor erinnern. Bei mir wird es dieser tage auch wieder einmal um einen meiner Hausheiligen gehen, allerdings vom ganz anderen Ende des Regenbogens - Bret Easton Ellis, ich weiß nicht, ob er Ihnen etwas bedeutet.
17/1/06 23:52
Ich gestehe, ihn bisher bei meiner Lektüre ausgelassen zu haben. Ohne einen Anflug von bewusster Absicht. Doch das kann und wird sich auch umgekehrt ändern. Momentan verschlinge ich erst einmal den "neuen" Kosztolanyi. Und dann harrt da noch ein meterdicker Stapel...
17/1/06 23:56
Bret Easton Ellis ist eins der großen Leseerlebnisse meiner früheren Jugend, so mit 18, und hat bis heute nichts von seinem Reiz verloren. Der tanz um die leere Mitte dieser Welt...aber mehr in einigen Tagen.
18/1/06 00:14
Ich lasse solange vorfreudig den Nacken knacken.
18/1/06 00:15
Olsen, du bist ein wahres Promotalent. Wer könnte nach diesem Artikel nicht neugierig sein auf das Buch? Eigentlich nur "bohème Schlauchschwätzer" oder "die Verstellschrauben-Dreckssau" (courtesy of MC Winkel)!
18/1/06 00:57
In mir schlummern scheinbar ungeahnte Talente. Verstellschrauben-Dreckssäue (courtesy of MC Winkel) dürfen ihren Mangel an Neugier ja auch gern an anderen Büchern austoben. :)
18/1/06 09:17
Wieso kenne ich den noch nicht, obwohl ich doch Sandor Marai so vergöttere? Beschämend. Danke für den Tipp!
18/1/06 12:38
Ja, super Empfehlung, danke! Kommt sofort auf die Wunschliste.
ABER! HÜSTEL! Die wunderbare Sprache, die Du da gelesen hast, stammt von der Übersetzerin Christina Viragh. Wolltich mal so erwähnt haben.
(Ja, ich verachte mich dafür ein bisschen. Ich komme aber nicht dagegen an.)
19/1/06 00:58
Da haste auch wieder recht. Über sowas kommt man schon mal versehentlich hinweg. So ungerecht's ist. :)
19/1/06 10:05
Die Korrekturen sind wirklich unglaublich lesenswert, auch wenn mich eine Sache stört (immerhin, nur eine), aber das wird nicht verraten. Will dir ja nicht den Lesespaß nehmen.
Ja, die guten alten Pippi-Filme .. habe mir letztens in einem Anflug kindlicher Freude drei Videos ausgeliehen und angesehen. Wirklich schön. :)
19/1/06 17:03
Ole, Du Schuft! Ich hab's mir gestern ausgeliehen und komme jetzt nicht mehr bis zum Computer, weil ich Kornel Esti lesen muss. Schöne Sache, das! Und die "Ehrliche Stadt" sollte Pflichtlektüre für alle Werber werden.
19/1/06 20:34
Ganz mein Reden. Und: Freut mich! Und: Ich bekenne mich schuldig! :)
20/1/06 01:58
Der Herr aus Absurdistan denkt nur ans Essen.
20/1/06 07:26
Und meins war witzig gemeint.
Da sehen Sie mal, lustig bin ich schonmal nicht. Aber das macht nichts, dann überlass ich das eben dem .. äh .. Dezsösowieso.. egal.
20/1/06 14:32
Klettverschlüsse hab ich noch nie getragen. Habe die schon im Kindergarten verachtet, mit drei Jahren, das muss man sich mal vorstellen. Ich wüsste auch nicht, woran das liegen könnte.
Daher bin ich mir nicht sicher, ob es die noch gibt - ich wäre zumindest froh, wenn es so wäre.
Aber: Wie sind wir denn hier so schnell in ein etwas merkwürdiges Thema gesprungen?
20/1/06 22:54
Moooooooooooooooooooooment. :) Genauso hatte ich's doch auch verstanden. Meins war umgekehrt auch sehr unernst gemeint. Wir können uns ja zum Bund der "Sich für verkannt haltenden Witzigen" zusammentun. Und uns dann auf die Suche nach Klettverschlüssen begeben. ;)
21/1/06 00:13
Ich sollte meine eigenen Eintrage womöglich selbst öfter lesen, damit ich auch alle Kommentare verstehe ... nein, Klettverschlüsse statt Schnürsenkel, um Gotteswillen.
Aber es ist mir tatsächlich mal passiert, dass ich in Eile Schuhe angezogen habe, die keine Schnürsenkel hatten (ich wollte die eigentlich noch ausgewechselt haben..). Hab es aber erst bemerkt, als mich jemand drauf hingewiesen hat ...
21/1/06 09:55
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